Hintergrundbriefing: EU-Effort-Sharing für 2030 Stand: 18.07.2016 DAS NEUE EFFORT-SHARING – EIN EFFEKTIVES INSTRUMENT FÜR DEN EUROPÄISCHEN KLIMASCHUTZ? BRIEFING VOR VERÖFFENTLICHUNG DES KOMMISSIONSVORSCHLAGS ZUSAMMENFASSUNG UND STAND DER DEBATTE Damit Europa einen fairen Anteil am globalen Klimaschutz leistet, der – wie in Paris vereinbart – eine maximale Erderwärmung auf „deutlich unter 2“, bzw. 1,5 Grad Celsius ermöglicht, müssen die EU-Klima- und Energieziele angehoben werden. Das bisherige EU-Ziel, die Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 40 Prozent zu reduzieren, ist weder mit einem 2-Grad- noch mit einem 1,5-Grad-Ziel vereinbar. Das sogenannte Effort-Sharing („Lastenteilung“) reguliert 60 Prozent der europäischen Treibhausgasemissionen der EU und ist damit das größte klimapolitische Instrument. Es kann wichtige Anstöße zur Dekarbonisierung der Sektoren Verkehr, Landwirtschaft und Gebäude geben. Anstatt der notwendigen Anpassung des Instruments an die Pariser Ergebnisse, droht aktuell eine Verwässerung: Mitgliedstaaten scheuen die Anstrengungen zum Vorantreiben der Wende in Agrar-, Verkehrs- und Gebäudepolitik und wollen deshalb von verschiedenen Rechentricks und Schlupflöchern Gebrauch machen. Damit steht die Integrität des ohnehin schon schwachen 2030-Ziels auf dem Spiel. DAS GRÖßTE EUROPÄISCHE KLIMASCHUTZINSTRUMENT Am 20. Juli 2016 veröffentlicht die EU-Kommission ihre Vorschläge für nationale Klimaziele in den Bereichen außerhalb des Emissionshandels. Die sogenannte Effort-Sharing-Decision (ESD) deckt 60 Prozent der europäischen Treibhausgasemissionen ab und ist damit das größte klimapolitische Instrument der Europäischen Union. Die wichtigsten Sektoren sind Landwirtschaft, Verkehr und Gebäude (siehe Grafik 1). Eine Dekarbonisierung liegt hier noch in weiter Ferne. Das neue EffortSharing muss eine Wende in diesen Bereichen anstoßen. Grafik 1: Anteile der einzelnen Sektoren an den Gesamtemissionen im Effort-Sharing (2012), Quelle: Carbon Market Watch DNR EU-Koordination | Antje Mensen | Marienstraße 19-20, 10117 Berlin | Tel.: +49 (0)30 / 678 17 75-86 | [email protected] | www.eu-koordination.de Hintergrundbriefing: EU-Effort-Sharing für 2030 Stand: 18.07.2016 EUROPÄISCHE KLIMAPOLITIK AN PARIS ANPASSEN Mit dem neuen Effort-Sharing (ESD) und der Reform des Emissionshandels (ETS) stehen die zentralen klimapolitischen Instrumente der EU zur Umsetzung (und Stärkung) des 2030-Klimaziels und zur Umsetzung der Pariser Klimavereinbarung in der Verhandlung. Bislang machen weder Kommission noch die Mitgliedstaaten Anstalten, das nach Paris völlig überholt Ambitionsniveau im Zuge der Reform anzugehen. Die bisher angestrebte, EU-weite Treibhausgasreduktion von 80 Prozent bis 2050 im Vergleich zu 1990, an der die Klima- und Energieziele für 2030 ausgerichtet sind, reichen nicht aus (siehe Grafik 2). Um einen fairen Beitrag zu leisten, der die Erderwärmung deutlich unter 2 Grad hält, muss ein neues 2050-Ziel nach ersten Erkenntnissen am oberen Ende der bisherigen Zielspanne liegen, also eine mindestens 95-prozentige Treibhausgasreduktion anvisieren. Grafik 2: Laut der Europäischen Umweltagentur (EEA) wird die EU bis 2030 ohne zusätzliche Maßnahmen nur zwischen 27 Prozent und 30 Prozent Emissionen einsparen und das Minus-40-Prozent-Ziel verfehlen. Nach 2030 müssen sich die Anstrengungen nach den bisherigen Plänen der EU dann verdreifachen, um eine Reduzierung um 95 Prozent bis 2050 zu erreichen. Quelle: EEA Report „Trends and projections in Europe 2015 Tracking progress towards Europe's climate and energy targets“, 4/2015 Ein Anheben des 2030-Ziels wäre also zentral, um sich auf einen kosteneffizienten Pfad hin zur Dekarbonisierung bzw. Netto-Null-Emissionen bis 2050 zu bewegen. Bleibt