2 SWR2 Tandem - Manuskriptdienst Krieg im Kopf Afghanistaneinsätze und wie Pferde helfen sollen, sie zu verarbeiten AutorIn: Nathalie Nad-Abonji Redaktion: Petra Mallwitz Sendung: Mittwoch, 20.07.2016 um 10.05 Uhr in SWR2 __________________________________________________________________ Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte der Sendungen SWR2 Tandem auf CD können wir Ihnen zum größten Teil anbieten. Bitte wenden Sie sich an den SWR Mitschnittdienst. Die CDs kosten derzeit 12,50 Euro pro Stück. Bestellmöglichkeiten: 07221/929-26030. Einfacher und kostenlos können Sie die Sendungen im Internet nachhören und als Podcast abonnieren: SWR2 Tandem können Sie ab sofort auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/tandem.xml Kennen Sie schon das neue Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de ___________________________________________________________________ 1 MANUSKRIPT: Bis Ende 2014 sollen die verbleibenden 2500 Bundeswehrsoldaten aus Afghanistan abgezogen werden. Thomas ist schon seit vier Jahren zurück in Deutschland. Seither wird er seine Kriegserinnerungen nicht mehr los. Eine Feuerwehrsirene oder ein lautes Mofa lassen Thomas in Deckung gehen: Schon wähnt sich der Soldat wieder in Afghanistan und durchlebt die Todesängste von damals. Nun soll ihm eine Pferdetherapie helfen, die Erlebnisse am Hindukusch zu verarbeiten. Krieg im Kopf Afghanistaneinsätze und wie Pferde helfen sollen sie zu verarbeiten. Eine Sendung von Nathalie Nad-Abonji. Musik Dust to Dust Atmo Pferde galoppieren. Claudia: Haben wir sie jetzt alle acht. Jessie! Anatol....eins, zwei drei.....schnalzt mit der Zungen. Hopp, Hopp, Hopp. Komm‘ jetzt Pferd schnaubt. Weiter als Atmo unter Text. Erzählerin Der grau bewölkte Himmel hängt tief an diesem Frühlingstag im Süden von Berlin. Acht Pferde galoppieren auf eine Koppel, die eingeklemmt zwischen Spargelfeldern und surrenden Silos liegt. Im Minutentakt, dröhnen startende oder landende Flugzeuge. OT Claudia: Was würdest du jetzt am liebsten tun? Striegeln? O.k. Dann besorge ich dir was und du kannst hier sein. Atmo Reitplatz Erzählerin Seit Oktober 2013 fährt Thomas F. mindestens ein Mal im Monat zu Claudia Swierzek und ihren Pferden. Oft bleibt er gleich für zwei Tage. 2 Außer ganz zu Beginn der Pferdetherapie – vor fünf Monaten: Damals verbrachte der Afghanistan -Veteran gleich zwei Wochen am Stück bei seiner Therapeutin Claudia. Thomas war an einem Tiefpunkt angelangt – aber dazu später. OT Claudia: Guck mal, jetzt legt sich ein Pferd hin. Also die Pferde legen sich nur hin, wenn sie sehr entspannt sind oder sich wohl fühlen. Das ist schon mal ein gutes Zeichen hier. Wälzt sich genüsslich. Erzählerin Die Arme vor der kräftigen Brust verschränkt, erzählt der 36 jährige, dass er vor gar nicht so langer Zeit nichts mit Pferden anfangen konnte. OT Thomas: Die erste Begegnung ist eigentlich diese gewesen, das ich von meinem Empfinden her. Also von meinem Wohlfühlen mich den Pferden nähern sollte. Und da blieb ich vielleicht so fünf Meter vor den Pferden stehen. Claudia: Eher noch mehr. (leise) () Thomas: Ich hätte zwar rangehen können. In meinem Inneren habe ich mir gesagt, wenn ich jetzt nur darauf hören würde, wäre jetzt hier die Grenze. Weiter muss nicht. Am nächsten Tag sah es schon anderes aus. Stückchen für Stückchen weiter ran. OT 4 Thomas: Jetzt ist es so, als ob ich quasi zu der Gruppe gehöre. Claudia: Geht das mit dem Flieger? Atmo Flieger immer lauter und unter