Wissenschaftstheoretische Modelle

Wissenschaftstheoretische Modelle
Die moderne Wissenschaftstheorie setzt ganz ähnlich ein wie der Empirismus in der
Erkenntnistheorie, nämlich mit einer Kritik an der vermeintlich haltlosen Spekulation.
Wissenschaftstheorie und Empirismus sind überdies beide sehr eng mit dem Gang und Erfolg der
modernen, empirischen Naturwissenschaft verknüpft. Gegenüber den mit Mitteln der Erfahrung und
des Experiments gewonnenen Erkenntnissen führt die bloße Theorie philosophischer Spekulation zu
– so die Behauptung – zu keinem wissenschaftlichen Fortschritt, sondern nur in eine ergebnislose
Dauerreflexion. Einen sicheren Weg der Wissenschaft zu ebnen hoffte man durch eine Überprüfung
aller theoretischen Aussagen an sogenannten einfachen Basis- oder Protokollsätzen und eine
Überprüfung der inneren Logik von Theorien mithilfe einer nach dem Vorbild der Mathematik
gestalteten Logik.
Ziel der Entwicklung ist zum einen die Herstellung einer Fachsprache mit eindeutig definierten
Begriffen und einer Theorie, die sich in logisch deduktiver Weise aus einfachen Sätzen
zusammensetzt, sowie eine Überprüfbarkeit aller Einzelsätze anhand empirischer Erfahrung.
Analytische Logik und Sprache sollen auf diese Weise zusammen mit der empirischen
Überprüfbarkeit einen logischen Empirismus begründen, der einen kumulativen Zuwachs von
objektivem Wissen durch wissenschaftlichen Fortschritt ermöglicht. Für die Entwicklung der
Wissenschaftstheorie selbst ist entscheidend, in welchem Verhältnis die Protokollsätze, also einzelne
empirische Beobachtungen, zu den daraus gezogenen theoretischen Annahmen stehen. Dieses
(möglicherweise problematische) Verhältnis bezeichnet das Induktionsproblem.
Im Idealfall werden aus
einzelnen Beobachtungen
allgemeine
geschlossen,
Aussagen
die
Voraussagen über weitere
Beobachtungen erlauben,
die
dann
empirisch
werden können.
1
wiederum
überprüft
Der „Wiener Kreis“ (Carnap und Reichenbach): Prinzip der Induktion (s.
Schaubild oben linke Seite)
Um dieses Ziel zu erreichen, schließen Rudolf Carnap und Hans Reichenbach zunächst alle Sätze als
unwissenschaftlich und letztlich sinnlos aus der Wissenschaft aus, die nicht auf Erfahrung beruhen
oder aus Sätzen ableitbar sind, die ihrerseits auf Erfahrung beruhen. Wissenschaftliche Sätze müssen
deshalb an der Erfahrung verifizierbar sein, bzw. es muss mindestens angegeben werden können,
wodurch sie verifiziert werden können (z.B. bei Aussagen über die Zukunft). Aus den Basissätzen, die
unmittelbar an der Erfahrung verifiziert werden können, sollen dann streng logisch weitere Sätze
abgeleitet werden, die zusammen eine Theorie ergeben und sich schließlich als Gesetz
wissenschaftlich fundieren lassen. Der Aufbau der Theorie erfolgt dabei zunächst ausgehend von den
Basis- oder Protokollsätzen, die eine Verallgemeinerung (Induktion) erlauben.
Das grundsätzliche Problem der Induktion besteht freilich darin, dass eine Induktion (außer in der
Mathematik) empirisch nie vollständig ist, mithin eine Verifikation einer Theorie durch Induktion eine
unendliche Forschung voraussetzt.
Popper: Das Prinzip der Falsifikation (s. Schaubild oben rechte Seite)
Aufgrund der stets unvollständigen Induktion schlägt Karl Popper ein anderes Verfahren vor, das der
Falsifikation. Das reine Induktionsverfahren würde nämlich zu einer Vielheit konkurrierender
Theorien führen, die alle unvollständig verifiziert sind. Popper sagt deshalb, dass Theorien ständig
überprüft werden müssen, inwiefern sie den Beobachtungen in den Protokollsätzen entsprechen.
