Mart Schreiber Es muss brennen Erzählungen zum Thema Asyl © 2016 Mart Schreiber Umschlagfoto: © Fotosearch.com Lektorat: Bjela Schwenk ISBN Paperback: 978-1535183451 Herstellung und Druck: Amazon Distribution auch als E-Book verfügbar Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung. Alle in diesem Buch geschilderten Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären zufällig und nicht beabsichtigt. Es muss brennen Der Schlüssel findet nicht sofort ins Schloss. Dann ein metallisches Schnarren und das Klicken des zurückschnappenden Schließbarts. Ein leises Quietschen begleitet das Öffnen der Tür. Dominik liegt nackt auf seinem Bett. Die Vorhänge sind zugezogen und seine Augen starren schon seit einer Stunde in die Dunkelheit. Seine Tür ist nur angelehnt. Licht dringt durch den Spalt ins Zimmer und stört seine Konzentration. Noch dazu knarrt der Holzboden im Vorzimmer. „Auch schon da?“, ruft er aus seinem Zimmer. „Gute Nacht“, antwortet sie. Ihre Stimme klingt anders als sonst. Schwach und zittrig. „Ist was?“. Keine Antwort. Er hört nur das Schließen der Tür zu Nadines Zimmer. Sicher wieder einmal unglücklich verliebt, denkt Dominik. Es ist wieder dunkel und still. Er macht sich aufs Neue bereit, nur in seiner Gedankenwelt zu sein, ungestört von allen äußeren Einflüssen. Schluchzen. Es kommt aus Nadines Zimmer. Nur eine dünne Rigipswand trennt sein Zimmer von dem seiner Schwester. Das war schon oft Grund für Streitereien. Nadine telefoniert oft endlos und das in einer Lautstärke, die Dominik jedes Wort verstehen lässt. Oder sie hört viel zu laut Musik, noch dazu eine, die Dominik nicht mag. Kommerz halt. Das Schluchzen hört nicht auf. „Was ist los?“, ruft Dominik laut genug, dass es seine Schwester auch durch die Wand hören kann. Kurz ist es still, doch nach wenigen Sekunden beginnt das krampf- 5 artige Schluchzen wieder. Es geht in ein auf- und abschwellendes Weinen über. Dominik steht auf und geht zu Nadines Zimmertür. Er klopft. „Geh weg, lass mich in Ruh.“ Dominik öffnet die Tür. Nadine liegt mit dem Bauch auf ihrem Bett. Ihr Kleid ist schmutzig und zerrissen. „Was ist passiert? Sag schon.“ Er dreht Nadine zur Seite. Sie hält sich sofort die Hände vors Gesicht, aber Dominik sieht trotzdem kurz eine blutverkrustete Platzwunde an ihrer Stirn und das verschmierte Make-up. „Wer hat das getan? Jetzt red doch schon.“ Nadine reagiert nicht. Mit den Händen vorm Gesicht wimmert sie weiter. Dominik nimmt sie in die Arme. Er kommt sich dabei komisch vor, aber sie tut ihm leid. Sie sieht schlimm zugerichtet aus. Auch die Hände und Arme sind voller Kratzer, einige der langen, aufgeklebten Fingernägel sind abgebrochen. Er drückt sie fester an sich und tätschelt ihren Rücken. „Schwesterherz, ich will dir ja helfen. Wir müssen deine Wunden desinfizieren.“ Nadine hat jede Körperspannung verloren und ist voll in seine Arme gesunken. Ihr Kopf liegt schwer auf seiner Schulter. Ihr Oberkörper zuckt von den wiederkehrenden Schluchzern „Nadine, ich hol jetzt den Verbandskasten. Kann ich dich kurz alleine lassen?“ 6 Sie richtet sich auf und nickt. Das Schluchzen kommt nun in längeren Abständen und erinnert ihn an einen Schluckauf. Dominik beginnt bei den Händen. Er sprüht den Desinfektionsspray auf die roten Kratzer. „Jetzt kommt das Gesicht dran.“ Nadine hebt den Kopf und sagt: „Zuerst muss das Makeup runter.“ „Wie soll ich das machen?“ „Hol meine Abschminktücher aus dem Badezimmer, im Glasschrank links unten.“ Dominik bemüht sich, die Kratzer und kleinen Wunden im Gesicht nicht mit den Abschminktüchern zu berühren. Es gelingt ihm ganz gut. „Jetzt erzählst du mir aber, was passiert ist.“ Nadine schüttelt den Kopf. „Nur ein paar Sätze, damit ich Bescheid weiß.