ZDF Material mischen OT ZDF Archivmaterial: Schüsse, husten. Unverständliches auf Deutsch. Darüber Sprecher: Es sind 32 Männer von der Kompanie und dem Nachschub abgeschnitten. Weiter Schüsse. Sprecher: Handeln unter Extrembelastung. Es dauert eine Stunde bis die Soldaten des Golfzuges den Feind ausmachen, wissen von wo geschossen wird. Am Ende kämpfen die Fallschirmjäger neun Stunden lang. Neun Stunden Todesangst. Atmo Flieger immer leiser werden 3 Erzählerin Für einen kurzen Moment wirkt Thomas vollkommen gelähmt - unfähig auf Claudias Frage zu antworten. Atmo Jühnsdorf Koppel OT Claudia: Das sind oftmals Geräusche, die die Soldaten und Soldatinnen an Einsatzgeschehnisse erinnern können. Das war auch eben ein kurzer Blick () Aha, hier Claudia, Sicherheit – alles gut. Das war in den Anfangszeiten unserer Arbeit anders. Und mit einigen Soldaten sind beispielsweise vorbeifahrende Mofas, oder eben Sirenen oder Hubschrauber, einfach Trigger. Erzählerin Unter Trigger versteht man Sinneseindrücke, die dazu führen, dass der Soldat den Bezug zum Hier und Jetzt verliert und glaubt wieder mitten im Krieg zu sein. Immer und immer wieder durchlebt er die Todesängste von damals. OT Thomas: Entspannt bin ich gerade nicht unbedingt. Claudia: Würdest du jetzt hier gerne der Situation entwischen? Thomas: Aber sowas von! Claudia: Dann mal los! Fühle dich frei und bewege dich wie du willst. Erzählerin Thomas nimmt den Eimer voller Bürsten, überquert mit festem Schritt die Koppel und geht zu einem braunen Wallach- seinem Lieblingspferd. Er beginnt es zu striegeln. OT Claudia: Also was man jetzt sieht, ()Thomas Muskeltonus hat abgenommen. Er atmet, er ist mit dem Pferd in Kontakt. Eben haben wir auch nochmal genau gesehen, wie er ganz tief ausgeatmet hat. Jetzt berührt er das Pferd mit beiden Händen…..und wenn ich ihn jetzt fragen würde, wäre ich relativ sicher, dass er antworten könnte, dass sein Spannungszustand abgenommen hat. Und das sind beispielsweise Momente in denen die Pferde den Menschen helfen, nochmal zum Einen den eigentlichen Spannungszustand zu erkennen, zu verbalisieren und auch gleichzeitig zu sehen, was passiert wenn ich meine Anspannung, meine Energie runter regle. Weil wenn das nicht passiert wäre, wäre das Pferd weggegangen. 4 OT Claudia: Also was man jetzt schön sieht: dass die beiden das genießen. Es sieht auch so aus, also ob er sehr versunken ist in seinem Putzen. Das Pferd steht da wie einbetoniert. Bewegt sich überhaupt nicht und genießt das. Und jetzt lächelt er. Erzählerin Claudia arbeitet derzeit mit etwa 20 Soldaten. Vielen von ihnen fällt es leichter mit einem Pferd Kontakt aufzunehmen als mit einem Menschen. Es hat sich rumgesprochen, dass es bei ihr anders zu und her geht, als auf der Psychologencouch. OT Claudia: Manche Soldaten kommen wöchentlich und wir arbeiten zwei Stunden, weil das vom Rhythmus her passt. Bei den anderen ist es länger. Bei den dritten, die brauchen noch eine telefonische Unterstützung. Das ist alles sehr, sehr unterschiedlich. Das weiß ich sehr zu schätzen – in dieser Freiheit arbeiten zu können, nämlich nicht nach irgendwelchen Kassenverordnungen oder sonst was. Sondern, was macht gerade für den Menschen Sinn. Erzählerin Vielleicht hilft es den Soldaten –darunter sind übrigens auch Frauen – dass es um handfestes geht: striegeln, füttern, Hufe auskratzen, am Strick führen. Die Soldaten machen sinnliche Erfahrungen unter freiem Himmel. Wärme, Gerüche, weiches Fell. Ums Reiten geht