UNtErwEgs - Deutsches Archäologisches Institut

TWG
Archäologie Weltweit – Vierter Jahrgang – Berlin, im Juli 2016 – DAI
archäologie weltweit
1 • 2016
Wenn wir unser
kulturelles Erbe erhalten
wollen, brauchen wir
Ihre Unterstützung.
1 • 2016
Magazin des Deutschen Archäologischen Instituts
Wie Sie uns helfen
können, sehen Sie hier:
w w w. t w g e s . d e
Gesellschaft der Freunde des Deutschen Archäologischen Instituts
Meisterklasse am See Genezareth. Jordanische und syrische Handwerker
lernen für die Zukunft ihrer Länder. Foto: Bührig, DAI
Theodor Wiegand Gesellschaft e. V.
Wissenschaftszentrum Bonn
Ahrstraße 45, 53175 Bonn
Nadja Kajan
In der Nähe des Sees Genezareth im Norden Jordaniens liegen die Ruinen der antiken Stadt
Tel.: +49 228 30 20
Gadara. Die hellenistisch-römische Stätte – heute heißt der Ort Umm Qays – ist Schauplatz eines
Fax: +49 228 30 22 70
außergewöhnlichen Workshops. Auf dem Programm steht Unterricht in traditioneller Steinbear-
[email protected]
beitung, einem Handwerk, das in der Region fast in Vergessenheit geraten war. Praxisnah und
anschaulich vermitteln Meister André Gravert und Geselle Tobias Horn, Steinmetze und Restau-
Deutsche Bank AG, Essen
ratoren im Handwerk, einem gemischten Team von Jordaniern und Syrern Grundzüge traditioneller Steinbearbeitung.
IBAN DE20 3607 0050 0247 1944 00
Ziel ist einerseits Capacity Building für die Bevölkerung vor Ort. Zum anderen sollen aber auch
BIC DEUTDEDEXXX
die syrischen Kursteilnehmer in die Lage versetzt werden, die neu erworbenen Fähigkeiten beim
oder
Bonner Sparkasse, Bonn
IBAN DE88 3705 0198 0029 0058 08
Wiederaufbau ihres Landes einzusetzen.
Die Idee zu dieser Weiterbildungsmaßnahme, die auch vom Auswärtigen Amt unterstützt wird,
hatte die DAI-Bauforscherin Dr. Claudia Bührig, die auch das Konzept entwickelte.
BIC COLSDE33XXX
Ihre Spenden sind
steuerbegünstigt.
titelThema
Titelthema unterwegs
Theodor Wiegand Gesellschaft
Unterwegs
Wege und Wanderungen in der Antike
Vielen Dank!
www.dainst.org
fokus
C u lt u r a l H e r i ta g e
pa n o r a m a
Archaeological Heritage Network
Ein Netzwerk für den Erhalt
des kulturellen Erbes
Archäologie als Teil
der Gegenwart
Kulturerhalt in Ägypten
40.000 Jahre Musik …
Nachbau antiker Instrumente
Arc häo lo gi e w e lt w e it
Orte und Regionen in dieser Ausgabe
Ägypten. Cultural Heritage, Landschaft, Seite 18, 28
Llanos de Mojos. Bolivien. Landschaft, Seite 28
Wuqro. Äthiopien. Das Objekt, Seite 38
Samos. Griechenland. Titelthema, Seite 56
Umm al-Houl. Katar. Titelthema, Seite 58
Ostseeküste. Deutschland, Polen. Titelthema, Seite 58
Malaita. Salomonen. Titelthema, Seite 65
Wanderungen und Migrationsströme
vom Fruchtbaren Halbmond bis Mitteleuropa und
innerhalb Europas. Titelthema, ab Seite 40
Teheran. Iran. Standort, Seite 82
das titelbild
Um 3000 v. Chr. ging im Südpazifik eine Art Völkerwanderung vonstatten. In 20 Meter langen Großkanus kamen Menschen über den Ozean und besiedelten nach und nach die pazifische Inselwelt. Vom BismarckArchipel in Papua-Neuguinea aus stießen die Lapita-Leute, benannt
nach einer Fundstelle auf der Foué-Halbinsel in Neukaledonien, bis
zu den Salomonen und Vanuatu vor. Später breitete sich die LapitaKultur nach Fidschi, Tonga und schließlich Samoa aus. Doch woher
kamen sie? Kamen sie aus Südchina, Taiwan, von den Philippinen
oder gar aus Indonesien? Oder doch aus dem Bismarck-Archipel,
wo die ältesten Spuren dieser Kultur gefunden wurden?
Wanderungen sind ein Dauerphänomen der Menschheitsgeschichte. Einige ihrer Wege und Ziele werden im DAI erforscht. Sie sind
diesmal unser Titelthema.
Boote vor Malaita. Foto: Moser
Die Ruinen von Persepolis wurden seit dem frühen 19. Jahrhundert
archäologisch dokumentiert. Friedrich Krefters Fotografien, Aquarelle
und Zeichnungen aus den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts besitzen
hohen dokumentarischen Wert.
Foto: Krefter
Editorial
editorial
Liebe Leserin, lieber Leser,
Prof. Dr. Dr. h. c. Friederike Fless
Präsidentin des Deutschen
Archäologischen Instituts
Foto: Kuckertz
wenn die Welt in Bewegung gerät und
alte Rituale der Selbstvergewisserung auf
dem Prüfstand stehen, kann es mitunter
schwierig sein, die Anker zu identifizieren, die noch ein Minimum an Sicherheit
bieten, sei es im Denken oder im Handeln.
Solche Anker in der Vergangenheit zu suchen, wird vielfach zu recht kritisiert – es
sei denn, wir reden von einer Vergangenheit, die uns eines Besseren belehren kann,
wenn es darum geht, in scheinbar ausweglosen Situationen Lösungen zu finden.
Der integrierte Blick in die Geschichte, wie
er in der modernen Archäologie gängige
Praxis ist, zeigt nämlich, dass Welten in
Bewegung ein ziemlich normales Phänomen sind und dass auch die Welt, in der
wir heute leben, das Ergebnis vieler sich
überschneidender Bewegungen ist.
