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SWR2 Tandem - Manuskriptdienst
Krieg im Kopf
Afghanistaneinsätze und wie Pferde helfen sollen, sie zu verarbeiten
AutorIn:
Nathalie Nad-Abonji
Redaktion:
Petra Mallwitz
Sendung:
Mittwoch, 20.07.2016 um 10.05 Uhr in SWR2
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MANUSKRIPT:
Bis Ende 2014 sollen die verbleibenden 2500 Bundeswehrsoldaten aus
Afghanistan abgezogen werden. Thomas ist schon seit vier Jahren zurück
in Deutschland. Seither wird er seine Kriegserinnerungen nicht mehr los.
Eine Feuerwehrsirene oder ein lautes Mofa lassen Thomas in Deckung
gehen: Schon wähnt sich der Soldat wieder in Afghanistan und durchlebt
die Todesängste von damals.
Nun soll ihm eine Pferdetherapie helfen, die Erlebnisse am Hindukusch zu
verarbeiten.
Krieg im Kopf
Afghanistaneinsätze und wie Pferde helfen sollen sie zu verarbeiten.
Eine Sendung von Nathalie Nad-Abonji.
Musik Dust to Dust
Atmo Pferde galoppieren. Claudia: Haben wir sie jetzt alle acht. Jessie!
Anatol....eins, zwei drei.....schnalzt mit der Zungen. Hopp, Hopp, Hopp. Komm‘
jetzt Pferd schnaubt. Weiter als Atmo unter Text.
Erzählerin
Der grau bewölkte Himmel hängt tief an diesem Frühlingstag im Süden von
Berlin. Acht Pferde galoppieren auf eine Koppel, die eingeklemmt zwischen
Spargelfeldern und surrenden Silos liegt. Im Minutentakt, dröhnen
startende oder landende Flugzeuge.
OT Claudia: Was würdest du jetzt am liebsten tun? Striegeln? O.k. Dann
besorge ich dir was und du kannst hier sein.
Atmo Reitplatz
Erzählerin
Seit Oktober 2013 fährt Thomas F. mindestens ein Mal im Monat zu
Claudia Swierzek und ihren Pferden. Oft bleibt er gleich für zwei Tage.
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Außer ganz zu Beginn der Pferdetherapie – vor fünf Monaten: Damals
verbrachte der Afghanistan -Veteran gleich zwei Wochen am Stück bei
seiner Therapeutin Claudia. Thomas war an einem Tiefpunkt angelangt –
aber dazu später.
OT Claudia: Guck mal, jetzt legt sich ein Pferd hin. Also die Pferde legen sich
nur hin, wenn sie sehr entspannt sind oder sich wohl fühlen. Das ist schon mal
ein gutes Zeichen hier. Wälzt sich genüsslich.
Erzählerin
Die Arme vor der kräftigen Brust verschränkt, erzählt der 36 jährige, dass
er vor gar nicht so langer Zeit nichts mit Pferden anfangen konnte.
OT Thomas: Die erste Begegnung ist eigentlich diese gewesen, das ich von
meinem Empfinden her. Also von meinem Wohlfühlen mich den Pferden nähern
sollte. Und da blieb ich vielleicht so fünf Meter vor den Pferden stehen.
Claudia: Eher noch mehr. (leise) () Thomas: Ich hätte zwar rangehen können. In
meinem Inneren habe ich mir gesagt, wenn ich jetzt nur darauf hören würde,
wäre jetzt hier die Grenze. Weiter muss nicht. Am nächsten Tag sah es schon
anderes aus. Stückchen für Stückchen weiter ran.
OT 4 Thomas: Jetzt ist es so, als ob ich quasi zu der Gruppe gehöre. Claudia:
Geht das mit dem Flieger?
Atmo Flieger immer lauter und unter ZDF Material mischen
OT ZDF Archivmaterial: Schüsse, husten. Unverständliches auf Deutsch.
Darüber Sprecher: Es sind 32 Männer von der Kompanie und dem Nachschub
abgeschnitten. Weiter Schüsse. Sprecher: Handeln unter Extrembelastung. Es
dauert eine Stunde bis die Soldaten des Golfzuges den Feind ausmachen, wissen
von wo geschossen wird. Am Ende kämpfen die Fallschirmjäger neun Stunden
lang. Neun Stunden Todesangst.