Hierzu müssen die durch Induktion gewonnenen allgemeinen Sätze wiederum in deduktiver Richtung
auf weitere mögliche Beobachtungen herabgeführt und an diesen überprüft werden. D.h. aus den
zunächst induktiv gewonnenen allgemeinen Sätze werden Prognosen oder Hypothesen über weitere
Fälle abgeleitet, die dann an der Erfahrung überprüft werden. Stellt sich dann heraus, dass diese
Beobachtungen der Theorie widersprechen, muss die Theorie aufgegeben werden, sie gilt dann als
falsifiziert. Eine Theorie ist auf diese Weise immer nur vorläufig wahr, nämlich so lange wie sie nicht
falsifiziert ist.
Beiden Verfahren, als dem der Induktion und dem der Deduktion, der Verifikation und der
Falsifikation, gemeinsam ist das Bestreben, eine Übereinstimmung zwischen theoretischen Aussagen
und empirischen Beobachtungen herzustellen. Wissenschaftlicher Fortschritt ergibt sich in beiden
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Fällen durch eine Vermehrung der Beobachtungen, also des empirischen Datenbestandes. Beiden
Verfahren ist überdies die Annahme gemeinsam, dass es objektiv beobachtbare Protokollaussagen
gibt, die nicht schon durch die Theorie und die ihr entsprechenden experimentellen Apparate
verändert oder gar erzeugt werden.
Positivismusstreit
Erste
Brüche
in
der
ursprünglich
an
naturwissenschaftlicher
Forschung
orientierten
wissenschaftstheoretischen Fortschrittseuphorie erhielten diesen Grundannahmen im sogenannten
Positivismusstreit in den Sozialwissenschaften. Denn in den Sozialwissenschaften sind die Ergebnisse
empirischer Studien sehr stark durch die Theorie definiert, von der aus die Fragestellungen
entwickelt werden. Das Ergebnis von Befragungen etwa hängt extrem davon ab, welche Fragen mit
welcher Formulierung gestellt werden.1 Theorien und Beobachtungen sind also nicht völlig
unabhängig voneinander, so dass Beobachtungen Theorien nur bedingt verifizieren können, vielmehr
drängt sich der Verdacht auf, dass eine als sicher angenommene Theorie ihre eigene Bestätigung
wahrscheinlich macht (self fulfilling prophecy). Im Positivismusstreit der Sozialwissenschaften
(Anfang der 1960er Jahre) gaben deshalb beide Seiten zu, dass sozialwissenschaftliche Theorien
immer auch (nicht durch empirische Induktion gewonnene) Werturteile enthalten. Während aber
Popper daran festhielt, dass es theorieunabhängige Protokollsätze gibt, behaupteten seine Gegner
aus der kritischen Theorie der Frankfurter Schule, dass sozialwissenschaftliche Theorien grundsätzlich
nicht anhand empirischer Erfahrung verifiziert oder falsifiziert werden können, weil es keine
theorieunabhängigen Protokollsätze gibt. Anstatt Theorien an Beobachtungen zu überprüfen
empfiehlt es sich dann nach den Kriterien der kritischen Theorie, Theorien an Theorien zu überprüfen
bzw. Theorien auf ihren Ideologiegehalt (unreflektierte Werturteile) zu untersuchen. Jürgen
Habermas hat dieses Verfahren schließlich in seinen Ausführungen zur Struktur erkenntnisleitender
Interessen (Erkenntnis und Interesse) auch auf die Naturwissenschaften ausgedehnt und diese dem
generellen Ideologieverdacht der Naturbeherrschung ausgeliefert. Anstelle einer empirischen
Überprüfung
wissenschaftlicher
Theorien
bedarf
es
nach
Habermas
deshalb
1
einer
Beispielsweise wurde in einer kirchlichen Befragung festgestellt, dass der Glaube an ein Leben nach dem Tod
überwiegend bejaht wurde, woraus geschlossen wurde, dass das Dogma von der Auferstehung nach wie vor im
Glauben der Bevölkerung fest verankert sei. Erst in späteren Befragungen wurde festgestellt, dass die Mehrheit
der Befragten nicht an Auferstehung, sondern Wiedergeburt glaubt. Ähnliche Hinweise gibt es auch in der
Quantenmechanik, nämlich dort, wo festgestellt werden kann, dass ein beobachtetes Teilchen sich anders
verhält als ein nichtbeobachtetes. Durch die Beobachtung wird also nicht etwas festgestellt, das unabhängig
von dieser Beobachtung existiert, sondern es wird etwas beobachtet, das durch diese Beobachtung zumindest
zum Teil erst hervorgebracht wird.