Man kann gerade heute nicht genug darauf hinweisen, dass die Lebensweise, die
wir die unsere nennen, die wir für selbstverständlich nehmen und aus der wir
Selbstvergewisserung ziehen, auch nur im
Zuge einer Bewegung zu uns gekommen
ist. Die Vorstellung allein autochthoner
Kulturen, die getrennt voneinander je aus
sich selbst heraus entstanden, wird zwar in
der Forschung als alleiniges Modell für die
Entwicklung von Kulturen nicht mehr vertreten, scheint aber in Momenten der Unsicherheit – falsch begründeten – Rückhalt
zu bieten. Und Vorstellungen von „Aufstiegen“ und „Niedergängen“ unterschätzen
die Komplexität der Bewegungen, die nie
aufhören, unsere gemeinsame Welt zu
formen und zu verändern und mit ihr die
Menschen, die darin leben.
Auch die Archäologie ist in Bewegung.
Längst hat sie den Blick erweitert und
schaut nicht mehr „nur“ auf Objekte und
Denkmäler, sondern auch auf die Menschen, die sie schufen. Sie folgt den komplexen Wegen, die Menschen und ihr
Wissen in Raum und Zeit gingen, um so
die Vergangenheit mit der Gegenwart zu
verbinden.
Die Welt in Bewegung ist auch das Titelthema dieser Ausgabe von Archäologie
Weltweit. Nach neolithischen Reisen geht
es weiter zu griechischen internationalen
Heiligtümern, ins Imperium Romanum
kurz vor seiner Transformation in das Mittelalter, zu Häfen auf verschiedenen Kontinenten bis schließlich in den weit entfernten Südpazifik. Wie man durch Gründung
eines „Archaeological Heritage Network“
aktuelle Bewegungen zum Anlass nehmen kann, sich auf gemeinsame Ursprünge zu besinnen und zusammenzuarbeiten,
zeigt unser „Fokus“, und das „Panorama“
berichtet, welches menschliche Bedürfnis
seit 40.000 Jahren eine wesentliche Rolle
in unser aller Leben spielt: Musik.
Viel Vergnügen bei der Lektüre
wünscht Ihnen
Ihre
Prof. Dr. Dr. h. c. Friederike Fless
archäologie weltweit _ 01
inhalt
Fokus
4
Archaeological
Heritage network
12
Ein Netzwerk für den Erhalt des kulturellen Erbes
18
Kulturerhalt in Ägypten
26
28
ströme
38
Unterwegs
Wege und Wanderungen
Alltag Archäologie
40
43
Völkerwanderung? – Eine Klärung der Begriffe
47
Auf dem Weg nach Europa –
Die Ausbreitung des Neolithikums
Iranisches Neolithikum
52
Kompetenznetzwerke –
Wie das Wissen in Bewegung kommt
56
Schmelztiegel –
Die internationalen Vernetzungen bedeutender Heiligtümer
84
58
Tore zur Welt – Häfen an der Ostsee und am Arabischen Golf
65
Seewege – Einwanderung auf die Salomonen
72
Im Porträt
Heinz-Jürgen Beste
Martin Bachmann
Panorama
40.000 Jahre Musik
Das European Music
Archaeology
Project
74
alltag archäologie
Die Kunst im Bild – Fotografinnen und Fotografen am DAI
82
Standort
Archäologie im Iran – Die Außenstelle Teheran
Die Kunst im Bild
Fotografinnen und Fotografen
am DAI
Titelthema
Unterwegs – Wege und Wanderungen in der Antike
in der Antike
74
Das Objekt
Ein sabäisches Heiligtum – Der Libationsaltar in Wuqro
40
Titelthema
Landschaft
Ströme – Die Landschaften von Nil und Amazonas
Die Landschaften von Nil
und Amazonas
Kulturerhalt in Ägypten
Standpunkt
Connecting Cultures
landschaft
Archäologie als
teil der gegenwart
cultural heritage
Archäologie als Teil der Gegenwart
28
cultural heritage
Fokus
Archaeological Heritage Network
Ein Netzwerk für den Erhalt
des kulturellen Erbes
18
Nachrichten
84
Panorama
40.000 Jahre Musik –
Das European Music Archaeology Project
88
02 _ archäologie weltweit
Impressum
archäologie weltweit _ 03
inhalt
12
nachrichten
nachrichten
Volles Haus in der Hauptstadtrepräsentanz der Telekom.
DAI-Präsidentin Fless begrüßt Außenminister Steinmeier zum Jahresempfang.
Jahresempfang des
Deutschen Archäologischen Instituts
mit Bundesaußenminister
Frank-Walter Steinmeier
Start des Projekts »Stunde Null« und
Gründung des Archaeological Heritage Network
Am 27. April 2016 wurde in Anwesenheit von Außenminister
Frank-Walter Steinmeier das Projekt „Stunde Null – Eine Zukunft
für die Zeit nach der Krise“ offiziell gestartet. Es geht auf eine Initiative des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) zurück und
steht auf einer breiten Basis kooperierender Einrichtungen, dem
Archaeological Heritage Network. Ziel des Netzwerks ist die Bündelung der vielfältigen Kompetenzen an Hochschulen, außeruniversitären Forschungseinrichtungen und Museen, in Verbänden
und Einrichtungen der Landesarchäologie und Landesdenkmalpflege, um sie für die konkrete Arbeit im Ausland einsetzbar und
sichtbar zu machen.
werden, die zum Lebensalltag der Menschen gehören. Aus dem
Blick gerät manchmal auch die Frage, wie Syrien nach dem Ende
der Krise als Lebensraum für Menschen wieder aufgebaut werden
kann.
Das Deutsche Archäologische Institut als eine der größten archäologischen Forschungseinrichtungen weltweit initiierte das Projekt
„Stunde Null“, um für diese Herausforderung Kompetenzen zu
bündeln und Synergieeffekte zu schaffen. Die Zusammenarbeit
soll jedoch nicht auf dieses Thema beschränkt werden. Vielmehr
will es künftig weitere Projekte initiieren und ist offen für Erweiterung.