Atmo Flieger immer leiser werden
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Erzählerin
Für einen kurzen Moment wirkt Thomas vollkommen gelähmt - unfähig
auf Claudias Frage zu antworten.
Atmo Jühnsdorf Koppel
OT Claudia: Das sind oftmals Geräusche, die die Soldaten und Soldatinnen an
Einsatzgeschehnisse erinnern können. Das war auch eben ein kurzer Blick ()
Aha, hier Claudia, Sicherheit – alles gut. Das war in den Anfangszeiten unserer
Arbeit anders. Und mit einigen Soldaten sind beispielsweise vorbeifahrende
Mofas, oder eben Sirenen oder Hubschrauber, einfach Trigger.
Erzählerin
Unter Trigger versteht man Sinneseindrücke, die dazu führen, dass der
Soldat den Bezug zum Hier und Jetzt verliert und glaubt wieder mitten im
Krieg zu sein. Immer und immer wieder durchlebt er die Todesängste von
damals.
OT Thomas: Entspannt bin ich gerade nicht unbedingt. Claudia: Würdest du
jetzt hier gerne der Situation entwischen? Thomas: Aber sowas von! Claudia:
Dann mal los! Fühle dich frei und bewege dich wie du willst.
Erzählerin
Thomas nimmt den Eimer voller Bürsten, überquert mit festem Schritt die
Koppel und geht zu einem braunen Wallach- seinem Lieblingspferd. Er
beginnt es zu striegeln.
OT Claudia: Also was man jetzt sieht, ()Thomas Muskeltonus hat abgenommen.
Er atmet, er ist mit dem Pferd in Kontakt. Eben haben wir auch nochmal genau
gesehen, wie er ganz tief ausgeatmet hat. Jetzt berührt er das Pferd mit beiden
Händen…..und wenn ich ihn jetzt fragen würde, wäre ich relativ sicher, dass er
antworten könnte, dass sein Spannungszustand abgenommen hat. Und das sind
beispielsweise Momente in denen die Pferde den Menschen helfen, nochmal zum
Einen den eigentlichen Spannungszustand zu erkennen, zu verbalisieren und
auch gleichzeitig zu sehen, was passiert wenn ich meine Anspannung, meine
Energie runter regle. Weil wenn das nicht passiert wäre, wäre das Pferd
weggegangen.
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OT Claudia: Also was man jetzt schön sieht: dass die beiden das genießen. Es
sieht auch so aus, also ob er sehr versunken ist in seinem Putzen. Das Pferd
steht da wie einbetoniert. Bewegt sich überhaupt nicht und genießt das. Und
jetzt lächelt er.
Erzählerin
Claudia arbeitet derzeit mit etwa 20 Soldaten. Vielen von ihnen fällt es
leichter mit einem Pferd Kontakt aufzunehmen als mit einem Menschen. Es
hat sich rumgesprochen, dass es bei ihr anders zu und her geht, als auf der
Psychologencouch.
OT Claudia: Manche Soldaten kommen wöchentlich und wir arbeiten zwei
Stunden, weil das vom Rhythmus her passt. Bei den anderen ist es länger. Bei
den dritten, die brauchen noch eine telefonische Unterstützung. Das ist alles
sehr, sehr unterschiedlich. Das weiß ich sehr zu schätzen – in dieser Freiheit
arbeiten zu können, nämlich nicht nach irgendwelchen Kassenverordnungen
oder sonst was. Sondern, was macht gerade für den Menschen Sinn.
Erzählerin
Vielleicht hilft es den Soldaten –darunter sind übrigens auch Frauen – dass
es um handfestes geht: striegeln, füttern, Hufe auskratzen, am Strick
führen. Die Soldaten machen sinnliche Erfahrungen unter freiem Himmel.
Wärme, Gerüche, weiches Fell. Ums Reiten geht es nicht. Thomas hat in
den fünf Monaten bei Claudia noch kein einziges Mal auf einem Pferd
gesessen.
Die Veteranenhilfe, nicht die Bundeswehr, bezahlt Thomas‘ Pferdetherapie.
Die von der Bundeswehr unabhängige Organisation, lässt Claudia dabei
völlig freie Hand.
OT Claudia: Was jetzt auch passiert ist: das Pferd hat zu uns hingeguckt. Ich
gehe jetzt dahin, weil ich das Gefühl habe, es neigt sich jetzt dem Ende, der
Putzakt.
