DIE WELT - Die Onleihe

MONTAG, 11. JULI 2016
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Zippert zappt
THEMEN
SPORT
Sportvorstand
Sammer verlässt
den FC Bayern
Seite 24
POLITIK
Nach den Schüssen
von Dallas sucht
die Nation Trost
Leitartikel Seite 3, Seite 7
FINANZEN
Hausbesitzer fühlen
sich reicher, als sie sind
Seite 13
WISSEN
Wie Forscher Organe
im Labor züchten
Nr. 160
KOMMENTAR
W
Signal des
Bündnisses
CHRISTOPH B. SCHILTZ
„Lasst es
krachen!“
Polizisten in Kampfmontur stehen in Berlin-Friedrichshain
vor einem besetzten Haus. Ein
lauer Sommerabend endet in
Gewalt: Nach einer Demonstration kommt es zu schweren
Krawallen. Menschen werden
verletzt, Autos gehen in Flammen auf. Nach Polizeiangaben
war es die aggressivste Demo
der vergangenen fünf Jahre. Ursprünglich ging es der linksextremen Szene um ein besetztes
Haus in der Rigaer Straße, doch
der Mythos des Widerstands
gegen Gentrifizierung und „Luxussanierung“ ist längst zerplatzt. Unser Autor hat sich in
der Kampfzone der Autonomen
Seite 4
umgeschaut.
DPA/MAURIZIO GAMBARINI; REUTERS/CARLO ALLEGRI
ährend unsere Köpfe
durch den verwirrenden Fußball von
Jogis Goldener Generation
benebelt waren, hat man in
Berlin ein Gesetz nach dem
anderen beschlossen. Worum es
im Einzelnen ging, werden wir
wie üblich erst später begreifen.
Eine Kriegsbeteiligung ist anscheinend nicht dabei, obwohl
in Osteuropa allerhand Gerät
versammelt werden soll, von
dem man aber nicht weiß, ob es
überhaupt funktioniert. Auch
ein Dexit steht nicht auf der
Tagesordnung, die Regierung
will nur ein Kontrollgremium
einsetzen, damit Deutschland
nicht als letztes Land aus der
EU austritt, sondern vielleicht
als vorletztes. Das Gesetz zum
Schutz deutschen Kulturgutes
gegen Abwanderung ist aber
beschlossene Sache und sorgt
dafür, dass deutsche Kulturgüter
hierbleiben müssen und nicht
einfach auswandern dürfen. Es
soll nie wieder vorkommen,
dass Kulturgüter wie Boris Becker, das Bernsteinzimmer,
Thomas Gottschalk oder Michael Schumacher ins Ausland abwandern. Unerwünschte Kulturgüter wie der Hauptstadtflughafen oder Stuttgart 21 dürfen
aber in sichere Drittstaaten
abgeschoben werden.
B
Nato betont Stärke und Dialog,
Moskau sieht „Dämonisierung“
Kreml kritisiert Beschlüsse zur Truppenverlegung nach Osteuropa scharf. Leiter des Petersburger
Dialogs sieht Gefahr einer Eskalation. Hoffen auf Entspannung beim Nato-Russland-Rat am Mittwoch
N
ach dem Nato-Gipfel in
Warschau gehen Russland
und der Westen mit Skepsis
und Sorge in eine entscheidende Woche. Am Mittwoch trifft sich der Nato-Russland-Rat
zum zweiten Mal seit Beginn der UkraineKrise vor zweieinhalb Jahren, am Donnerstag und Freitag tagt der Petersburger
Dialog in der gleichnamigen russischen
Stadt. Die Situation sei nicht einfach, sagte Ronald Pofalla (CDU), Leiter des Petersburger Dialogs, der „Welt“. „Die Nato
reagiert auf Russland. Hierauf wird Putin
wieder reagieren. Wir laufen also Gefahr,
in eine Eskalationsspirale zu geraten“,
warnte der Ex-Kanzleramtsminister. Das
Forum war vor 15 Jahren zur Verständigung zwischen den Zivilgesellschaften
Deutschlands und Russlands ins Leben
gerufen worden.