Außenminister Steinmeier betonte in seiner Ansprache „die Projekte, die wir mit der Initiative „Stunde Null“ fördern, sind komplex
und vielschichtig. So vielschichtig und komplex, mag manch einer
sagen, wie die Herausforderungen, die mit dem Wiederaufbau Syriens einhergehen werden!“
Die Zerstörung des kulturellen Erbes in Syrien und im Irak durch
den sogenannten Islamischen Staat schafft übermächtige, eigens
medial inszenierte Bilder beispielsweise von der Sprengung der
Tempel in Palmyra. Dabei gerät mitunter aus dem Blick, dass seit
2011 syrische Städte und große Teile des kulturellen Erbes zerstört
„Wir verfügen in Deutschland über große Kompetenzen auf diesem Feld. Aufgrund föderaler Strukturen sind diese in zentralen
Bereichen jedoch auf die Bundesländer bezogen“, erklärte DAIPräsidentin Friederike Fless. „Andere Einrichtungen haben einen
explizit auf Deutschland bezogenen Auftrag. Diese Kompetenzen
auch für die konkrete Arbeit im Ausland sichtbar und einsetzbar
zu machen, ist ein Ziel des Archaeological Heritage Network. Ein
anderes besteht darin, hiervon wiederum zu lernen und das eigene Handeln in globaler Spiegelung zu reflektieren.“
04 _ archäologie weltweit
Gründungsmitglieder des Archaeological Heritage Network Fotos: Paasch
Die aktuelle Herausforderung
Die Tempel von Palmyra sind bedeutende Stätten des kulturellen
Erbes in Syrien. Doch beim Wiederaufbau Syriens müssen auch
andere Maßnahmen des Kulturerhalts Priorität haben. Höchste
Eile ist geboten, wenn es darum geht, syrische Städte mit ihren
antiken Denkmälern und historischen Stadtkernen zu retten und
zu erhalten. Es kann also nicht allein um die Frage gehen, wie man
die Tempel von Palmyra rekonstruiert, sondern vielmehr darum,
wie man zum Beispiel mit dem bereits 2012 zerstörten Basar von
Aleppo, einem UNESCO-Welterbe, verfahren will. Soll die Altstadt
von Aleppo in ihrer Struktur erhalten und teilweise wieder aufgebaut werden oder will man sie durch eine neu gebaute Stadt
ersetzen?
Syrische Experten werden gemeinsam mit deutschen Kollegen
daran arbeiten, die notwendigen Dokumentationen von Bauten
und stadtplanerischen Bestandsaufnahmen durchzuführen, um
zielführende Planungsprozesse gestalten und schließlich durchführen zu können.
Im Mittelpunkt des Projekts „Stunde Null“ steht daher die Weiterbildung syrischer Architekten, Archäologen, Denkmalpfleger, Bauforscher, Stadtplaner und vor allem Handwerker. Ein großer Teil
der Aus- und Weiterbildung findet in den Nachbarländern Syriens
statt, die Flüchtlinge aufgenommen haben. Für Hochschulabsolventen stehen darüber hinaus Stipendien für Masterstudiengänge in Baudenkmalpflege an der Helwan University in Kairo und
an der German Jordanian University in Amman zur Verfügung. In
Ergänzung dazu werden Flüchtlinge und lokale Kräfte bei Arbeiten zum Erhalt bedeutender Denkmäler im Libanon, in Jordanien
und in der Türkei professionell geschult und zu Fachkräften weitergebildet.
So vereint das Projekt humanitäre Hilfe, indem es Arbeitsplätze schafft und Perspektiven durch Ausbildung eröffnet – nicht
in abstrakten Lehreinheiten, sondern in konkreter Planung und
Anwendung beim Wiederaufbau und damit Erhalt bedeutender
Denkmäler in der Region.
DAI-Präsidentin Fless dankte dem Minister ebenso wie den Mitgliedern des
Deutschen Bundestages für ihr persönliches Engagement und ihre Entscheidungen, die eine Finanzierung und
Umsetzung des Projektes „Stunde Null“
DAI-Präsidentin
Prof. Dr. Dr. h. c.
überhaupt erst möglich machen.
Friederike Fless
Das Netzwerk und das Projekt werden
vom Auswärtigen Amt unterstützt.
Sondermittel „Flucht und Migration“ des Auswärtigen Amts tragen dazu bei, das Projekt in den nächsten Jahren umzusetzen. Die
Gerda Henkel Stiftung fördert zahlreiche Stipendien und Projekte
im Kontext des Projektes „Stunde Null“.
Gründungsmitglieder des Netzwerkes:
Baudenkmalausschuss des Deutschen Archäologischen Instituts
Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg
Deutsche Stiftung Denkmalschutz
Deutsche UNESCO-Kommission
Deutscher Akademischer Austauschdienst
Deutsches Archäologisches Institut
Deutsches Nationalkomitee für Denkmalschutz
Deutsches Nationalkomitee von ICOMOS
Gerda Henkel Stiftung
Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit
Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin
Koldewey-Gesellschaft (Vereinigung für baugeschichtliche
Forschung e. V.)
Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen
Römisch-Germanisches Zentralmuseum Mainz
Stiftung Preußischer Kulturbesitz
Verband der Landesarchäologen
Verein der „Freunde der Altstadt von Aleppo“
Vereinigung der Landesdenkmalpfleger
archäologie weltweit _ 05
nachrichten
Wiegandhaus
Das Deutsche Archäologische Institut. Zentrale im Berliner Stadtteil Dahlem.
Foto: Grunwald
»Ein Glanzstück des Wissenschaftssystems«
Der Wissenschaftsrat im DAI
„Das DAI wird von Forschenden sowie Antiken- und Denkmalschutzbehörden zahlreicher Länder als kompetenter Kooperationspartner und vorzüglicher Botschafter Deutschlands geschätzt
und trägt zu einem positiven Bild Deutschlands im Ausland bei.
Das Institut gehört zu den Glanzstücken unseres Wissenschaftssystems“. Mit diesen Worten fasste der Vorsitzende des Wissenschaftsrats, Prof. Dr. Manfred Prenzel, die Ergebnisse der neuesten
Stellungnahme zum Deutschen Archäologischen Institut (DAI)
zusammen.
Als eine der international „renommiertesten geisteswissenschaftlichen Forschungs- und Forschungsinfrastruktureinrichtungen
Deutschlands“ habe das DAI sein wissenschaftliches Profil in den
vergangenen Jahren weiter geschärft und profiliere sich insbesondere in der Globalarchäologie, die über große geografische
und zeitliche Räume interdisziplinär arbeitet und kulturelle Interaktionen untersucht. Zur positiven Beurteilung trägt weiterhin
bei, dass das Institut das Methodenspektrum besonders in den
Bereichen Naturwissenschaften und Informationstechnologie
kontinuierlich erweitert und eine herausragende Rolle in der
archäologischen und altertumswissenschaftlichen Nachwuchsförderung einnimmt.
06 _ archäologie weltweit
Uruk ist eine der größten Grabungsstätten des DAI im Irak.