Schritte
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OT Claudia: Wie geht’s dir jetzt? Thomas: Besser. Claudia: Besser? Thomas:
mmhmm. Claudia: Wäre es noch besser, wenn wir nochmal weiter weg gehen
würden? Thomas (leise): Spielt jetzt im Moment keine Rolle, denke ich.
OT Claudia: Der Carlos stand ganz ruhig, während die andren Pferde, die
haben sich in der ersten Sequenz auf dich zu bewegt. Und es sah so aus, als ob
du während des Striegelns immer ruhiger wurdest. Das habe ich beim Pferd
gesehen, weil der den Kopf immer weiter runter genommen hat. Alle andren
Pferde um ihn herum haben sich bewegt. Und er ist stehen geblieben. Ganz frei.
Musik Dust to Dust
Atmo Darüber Atmo Pferde rufen
Erzählerin
Thomas geht zum Bauwagen am Rande der Koppel. Er weiß, dass drinnen
heißer Tee, Früchte und Kekse bereit stehen.
Claudia gibt den acht Pferden Futter.
Atmo fressende Pferde
Erzählerin
Die 47 jährige hat ursprünglich Erziehungswissenschaften und Psychologie
studiert. Später wurde sie Familientherapeutin. Mit Pferden als CoTherapeuten arbeitet die kleine, flinke Frau schon seit über 10 Jahren.
Hält Claudia Hunde, Katzen oder Hasen dafür genauso geeignet?
OT Claudia. Der Unterschied ist halt, dass die Pferde Fluchttiere sind. Das
heißt sie haben ein ganz anderes Verhaltensrepertoire, als wir Menschen. Wir
sind Raubtieren. Insofern sind wir dem Hund auch ähnlich. Wir leben im Rudel,
wir verhalten uns dann vielleicht auch eher aggressiver. Ein Pferd würde immer
zuerst die Variante wählen zu flüchten.
Abgesehen von Soldaten kommen Manager, Führungskräfte und andere
gestresste Menschen, zu ihr auf die Koppel.
OT Claudia Die Pferde lesen letztendlich unser Inneres. Denen ist das total
egal welchen Status wir haben, wie wir aussehen und, und, und. Die Pferde
können nur was mit Energie anfangen. Nicht mit dem, sind wir jetzt wütend oder
freudig oder so. Die nehmen nur diese Zustände wahr.
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Das heißt, wenn wir an diesen Zuständen arbeiten wollen. Und unseren Zustand
innerlich so verändern, dass wir beispielsweise in die Entspannung kommen,
dann können wir das am Pferd lesen. Nämlich das Pferd bleibt ruhig. Sie geben
uns halt sehr schnell direktes Feedback.
OT Claudia: Und häufig ist es ja so, dass wir das selbst gar nicht wahrnehmen
wie wir drauf sind. Und erst über das Sichtbar werden in der Arbeit mit dem
Pferd, erkennen wir uns selbst. ()
Musikakzent Dust to Dust
Erzählerin
Thomas sitzt im Bauwagen. Vor sich eine Tasse Tee und eine offene
Keksdose. Er hat sich so hingesetzt, dass er durch das Fenster gut
beobachten kann, was draußen passiert. Dabei hat Thomas die Tür - seinen
Fluchtweg – im Blick. Scannen, sichern, sondieren, nennt er das. Reflexe die
er, und über 128 Tausend Soldaten der Bundeswehr, in Afghanistan
verinnerlicht haben.
OT Thomas: Wenn man dann aber hierher zurückkommt, dann wird von einem
erwartet, dass man die ganzen…. Ich sage mal, die Ausbildung, dass man die
vergisst, dass man die antrainierten Verhaltensweisen quasi ablegen soll. Und
das geht einfach nicht. Wenn dann plötzlich zum Beispiel die normale
Feuerwehrsirene losgeht und man dann überlegt, springe ich jetzt in Deckung,
gehe ich nicht. Wieso, weshalb, warum, ist Raketenangriff? Ist keiner? Was
passiert jetzt gerade? Das Motorrad fährt vorbei, hat Fehlzündung, so ein
älteres Modell. Man schaut sich um. Sucht die Dachkanten ab oder beobachtet
die Bevölkerung, die an einem vorbeiläuft. Meidet große Ansammlungen. Fährt
einkaufen. Sieht, dass da zu viele Autos parken, zu viele Menschen sind. Also
fährt man die ganze Zeit im Kreis. Schaut sich vorher die Lage an, sondiert,
sichert. Und ist trotzdem die ganze Zeit unter Anspannung. Wie unter Strom.
