Gestaltung mit Bewegungsunschärfe Gelungene Kompositionen sind fast ein Ding der Unmöglichkeit an Orten, in denen sich alles durcheinanderbewegt, also ständig Formen und Farben ineinanderdringen, die nicht zusammenpassen wollen. Daher liegt es nahe, diesen Eindruck der flutenden Massen einmal in Fotos zu transportieren, bei denen Menschen oder fahrende Vehikel in Bewegungsunschärfe getaucht sind. Das ist auch eine interessante Form der Abstraktion. Natürlich benötigt man hierzu ein Stativ und zumindest bei Tage einen sogenannten Neutraldichtefilter (ND), der das ins Objektiv fallende Tageslicht abdunkelt, damit Langzeitbelichtungen möglich werden. Hier gibt es Variationen von einer bis zu zehn Blenden Abdunkelung. Um bei hellem Tageslicht zu Langzeitbelichtungen zu kommen, empfehle ich durchaus den Neutraldichtefilter mit zehn Blendenstufen Abdunkelung, mindestens aber einen Filter der Stufe 6. Dann gilt es, die niedrigste ISO-Zahl einzustellen und den Bildstabilisator abzuschalten, da er bei Langzeitbelichtungen manchmal eine leichte Bewegung des Objektivs erzeugt. Eine weitere Schwierigkeit ist die Belichtungsmessung. Spiegelreflexkameras, die durch das Objektiv messen, berücksichtigen in dem Moment, wenn das Objektiv durch den Filter stark abgedunkelt ist, auch das hellere Licht, das durch den Sucher fällt, kürzen die Belichtungszeit gegenüber dem zunächst gemessenen Wert während der Belichtung plötzlich ab und die Bilder geraten zu dunkel. Hier hilft es, während der Langzeitbelichtung vorsichtig den Finger auf den Sucher zu legen, ohne die Kamera zu erschüttern. Eine andere Möglichkeit ist es, mit manueller Belichtung zu arbeiten. Bei Sucherkameras, die die Belichtung nicht durchs Objektiv messen, ist dies sowieso nötig. Hier muss man entweder mit externem Belichtungsmesser messen oder so lange ausprobieren, bis man auf dem Display sieht, dass die richtigen Werte gefunden wurden. Auf diese Weise kommt man zu teilweise künstlerisch wirkenden abstrakteren Ergebnissen. Natürlich muss man ein Stativ mit sich tragen, aber dafür kann man entschleunigt arbeiten und in Ruhe nach Orten Ausschau halten, die eine interessante Kulisse für die Kombination mit unscharfen Menschenfluten bilden. Erstaunlich ist, dass man ein Stativ mit Kamera sogar an Orten größter Menschenmassenfluten aufbauen kann: Die Menschen werden zwar knapp, aber doch so am Stativ vorbeilaufen, dass sie es nicht erschüttern. 286 Wege zur vollkommenen Abstraktion Geht man über die New Yorker Brooklyn Bridge, so strömen mittlerweile fast zu jeder Tages- und Nachtzeit Menschenmassen über diese Brücke, sodass sie sich in leerem Zustand fast nur noch bei Regenwetter ablichten lässt. Aber man kann sich die Menschenfluten auch für eine abstrakte Bildkomposition zunutze machen, indem man den Neutraldichtefilter vor das Objektiv schraubt, die Kamera aufs Stativ setzt und die vielen Menschen nach möglichen Farben untersucht. Auf diesem Foto war es eine violett gekleidete Person, die in die Langzeitbelichtung einzubetten war. Fünf Sekunden sind bei solch einem Motiv eine angemessene Zeit, denn dann entsteht Bewegungsunschärfe, es zeichnen sich aber auch noch Konturen ab. Natürlich musste man bei der Brooklyn Bridge darauf achten, das Stativ dort aufzustellen, wo die Brücke festen Grund unter sich hat, zum Beispiel auf einem Brückenpfeiler, denn sonst unterliegt eine Brücke ja deutlichen Schwankungen. Stilmittel für die Abstraktion: Unschärfe 287
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