Foto: Wagner
Wiederaufnahme
Neue Arbeiten des DAI im Irak
Vor dem Hintergrund rasanter Digitalisierung auch in den Geisteswissenschaften erwähnt der Wissenschaftsrat mit Nachdruck das
IANUS-Forschungsdatenzentrum für die Forschung und Vernetzung der Archäologien und Altertumswissenschaften, eine Plattform, die von einem Verbund deutscher wissenschaftlicher Einrichtungen unter Federführung des DAI entwickelt und betrieben
und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanziert
wird. Das Konzept von IANUS als Langzeitarchiv und digitales
Forschungsdatenzentrum zur Archivierung und Bereitstellung
von Projektdaten wird in den Archäologien und Altertumswissenschaften dringend benötigt. Besonders beeindruckt zeigten sich
die Gutachter von den Leistungen des DAI nicht nur auf wissenschaftlichem Gebiet, sondern auch in den Bereichen Kulturerhalt
und Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik.
Der Wissenschaftsrat bestärkt daher das Auswärtige Amt ausdrücklich in seinem Bestreben, den Umfang des institutionellen
Haushalts des Deutschen Archäologischen Instituts zu erhöhen.
Nach 14 Jahren Unterbrechung nimmt das Deutsche Archäologische Institut die Feldforschung im Südirak wieder auf. Ein internationales Team aus zehn aus Deutschland angereisten Archäologen und Spezialisten sowie sieben irakischen Archäologen unter
Leitung von Margarete van Ess, Leiterin der Außenstelle Bagdad
des DAI, führte einen archäologischen Umlandsurvey in Uruk, der
Metropole des legendären Königs Gilgamesch, durch und bereitete Projekte zur weiteren Erforschung der archäologischen Stätten
und ihrer Konservierung vor. Konservierungsmaßnahmen an bereits ausgegrabener Architektur sind nach der langen Unterbrechung dringend erforderlich. Das Team dokumentierte die Schäden, die durch Umwelteinflüsse entstanden sind, um auf dieser
Grundlage detaillierte Maßnahmen entwickeln zu können.
Im Rahmen des Surveys wurden zudem alle archäologischen Reste sowie Hinweise auf antike Bodennutzung in einem Radius von
drei Kilometern um die antike Stadtmauer herum kartiert. Die Daten wurden bereits vor Ort in ein Geoinformationssystem aufgenommen. Erste Ergebnisse stehen daher sofort zur Verfügung und
können direkt an die örtlichen Behörden weitergegeben werden.
Mit den Untersuchungen war ein Fortbildungsprogramm für junge irakische und deutsche Archäologen verbunden. Es war Fortsetzung und Erweiterung der alljährlichen Sommerschulen der
Orient-Abteilung des DAI für irakische Nachwuchswissenschaftler.
Ein internationales Team inspizierte wesentliche Teile des
Stadtgebiets von Al-Hira, eine sehr bedeutende Stadt der Spätantike und wichtig für die Entwicklung des mittelalterlichen Irak.
Foto: DAI Orient-Abteilung
Al-Hira
Auch in al-Hira konnte Ende 2015 ein deutsches Archäologenteam
einen zweiwöchigen Survey durchführen. Die Leitung haben
Margarete van Ess und Martina Müller-Wiener in Kooperation mit
Mitarbeitern der Technischen Universität Berlin. Die Kooperationspartner arbeiteten eng mit der irakischen Antikenverwaltung
von Najaf zusammen. Das internationale Team inspizierte wesentliche Teile des umfangreichen Stadtgebiets, kartografierte Architektur- und Topografiebefunde und erfasste Keramik- und sonstige Kleinfunde. So sollte der Umfang der ursprünglich besiedelten
Flächen ermittelt und die jeweiligen Stadtteile bestimmt werden.
Al-Hira war eines der bedeutenden städtischen Zentren des Irak.
Al-Hira gilt als Vorgängerstadt Kufas, der ältesten islamischen
Stadtgründung im Irak. Aus früheren Ausgrabungen ist der bedeutende Beitrag al-Hiras in der Geschichte des Zweistromlandes
in der Spätantike bekannt.
Der Survey brachte wesentliche neue Erkenntnisse. Die Archäologen konnten Funde aus früheren internationalen Vorhaben
präziser lokalisieren und auf großen Flächen neue Siedlungsreste
dokumentieren.
Am Survey war auch eine Gruppe junger irakischer Archäologen
beteiligt, die im Rahmen des Weiterbildungsprogramms des DAI
moderne Technologien in der Archäologie trainierten. Dieses Programm wird maßgeblich vom Auswärtigen Amt (AA) finanziert.
Das wissenschaftliche Personal aus Deutschland wurde durch die
schweizerische Fondation Max van Berchem unterstützt.
archäologie weltweit _ 07
nachrichten
Judith Thomalsky, Leiterin der Außenstelle Teheran des DAI,
führt in die Ausstellung ein. Übersetzung: M. Ahmadi.
»Tehran55«
Jebrael Nokandeh, Direktor des
Iranischen Nationalmuseums, spricht
das Grußwort.
Ausstellung im Iranischen Nationalmuseum
Ein halbes Jahrhundert Arbeit deutscher Archäologen im Iran
ist im Iranischen Nationalmuseum in Teheran nun für die Öffentlichkeit sichtbar. Am 24. April 2016 wurde die Ausstellung
„Tehran 55: Ein halbes Jahrhundert Deutsche Archäologen in Iran“
feierlich eröffnet. Die Ausstellung war zuerst 2011 im Berliner
Museum für Islamische Kunst (SMB) zu sehen. Konzipiert hatten
sie Barbara Helwing, die damalige Leiterin der Außenstelle Teheran und Patricia Rahemipour von der Eurasien-Abteilung des
Deutschen Archäologischen Instituts. Anlass war das 50-jährige
Bestehen der Außenstelle. In Teheran wird eine leicht geänderte
Fassung der ursprünglichen Präsentation gezeigt.
Grußworte sprachen Jebrael Nokandeh, Direktor des Iranischen
Nationalmuseums, der deutsche Botschafter im Iran Michael
von Ungern-Sternberg, der die Ausstellung eröffnete, Mohammadreza Kargar (ICHHTO) und Mohammad Beheshti, Direktor des
Forschungszentrums der Iranischen Antikenbehörde (RICHTO//
ICHHTO).
Judith Thomalsky, Leiterin der Außenstelle Teheran, führte die
Gäste mit einem Vortrag in die Thematik der Ausstellung ein,
welche die Vorgeschichte und die Geschichte der Außenstelle
Teheran zeigt. Präsentiert werden aber nicht nur Fundstücke aus
Ausgrabungen und Archivalien, sondern mit Bildern und Korrespondenz auch ein Stück Wissenschaftsgeschichte. Zu Beginn der
Ausstellung werden die Besucher mit ersten Informationen zur
Sache versorgt, Vertiefungen gibt es, falls gewünscht, an den einzelnen Stationen.