“ Sie beginnt wieder zu weinen. Erneut nimmt sie Dominik in seine Arme und streichelt über ihr verklebtes Haar. Innerlich bebt er. Sie soll sich nicht so anstellen und endlich erzählen, was geschehen ist. „Meine kleine Schwester. Schütte dein Herz aus. Das wird dir guttun.“ Zu seinem Erstaunen wirkt das. Nadine setzt sich auf, fährt sich mit den Fingern unter die Nase und zieht den Rotz unüberhörbar hoch. „Sophie und ich sind noch kurz aufs WC am Praterstern. Da sind drei dunkelhäutige Männer hereingestürmt. Die haben wie 7 Gleichaltrige ausgesehen. Sie sind sofort auf mich los und haben mich zu Boden gerissen. Ich war so überrascht und schockiert. Wie gelähmt.“ Sie schluchzt und ein neuerlicher Weinkrampf schüttelt sie. „Diese Schweine. Hat dir Sophie nicht geholfen?“ „Die ist noch in der Kabine gesessen und hat sich vor Angst nicht gerührt.“ „Schöne Freundin. Na ja, kann man schon verstehen, dass sie Angst gehabt hat. Was ist weiter passiert?“ „Einer hat mir das Kleid hochgestreift und wollte mich vergewaltigen. Er hat meinen Slip zerrissen und ich habe schon gespürt, dass er bei mir herummacht.“ Ihr Schluchzen wird wieder so stark, dass sie nicht weiterreden kann. Dominik lässt ihr etwas Zeit. „Hast du nicht geschrien?“ „Einer hat mir den Mund zugehalten und wenn ich nur einen Mucks gemacht habe, an den Haaren gerissen und ins Gesicht geschlagen.“ „Wenn ich die in die Finger kriege, diese elenden Arschlöcher.“ „Zum Glück wollte dann eine Frau aufs WC. Sie hat sofort um Hilfe gerufen. Ganz laut. Da sind die drei weggerannt. Dabei haben sie die Frau umgeworfen. Wir sind dann auch aus dem WC raus. Die Frau und zwei Männer haben gefragt, ob sie uns helfen können.“ „Hat niemand die Polizei gerufen?“ „Ja, doch. Die Frau. Aber ich wollte nur weg und bin davongerannt. Wir sind dann in ein Taxi.“ 8 „Scheiße. Wir müssen zur Polizei. Am besten jetzt gleich.“ „Ich kann nicht, Dominik. Ich will das Ganze vergessen.“ „Aber diese Tiere müssen doch bestraft werden.“ Nadine wirft sich bäuchlings aufs Bett und heult in den Polster. Dominik legt seine Hand auf ihren Rücken und wartet einige Sekunden. „Ok, Nadine. Das macht heute keinen Sinn mehr, oder?“ „Lass mich jetzt endlich allein“, schluchzt sie, das Gesicht noch immer in den Polster gedrückt. Dominik liegt wieder auf seinem Bett und starrt in die Dunkelheit. Wie kann man diese Schweine zu fassen kriegen? Die Polizei wird sie nicht finden, das ist so gut wie sicher. Und Sophie, dieses feige Stück, wird auch nichts zur Ergreifung dieses Packs beitragen können. Wie auch? Sie hat ja keinen von denen zu sehen bekommen. In den letzten Wochen haben sich Berichte über Vergewaltigungen und sexuelle Übergriffe durch Flüchtlinge stark gehäuft, auch in der Umgebung des Pratersterns. Dominik hat sich sehr darüber geärgert, dass in den Berichten am Schluss immer auf die gute Statistik verwiesen worden ist. Vor allem, dass der Anteil von angezeigten Straftaten durch Migranten im Verhältnis zu ihrem Bevölkerungsanteil eher gesunken sei. So nach dem Motto, das wären halt bedauerliche Einzelfälle. Im Großen und Ganzen liefe es aber gut. Eine Riesensauerei ist das, denkt Dominik. Zwei seiner Freunde, Norbert und Siegi, sind ziemlich rechts eingestellt. Die schimpfen ständig über die Asylwerber, ganz 9 generell. Und sie stänkern sie auch an oder geben ihnen mal einen Schubs. Er hat da nie mitgemacht. Jetzt würde er es gerne nachholen. Der Klingelton des Handys weckt ihn. Er schaut aufs Display. Es ist Laura. Die kann er nicht wegdrücken, obwohl es erst kurz nach acht ist. „Hi.“ „Guten Morgen. Hab ich dich aufgeweckt?“ „Ja, schon. Aber macht nichts.“ „Ich wollte dir nur sagen, dass ich um neun doch nicht kann.