es nicht. Thomas hat in den fünf Monaten bei Claudia noch kein einziges Mal auf einem Pferd gesessen. Die Veteranenhilfe, nicht die Bundeswehr, bezahlt Thomas‘ Pferdetherapie. Die von der Bundeswehr unabhängige Organisation, lässt Claudia dabei völlig freie Hand. OT Claudia: Was jetzt auch passiert ist: das Pferd hat zu uns hingeguckt. Ich gehe jetzt dahin, weil ich das Gefühl habe, es neigt sich jetzt dem Ende, der Putzakt. Schritte 5 OT Claudia: Wie geht’s dir jetzt? Thomas: Besser. Claudia: Besser? Thomas: mmhmm. Claudia: Wäre es noch besser, wenn wir nochmal weiter weg gehen würden? Thomas (leise): Spielt jetzt im Moment keine Rolle, denke ich. OT Claudia: Der Carlos stand ganz ruhig, während die andren Pferde, die haben sich in der ersten Sequenz auf dich zu bewegt. Und es sah so aus, als ob du während des Striegelns immer ruhiger wurdest. Das habe ich beim Pferd gesehen, weil der den Kopf immer weiter runter genommen hat. Alle andren Pferde um ihn herum haben sich bewegt. Und er ist stehen geblieben. Ganz frei. Musik Dust to Dust Atmo Darüber Atmo Pferde rufen Erzählerin Thomas geht zum Bauwagen am Rande der Koppel. Er weiß, dass drinnen heißer Tee, Früchte und Kekse bereit stehen. Claudia gibt den acht Pferden Futter. Atmo fressende Pferde Erzählerin Die 47 jährige hat ursprünglich Erziehungswissenschaften und Psychologie studiert. Später wurde sie Familientherapeutin. Mit Pferden als CoTherapeuten arbeitet die kleine, flinke Frau schon seit über 10 Jahren. Hält Claudia Hunde, Katzen oder Hasen dafür genauso geeignet? OT Claudia. Der Unterschied ist halt, dass die Pferde Fluchttiere sind. Das heißt sie haben ein ganz anderes Verhaltensrepertoire, als wir Menschen. Wir sind Raubtieren. Insofern sind wir dem Hund auch ähnlich. Wir leben im Rudel, wir verhalten uns dann vielleicht auch eher aggressiver. Ein Pferd würde immer zuerst die Variante wählen zu flüchten. Abgesehen von Soldaten kommen Manager, Führungskräfte und andere gestresste Menschen, zu ihr auf die Koppel. OT Claudia Die Pferde lesen letztendlich unser Inneres. Denen ist das total egal welchen Status wir haben, wie wir aussehen und, und, und. Die Pferde können nur was mit Energie anfangen. Nicht mit dem, sind wir jetzt wütend oder freudig oder so. Die nehmen nur diese Zustände wahr. 6 Das heißt, wenn wir an diesen Zuständen arbeiten wollen. Und unseren Zustand innerlich so verändern, dass wir beispielsweise in die Entspannung kommen, dann können wir das am Pferd lesen. Nämlich das Pferd bleibt ruhig. Sie geben uns halt sehr schnell direktes Feedback. OT Claudia: Und häufig ist es ja so, dass wir das selbst gar nicht wahrnehmen wie wir drauf sind. Und erst über das Sichtbar werden in der Arbeit mit dem Pferd, erkennen wir uns selbst. () Musikakzent Dust to Dust Erzählerin Thomas sitzt im Bauwagen. Vor sich eine Tasse Tee und eine offene Keksdose. Er hat sich so hingesetzt, dass er durch das Fenster gut beobachten kann, was draußen passiert. Dabei hat Thomas die Tür - seinen Fluchtweg – im Blick. Scannen, sichern, sondieren, nennt er das. Reflexe die er, und über 128 Tausend Soldaten der Bundeswehr, in Afghanistan verinnerlicht haben. OT Thomas: Wenn man dann aber hierher zurückkommt, dann wird von einem erwartet, dass man die ganzen…. Ich sage mal, die Ausbildung, dass man die vergisst, dass man die antrainierten Verhaltensweisen quasi ablegen soll. Und das geht einfach nicht. Wenn dann plötzlich zum Beispiel die normale Feuerwehrsirene losgeht und