Das Plakat zur Ausstellung „Tehran55“
08 _ archäologie weltweit
In einsamen Höhen …
Höhepunkt des Festakts war die feierliche Übergabe des Katalogs
„Tehran55“, der in der Redaktion von Yousef Hassanzadeh vom Iranischen Nationalmuseum von Hamid Fahimi ins Persische übersetzt worden war.
Ermöglicht wurden Ausstellung und Übersetzung des Katalogs
ins Persische unter anderem durch Sondermittel des Auswärtigen
Amts. Begleitet wird die Ausstellung von Vorträgen zu archäologischen Projekten des DAI im Iran.
archäologie weltweit _ 09
Zu Gast in Deutschland
Dank der Finanzierung durch das Auswärtige Amt (AA) konnte die Abteilung Kairo
des Deutschen Archäologischen Instituts
29 Einladungen an ägyptische Studierende für Studienaufenthalte aussprechen,
damit sie deutsche Universitäten besuchen können. Ägyptologie, Koptologie,
Islamische Archäologie, Papyrologie sowie Konservierungs- und Museumskunde sind akademische Disziplinen, die an
deutschen Universitäten einen international hervorragenden Ruf genießen. Darüber hinaus erfahren die vermeintlichen
„Orchideenfächer“ wachsende Bedeutung
für den Erhalt des kulturellen Erbes.
nachrichten
Akademischer Austausch mit Ägypten
Die Gäste besuchten Universitäten, Museen, Forschungseinrichtungen und Akademien ihrer jeweiligen Fachrichtungen
in Berlin, Bonn, Heidelberg, Hildesheim,
Leipzig, München und Würzburg. Dabei
konnten sie einen Blick hinter die Kulissen
werfen und in Magazinen, Bibliotheken,
Laboratorien und Sammlungen einen Eindruck vom deutschen Wissenschaftsbetrieb gewinnen.
So konnte zum Beispiel eine Gruppe von
zehn Studierenden der Papyrologie Ende
letzten Jahres an einem PapyrologieWorkshop im Ägyptischen Museum und
der Papyrussammlung der Staatlichen Museen zu Berlin teilnehmen. Das Studium
der Papyri offenbart unter anderem wichtige Sozial- und Wirtschaftsdaten aus dem
Alten Ägypten. Zurück in Kairo, trugen die
ägyptischen Gäste ihre Rechercheergebnisse vor und äußerten den Wunsch, mit
den deutschen Kommilitonen, Kollegen
und Institutionen in Kontakt zu bleiben.
… scheinen sich die beiden Figuren zu bewegen.
Hoch vielleicht, aber sicher nicht einsam. Aleppo zählte einst zu
den wichtigsten Handelszentren des Nahen Ostens. Besonders in
der Altstadt von Aleppo mit lebendigen Basaren und der Zitadelle
herrschte reges Treiben. Hier wurden Anfang des 20. Jahrhunderts
die Karawanen Richtung Irak ausgerüstet. Von hier aus brachen
auch deutsche Archäologen zu Pferd zu ihren Forschungen im
Irak auf.
Junge ägyptische AkademikerInnen zu
Gast in Deutschland. Foto: DAI Kairo
10 _ archäologie weltweit
Das Foto stammt von Walter Bachmann, der an den Ausgrabungen von Assur und Kar Tukulti Ninurta mitgearbeitet hat. Wir
schreiben das Jahr 1914. Zu sehen ist das Haupttor zur Zitadelle
von Aleppo.
Bilder wie diese gehören zu den reichen Beständen des DAI, die
nun digitalisiert und syrischen Einrichtungen zur Verfügung gestellt werden, um Vorlagen beim Wiederaufbau zerstörter Kulturgüter bieten zu können.
siehe auch: Archäologie Weltweit,
Sonderausgabe „Rekonstruktionen“
archäologie weltweit _ 11
fokus
fokus
»D
as Deutsche Archäologische
Institut als die Forschungseinrichtung
des Auswärtigen Amtes setzt international Maßstäbe. Gemeinsam werden wir ein Archaeological Heritage
Network gründen, das Kompetenzen
bündelt und von der kulturellen Bildung über die gemeinsamen Grabungen und Restaurierungen bis hin zur
wissenschaftlichen Auswertung für
aktuelle Fragen wie den nachhaltigen
Umgang mit natürlichen Ressourcen
nutzbar macht und vor allem eines
gewährt: Zugang zum kulturellen
Erbe der Welt hier in Berlin sowie
das gemeinsame Erarbeiten von
Weltwissen.«*
Frank-Walter Steinmeier
Archaeological Heritage
Network
Ein Netzwerk für den Erhalt des kulturellen Erbes
Restaurierung auf der Nilinsel Elephantine bei Assuan in
Ägypten. Teile der Arbeiten wurden aus Mitteln der Transformationspartnerschaft des Auswärtigen Amts unterstützt.
Foto: DAI Kairo
* Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15. Mai 2015
12 _ archäologie weltweit
archäologie weltweit _ 13
fokus
Kulturerhalt im Jemen
Foto: Wagner
Meister André Gravert und Geselle Tobias Horn, Steinmetze und
Restauratoren im Handwerk, vermitteln Grundzüge traditioneller Steinbearbeitung. Foto: Bührig
Der „GroSSe Tempel“ von Yeha ist ein einzigartiges Zeugnis
sabäischer Baukultur in Äthiopien. In Zusammenarbeit mit der
Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ)
werden ungelernte Bewohnerinnen und Bewohner des Dorfes
in unterschiedlichen Handwerken ausgebildet.
Foto: Wagner
Das Orchontal ist die Wiege spätnomadischer Stadtkultur im nördlichen Zentralasien
und galt als heiliges Zentrum der Welt. Heute
gehört es zum Welterbe der UNESCO.
Foto: Wittersheim
14 _ archäologie weltweit
In Zeiten von Umbruch und Krise steht die Gewährleistung der
Sicherheit von Leib und Leben und die Grundversorgung mit dem
Lebensnotwendigen der Menschen an erster Stelle. In Zeiten fehlender Gewissheiten ist Selbstvergewisserung in der eigenen Tradition und kulturellen Überlieferung darüber hinaus ein wichtiger
Faktor, so etwas wie eine Verankerung in der eigenen Geschichte herstellen zu können. Kultur und Tradition manifestieren sich
dabei nicht nur in Gebäuden und Objekten, sondern auch in den
Fähigkeiten der Menschen, sie zu konzipieren und herzustellen.