Pofalla betonte, dass der Petersburger
Dialog gerade in dieser Lage ein wichtiger
Gesprächskanal sei, „derzeit der einzige
offizielle Dialogkanal“. Er erwarte aber
auch von Moskau, dass das Schießen in
der Ostukraine endlich aufhöre und es die
prorussischen Separatisten „an die Leine“
nehme: „Russland hat den Einfluss, eine
Waffenruhe herbeizuführen. Wir hoffen,
dass Russland diesen Einfluss ausübt.“
Auf ihrem Gipfel in Warschau hatten
die Staats- und Regierungschefs der 28
Nato-Mitgliedstaaten die Verlegung von
4000 Soldaten nach Polen und ins Balti-
kum beschlossen. Die Nachbarländer
Russlands fühlen sich seit der Annexion
der Krim durch Russland bedroht. Auf der
anderen Seite hat Moskau die jüngsten
Nato-Beschlüsse scharf kritisiert. „Die Allianz konzentriert ihre Kräfte darauf, eine
nicht existierende Gefahr aus dem Osten
einzudämmen“, erklärte das Außenministerium. Es hielt der Nato eine „Dämonisierung“ Russlands vor.
Die schärfste Reaktion kam von Friedensnobelpreisträger Michail Gorbatschow. „Die Nato hat angefangen, sich
auf den Übergang vom Kalten Krieg zu einem heißen Krieg vorzubereiten. Sie reden nur über Verteidigung und bereiten
sich faktisch auf eine Offensive vor.“ Der
letzte Staatschef der Sowjetunion, der die
Krim-Annexion unterstützte und den
Westen für seine Sanktionen kritisierte,
warf nun der Nato vor, Russland mit den
Beschlüssen von Warschau zu einer harten Antwort zu provozieren.
Vonseiten der deutschen Regierungsparteien werden die Entscheidungen in
Warschau dennoch durchweg gelobt. Der
Nato-Gipfel sei einer der wichtigsten in
den vergangenen Jahrzehnten gewesen,
Scharmützel zwischen
Moskau und Washington
Moskau hat am Wochenende zwei
US-Diplomaten des Landes verwiesen und reagierte damit auf
eine Aktion Washingtons im Juni.
Die USA hatten nach der Attacke
auf einen Amerikaner in Moskau
zwei russische Diplomaten ausgewiesen. Der akkreditierte USDiplomat in Moskau war nach
Angaben des State Departments
am Eingang des US-Botschaftsgeländes von einem russischen
Polizisten attackiert worden, obwohl er sich ausgewiesen hatte.
sagte Norbert Röttgen (CDU), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des
Bundestags, der „Welt“. Er sei eine Demonstration der Einheit des Westens in
Taten und setze fort, was die Erfolgsgeschichte der Nato begründet habe: „Die
Entschlossenheit, zur kollektiven Verteidigung in der Lage und bereit zu sein, mit
einem glaubwürdigen Angebot zum politischen Dialog zu verbinden.“
Auch Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier, der kürzlich vor einem
„Säbelrasseln“ der Nato gewarnt hatte,
unterstützte die Warschauer Beschlüsse.
„Ich denke, es ist gelungen, aus Warschau
die richtigen Signale zu senden. Rückversicherung an unsere östlichen Partner
und Verteidigungsbereitschaft, aber nur
zusammen mit Dialog und echter Gesprächsbereitschaft“, sagte der SPD-Politiker. Gleichzeitig betonte er die Bedeutung der Gespräche im Nato-RusslandRat: „Das ist eine Chance, in aller Transparenz die Entscheidungen von Warschau
zu erläutern und dann auch wieder einen
ernsthaften und kontinuierlichen Dialog
mit Russland hinzubekommen.“
Siehe Kommentar und Seite 6
K
ein Thema ist sicher vor Sigmar Gabriel. Jetzt hat der
SPD-Chef die Nato zu einer
Abrüstungsinitiative
aufgefordert.