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Wissenschaftssoziologie (soziologische Überprüfung von wissenschaftlichen Theorien auf ihre
Fähigkeit zur Emanzipation des Menschen). Wenn es aber zumindest in den Sozialwissenschaften gar
keine allgemeinen Sätze gibt, die in einer Linie (von oben nach unten) auf Basissätze führen und an
diesen überprüft werden können, kann man fragen, ob dies überhaupt in den Wissenschaften der
Fall sein kann.
Quine: Wissen als zusammenhängendes Netz
Von eben dieser Annahme geht Quine aus. Er behauptet, dass wissenschaftliche Theorien nicht aus
einem linearen Ableitungsverhältnis von allgemeinen Aussagen und Basissätzen bestehen, sondern
aus einem Netz sich wechselseitig stützender Aussagen, von denen nur einige wenige überhaupt
einer empirischen Überprüfung zugänglich sind. Dies sind durchgängig Sätze, die an der Peripherie
der Theorie liegen und damit nicht zu ihren wesentlichen Aussagen gehören.
Da es jetzt kein eindeutiges Ableitungsverhältnis zwischen allgemeinen Aussagen und empirisch
überprüfbaren Sätzen gibt, können allgemeine Sätze nicht durch empirische Beobachtungen
falsifiziert werden. Die Nichtübereinstimmung von Peripheriesätzen mit der Wirklichkeit führt
deshalb auch nicht dazu, dass die Theorie aufgegeben wird. Stattdessen werden lediglich
Anpassungen innerhalb der Theorie vorgenommen, so dass insgesamt eine in sich schlüssige Theorie
entsteht, die die empirischen Daten aus der Wirklichkeit erklären kann.
Die Folge davon ist, dass Theorien nur insgesamt auf ihre Sinnhaftigkeit (Schlüssigkeit,
Anwendbarkeit) überprüft werden können. Dann ist es aber möglich, dass es mehrere
konkurrierende
Theorien
zu
demselben
Gegenstand
geben
kann,
die
untereinander
inkommensurabel (nicht miteinander verrechenbar und auf keine gemeinsame Basis rückführbar)
sind, durch empirische Überprüfung aber nicht als wahr oder falsch erwiesen werden können. Damit
ist einem pragmatischen Verständnis Vorschub geleistet.
Kuhn: Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen
Einen ganz anderen Weg der Kritik am vermeintlich sicheren Fortschritt der Wissenschaft durch
Induktion und Deduktion geht Thomas S. Kuhn in seinen Beobachtungen zur Struktur
wissenschaftlicher Revolutionen. Grundsätzlich hält Kuhn gemeinsam mit Carnap, Reichenbach und
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Popper daran fest, dass es ein überprüfbares Verhältnis von Theorie und Beobachtung in
Protokollsätzen gibt. Anstelle von Falsifikation spricht Kuhn jedoch von einem Paradigmenwechsel.
Beim Wechsel eines Paradigmas wird eine bis dahin für gut befundene Theorie durch eine andere
Theorie ersetzt. Allerdings erfolgt dieser Wechsel nicht sofort, wenn eine der ursprünglichen Theorie
widersprechende Beobachtung gemacht wird. Vielmehr erfolgt ein Paradigmenwechsel nur dann,
wenn sich die Anomalien innerhalb einer theoretischen Betrachtungsperspektive häufen und nur
dann wenn eine andere, vermeintlich bessere Theorie zur Verfügung steht. Kuhn war eigentlich
Wissenschaftshistoriker und stellte fest, dass sich Theorien sehr lange halten, auch wenn es längst
der Theorie widersprechende Beobachtungen gibt. Anders als von Popper als Ideal hingestellt, führt
also im wissenschaftlichen Fortgang einer Theorie die widersprechende Beobachtung keineswegs zur
Falsifikation der Theorie. Statt dessen werden in der Praxis die Theorien nicht widerlegt, sondern
durch zusätzliche Annahmen (Randbedingungen) ausgebaut und so den Beobachtungen angepasst
(normale Wissenschaft). Da wissenschaftliche Paradigmen eine Art Übereinkunft der herrschenden
Wissenschaftselite darstellen, die ein Interesse an der Bestätigung ihrer Theorien hat und möglichst
gesicherte Theorien herstellen möchte, ist die Vorstellung Poppers, dass beständig nach Fehlern in
Theorien gesucht wird, um diese zu widerlegen, unrealistisch. Tatsächlich treten die die Theorie in
Frage stellenden Anomalien nicht durch gezielte Suche danach auf, sondern eher zufällig, wenn ein
Paradigma auf immer mehr Anwendungsbereiche ausgedehnt wird.