“ Erst jetzt erinnert sich Dominik an ihre Vereinbarung. Sie wollten sich um neun zum Frühstück im M-Café, das im Juridicum seine Heimat hat, treffen. „Das trifft sich gut. Ich kann nämlich auch nicht.“ „Was ist los?“ „Nadine ist heute Nacht fast vergewaltigt worden.“ „Oh mein Gott. Das ist ja furchtbar. Kann ich etwas für euch tun?“ „Nein, im Moment nicht. Wir müssen erst zur Polizei.“ „Hat man die Täter gefasst?“ „Nein, es waren Ausländer, ziemlich jung noch. Vermutlich Asylwerber.“ „Scheiße. Jetzt wird es wieder losgehen mit der Hetze.“ 10 Dominik ist total verknallt in Laura, so verknallt, dass er nichts darauf sagt. Einen Stich in der Magengrube spürt er schon. „Mir ist das Wohl von Nadine wichtiger.“ „Natürlich. Klar. Selbstverständlich. Lass sie ganz herzlich grüßen von mir.“ „Hast du am Abend Zeit?“ „Ja, glaub schon. Rufen wir uns am Nachmittag zusammen. Ok?“ Dominik bleibt noch einige Minuten im Bett. Er schließt die Augen und sieht Laura vor sich. Was für eine Frau. Sie strahlt Unbekümmertheit und Lebensfreude aus. Ihr Gesicht ist ungewöhnlich. Oval, ungewöhnlich breit im Wangen- und Mundbereich. Anders hätte der große Mund auch nicht genug Platz. Die Oberlippe kulminiert in einem anmutigen Schwung in der Mitte, die Mundwinkel zeigen immer nach oben. Gar nicht, weil sie immer lächelt, nein, ihr Mund ist einfach so geformt. Sie wirkt glücklich und sagt ihrem Gegenüber ohne Worte: komm, hab Teil an meinem Glück. Ihr Haar ist dunkelblond und fällt in natürlichen Wellen bis über die Schultern. Dominik hat bisher sehr schlanke, fast schon androgyne Frauen bevorzugt. Dennoch hat ihn Lauras pure Weiblichkeit sofort verzaubert. Über allem steht aber ihre positive Ausstrahlung. Dominik hat vor kurzem zu ihr gesagt, sie sei sein Glücksbringer. Und er hat das wortwörtlich gemeint. Sie sind sich im M-Café über den Weg gelaufen. Besser gesagt, Dominik ist in sie hineingelaufen und Laura hat 11 dadurch ihren Kaffee verschüttet. Zum Glück nicht auf ihr Kleid. Oops, hat sie gesagt und nach einer Schrecksekunde Dominik angelächelt. Angelächelt! Nachdem er sie gestoßen hat und die Hälfte ihres Kaffees am Boden gelandet war. Dominik hat ihr einen neuen Kaffee geholt und sich unsterblich verliebt. An ihrem ungewöhnlichen Gesicht kann er sich auch heute, also gut zwei Wochen später, immer noch nicht satt sehen. Nadine schläft bis zehn. Sie verschwindet im Badezimmer und steht ewig unter der Dusche. So kommt es zumindest Dominik vor. Er hat beschlossen, heute nicht auf die Uni zu gehen. Nadine muss zur Polizei. Die kleine Chance, die Täter vielleicht doch zu fassen, müssen sie nutzen. Als Nadine endlich zu duschen aufgehört hat, presst er für sie Orangen aus und schäumt die Milch für den Cappuccino auf. Es bedarf noch einiger Überredungskunst, um Nadine auf seine Vespa zu bringen. Sie benötigen keine fünf Minuten zur Polizeidirektion in der Juchgasse. Dominik hat sie bereits angekündigt. Die zuständige Beamtin nimmt Nadine in Empfang. Da Dominik nicht mit hineindarf, geht er vor die Tür und beobachtet die vorbeigehenden Frauen mit Kopftuch und ihre männlichen Begleiter oder Kinder mit Argwohn. Über die aufkommenden Hassgefühle erschrickt er, da er sie zum ersten Mal in dieser Form erlebt. Bisher war er eher neutral eingestellt. In den Diskussionen mit seinen Freunden hat er für Vernunft plädiert. Man müsse alles tun, um die Flüchtlinge gut zu integrieren. Norbert hat dann meist gesagt, er solle zum 12 Reumannplatz fahren und dort herumgehen. Da würde er schnell in die Realität zurückgeholt. Die Muslime seien nicht integrierbar. Basta. Wenn er Norbert und Siegi nicht schon seit der Volksschule kennen würde, hätte er den Kontakt längst abgebrochen. Sie treffen sich regelmäßig zum Joggen oder zum Mountainbiken. Das ist auch okay. Aber diskutieren kann man mit ihnen nicht. Oh Gott, er darf ihnen nichts von dem Überfall erzählen. Die flippen aus und drängen ihn sicher, Rache zu nehmen. Laura hat er nichts von Norbert und Siegi erzählt und das wird auch so bleiben. Er hat ganz allgemein von Sportsfreunden gesprochen. „Ich hab einen erkannt.