man dann überlegt, springe ich jetzt in Deckung, gehe ich nicht. Wieso, weshalb, warum, ist Raketenangriff? Ist keiner? Was passiert jetzt gerade? Das Motorrad fährt vorbei, hat Fehlzündung, so ein älteres Modell. Man schaut sich um. Sucht die Dachkanten ab oder beobachtet die Bevölkerung, die an einem vorbeiläuft. Meidet große Ansammlungen. Fährt einkaufen. Sieht, dass da zu viele Autos parken, zu viele Menschen sind. Also fährt man die ganze Zeit im Kreis. Schaut sich vorher die Lage an, sondiert, sichert. Und ist trotzdem die ganze Zeit unter Anspannung. Wie unter Strom. Erzählerin Seit Thomas 2010 aus Afghanistan zurückgekehrt ist, schläft er schlecht, ermüdet schnell, hat Konzentrationsschwierigkeiten und Schweißausbrüche. Er ist weit davon entfernt, der junge, dynamische Mann zu sein, der er einst war. Darüber was er in Afghanistan erlebt hat, kann und will er nicht sprechen. An einem Auslandseinsatz wird der Soldat nie wieder teilnehmen. 7 Thomas darf auch nicht mit Waffen oder Munition umgehen. Die Gefahr, dass er sich oder anderen etwas antut sei zu groß, meinen die Bundeswehrpsychologen in ihrem Gutachten. Im Dienst erledigt Thomas nur noch Handlangerarbeiten. Er muss sich monatlich einem Bundeswehrpsychologen vorstellen. OT Archivmaterial: Am Karfreitag hat der Golfzug seinen ersten Verwundeten gleich zu Beginn des Gefechtes. Doch es dauert Stunden bis dieser unter Lebensgefahr aus der Schusslinie geborgen werden kann. Dabei wird Robert Hartat angeschossen. Er stirbt zwei Stunden später im deutschen Feldlager, dem PRT Kundus. Weiter mit Gefechtsatmo auch unter Erzählerin!!!. Erzählerin: Am Karfreitag 2010 ist die Bundeswehr in der Nähe von Kundus in ihr bisher schwerstes Gefecht verwickelt. Drei Soldaten sterben, mehrere werden schwer verletzt. Das sind Originaltöne aus einer ZDF Dokumentation. Thomas ist nicht dabei. Aber Anton. Der Oberst verfolgt die Gefechte neun Stunden lang über die Helmkameras der Kämpfenden. Er sitzt im Feldlager von Kundus und kann seinen Kameraden nicht helfen. Während seines Einsatzes in Afghanistan, erlebte Anton Ohnmacht pur, sagt seine Frau Sandra heute. O T Sandra: Als er zum Beispiel aus dem Einsatz in Kundus zurückgekommen ist, war es schon so dass er völlig neben sich stand. Er saß einfach da und hat immer vor sich hingeredet. Aber sehr zusammenhangloses Zeug vor sich hingeredet. So völlig aus dem Zusammenhang heraus fing er dann an zu weinen. Weil er dann sofort wieder in die Bilder reingekommen ist. Die sitzen dann neben dir und sprechen keinen Ton. Starren nur vor sich hin. Es ist auch gar nicht so einfach damit umzugehen. O T Anton: Das ist sehr schwierig. Da sind drei Kameraden gefallen. Das Verarbeiten ist schwierig (räuspert sich). Man kann das maximal verdrängen. Und löst aber trotzdem bei mir immer Emotionen aus. (Gerät aus. Er weint.) Atmo Stall 8 Erzählerin Das Ehepaar lebt auf einem idyllisch gelegenen Hof in Mecklenburg. Auch Sandra und Anton besitzen Pferde. Eher durch Zufall bekommt Sandra mit, wie gut es ihrem Mann tut, wenn er nach dem Einsatz viel Zeit mit den Tieren verbringt. Die Soldatenfrau beginnt sich mit dem Thema zu beschäftigen und macht eine Ausbildung zur pferdegestützten Therapeutin. O T Sandra: Die Anspannung! Diese extreme Anspannung kann sich wirklich schnell ins Unterbewusstsein fressen. Dass diese Anspannung wieder gelockert wird, gelöst wird. Da sind Pferde unglaublich erfolgreich drin (Pferd schnaubt im Hintergrund). Es ist der Wahnsinn