Die Metropole als Partyhochburg/ Von Beatrix Novy

Kulturelles Wort
Redaktion: Rainer Sütfeld
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Sendung am: 31.07.2016
19.05 – 19.15 Uhr
GEDANKEN ZUR ZEIT
Die Metropole als Partyhochburg
oder: Vom wachsenden Widerstand gegen den Städtetourismus
Von Beatrix Novy
GEDANKEN
ZUR ZEIT
Sonntags
19.05 - 19.15 Uhr
Sprecher An- und Absage: Rainer Sütfeld
Manuskript und Sprechen: Beatrix Novy
Telefon:
0511 / 988-2321
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- Unkorrigiertes Exemplar -
Im Sommer 2014 beschloss ein übermütiges Grüppchen junger Italiener, einfach mal nackt
spazieren zu gehen. Nicht in ländlicher Abgeschiedenheit und nicht bei Nacht, sondern
mitten am Tag in Barceloneta, dem beliebten Stadtviertel von Barcelona. Die juvenile
Provokation hatte Folgen: Wochenlang demonstrierten Bürger gegen das, was für sie ein
Fass zum Überlaufen gebracht hatte. Seit in den 90er Jahren das junge und vibrierende
Barcelona zu einem Lieblingsziel des internationalen Städtetourismus aufstieg, sind
nämlich die daraus folgenden Extra-Vibrationen vielen Bewohnern allmählich zu viel
geworden. Auf Transparenten, die sie bei ihren Demonstrationen mitführten, erklärten sie
nun, Barceloneta gehöre seinen Bewohnern, forderten die Bewahrung des Viertels und
seiner Eigenart und beklagten den Verlust von bezahlbarem Wohnraum.
Ängste vor dem Verlust von Identität und Wohlstand, Gefühle von Überfremdung und
Belagerung sind also nicht auf fremdenfeindliche Proteste begrenzt, sie spornen auch die
Wut auf jene Besucher an, die noch bis vor kurzem als Wohlstandsbringer herzlich begrüßt
wurden. 25 Millionen Reisende weltweit im Jahr 1950 konnten sich der Wertschätzung
ihrer Gastgeber noch sicher sein - bei über einer Milliarde im Jahr 2014 beginnt die
Begeisterung hier und da zu stocken, zumal die Zahl weiterhin steigt. Barcelona
beispielsweise mit seinen 1,6 Millionen Einwohnern empfängt jährlich 30 Millionen
Touristen, oft quellen Zehntausende an einem einzigen Tag aus den Kreuzfahrtschiffen.
Wo Tourismus zum Übertourismus geworden ist, organisieren sich zunehmend die
Belagerten und Verärgerten. Voriges Jahr listete die Internetseite von T-online zu
Ferienbeginn Städte auf, in denen die Stimmung schlechter geworden ist: alle in
Südeuropa. Aber das Phänomen ist so global wie der Tourismus selbst. "Berlin liebt dich
nicht" so lässt es das durchkreuzte Herzsymbol jene Wochenend-Partygänger wissen, die
mit dafür sorgen, dass in der Metropole an der Spree bezahlbare Wohnungen vom
florierenden Geschäft mit Kurzvermietungen aufgesogen werden; Leute, die nachts
volltrunken Treppenhäuser versauen und grölend die noch übriggebliebenen Nachbarn im
Haus wecken. Amsterdam, das bis vor zwei Jahren noch glaubte, den Besucheransturm auf
die kleinräumige Stadt im Griff zu haben, fürchtet sich neuerdings vor dem traurigen
Schicksal Venedigs und diskutiert Gegenmaßnahmen. In Venedig selbst, Touristenstadt seit
vielen Jahrhunderten, ist der Widerstand immer erbitterter geworden, Einheimische - viele
sind nicht mehr übrig - und altgediente Dauerbesucher sind sich einig in der Verachtung
halbnackter Bustouristen, die für den Tag einfallen, mitgebrachte Stullen verzehren und
außer Müll nichts in der Stadt zurücklassen. Sie kommen so schnell wie sie wieder gehen,
Protagonisten der Disneyfizierung Europas; und viele Einwohner in den schönsten Städten
des Kontinents fühlen sich allenfalls noch wie unfreiwillige Dienstleister in einem
Themenpark.