Erzählerin
Seit Thomas 2010 aus Afghanistan zurückgekehrt ist, schläft er schlecht,
ermüdet schnell, hat Konzentrationsschwierigkeiten und
Schweißausbrüche. Er ist weit davon entfernt, der junge, dynamische Mann
zu sein, der er einst war. Darüber was er in Afghanistan erlebt hat, kann
und will er nicht sprechen. An einem Auslandseinsatz wird der Soldat nie
wieder teilnehmen.
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Thomas darf auch nicht mit Waffen oder Munition umgehen. Die Gefahr,
dass er sich oder anderen etwas antut sei zu groß, meinen die
Bundeswehrpsychologen in ihrem Gutachten. Im Dienst erledigt Thomas
nur noch Handlangerarbeiten. Er muss sich monatlich einem
Bundeswehrpsychologen vorstellen.
OT Archivmaterial: Am Karfreitag hat der Golfzug seinen ersten Verwundeten
gleich zu Beginn des Gefechtes. Doch es dauert Stunden bis dieser unter
Lebensgefahr aus der Schusslinie geborgen werden kann. Dabei wird Robert
Hartat angeschossen. Er stirbt zwei Stunden später im deutschen Feldlager, dem
PRT Kundus. Weiter mit Gefechtsatmo auch unter Erzählerin!!!.
Erzählerin:
Am Karfreitag 2010 ist die Bundeswehr in der Nähe von Kundus in ihr
bisher schwerstes Gefecht verwickelt. Drei Soldaten sterben, mehrere
werden schwer verletzt. Das sind Originaltöne aus einer ZDF
Dokumentation.
Thomas ist nicht dabei. Aber Anton. Der Oberst verfolgt die Gefechte neun
Stunden lang über die Helmkameras der Kämpfenden. Er sitzt im
Feldlager von Kundus und kann seinen Kameraden nicht helfen. Während
seines Einsatzes in Afghanistan, erlebte Anton Ohnmacht pur, sagt seine
Frau Sandra heute.
O T Sandra: Als er zum Beispiel aus dem Einsatz in Kundus zurückgekommen
ist, war es schon so dass er völlig neben sich stand. Er saß einfach da und hat
immer vor sich hingeredet. Aber sehr zusammenhangloses Zeug vor sich
hingeredet. So völlig aus dem Zusammenhang heraus fing er dann an zu weinen.
Weil er dann sofort wieder in die Bilder reingekommen ist. Die sitzen dann
neben dir und sprechen keinen Ton. Starren nur vor sich hin. Es ist auch gar
nicht so einfach damit umzugehen.
O T Anton: Das ist sehr schwierig. Da sind drei Kameraden gefallen. Das
Verarbeiten ist schwierig (räuspert sich). Man kann das maximal verdrängen.
Und löst aber trotzdem bei mir immer Emotionen aus. (Gerät aus. Er weint.)
Atmo Stall
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Erzählerin
Das Ehepaar lebt auf einem idyllisch gelegenen Hof in Mecklenburg. Auch
Sandra und Anton besitzen Pferde. Eher durch Zufall bekommt Sandra
mit, wie gut es ihrem Mann tut, wenn er nach dem Einsatz viel Zeit mit den
Tieren verbringt. Die Soldatenfrau beginnt sich mit dem Thema zu
beschäftigen und macht eine Ausbildung zur pferdegestützten Therapeutin.
O T Sandra: Die Anspannung! Diese extreme Anspannung kann sich wirklich
schnell ins Unterbewusstsein fressen. Dass diese Anspannung wieder gelockert
wird, gelöst wird. Da sind Pferde unglaublich erfolgreich drin (Pferd schnaubt
im Hintergrund). Es ist der Wahnsinn was die Pferde schon erreicht haben.
Erzählerin
Immer wieder besucht Sandra ihre erfahrene Kollegin Claudia Swierczek,
um sich mit ihr auszutauschen.
Sandra und ihr Mann sind davon überzeugt, dass die Pferde wichtige
Helfer sind, wenn es darum geht nach Auslandseinsätzen auch als
Liebespaar wieder zueinander zu finden.