Das Gegenteil ist richtig: Moskau ist
eine ernsthafte militärische Bedrohung. Mit Floskeln aus dem Soziologieseminar über den Wert des Dialogs kommt man da nicht weit. Natürlich müssen die Nato und Russland miteinander reden, sofern beide
Seiten ernsthaft gemeinsame Themen verfolgen – was derzeit nicht der
Fall ist. Das Bündnis hat in Warschau
das einzig Richtige beschlossen:
mehr Aufrüstung und mehr Abschreckung.
Die Stationierung von vier Kampfbataillonen in der Nähe der russischen Grenze und die Gründung einer Schnellen Eingreiftruppe für Krisenfälle sind eine angemessene defensive Antwort auf die Aggressivität
Russlands. Im Ernstfall könnte die
Nato freilich eine Invasion im Baltikum nicht verhindern. Aber sie würde die Kosten für einen Angriff in die
Höhe treiben. Genauso funktioniert
Abschreckung. Damit sie aber glaubhaft ist, müssen Logistik und Ausrüstung stimmen. Dafür sind hohe Milliardeninvestitionen notwendig. Auf
Deutschland wird eine erhebliche finanzielle Belastung zukommen.
Die teuren Beschlüsse von Warschau können aber nur eine Etappe
sein auf einem langen Weg. Russlands Präsident Putin ist dem Westen
immer einen Schritt voraus. Jetzt
sollte das Bündnis rasch entscheiden,
wie man auf die russische Präsenz in
der Schwarzmeerregion reagieren
will. Zudem hat es Putin geschafft,
das strategische Gleichgewicht im
Nahen Osten zu verändern: Moskau
ist dort zu einem wichtigen Spieler
geworden. Die Allianz hat darauf bisher keine Antwort gefunden.
Der Nato-Gipfel hätte auch erste
Hinweise liefern müssen auf die Frage, welche Rolle das Bündnis in dieser turbulenten Krisenregion spielen
will. Welche Strategie verfolgt die Allianz im Irak, mit wem will man dort
reden? Die geplante Ausbildung von
ein paar Hundert Soldaten ist Augenwischerei. Und was kann die Nato
tun, um Tunesien und Jordanien, die
beide vom IS bedroht sind, zu unterstützen? Es hilft nichts, diese Fragen
zu verdrängen, nur weil dabei ein tiefer Riss durch das Bündnis geht.
Die Nato ist mit einer Polykrise
konfrontiert. Die synchronen Bedrohungen an ganz verschiedenen Fronten sind neu, sehr unterschiedlich,
und die Interessengeflechte sind
kompliziert. Die Verantwortung, die
auf dem Bündnis lastet, ist immens.
Es reicht aber nicht, sich im Süden
auf regionale Akteure zu verlassen.
Wer Verantwortung trägt, muss sie
auch ausüben.
[email protected]
Seite 19
7548 Musiker, ein Orchester
EM 2016
Was vom Turnier bleibt
Klassik statt Fangesänge: Die Frankfurter Fußball-Arena ist zur Bühne für ein riesiges Musik-Ensemble geworden
Seiten 21 bis 23
LOTTO: 1 – 34 – 37 – 40 – 44 – 49
Superzahl: 7
Spiel77: 3 2 2 3 8 8 5
Super6: 1 6 7 5 9 3
ohne Gewähr
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„Börse am Mittag“ und
„Börse am Abend“
mit Dietmar Deffner
Um 12.45 und 18.15 Uhr
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D
iesmal ist es kein EM-Jubel, der vom Public Viewing aus der
Commerzbank-Arena dringt. Eher ein polyfones Blasen und
Streichen, Trommeln und Flöten. Draußen schaut ein Junge
im Fußballtrikot verwundert auf. Drinnen versucht Michael Reiss,
sein Tenorhorn zu stimmen. Neben ihm ertönen Tubas, Posaunen
und Fagotte. Der Darmstädter sitzt in der Bläsersektion eines riesigen Orchesters. Unmöglich, hier akkurat zu stimmen. Reiss zuckt mit
den Schultern und entscheidet: „Ein Laie wird es nicht hören.“
7548 Musiker sind nach Frankfurt gekommen. Als nach Veranstalterangaben größtes Orchester der Welt wollen sie mit der Aktion
„Wir füllen das Stadion“ ins „Guinnessbuch der Rekorde“ kommen.