Doch die Proteste sind keineswegs auf das alte Europa beschränkt. Seit die Volksrepublik
China ihre Bürger reisen lässt, hört man aus dem chinakritischen Hongkong, aber auch aus
Thailand und Kambodscha Klagen über reisende Chinesen, die sich nicht benehmen
könnten - Anpassungsprobleme, die an den "hässlichen Amerikaner" und den noch
hässlicheren Deutschen von früher erinnern. Auch Amerikas Städte haben ihre Konflikte: In
Santa Monica ziehen schlecht bezahlte Hotelangestellte an einem Strang mit AirBnBGegnern und genervten Bürgern, die ihre Bürgersteige unter den vielen herausgestellten
Cafetischen nicht mehr finden können.
Sogar in Singapur gibt es Aktivisten, die dem staatsoffiziös geprägten Tourismus etwas
entgegenzusetzen haben: Sie führen Besucher in Viertel, die eine andere Geschichte des
Stadtstaats erzählen können als die schönen Konsumtempel und gepflegten CityHighlights. Da klingt leise das ambivalente Schlagwort vom Favela-Tourismus an: auch wer
nicht die Armenviertel von Rio besuchen möchte, will doch das Authentische, verlässt mit
dem alternativen Reiseführer die sogenannten "ausgetretenen Pfade", taucht ein in die
alltägliche Realität der Bereisten, in den noch sozial gemischten Kiez, wo alles ganz normal
ist und nicht gepflastert mit öden Souvenirshops. Allerdings endet das leicht in Hipness mit
etwas originelleren Souvenirshops, teurer wird es auch, wieder mutieren die Bürgersteige
zu Cafeterrassen, und alle meckern. Natürlich auch die Touristen. Das haben sie übrigens
seit der Erfindung der Vergnügungsreise in der Antike immer schon gemacht: sich
gegenseitig furchtbar lästig finden.
Heute ist das schwieriger, denn Touristen und Nicht-Touristen sind nicht mehr so leicht zu
unterscheiden. Urban versierte Bewohner verhalten sich in ihrem beliebten Stadtteil wie
die Besucher, die ihn aus dem Global Planet-Führer kennen, nutzen seine Angebote, sitzen
in denselben Cafés und vermieten, wenn sie sich selbst auf den Weg in andere, ferne
Städte machen, ihre eigene Wohnung über FeWo oder AirBnB. Berufliche und individuelle
Mobilität, Freizügigkeit, Billigflieger, Kongresstourismus, Arbeitsmigration,
Auslandsstipendien, Wochenendbeziehungen produzieren überall Teilzeit-Touristen; an den
lärmigen Party-Hotspots der Großstädte zanken sich schlaflose Bewohner mit
Eventhungrigen aus allen Teilen der Welt: von nebenan, aus einem anderen Viertel oder
einem anderen Land. Aber alle sind eben auch Mitglieder einer internationalen
Begegnungskultur, die sich denn doch nicht beschränken lässt auf ihre Kehrseiten wie
Gentrifizierung, Eventisierung und Touristifizierung.
Die Protest-Initiativen in den überfüllten Reisemetropolen rufen in der Regel nicht den
Kampf gegen den Wirtschaftszweig Tourismus selbst aus. Es geht darum, die
problematischen Entwicklungen kleinzuhalten, um die Änderung von
Rahmenbedingungen, also: um Regulierung. "Der Tourist zerstört, was er sucht, indem er es
findet" - Hans Magnus Enzensbergers Bonmot sagt, wie es ist, aber Realpolitik muss
zwischen Veränderung und Vernichtung unterscheiden. Nach wirksamen Mitteln gegen den
Overkill wird also gesucht. Nicht überall ist es für die kommunalen Behörden so leicht, den
Strom zu bremsen, wie in Shanghai; dort waren viele der aus dem Boden geschossenen
Bars und Cafés, deren stadtraumgreifendes Mobiliar in der Bevölkerung für Unmut sorgte,
sowieso ohne Genehmigung entstanden. Dass Bhutan Touristenvisa nur in begrenzter Zahl
vergibt, hohe Gebühren erhebt und den Hotelbau beschränkt, verwundert ebenfalls nicht.