Andere Nationen, wie die USA, therapieren schon seit Jahren Soldaten mit
Hilfe von Pferden – darunter auch Vietnamveteranen.
Zurück zu Thomas, der immer noch vor seiner Tasse Tee im Bauwagen
sitzt.
Als der Soldat Anfang 2010 von seinem zweiten Afghanistaneinsatz
zurückkehrt, freut er sich anfangs auf das gemeinsame Leben mit seiner
Verlobten.
OT Thomas: Wenn man dann wieder zurück ist, dann wird einem quasi erst
bewusst, dass man über die Monate 24 Stunden dort unter Strom stand. Dass
man dort auf Dinge reagiert hat. Nur reagiert hat. Ohne länger darüber
nachzudenken. Warum hat man so reagiert? Hätte man etwas besser machen
können? Und diese Fragen, Selbstzweifel, die treten natürlich erst immer dann
auf, wenn man dann diese Zeit für sich hat und die hat man erst wieder, wenn
man hier ist.
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Erzählerin
Dem Soldaten fehlt das Gewicht der „Bristol“ – die 18 kg der Schutzweste
bedeuteten Sicherheit. Und natürlich die Kameraden! An deren Namen er
sich schon längst nicht mehr erinnern kann. Kontakt hat er zu keinem
mehr von ihnen.
Auf seine Verlobte wirkt er damals apathisch und verschlossen. Sie ist es,
die ihn dazu drängt sich im Bundeswehrkrankenhaus vorzustellen.
OT Thomas Ich tat ihr quasi nur den Gefallen, mich dort nochmal untersuchen
zu lassen. Aber für mich stand es eigentlich außer Frage, dass ich halt gesund
bin und dass ich nichts dergleichen hätte. Und dass es mir gut geht.
Erzählerin
Nach einigen Tests, sind die Ärzte anderer Meinung.
OT 25 Thomas Die Behandlung startet jetzt. Haben sie ihre Sachen zum
Übernachten hier? Fertig.
Erzählerin
Knappe sechs Monate verbringt der Veteran stationär in der Psychiatrie.
Gegen Ende trennt sich seine Verlobte von ihm. Und er wird aus der
Bundeswehr entlassen. Dass, obwohl er gerade im Krankenhaus liegt!
Thomas fühlt sich fallengelassen. Erst später hat er die Kraft auf
Wiedereinstellung zu klagen – und gewinnt den Prozess. Es folgen
anderthalb Jahre in einer Hamburger Tagesklinik.
2013 ist Thomas an einem Tiefpunkt. Er will nur noch alleine sein. An
einem Ort, an dem er sich sicher fühlt. Der Soldat sucht Hilfe bei der
Deutsche Kriegsopferfürsorge – kurz DKOF. Inzwischen ist die
Organisation im „Bund deutscher Veteranen“ aufgegangen.
OT Thomas: Da hatte die DEKOF dieses Schutzhaus. Die haben gesagt, kein
Problem, kannst du sofort hin. Dann kannst du auch gleich die Pferdetherapie
nebenbei machen (lacht). Der Schreck kam eigentlich erst nach dem ersten Tag,
nachdem ich dann im Schutzhaus war und quasi zur Ruhe kam. Da dachte ich,
ach du Hacke! Jetzt musst du morgen dahin.
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Erzählerin
Thomas ist eine Stunde früher als verabredet am Treffpunkt. Sichert,
scannt, sondiert.
OT Thomas: Nach 10 Minuten kam dann so eine kleine Person, mit so einer
selbstgestrickten Pudelmütze, einem Anorak, der viereinhalb Nummern zu groß
war, so einen Umhang anhatte. Auf einem Pferd auf mich zugeritten. Sie sagte,
schön, dass du schon da bist folg mir doch einfach mal. Da vorne ist die Koppel,
da sind Pferde. Da ist ein Bauwagen. Kommst einfach mit. Dann haben wir Tee
getrunken. Das war eigentlich sehr entspannt. Na, was heißt entspannt? Es war
nicht so anstrengend für mich, weil die Koppel, weil das Gelände überall offen
war. Ich war ja in keinem Gebäude festgesetzt. Es stand mir ja eigentlich der
Fluchtweg ständig offen. Dadurch war es für mich erträglich.