Beim Rekordhalter, einem 2013 im australischen Brisbane aufgetretenen Orchester, wurden 7224 Musiker gezählt. Bei der Generalprobe
am Vormittag sind viele der auf dem Fußballfeld aufgestellten Plastikstühle schon besetzt. Jens Illemann, der das Spektakel initiiert hat,
läuft von den Tontechnikern zur Bühne und wieder zurück und klärt
die letzten Fragen. Der Trompeter aus Hamburg hatte die Idee, das
weltgrößte Orchester zusammenzustellen. Dabei ging es Illemann gar
nicht nur um den Rekord: „Wir wollen ein Zeichen setzen, wie sehr
Musik verbinden kann und wie wichtig sie für Deutschland ist.“ Und
Spaß mache es eben auch, mit so vielen Menschen zu musizieren.
Illemann hatte Glück, in Stadionchef Patrik Meyer einen großen
Musikfan zu treffen. Lange war der Rekordversuch in Hamburg geplant, dann sagte ihm der dortige Veranstalter ab. Meyer dagegen, der
selbst Schlagzeug spielt, sei sofort von der Idee begeistert gewesen.
Voraussetzung für den Weltrekord ist den Regeln zufolge, dass alle
Orchesterinstrumente mit einer Mindestanzahl vertreten sind. Vorne
auf der Bühne steht Wolf Kerschek, Dirigent und Komponist aus
Hamburg, der die schwierige Aufgabe hat, das Riesenorchester zusammenzuhalten. Vier Stücke, Auszüge aus Sinfonien von Dvorák
und Beethoven, einen Song aus dem Musical „Starlight Express“ und
die Hymne „Music was my first love“, spielt das Orchester. „Solche
Klassiker helfen den Musikern, einander zu finden“, sagt Jens Troester, der bei dem „Pop Meets Classic“-Konzert im Anschluss an den
Rekordversuch die Neue Philharmonie Frankfurt dirigiert. Eine der
Herausforderungen sei es, auf weitem Raum mit vielen Instrumenten
einen gemeinsamen Klang zu erreichen. Die Noten haben die Musiker
vorher zum Üben zugeschickt bekommen. Sie wurden neu arrangiert,
damit sie jeder Teilnehmer spielen kann.
Als die ersten Takte von Beethovens „Ode an die Freude“ erklingen, wird es auf einmal ganz ruhig, nur die zarte Melodie der
Streicher erfüllt das Stadion. Dann schwillt die Musik an, die Bläser
setzen ein, die Becken knallen, der Dirigent lächelt. Nach der Zugabe,
natürlich fordert das Publikum eine, beginnt der informelle Teil des
Abends, den die Musiker mit spontanen Orchesterstücken einleiten.
Erst später, als die Party längst im Gang ist, erfahren sie, dass der
Rekord gelungen ist: 7548 Menschen haben im Stadion gemeinsam
musiziert und wollten gar nicht mehr aufhören.
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MLT 3,20 & / NL 3,40 & / P 3,40 & (Cont.) / PL 15 PLN / SK 3,40 €
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DW-2016-07-11-zgb-ekz- 653953d9791b9214128dbf52ea74e96a
ISSN 0173-8437
160-28
ZKZ 7109