es bei bisher anvisierten Reduktionen um 1,4 Prozent jährlich, sind nach 2030 jährlich 4,6 Prozent notwendig, um 2050 bei -95 Prozent zu landen (siehe Grafik 2). DURCH TRICKS WENIGER HANDELN Anstelle einer wirklichen Debatte um die Anpassung der 2030-Klimaziele wollen einige Akteure bei der Berechnung des CO2-Budgets für 2021-2030 sowie mithilfe der Nutzung von Zertifikaten aus dem Landnutzungsbereich tricksen – und so den Handlungsdruck verringern. Damit droht die Dekarbonisierung der relevanten Sektoren auf den Sankt-Nimmerleinstag verschoben zu werden. DNR EU-Koordination | Antje Mensen | Marienstraße 19-20, 10117 Berlin | Tel.: +49 (0)30 / 678 17 75-86 | [email protected] | www.eu-koordination.de Hintergrundbriefing: EU-Effort-Sharing für 2030 Stand: 18.07.2016 TRICK NR. 1: BEIM STARTPUNKT SCHUMMELN Das Reduktionsziel von lediglich 10 Prozent gegenüber 2005 im 2020-Effort-Sharing war zu schwach und wurde EU-weit bereits 2013 erreicht. Fast alle EU-Mitgliedstaaten werden ihre Ziele 2020 deutlich übertreffen. Das heißt, die realen Treibhausgasemissionen liegen 2020 unter denen, die das Ziel vorgab. Die Wahl des Startpunkts für die Berechnung der nationalen 2030-Ziele 1 entscheidet über, ob 751 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent in der Atmosphäre landen oder nicht (Grafik 3, rote + blaue Fläche). Zum Vergleich: Das deutsche Kohlekraftwerk Niederaußem emittierte 2015 27,3 Millionen Tonnen CO2. Die Kommission plant, die durchschnittlichen Treibhausgasemissionen zwischen 2016 und 2018 als Startpunkt für die 2030-Ziele zu wählen. Dieser Ansatz geht in die richtige Richtung und verkleinert den CO2-Ausstoß, belohnt aber genau die Mitgliedstaaten, die ihre (schwachen) 2020-Ziele verfehlen. Damit das nicht passiert und es keine falschen Anreize gibt, jetzt sämtliche Klimaschutzaktivitäten einzustellen, fordern Umweltorganisationen für diese Länder die 2020-Ziele als Startpunkt zu wählen. Grafik 3: Treibhausgasbudgets zwischen 2021 und 2030, Quelle: Carbon Market Watch 2016 TRICK NR. 2: IN WÄLDERN VERSTECKEN SPIELEN Nach 2020 soll erstmals auch der Landnutzungssektor (Land Use, Land Use Change and Forestry – LULUCF) in die Klimaschutzbemühungen integriert werden. Umweltverbände begrüßen das grundsätzlich. Anreize zu schaffen, um Entwaldung zu stoppen und Wälder wieder aufzuforsten hätte sehr positive Auswirkungen für Klima und Natur. Allerdings nicht, wenn die Maßnahmen hier als Ausrede genommen werden, um die dringend notwendige Wende in Verkehr oder Landwirtschaft aufzuschieben. Durch das LULUCF-Schlupfloch könnten zwischen 2021 und 2030 2 bis zu 1350 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent zusätzlich in die Atmosphäre kommen . Zertifikate aus dem Waldbereich sind nicht vergleichbar mit CO2-Einsparungen im Verkehr. Denn alles CO2, das durch Bäume absorbiert wird, wird in absehbarer Zeit auch wieder in die Atmosphäre zurückgegeben. Hinzu kommt, dass die Berechnungsmethoden sehr unzuverlässig sind. Die NGO Fern erklärt das Thema sehr anschaulich in diesem kurzen Video. Die Kommission hat angekündigt, Waldzertifikate nicht in ihrem Vorschlag für das Effort-Sharing zuzulassen. Sie steht aber unter großem Druck von waldreichen Mitgliedstaaten – das Thema wird deshalb eine wichtige Rolle in den anstehenden Verhandlungen zwischen EU-Parlament und dem Ministerrat spielen. 1 Carbon Market Watch auf Basis von Daten des Öko-Instituts von 2016. Öko-Institut 2015: Impacts on the EU 2030 climate target of including LULUCF in the climate and energy policy framework 2 DNR EU-Koordination | Antje Mensen | Marienstraße 19-20, 10117 Berlin | Tel.: +49 (0)30 / 678 17 75-86 | [email protected] | www.eu-koordination.de
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