Erzählerin
Zwei Wochen lang fährt er jeden Tag zu Claudia und ihren Pferden. Worin
sieht er den Unterschied zu all den andern Therapien?
OT Thomas: Die Erfahrung, die ich gemacht habe in den Krankenhäusern mit
den Ärzten, war die, dass man sich komplett auf dieses Problem fixiert hat und
dort nach Lösungen gesucht hat. Und diese Fixierung auf dieses Problem, führte
dazu, dass ich mich nur damit beschäftigt habe. Während alles andere um mich
herum nichtig wurde. Und bei Claudia ist es so, dass sie erst dieses Drumherum
stärker aufbauen möchte, dass man statt zu diesem Problem, dieser
Auseinandersetzung, die ja auch sehr schmerzhaft ist und aufreibend, etwas hat,
wie jetzt mit den Pferden, wo man sich wohl fühlt. Wo man sich aufgehoben
fühlt, womit man sich beschäftigt, womit man sich vielleicht sogar identifiziert.
Also dass man ein gutes Gefühl hat. Und wenn man das hat oder wenn das
vielleicht sogar überwiegt. Dann kann man sich nebenbei mit der
Problemlösung von dem Unangenehmen…dann kann man sich dem widmen.
Und man hat trotzdem nicht das Gefühl, dass es sich nur darum dreht.
Atmo Pferde schnauben, ein Flugzeug nähert sich.
Erzählerin
Am nächsten Morgen soll Thomas sein Lieblingspferd Carlos zum
Putzplatz bringen und ihn dort striegeln. Das besondere daran: Das Tier
war noch nie dort.
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Und auch für Thomas ist die Situation ungewohnt und mit Anspannung
verbunden. Doch wenn das Tier seine Unsicherheit spürt, wird es ihm nicht
folgen.
Thomas nimmt ein Halfter vom Haken und geht auf die Koppel.
OT Claudia: ….jetzt sind die Pferde in der Ecke und jetzt ist es interessant zu
gucken, wie geht er damit um (Thomas). Pferde sind ja Fluchttiere und es geht
um den Carlos. Was du jetzt siehst, er hat sich Raum genommen. Er hat das
weiße Pferd weggeschickt. War vor ein paar Monaten auch noch nicht möglich.
Und diesen Raum nehmen, also zu jemandem zu sagen – in diesem Fall dem
Pferd – ich brauche jetzt Platz. Es ist meine Komfortzone, geh‘ mal ein bisschen
weg, damit ich in Ruhe arbeiten kann. Wie du jetzt siehst, zieht er ihm ganz in
Ruhe das Halfter an.
Atmo zum Putzplatz gehen
Erzählerin
Ruhig aber bestimmt führt Thomas das Pferd zu einem Platz etwa 200
Meter weiter. Claudia Siwerczek folgt ihnen.
OT Claudia: Wie geht es dir jetzt? Thomas: Gut. Aber Carlos scheint ein
bisschen nervös zu sein. Claudia: hast du gut beobachtet. Der ist ja jetzt auch
zum ersten Mal hier draußen. Wichtig ist, dass du auch für dich selbst darauf
achtest, wann fühlst du dich unsicher, oder wann brauchst du Hilfe,
Unterstützung.
Erzählerin
Thomas hat das Pferd nicht angebunden. Der Wallach tänzelt nervös
umher und scharrt mit einem Vorderbein.
Atmo: Pferd wiehert laut! Claudia: ja, ja, zu Thomas: gut gemacht. Super!
Klasse.
Erzählerin
Jetzt ist es nicht mehr das Pferd, das Thomas beruhigt, sondern Thomas,
der mit seiner Ruhe dafür sorgt, dass Carlos sich entspannt. Harmonisch
folgt der Soldat den ruckartigen Bewegungen des Pferdes.
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Als Thomas und Claudia das Pferd eine halbe Stunde später zu den
anderen Tieren zurück bringen wollen:
OT 33 Claudia (zu Thomas der Carlos zu den anderen bringt leise): Super, ganz
toll. (Plötzlich wiehert das Pferd laut. Thomas atmet laut aus). Super. Cool.
Thomas: Ich habe einen Schrecken bekommen wegen des Geräusches. Wegen
der Lautstärke. Claudia: Ist das ein Trigger? Thomas: Mmmhmm.