Kulturelle Konzepte bestimmen aber auch die Art und Weise, wie
Menschen das Verhältnis zu ihrer natürlichen Umgebung bestimmen und gestalten.
Die Zerstörung des kulturellen Erbes hat vielfältige Ursachen.
Krieg ist diejenige Ursache, die durch die aktuellen Ereignisse in
Ländern wie Syrien, im Irak oder im Jemen derzeit am deutlichsten vor Augen stehen. In medial inszenierten spektakulären Aktionen vernichtete der sogenannte Islamische Staat weltbekannte
Kulturstätten und Denkmäler. Doch fast unbemerkt von der Weltöffentlichkeit verlieren Menschen in der kriegsgeschüttelten Region fast täglich auch kulturelles Erbe, das für sie zur alltäglichen
Lebenswelt gehört. Krisen verstärken zudem die Bedrohung des
kulturellen Erbes durch Raubgrabungen und Plünderungen für
den weltweit operierenden illegalen Kunsthandel. Zu den von
Menschen gemachten Gefährdungen des Kulturerbes gehört
auch die Vernichtung ganzer Kulturlandschaften durch weitläufige Infrastrukturmaßnahmen und rücksichtslosen Ressourcenabbau. Aber auch Umweltfaktoren wie Wind, Niederschläge
und Überschwemmungen bedrohen mit der Zeit archäologische
Denkmäler in ihrer Substanz.
Aktuelle Herausforderungen
Es ist aber die Lage in den Krisenregionen des Nahen Ostens,
durch welche die Notwendigkeit, das kulturelle Erbe zu schützen
und zu erhalten, wieder stärker ins Bewusstsein rückt und zunehmend auch auf politischer Ebene an Bedeutung gewinnt. Doch
Kulturerhalt geht weit über den Erhalt, die Sicherung und Restaurierung bedeutender kultureller Stätten und Denkmäler hinaus.
Kulturerhalt bedeutet auch, traditionelles Handwerk mit innovativen Methoden zu verbinden sowie Arbeitsplätze zu schaffen
und so wirtschaftliche Impulse zu setzen, die zur Stabilisierung
in den Gast- und Partnerländern beitragen. Alte Konzepte von
geschlossenen Kulturräumen oder gar asymmetrische Hilfsangebote können dabei aber keine Grundlage bieten. Zum einen
werden in einer rasch sich verändernden Welt die Diskurse über
nationale und kulturelle Identitäten komplizierter und mit ihnen
die Entscheidungen darüber, welche Herangehensweise gewählt
und welche Prioritäten beim Erhalt des kulturellen Erbes gesetzt
werden sollen. Zum anderen gilt es, kooperative Formate zu entwickeln, die das Wissen, das über lange Zeit in Institutionen wie
dem DAI gesammelt wurde, dort zur Verfügung zu stellen, wo es
gebraucht wird.
Die Restaurierungsarbeiten des DAI
und seiner Partner in Pergamon sind
unverzichtbar für den Erhalt des
Weltkulturerbes.
Foto: Bachmann
archäologie weltweit _ 15
Steinmetzschule in Gadara
Syrische Flüchtlinge in Jordanien werden an
der archäologischen Stätte der 2000 Jahre
alten hellenistisch-römischen Stadtanlage
von Gadara in der Nähe von Umm Qays
gemeinsam mit lokalen Akteuren in den
Bereichen Restaurierung und Konservierung
ausgebildet. In einem Trainingscamp für
jordanische und syrische Handwerkerinnen
und Handwerker werden zudem traditionelle
Steinmetztechniken vermittelt.
Foto: Bührig
Das Archaeological Heritage Network hat sich in seiner konstituierenden Sitzung 2015 auf ein erstes gemeinsames Vorhaben geeinigt. Das Projekt „Stunde Null“ bietet Plattform und
Rahmen, um syrische Fachleute, Studierende und zukünftige
Entscheidungsträger zusammenzubringen und in den Bereichen Architektur, Archäologie, Denkmalpflege, Bauforschung
und Stadtplanung sowie im Handwerk aus- und weiterzubilden, und zwar sowohl in Deutschland wie auch in Ländern der
Region. Ziel ist es, sie dabei zu unterstützen, die Zukunft ihres
Landes planen und gestalten zu können. Während des Jahresempfangs des DAI am 27. April 2016 wurde es in Anwesenheit
von Außenminister Frank-Walter Steinmeier offiziell gegründet.
Sicherung und Präsentation der bronzezeitlichen Stadtmauer
von Hattuscha in Zentralanatolien. Foto: Schachner
Gründungsmitglieder des
Archaeological Heritage Network
Das Kompetenz-Netzwerk
Das Expertennetzwerk „Archaeological Heritage Network“ ist keine neue Institution. Vielmehr geht es darum, vorhandene Kompetenzen zu bündeln und so die notwendigen Synergieeffekte zu
schaffen. Im Netzwerk haben sich Hochschulen und Forschungsinstitute, Verbände und Einrichtungen des Denkmalschutzes, Förderinstitutionen, Museen, Berufsverbände und Stiftungen, aber
auch private Initiativen zusammengeschlossen. Die internationalen Vorhaben zur Rettung des kulturellen Erbes weltweit werden
in einer rasant sich verändernden Welt zunehmend komplexer.
Diesen veränderten Herausforderungen kann man nur gemeinsam begegnen – auch wenn es gilt, auf internationaler Ebene erfolgreich Mittel einzuwerben und die Sichtbarkeit des deutschen
Engagements zu steigern.
Deutschland besitzt aufgrund seiner historischen Erfahrungen
besondere Expertise im Bereich der „Postwar Reconstruction“, bei
der entscheidungsrelevante Theorie und logistische Praxis Hand
in Hand arbeiten müssen. Diese Expertise wird zunehmend nachgefragt.
In den einschlägigen internationalen Netzwerken verspricht man
sich von einem starken deutschen Netzwerk einen positiven Einfluss auf die Entwicklung profunder Konzepte im Kulturerhalt
– was umgekehrt positive Rückkopplungseffekte auf Forschung,
Lehre und Ausbildung in Deutschland haben würde.