was die Pferde schon erreicht haben. Erzählerin Immer wieder besucht Sandra ihre erfahrene Kollegin Claudia Swierczek, um sich mit ihr auszutauschen. Sandra und ihr Mann sind davon überzeugt, dass die Pferde wichtige Helfer sind, wenn es darum geht nach Auslandseinsätzen auch als Liebespaar wieder zueinander zu finden. Andere Nationen, wie die USA, therapieren schon seit Jahren Soldaten mit Hilfe von Pferden – darunter auch Vietnamveteranen. Zurück zu Thomas, der immer noch vor seiner Tasse Tee im Bauwagen sitzt. Als der Soldat Anfang 2010 von seinem zweiten Afghanistaneinsatz zurückkehrt, freut er sich anfangs auf das gemeinsame Leben mit seiner Verlobten. OT Thomas: Wenn man dann wieder zurück ist, dann wird einem quasi erst bewusst, dass man über die Monate 24 Stunden dort unter Strom stand. Dass man dort auf Dinge reagiert hat. Nur reagiert hat. Ohne länger darüber nachzudenken. Warum hat man so reagiert? Hätte man etwas besser machen können? Und diese Fragen, Selbstzweifel, die treten natürlich erst immer dann auf, wenn man dann diese Zeit für sich hat und die hat man erst wieder, wenn man hier ist. 9 Erzählerin Dem Soldaten fehlt das Gewicht der „Bristol“ – die 18 kg der Schutzweste bedeuteten Sicherheit. Und natürlich die Kameraden! An deren Namen er sich schon längst nicht mehr erinnern kann. Kontakt hat er zu keinem mehr von ihnen. Auf seine Verlobte wirkt er damals apathisch und verschlossen. Sie ist es, die ihn dazu drängt sich im Bundeswehrkrankenhaus vorzustellen. OT Thomas Ich tat ihr quasi nur den Gefallen, mich dort nochmal untersuchen zu lassen. Aber für mich stand es eigentlich außer Frage, dass ich halt gesund bin und dass ich nichts dergleichen hätte. Und dass es mir gut geht. Erzählerin Nach einigen Tests, sind die Ärzte anderer Meinung. OT 25 Thomas Die Behandlung startet jetzt. Haben sie ihre Sachen zum Übernachten hier? Fertig. Erzählerin Knappe sechs Monate verbringt der Veteran stationär in der Psychiatrie. Gegen Ende trennt sich seine Verlobte von ihm. Und er wird aus der Bundeswehr entlassen. Dass, obwohl er gerade im Krankenhaus liegt! Thomas fühlt sich fallengelassen. Erst später hat er die Kraft auf Wiedereinstellung zu klagen – und gewinnt den Prozess. Es folgen anderthalb Jahre in einer Hamburger Tagesklinik. 2013 ist Thomas an einem Tiefpunkt. Er will nur noch alleine sein. An einem Ort, an dem er sich sicher fühlt. Der Soldat sucht Hilfe bei der Deutsche Kriegsopferfürsorge – kurz DKOF. Inzwischen ist die Organisation im „Bund deutscher Veteranen“ aufgegangen. OT Thomas: Da hatte die DEKOF dieses Schutzhaus. Die haben gesagt, kein Problem, kannst du sofort hin. Dann kannst du auch gleich die Pferdetherapie nebenbei machen (lacht). Der Schreck kam eigentlich erst nach dem ersten Tag, nachdem ich dann im Schutzhaus war und quasi zur Ruhe kam. Da dachte ich, ach du Hacke! Jetzt musst du morgen dahin. 10 Erzählerin Thomas ist eine Stunde früher als verabredet am Treffpunkt. Sichert, scannt, sondiert. OT Thomas: Nach 10 Minuten kam dann so eine kleine Person, mit so einer selbstgestrickten Pudelmütze, einem Anorak, der viereinhalb Nummern zu groß war, so einen Umhang anhatte. Auf einem Pferd auf mich zugeritten. Sie sagte, schön, dass du schon da bist folg mir doch einfach mal. Da vorne ist die Koppel, da sind Pferde. Da ist ein Bauwagen. Kommst einfach mit. Dann haben wir Tee getrunken. Das war eigentlich sehr entspannt. Na, was heißt entspannt? Es war nicht so anstrengend für mich, weil