Atmo Flugzeug
OT ZDF Archivmaterial: Die Fallschirmjäger geraten so unter Druck, dass sie
sich zurückziehen müssen. Dabei kommt es zur Katastrophe. Atmo Schrei. Einer
der gepanzerten Dingos fährt auf einen ferngezündeten Sprengsatz.(Geräusch
Sprengsatz)
Claudia: Wie geht es dir jetzt? Thomas: Wie soll es einem gehen?
Atmo Reitplatz
Erzählerin
Thomas klopft sich mit zwei Fingern auf die Pulsschlagader.
Pampampam (klopft sich dabei auf die Pulsschlagader) Claudia: Was würdest
du am liebsten tun jetzt? Thomas: gar nix. Claudia: Stehen bleiben oder gehen?
Thomas: Gehen. Claudia: mach‘ das. Bewege dich so lange, bis du das Gefühl
hast, dass es wieder in Ordnung ist.
Atmo kurz frei
OT Claudia Klar, wir haben die Pferde zusammengebracht, die haben gequiekt.
Und diese Lautstärke, was wir eben gehört haben, ist aus dem Einsatzerleben
ein Trigger. () Wir sehen jetzt, dass er weiterhin bei den Pferden bleibt der
Thomas und sich aber bewegt. Er spürt letztendlich den Boden unter den
Füssen. Er kann sich entschieden stehen zu bleiben, zu gehen, was auch immer
er in dieser Situation braucht.
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Erzählerin
Währenddessen ist Thomas zum anderen Ende der Koppel gegangen. Jetzt
lehnt er mit dem Rücken am Zaun und beobachtet die Herde.
OT Claudia: Wichtig ist dieses Zwischenspiel: Guck‘ mal was hier ist. Das
Pferd ist im Hier und Jetzt. Immer wieder dieses Rausholen. Wenn die Menschen
in ihrem Trauma sind, sind sie ja in einem anderen Erleben. Immer nochmal zu
sagen, guck mal, spüre mal deinen Boden unter den Füssen. Du bist jetzt hier,
wir stehen hier auf der Koppel oder auf dem Reitplatz. Oder siehst du dieses
Pferd da…. Er hätte ja zum Beispiel auch raus aus der Koppel gehen können.
Aber er hat sich entscheiden – wenn wir jetzt sehen, ist er bei Carlos geblieben.
Er sucht letztendlich zu dem was ihn erschreckt hat, weiterhin den Kontakt.
Aber in seinem Rhythmus.
Erzählerin
Die Therapeutin lässt weitere 15 Minuten verstreichen. Dann geht sie
langsam zu Thomas. Fast die gesamte Herde hat sich um ihn herum
versammelt.
OT Claudia: Was hat es verändert? Also, vorhin bei dem Wiehern, sah es für
mich so aus, dass du in so eine Starre gekommen bist
Erzählerin
Die Pferdetherapeutin rekapituliert mit dem Soldaten, was in der letzten
halben Stunde passiert ist. Gemeinsam überlegen sie, was Thomas in dieser
Situation geholfen hat, mit den Triggern umzugehen und aus der
Erstarrung heraus zu finden.
OT Thomas: Ich habe hier den Überblick, ich kann schauen, ich kann sichern.
Ich kann weggehen. Ich bin quasi frei.
OT Claudia: Wobei haben dir denn die Pferde geholfen? Wenn du das jetzt so
Revue passieren lässt? Thomas: Alles in allem würde ich sagen, Vertrauen.
Zuversicht. Neugier. Während man vorher so fixiert auf den Heilungsprozess
oder auf bestimmte Dinge war. Fange ich doch an jetzt, wie soll ich sagen, altes
neu zu entdecken. Und sei es nur, wenn es darum geht ein Pferd zu putzen und
zu striegeln.
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Wenn man zum Beispiel die Hand auf das Pferd legt und spürt wie warm das da
ist, unter der Mähne oder wenn man dieses Muskelspiel da drunter fühlt. Das
sind alles so Sachen, die habe ich quasi davor abgeschottet oder ausgegrenzt.
Musik Dust to Dust
Erzählerin
Zum ersten Mal seit seiner Rückkehr aus Afghanistan ist der Soldat wieder
zuversichtlich. Er möchte sich versetzen lassen, umziehen, einen Neuanfang
wagen…… Zu Claudia und den Pferden wird er weiterhin regelmäßig
kommen.
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