Deutsche Hochschulen und Forschungseinrichtungen besitzen
eine Fülle von Kompetenzen für den Bereich des archäologischen
Kulturerhalts, die jedoch nicht gebündelt, sondern in einem breiten Spektrum aufgelöst sind. Sie werden in zahlreichen Studiengängen vermittelt und umfassen sowohl ein breites Spektrum
archäologischer Forschung wie auch Architektur und historische
Bauforschung. Methoden der Schadenserfassung sowie Restaurierung und Konservierung gehören dazu, ebenso wie Site
Management und nicht zuletzt die inhaltliche Erschließung und
Vermittlung an Besucherinnen und Besucher. In vielen Ländern,
die bedeutende Denkmäler und Welterbestätten beherbergen, ist
der Tourismus ein wichtiger Wirtschaftsfaktor.
Dieses multidisziplinäre wissenschaftliche Angebot, das Theorie
und Praxis miteinander verbindet, besitzt eine große internationale Ausstrahlung und zieht daher zahlreiche Studierwillige, aber
auch Gastforscher aus allen Ländern der Welt an.
Die Beschäftigungsmöglichkeiten für Absolventen dieser Studiengänge sind vielfältig. Zum einen ist ihre Expertise gefragt in
zahlreichen nationalen und internationalen wissenschaftlichen
und kulturellen Einrichtungen wie Hochschulen und Museen.
Zum anderen bietet der wirtschaftliche Sektor attraktive Angebote in spezialisierten Architekturbüros und Restaurierungsfirmen
bis hin zu Positionen in der Tourismusbranche.
Nur mit einem Ausbau dieser Kompetenzen wird es möglich sein,
die Basis für eine erfolgreiche Kulturerhaltarbeit im Ausland zu
gewährleisten. Die Verbindung von innovativer Forschung, nachhaltiger Ausbildung, praxisorientierter Arbeit und die Stärkung
wirtschaftlichen Potentials zur Stabilisierung in Gast- und Partnerländern wird darüber hinaus langfristig zu einer erhöhten Akzeptanz der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik beitragen.
Baudenkmalausschuss des Deutschen Archäologischen Instituts
Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg
Deutsche Stiftung Denkmalschutz
Deutsche UNESCO-Kommission
Deutscher Akademischer Austauschdienst
Deutsches Archäologisches Institut
Deutsches Nationalkomitee für Denkmalschutz
Deutsches Nationalkomitee von ICOMOS
Gerda Henkel Stiftung
Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit
Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin
Koldewey-Gesellschaft (Vereinigung für baugeschichtliche
Forschung e.V.)
Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen
Römisch-Germanisches Zentralmuseum Mainz
Stiftung Preußischer Kulturbesitz
Verband der Landesarchäologen
Verein der „Freunde der Altstadt von Aleppo“
Vereinigung der Landesdenkmalpfleger
Tipp
Das DAI gibt zum Projekt „Stunde Null“
eine Sonderausgabe von Archäologie
Weltweit heraus. Sie erscheint zeitgleich
mit dieser Ausgabe.
Museumsbau in Yeha
Foto: Wagner
16 _ archäologie weltweit
Dokumentation als Basis für
Konservierung und Präsentation:
Architekten bei der Aufnahme der hellenistischen Stadtmauer von Oinoanda (Lykien,
Türkei). Foto: Bachmann
archäologie weltweit _ 17
fokus
Das erste Projekt – Die „Stunde Null“
cultural heritage
cultural
heritage
W
ie will man in Ägypten Kultur erhalten und restaurieren? Wo anfangen,
mag man sich fragen. Und wo enden?
Schließlich geht es um 6000 Jahre, in
denen kulturelle Zeugnisse von überragender Bedeutung und unschätzbarem Wert für Land und Leute entstanden, blieben oder versanken, zerfallen
durch Naturgewalt oder Vernachlässigung, in Vergessenheit gerieten oder
Teil der Gegenwart wurden.
Archäologie als Teil
der Gegenwart
Kulturerhalt in Ägypten
18 _ archäologie weltweit
Pharaonische Geschichte unter dem Mikroskop. In starker
Vergrößerung wird der technische Aufbau der Pferdegeschirre und
Waffenscheiden sichtbar, die im Grab des Tutanchamun gefunden
wurden. Die Goldfolien sind auf einen Träger aus Leder, Textil, Füll- und
Bindemitteln aufgetragen.
Abb.: Eckmann
archäologie weltweit _ 19
cultural heritage
Prof. Dr. Stephan Seidlmayer
ist Direktor der Abteilung Kairo
des Deutschen Archäologischen
Instituts.
Foto: DAI Kairo
Vor 6000 Jahren begannen Menschen auf der Nilinsel Elephantine
eine Siedlung zu bauen. Sie war ein
wichtiger Handelsplatz und bedeutend für den Götterkult.
Foto: DAI Kairo
Durch Flyer in englischer und
arabischer Sprache – hier zu den
Felsinschriften im „Public Garden“ von
Assuan – werden Besucher und Einheimische mit den Denkmälern vertraut
gemacht.
20 _ archäologie weltweit
Die größten Bedrohungen bringt die Moderne. Mit der europäischen Ägyptomanie erlebt die Grabräuberei erste Hochkonjunkturen. Im Windschatten kolonialer Eroberungen und umwälzender geopolitischer Veränderungen wird Ägypten wie viele andere
Länder auch in einen anderen Aggregatzustand katapultiert und
folgt seit dem 19. Jahrhundert den Entwicklungen der Moderne
in vielerlei Hinsicht. Als das 20. Jahrhundert technische Möglichkeiten ungeahnten Ausmaßes bereitstellt, werden sie stürmisch
begrüßt und in Gestalt gewaltiger Unternehmungen angewendet.
So kommt es zur bislang spektakulärsten und größten Rettung
antiker Kultur am Nil. Als die Tempel von Abu Simbel, Heiligtümer
von Ramses II., im neu geschaffenen Assuan-Stausee zu versinken
drohten, wurden sie in einer weltweit konzertierten Aktion auf ein
höheres Niveau am Nilufer verlegt. Der Pharao hatte die Anlage
vor mehr als 3000 Jahren fast 60 Meter tief in einen Sandsteinfelsen am Westufer des Nils graben lassen. Fünf Jahre dauerte die
Rettung, von 1963 bis 1968. 1970 wurde der Staudamm in Betrieb
genommen.
Doch spektakuläre Ereignisse dieser Art überstrahlen häufig die
andauernde, langwierige und oft komplizierte alltägliche archäologische Arbeit in Ägypten. Ein bedeutender Teil dieser Arbeit ist
heute der Kulturerhalt, aber auch – untrennbar damit verbunden
– die adäquate Vermittlung vor Ort der langen und reichen Geschichte des Landes am Nil.