“ Nadine hat verweinte Augen, als sie ins Freie tritt, aber auch ein wenig Genugtuung zeigt sich in ihrem Gesicht. „Super, Nadine. Komm, gehen wir in das Segafredo gleich ums Eck.“ Er bestellt einen Latte macchiato für Nadine und für sich einen Verlängerten, schwarz. „Wie hast du ihn erkannt? Ist er in der Verbrecherkartei?“ „Ja, sie haben mir Fotos gezeigt. Der, der mich vergewaltigen wollte, hat eine deutliche Narbe vom rechten Mundwinkel fast bis zum Ohr. So war es nicht schwer.“ „Und die beiden anderen?“ „Nein, an die kann ich mich kaum erinnern.“ „Verhaftet die Polizei jetzt dieses Narbenschwein?“ 13 „Sie haben gesagt, dass es ein afghanischer Flüchtling wäre und seine Wohnadresse bekannt sei.“ Dominik ballt die Fäuste und drückt die angespannten Unterarme schnell und kurz nach unten. Aus seinem fast geschlossenen Mund kommt ein abgehacktes „Ja, ja, ja“. „Und wie geht’s mit dir weiter?“ „Keine Ahnung. Sie haben mir psychologische Betreuung angeboten, aber ich habe abgelehnt. Sicher nicht von der Polizei.“ „Was ist eigentlich mit Sophie? Warum ist sie nicht gekommen?“ „Sie will nicht. Sie hat ja auch nichts gesehen. Aber ich habe der Polizistin von ihr erzählen müssen. Die haben nämlich schon gewusst, dass wir zu zweit am WC waren.“ „Das wird ihnen die Frau gesagt haben, die dich gerettet hat.“ „Glaube ich auch.“ Nadine hat ihren Latte macchiato ausgetrunken und schaut ins Leere. „Ich hab schon sehr große Angst, jetzt.“ „Kann ich gut verstehen, du Arme. Dieses Asylantenpack gehört weg.“ „Dominik!“ „Erzähl mir nicht, dass du nicht auch eine Stinkwut hast.“ Nadine schaut weg. „Natürlich bin ich wütend, aber du musst nicht so verallgemeinern.“ 14 „Kann sein. Aber wie willst du dieses miese Pack von den angeblich so Lammfrommen unterscheiden? Bevor etwas passiert ist.“ „Keine Ahnung. Ich werde weniger ausgehen und wenn, dann mit dem Taxi fahren.“ Dominik will sagen, dass damit die Muslime genau das erreichen, was sie wollen. Die Frauen sollen sich in der Öffentlichkeit nicht aufreizend anziehen und am besten gleich zu Hause bleiben. Er presst die Lippen aufeinander und verzieht den Mund. „Hast du’s schon Mutter gesagt?“ „Nein, wie auch. Gestern hat sie schon geschlafen und heute Morgen war sie schon wieder weg.“ „Vielleicht ist es auch besser, wenn sie’s gar nicht erfährt.“ „Sie macht mir sicher Vorwürfe, warum ich mich nach Mitternacht am Praterstern herumtreibe und dann noch auf die öffentliche Toilette gehe.“ „Und Vater?“ „Der kann eh nichts tun. Er kommt erst in drei Monaten für ein paar Tage aus Dubai zurück.“ „Aber vielleicht nimmt er den nächsten Flug, wenn er erfährt, was passiert ist.“ „Kann schon sein, aber was bringt das?“ „Scheiße, Scheiße, Scheiße. Wie konnte das nur passieren? Nadine, du musst dir Hilfe holen.“ „Hör auf, ich brauch nur ein wenig Zeit.“ „Gehst du morgen wieder in die Schule?“ 15 „Auf keinen Fall. Ich kann den anderen nicht in die Augen sehen. Und Sophie schon gar nicht. Die wird übrigens total sauer auf mich sein, weil ich sie verraten habe.“ Es tritt eine kurze Pause ein, in der beide vor sich hinstarren. Dominik trommelt mit den Fingern auf den Tisch und ruft: „Zahlen!“. „Kannst du mir bitte eine Entschuldigung schreiben? Du kannst doch die Unterschrift von Mutter so gut nachmachen.“ Dominik lacht: „Na, okay. Aber nur für drei Tage. Wenn’s dir dann nicht besser geht, suchen wir einen Therapeuten für dich.“ 16
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