Reisen. Im Garten Italiens Apulien mausert sich beim sanften Tourismus zur Nummer 1 Italiens Von Andreas W. Schmid (Text) und Nino Angiuli (Fotos), Apulien Wir sitzen im Flieger nach Bari. «Nino, was erwartet uns in Apulien?» Nino ist unser Art Director und der Fels in der Brandung, wenn es in der Zeitung hektisch zugeht. Als gebürtiger Apulier ist er für uns der perfekte Fremdenführer. 1968 folgte er seinen Eltern aus einem kleinen Dörfchen nahe Bari nach Basel. Nach verschiedenen Gelegenheitsjobs machte er als 18-Jähriger etwas, das damals noch möglich war: Er betrat die Räumlichkeiten der Basler Nachrichten in der Dufourstrasse und fragte spontan, ob sie Arbeit für ihn hätten. Ja, hatten sie, denn Nino wurde in die Setzerei geschickt, wo er als Abzieher anfing. 44 Jahre später ist er der Herr über die Gestaltung der BaZ. Er lebt mit seiner Familie in der Region und kann sich nicht mehr vorstellen, wegzuziehen. Doch zwei- bis dreimal pro Jahr kehrt er in seine Heimat zurück. «Apulien ist mit den anderen Provinzen im Süden das Armenhaus Italiens, auch wenn es vor allem dank dem Tourismus ein bisschen besser geworden ist», sagt er. Über eine Million Apulier verliessen deshalb die Region in den Fünfziger- und Sechzigerjahren Richtung Norditalien oder, so wie die Angiulis, ins Ausland. Verliebt in die Region «Hoffentlich werden wir auch den Stränden einen Besuch abstatten», sagt er. Recht hat er; dafür muss es einfach Platz haben auf unserer fünftägigen Apulien-Reise, die mit der Landung in Bari beginnt. Caroline Groszer erwartet uns schon mit offenen Armen. Die 50-jährige schweizerisch-deutsche Doppelbürgerin ist in Bern geboren und die Tochter von Christoph Groszer, dem früheren Intendanten des Zürcher Opernhauses. Sie ist den umgekehrten Weg von Nino gegangen und von der Schweiz in den Süden Italiens ausgewandert. «Ich habe mich sofort in die Region verliebt», sagt sie während der gut einstündigen Fahrt vom Trulli – weisse Häuser mit grauen Runddächern. Alberobello zählt zu den beliebtesten Ausflugszielen und gehört zum Flughafen zu ihrer Unterkunft, der Masseria Alchimia, die uns als Ausgangsstation für unsere Erkundungen dienen wird und nur wenige Autominuten vom Strand entfernt liegt. «Euch erwarten Sonne, Meer, Shopping und wunderbares Essen mit einheimischen Produkten.» Caroline ist eine Frau mit Visionen und eine brillante Netzwerkerin. Gut 20000 Adressen und Kontakte hat sie in ihrer Kartei, einige von ihnen werden uns noch nützlich sein. Vor Jahren stiess sie nahe Fasano auf eine baufällige Masseria und wusste nach einem kurzen Spaziergang auf dem Grundstück mit zahlreichen Olivenbäumen und Blumen sofort: «Das ist es!» Auch hier war es Liebe auf den ersten Blick. Masserie zählen mit den Trulli zu den Wahrzeichen Apuliens und sind befestigte Gutshöfe, meist aus früheren Jahrhunderten, die heute gerne zu Unterkünften im Landhausstil umfunktioniert werden. «Meine Eltern waren entsetzt, als sie das Haus sahen. Mein Vater bezeichnete es als Bunker.» Doch dann erstellte sie einen Businessplan und gewann im Wettstreit mit 700 anderen Bewerbern EU-Gelder in der Höhe von 150000 Euro. Caroline brachte das Anwesen wieder auf Vordermann. Und entschied sich bei der Inneneinrichtung für einen sehr eleganten Stil mit zahlreichen Designklassikern, ausgewählten Antiquitäten und moderner Kunst. Ein Restaurant gibt es in der Masseria Alchimia nicht. Was aber auch nicht nötig ist. Denn die Gastgeberin hat zahlreiche Tipps auf Lager, wo man in der Umgebung seinem Magen Gutes tun kann. Das Essen ist neben der Sonne, dem Meer und den bezahlbaren Preisen das schlagkräftigste Argument für Ferien am Stiefelabsatz Italiens, wie wir in den nächsten Tagen am eigenen Leib erfahren werden. Die apulische Küche wird auch «la cucina dei poveri» genannt: die Küche der Armen. Was es damit auf sich hat, erzählen uns Mara Battista und Marina Saponari. Millionen von Orecchiette Die beiden Apulierinnen bieten in der Masseria San Pietro in Conversano, einem wundervoll renovierten alten Landgut mit zahlreichen lauschigen Ecken, einen abendfüllenden Kochkurs an. Unterstützt werden sie von der 81-jährigen Grazia Caldarulo, die in ihrem Leben schon Millionen von Orecchiette gedreht hat. Diese Teigwaren, die wie Öhrchen aussehen, und weitere Spezialitäten werden von allen zubereitet, das dauert sicher drei Stunden. Nachher folgt die Belohnung bei einem Nachtessen am langen Holztisch, das sich nochmals so lange hinzieht. Dazwischen erklären die beiden, dass die apulische Küche einfach und schnörkellos, aber trotzdem sehr wohlschmeckend ist. «Allein schon von den hohen Tempe- raturen her wäre es gar nicht möglich, dass wir üppig essen», sagt Mara, «zudem war Apulien früher noch ärmer als heute, was sich auf die verwendeten Zutaten ausgewirkt hat.» Fleisch kam, weil teuer, kaum auf den Tisch, Eier ebenfalls nicht. Nino erinnert sich, dass bei ihnen zu Hause für die Polpette (Frikadellen) nicht Fleisch, sondern Paniermehl als Hauptzutat verwendet wurde. «Ab und zu gabs noch Cozze, also Miesmuscheln, die wir in den Teigwaren oder für die Sauce einsetzten.» Marina nickt und reisst das Wort wieder an sich. Pasta-Spezialitäten wie die erwähnten Orecchiette, erzählt sie, werden bloss aus Wasser, Hartweizengriess und Salz hergestellt und haben deshalb eine deutlich hellere Farbe als die Teigwaren – beispielsweise Cappelletti oder Tortellini – in der viel reicheren Emilia-Romagna. Diese sind berühmt für ihre Füllungen mit Käse und Fleisch, was das Essen natürlich üppiger macht. Apulien hingegen setzt auf Einfachheit und den Geschmack von Gemüsen und Salaten. «Bei uns sind die Beilagen zur Pasta und das Drumherum genauso wichtig», erklärt Marina. Gegen 400 Gemüse und Salate soll es in Apulien geben – eine unglaubliche Vielfalt, die den Übernamen für die Region logisch erscheinen lässt: Apulien gilt als «der Garten Italiens». Berühmtestes Produkt im Vegetarierparadies ist das grüne Gold: Gemeint ist
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