Erst nach dem Auftreten von so vielen Anomalien, dass eine Anpassung der Theorie nicht mehr
sinnvoll erscheint, wird die Theorie als nicht mehr tragfähig eingestuft und es kommt zu einem
Paradigmenwechsel (wissenschaftliche Revolution).
Paul Feyerabend: Wider den Methodenzwang
In seinem berühmten Buch „Wider den Methodenzwang“ von 1976 stellt Feyerabend an
Beispielen aus der Mechanik und Astronomie dar, dass Wissenschaftler sich faktisch nicht an
die vor allem von Popper aufgestellten Regeln hielten, sondern sich immer wieder über
Regeln der Wissenschaft und Logik hinwegsetzten und Tatsachen, die ihrer Theorie
widersprachen, schlicht ignorierten.
Feyerabend kommt deshalb zu dem Schluss, dass es gar keine gemeinsamen Regeln für
Wissenschaften gibt. Deshalb kann es auch keine allgemeine Wissenschaftstheorie geben,
die solche Regeln beschreiben könnte. Wissenschaftliche Theorien entwickeln sich, so
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Feyerabend auch nicht durch Erweiterungen oder Widerlegungen (also durch normale
Wissenschaft im Sinne von Kuhn, bzw. Paradigmawechsel oder Falsifikation), sondern
entwickeln sich oft nebeneinander in verschiedenen Beschreibungen, die untereinander
nicht anhand von gemeinsamen Tatsachen vergleichbar sind. Solche Beschreibungen, die auf
keinen gemeinsamen Nenner gebracht werden können, nennt Feyerabend inkommensurable
Theorien. Feyerabend grenzt sich damit auch von Popper ab, der noch gemeint hatte,
wissenschaftliche Theorien entsprängen einem Problem, zu dessen Lösung sie dann
aufträten. Feyerabend hält dagegen, dass schon das Problem ganz unterschiedlich definiert
werden kann. Manche dieser Probleme fallen dann auch im Verlauf der Geschichte einfach
aus, weil sie falsch gestellt wurden (z.B. wird das Problem der absoluten Geschwindigkeit der
Erde durch die Relativitätstheorie einfach überholt und existiert dann als Problem nicht
mehr). Nach Feyerabend können inkommensurable Theorien nicht mehr durch Tatsachen
widerlegt werden, sondern nur dadurch, dass ihr inneren Widersprüche aufgedeckt werden.
Die Theorien werden dann schlicht unplausibel. Eine Überprüfung anhand von Tatsachen
dagegen scheitert letztlich daran, dass sie spezifische Welten definieren, die aufeinander
nicht zurückgeführt werden können, weil diese Welten erst durch die Theorien entstehen. Es
gibt gar keine objektive Welt, die durch die Theorien beschrieben werden könnte, vielmehr
verändern die Theorien die Welt so, dass sie nicht mehr mit der Welt aus einer anderen
Theorie verglichen werden kann.
Wenn es aber, so Feyerabend, gar keine einheitliche Methode der Wissenschaft gibt, dann
kann man auch nicht mit Hilfe dieser Methode definieren, was wissenschaftlich ist und was
nicht. Wissenschaft hat im Grunde keinen höheren Wahrheits- und Methodenanspruch als
jeder Mythos oder eine Metaphysik. Feyerabend hält es für ein Märchen, dass
Wissenschaftler Ideen haben und Methoden, mit denen sie diese Ideen verbessern. Seiner
Meinung nach ist es eine bloße Ideologie der Gesellschaft, die dieses Märchen transportiert
und auf dieser Grundlage z.B. in Schulen verlangt, dass Wissenschaften gelehrt werden
müssen, während Mythen als unwissenschaftlich abgelehnt werden. Da wissenschaftliche
Theorien aufgrund ihrer Inkommensurabilität auch nicht durch Tatsachen verifiziert oder
falsifiziert werden können, weil sie diese Tatsachen ja erst schaffen, ist diese Ideologie einer
wissenschaftlichen Wahrheit letztlich verzerrend, weil wesentliche Möglichkeiten für
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Erkenntnis ausgeblendet werden. Nach Feyerabend haben nämlich gerade die
nichtwissenschaftlichen magischen, mythischen und metaphysischen Ideen wesentlich zum
Erfolg der modernen Technik beigetragen. Als Beispiel nennt Feyerabend die traditionelle