die Koppel, weil das Gelände überall offen war. Ich war ja in keinem Gebäude festgesetzt. Es stand mir ja eigentlich der Fluchtweg ständig offen. Dadurch war es für mich erträglich. Erzählerin Zwei Wochen lang fährt er jeden Tag zu Claudia und ihren Pferden. Worin sieht er den Unterschied zu all den andern Therapien? OT Thomas: Die Erfahrung, die ich gemacht habe in den Krankenhäusern mit den Ärzten, war die, dass man sich komplett auf dieses Problem fixiert hat und dort nach Lösungen gesucht hat. Und diese Fixierung auf dieses Problem, führte dazu, dass ich mich nur damit beschäftigt habe. Während alles andere um mich herum nichtig wurde. Und bei Claudia ist es so, dass sie erst dieses Drumherum stärker aufbauen möchte, dass man statt zu diesem Problem, dieser Auseinandersetzung, die ja auch sehr schmerzhaft ist und aufreibend, etwas hat, wie jetzt mit den Pferden, wo man sich wohl fühlt. Wo man sich aufgehoben fühlt, womit man sich beschäftigt, womit man sich vielleicht sogar identifiziert. Also dass man ein gutes Gefühl hat. Und wenn man das hat oder wenn das vielleicht sogar überwiegt. Dann kann man sich nebenbei mit der Problemlösung von dem Unangenehmen…dann kann man sich dem widmen. Und man hat trotzdem nicht das Gefühl, dass es sich nur darum dreht. Atmo Pferde schnauben, ein Flugzeug nähert sich. Erzählerin Am nächsten Morgen soll Thomas sein Lieblingspferd Carlos zum Putzplatz bringen und ihn dort striegeln. Das besondere daran: Das Tier war noch nie dort. 11 Und auch für Thomas ist die Situation ungewohnt und mit Anspannung verbunden. Doch wenn das Tier seine Unsicherheit spürt, wird es ihm nicht folgen. Thomas nimmt ein Halfter vom Haken und geht auf die Koppel. OT Claudia: ….jetzt sind die Pferde in der Ecke und jetzt ist es interessant zu gucken, wie geht er damit um (Thomas). Pferde sind ja Fluchttiere und es geht um den Carlos. Was du jetzt siehst, er hat sich Raum genommen. Er hat das weiße Pferd weggeschickt. War vor ein paar Monaten auch noch nicht möglich. Und diesen Raum nehmen, also zu jemandem zu sagen – in diesem Fall dem Pferd – ich brauche jetzt Platz. Es ist meine Komfortzone, geh‘ mal ein bisschen weg, damit ich in Ruhe arbeiten kann. Wie du jetzt siehst, zieht er ihm ganz in Ruhe das Halfter an. Atmo zum Putzplatz gehen Erzählerin Ruhig aber bestimmt führt Thomas das Pferd zu einem Platz etwa 200 Meter weiter. Claudia Siwerczek folgt ihnen. OT Claudia: Wie geht es dir jetzt? Thomas: Gut. Aber Carlos scheint ein bisschen nervös zu sein. Claudia: hast du gut beobachtet. Der ist ja jetzt auch zum ersten Mal hier draußen. Wichtig ist, dass du auch für dich selbst darauf achtest, wann fühlst du dich unsicher, oder wann brauchst du Hilfe, Unterstützung. Erzählerin Thomas hat das Pferd nicht angebunden. Der Wallach tänzelt nervös umher und scharrt mit einem Vorderbein. Atmo: Pferd wiehert laut! Claudia: ja, ja, zu Thomas: gut gemacht. Super! Klasse. Erzählerin Jetzt ist es nicht mehr das Pferd, das Thomas beruhigt, sondern Thomas, der mit seiner Ruhe dafür sorgt, dass Carlos sich entspannt. Harmonisch folgt der Soldat den ruckartigen Bewegungen des Pferdes. 12 Als Thomas und Claudia das Pferd eine halbe Stunde später zu den anderen Tieren zurück bringen wollen: OT 33 Claudia (zu Thomas der Carlos zu den anderen bringt leise): Super, ganz toll. (Plötzlich wiehert das Pferd laut. Thomas atmet laut aus). Super. Cool. Thomas: Ich habe einen Schrecken bekommen wegen des Geräusches. Wegen der Lautstärke. Claudia: Ist das ein Trigger? Thomas: Mmmhmm. Atmo Flugzeug OT ZDF Archivmaterial: Die Fallschirmjäger geraten so unter Druck, dass sie sich zurückziehen müssen. Dabei kommt es zur Katastrophe. Atmo Schrei. Einer der gepanzerten Dingos fährt auf einen ferngezündeten Sprengsatz.