Aber auch in Barcelona galt eine der ersten Amtshandlungen der Bürgermeisterin Ada
Colau, ehemals linke Aktivistin, einem Baustopp für Hotels. Der Stadt Amsterdam empfiehlt
ein Experte datierte Eintrittstickets für Sightseeing-Highlights und den Amsterdampass für
Touristen. Und Berlin hat sein endlich wieder in Kraft getretenes Zweckentfremdungsverbot
für Wohnungen genutzt, um der Ferienwohnungs-Plattform AirBnB den Hahn zuzudrehen.
Ein bisschen hart, wenn man bedenkt, dass die ursprüngliche Idee aus der sharing
economy kommt; es muss noch gearbeitet werden an der Unterscheidung zwischen
richtigen Couchsurfern und den vielen gewerblichen Anbietern, die schnellen Reibach
langfristigen Vermietungen vorziehen.
Zu den erprobten Maßnahmen gehört das Unter-Schutz-Stellen: in Kopenhagen müssen
Reiseleiter ihr Megaphon weglegen, wenn sie Wohngebiete queren, dort soll Ruhe
herrschen.( Auch Paris kennt Zonierungen; die New York Times hält das französische
Tourismuskonzept insgesamt für beispielhaft, weil es von Beginn an, also seit der
Nachkriegszeit, den Tourismus als Teil der Kultur förderte und regulierte - so dass
tatsächlich auf höchsten Ebenen diskutiert wurde, ob Bordeaux ein weiteres 5-Sterne
Hotel oder ein Skiort einen weiteren Lift braucht.
Die unangenehmste Seite des Tourismus repräsentiert Venedig: den Tagestourismus.
Sinnfreies Eben-mal-Hingucken, massentypische Ungehörigkeiten und Gedränge, das alles
ohne nennenswerte Wertschöpfung - dafür haben sich seit den 60er Jahren, als die
Sommerfrische endete und das Reisen schnell und billig wurde, viele Städte prostituiert.
Venedig hat, mit wechselnden Erfolgen, jahrelang um das Recht gekämpft, monströse
Kreuzfahrtschiffe von den Ufern der Lagune fernzuhalten. Die das Stadtbild
entwürdigenden schwimmenden Freizeitpaläste, in deren Schatten Flüchtlinge und
afrikanische Straßenhändler die andere Seite der Migration ins Gedächtnis rufen, werfen
nicht nur bei Protestlern die Frage auf, woher so viel dreister Anspruch auf so viel
städtischen Raum eigentlich sein Recht nimmt.
Und dieser Raum ist nun mal begrenzt.
Zudem ist heute jede Massenkonzentration von Touristen eine potentielle Einladung für
den ideologisch aufgerüsteten Terror der mörderischen Grüppchen und Einzeltäter, wie es
jüngst ausgerechnet das freundlich-zivilisierte Nizza erfahren musste.
Der Übertourismus ist Teil jenes vom Soziologen Harald Welzer umstandslos benannten
"durchgeknallten Lebensstils", für den es, aus der rein praktischen Erwägung des
begrenzten Raums, nicht mehr allzu weit aufwärts gehen kann. Eine Alternative wäre wohl
nur „Runterkommen“. Den betroffenen Städten wird nichts anderes übrig bleiben.
Ansonsten gäbe es noch, frei nach dem Architekten Robert Venturi, "Lernen von Las Vegas":
Es gibt keine Stadt, die man nicht in irgendeiner Wüste nachbauen könnte. Aber wo bliebe
da das Authentische?
Beatrix Novy arbeitet als Autorin, Redakteurin und Moderatorin in Köln