chinesische Medizin. In einer freien Gesellschaft müssten deshalb eigentlich möglichst viele
unterschiedliche Methoden und Ideen zugelassen werden. Die Einseitigkeit, mit der nur
angeblich methodisch gesicherte Erkenntnisse der Wissenschaft zur Wahrheitsfindung
zugelassen werden, muss dagegen als ideologisch abgelehnt werden: „Wir, die Bürger einer
freien Gesellschaft, müssen entscheiden, ob wir den Chauvinismus der Wissenschaft
widerspruchslos hinnehmen oder durch öffentliches Handeln überwinden wollen. […] Eine
Wissenschaft, die behauptet, über die einzig richtige Methode und die einzig brauchbaren
Ergebnisse zu verfügen, ist Ideologie und muss vom Staat und insbesondere vom
Bildungswesen getrennt werden.“
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Dilthey: Die Methode der Geisteswissenschaft
Wie oben gesehen orientiert sich die moderne Wissenschaftstheorie im Wesentlichen an der
Struktur der Naturwissenschaften. Schon der Ausblick auf den Positivismusstreit hat gezeigt, dass die
Übertragung dieser Prinzipien auf andere Bereiche problematisch werden kann. Schon Dilthey hatte
sich lange vor der Entwicklung der modernen Wissenschaftstheorie Gedanken über die
unterschiedlichen Methoden der Natur- und Geisteswissenschaften gemacht.
Abgrenzung der Geisteswissenschaften von den Naturwissenschaften
1. Versuch: Unterscheidung des Gegenstandsbereichs:
Naturwissenschaft bezieht sich auf Natur, Geisteswissenschaft auf das Menschengeschlecht
 Unterscheidung scheitert daran, dass auch Naturwissenschaften es mit Menschen
(nämlich als physischen Objekten) zu tun hat
 Unterscheidung hinsichtlich der Methode
2. Versuch: Unterscheidung der Methode:
a) Naturwissenschaften sehen den Menschen bestimmt von Naturgesetzen, Ziel der
Wissenschaften ist die Bemächtigung der physischen Welt durch das Studium ihrer
Gesetze (Erklären); hierbei tauchen am Rande auch die psychischen Vorgänge des
Menschen auf; die naturwissenschaftliche Betrachtung versucht, allgemeine Gesetze zu
entwickeln oder zu finden; dabei muss das je Besondere und Individuelle, der
Erlebnischarakter unserer Eindrücke von der Natur zurückgestellt werden
b) Geisteswissenschaften gehen umgekehrt vor, Ziel ist nicht das Erklären, sondern das
Verstehen (s. Hermeneutik), es geht hier gerade um das Verstehen des Besonderen und
Individuellen und des subjektiven Erlebens (s. Romantik), also nicht der Ableitung
allgemeiner Aussagen von besonderen (Induktion), sondern um das genaue Festhalten
gerade dieses Besonderen selbst.2 Die Geisteswissenschaft geht deshalb methodisch von
außen nach innen, von den Lebensäußerungen (z.B. Institutionen) zur „Erfassung des
Innern“ als ursprüngliche Idee, die die beobachtbaren Objekte hervorbringt.
2
(Bsp:
Im Bereich der Geschichtswissenschaften setzt sich dieses Verfahren freilich dem Verdacht des Historismus
aus, d.h. der Beobachtung von einzelnen Ereignissen, Epochen usw. ohne dass daraus allgemeine Erklärungen,
Trends usw. abgeleitet werden dürfen, wodurch letztlich eine „Lernen aus der Geschichte“ unmöglich wird und
auch eine zeitübergreifende Bewertung erschwert wird, da jede Epoche ausschließlich aus sich selbst und
ihrem eigenen Selbstverständnis her verstanden werden soll.
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Erfassen der ursprünglich leitenden moralischen Auffassungen als Grund von
Rechtsinstitutionen; Verstehen
der Eigenart eines Dramas als Lebensäußerung)
=> Rückgang vom äußeren Apparat zu der vom Gesamtwillen erwirkten Systematik
=> Verstehen impliziert einen Rückgang auf die geschichtlich gegebene Erlebniswelt
kollektiver und individueller Subjekte (s. Historismus)
3. Konkretion:
Naturwissenschaften
gehen
auf
das
Erkennen
eines
physischen
Geisteswissenschaften auf das Verstehen eines geistigen Objekts
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Gegenstandes,