(Geräusch Sprengsatz) Claudia: Wie geht es dir jetzt? Thomas: Wie soll es einem gehen? Atmo Reitplatz Erzählerin Thomas klopft sich mit zwei Fingern auf die Pulsschlagader. Pampampam (klopft sich dabei auf die Pulsschlagader) Claudia: Was würdest du am liebsten tun jetzt? Thomas: gar nix. Claudia: Stehen bleiben oder gehen? Thomas: Gehen. Claudia: mach‘ das. Bewege dich so lange, bis du das Gefühl hast, dass es wieder in Ordnung ist. Atmo kurz frei OT Claudia Klar, wir haben die Pferde zusammengebracht, die haben gequiekt. Und diese Lautstärke, was wir eben gehört haben, ist aus dem Einsatzerleben ein Trigger. () Wir sehen jetzt, dass er weiterhin bei den Pferden bleibt der Thomas und sich aber bewegt. Er spürt letztendlich den Boden unter den Füssen. Er kann sich entschieden stehen zu bleiben, zu gehen, was auch immer er in dieser Situation braucht. 13 Erzählerin Währenddessen ist Thomas zum anderen Ende der Koppel gegangen. Jetzt lehnt er mit dem Rücken am Zaun und beobachtet die Herde. OT Claudia: Wichtig ist dieses Zwischenspiel: Guck‘ mal was hier ist. Das Pferd ist im Hier und Jetzt. Immer wieder dieses Rausholen. Wenn die Menschen in ihrem Trauma sind, sind sie ja in einem anderen Erleben. Immer nochmal zu sagen, guck mal, spüre mal deinen Boden unter den Füssen. Du bist jetzt hier, wir stehen hier auf der Koppel oder auf dem Reitplatz. Oder siehst du dieses Pferd da…. Er hätte ja zum Beispiel auch raus aus der Koppel gehen können. Aber er hat sich entscheiden – wenn wir jetzt sehen, ist er bei Carlos geblieben. Er sucht letztendlich zu dem was ihn erschreckt hat, weiterhin den Kontakt. Aber in seinem Rhythmus. Erzählerin Die Therapeutin lässt weitere 15 Minuten verstreichen. Dann geht sie langsam zu Thomas. Fast die gesamte Herde hat sich um ihn herum versammelt. OT Claudia: Was hat es verändert? Also, vorhin bei dem Wiehern, sah es für mich so aus, dass du in so eine Starre gekommen bist Erzählerin Die Pferdetherapeutin rekapituliert mit dem Soldaten, was in der letzten halben Stunde passiert ist. Gemeinsam überlegen sie, was Thomas in dieser Situation geholfen hat, mit den Triggern umzugehen und aus der Erstarrung heraus zu finden. OT Thomas: Ich habe hier den Überblick, ich kann schauen, ich kann sichern. Ich kann weggehen. Ich bin quasi frei. OT Claudia: Wobei haben dir denn die Pferde geholfen? Wenn du das jetzt so Revue passieren lässt? Thomas: Alles in allem würde ich sagen, Vertrauen. Zuversicht. Neugier. Während man vorher so fixiert auf den Heilungsprozess oder auf bestimmte Dinge war. Fange ich doch an jetzt, wie soll ich sagen, altes neu zu entdecken. Und sei es nur, wenn es darum geht ein Pferd zu putzen und zu striegeln. 14 Wenn man zum Beispiel die Hand auf das Pferd legt und spürt wie warm das da ist, unter der Mähne oder wenn man dieses Muskelspiel da drunter fühlt. Das sind alles so Sachen, die habe ich quasi davor abgeschottet oder ausgegrenzt. Musik Dust to Dust Erzählerin Zum ersten Mal seit seiner Rückkehr aus Afghanistan ist der Soldat wieder zuversichtlich. Er möchte sich versetzen lassen, umziehen, einen Neuanfang wagen…… Zu Claudia und den Pferden wird er weiterhin regelmäßig kommen. 15
© Copyright 2024 ExpyDoc