„Für ein Land in komplizierten Zeiten ist ein Rückgriff auf die
Vergangenheit wesentlich“, weiß Stephan Seidlmayer, Direktor
der Abteilung Kairo des Deutschen Archäologischen Instituts.
Das pharaonische Ägypten wird im modernen Staat mehr denn je
zu einem Anker der Selbstvergewisserung, und unversehens wird
Archäologie zu einem Teil der Gegenwart. Daher befassen sich die
Kulturerhaltprojekte des DAI Kairo nicht nur mit Zeugnissen ferner Vergangenheiten, sondern auch mit solchen aus der jüngsten
Geschichte und Gegenwart.
In einem Land wie Ägypten, das immer wieder Umbrüche erlebt,
ist der Schutz des kulturellen Erbes mitunter eine Herausforderung. Viele der weltbekannten Bauten sind gut geschützt, an
entlegenen Stellen hingegen gibt es immer wieder Zerstörungen.
Eine der Ursachen ist oft Unwissenheit.
„Eines der Probleme beim Kulturerhalt ist häufig die vernachlässigte Einbindung der lokalen Bevölkerung“, erklärt Seidlmayer.
„Deshalb darf die Forschungsarbeit nie auf die Innenwelt der Wissenschaft beschränkt bleiben. In einem Land, in dem rund 15 %
des Bruttosozialprodukts und der Arbeitsplätze vom Tourismus
abhängen, ist es entscheidend, die gesellschaftliche Bedeutung
der Archäologie zu erkennen.“
Mit den Projekten zum Erhalt des kulturellen Erbes gehen daher
immer auch Site Management, Erschließung und Information
einher, sei es in Form touristischer oder moderner musealer Konzepte – zum Beispiel auch in Form eines Smartphone-basierten
Reiseführers zu Assuan für die Digital Natives. Das DAI Kairo gibt
Newsletter in arabischer Sprache heraus, stellt Unterrichtsmaterial zur Verfügung, veranstaltet Kurse für Schülerinnen und Schüler
und berichtet mit einer Fülle öffentlicher Veranstaltungen von
seiner Arbeit.
Beim „Kindertag“ auf der Ausgrabung
Elephantine erleben die Schulkinder der
benachbarten Dörfer den archäologischen
Platz als Teil ihres kulturellen Erbes.
Foto: Sigl
archäologie weltweit _ 21
cultural heritage
Die bislang kaum beachteten Goldbleche geben wichtige Hinweise zu den
internationalen Beziehungen zwischen den
Mächten des Orients in der Bronzezeit.
Foto: Eckmann
Das Bild der Archäologie als Wissenschaft
mit „Spaten und Schaufel“ ist lange überholt.
Heute spielen modernste naturwissenschaftliche
Analyseverfahren eine ebenso große Rolle wie die
traditionellen Methoden. Goldbleche unter dem
Mikroskop. Foto: Eckmann
Public Domain, Joshdboz
Die Goldbleche wurden in der Nähe der Streitwagen gefunden. Hier Reproduktionen
für eine Ausstellung in Paris 2012. Foto: Exposition Toutankamon à Paris, Parc des Expositions
en 2012 avec des copies. © Traumrune / Wikimedia Commons / CC-BY-3.0
Unter dem Mikroskop wird der technische Aufbau der Pferdegeschirre und
Waffenscheiden sichtbar. Die Goldfolien sind
auf einen Träger aus Leder, Textil, Füll- und
Bindemitteln aufgetragen.
Foto: Eckmann
Kleines Gold mit groSSen Geschichten
Kooperation
Römisch-Germanisches Zentralmuseum
Mainz, Abteilung Vorgeschichte
Eberhard Karls Universität Tübingen, Institut
für die Kulturen des Alten Orients (IANES),
Abteilung für Vorderasiatische Archäologie
Ägyptisches Museum Kairo
Förderung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
Auswärtiges Amt
Die Bilderwelt der Bleche
zeigt eine Kombination von Motiven klar pharaonischer Provenienz
und von Themen – wie die Tierkampfszene hier –, die in der zweiten Hälfte des
2. Jahrtausends v. Chr. im östlichen Mittelmeerraum
weit verbreitet waren. Foto: Eckmann
22 _ archäologie weltweit
Vor knapp 100 Jahren, 1922, entdeckte Howard Carter das Grab
des Tutanchamun aus dem 14. Jahrhundert v. Chr. Kaum ein altägyptisches Objekt ist so berühmt wie die spektakuläre Goldmaske
des Pharao, die einer staunenden Weltöffentlichkeit präsentiert
wurde. Andere Stücke blieben dabei manchmal unbeachtet und
fristeten ein Dasein abseits von Glanz und Prunk. In einem Kooperationsprojekt erforscht das DAI Kairo einige dieser „Aschenputtel“
aus dem Grab des Pharao. Es sind rund 100 Goldblechbeschläge
aus der Vorkammer des Grabes, die in der Nähe der Streitwagen
gefunden wurden. Sie bestehen aus punzierter Goldfolie, die auf
ein Trägermaterial, vermutlich Leder und Textil, aufgebracht waren. Bis vor kurzem wurden sie im Magazin des Ägyptischen Museums in Kairo aufbewahrt. Nun werden die überaus empfindlichen
Objekte analysiert, wissenschaftlich aufgearbeitet, restauriert und
der Öffentlichkeit in adäquater Weise zugänglich gemacht.
Hier und da finden sich noch Reste des ursprünglichen Trägermaterials an den Goldblechen. Die Forscher vermuten, dass es aus
mehreren Schichten von Leder, Textil und Gips bestand. Mit mordernsten zerstörungsfreien Untersuchungsmethoden wollen sie
herausfinden, wie die Materialien zusammengesetzt und wie das
Gold auf den Trägerschichten befestigt war. Viele der feinen Goldbleche haben sich vom Trägermaterial gelöst, die meisten sind
beschädigt. Sie zeigen zahlreiche Risse, Verwerfungen und Falten.
Doch die materielle Analyse ist nur ein Teil der Arbeit. „Wir wollen versuchen, diese Schäden so gut wie möglich zu beseitigen,
um die Lesbarkeit der Darstellungen zurückzugewinnen“, sagt
Christian Eckmann, Restaurator am Römisch-Germanischen Zentralmuseum Mainz.“
Dazu müssen Restauratorinnen und Restauratoren die Goldbleche vorsichtig entfalten, die Risse zusammenfügen, auf der Rückseite mit feinem Kunstfasergewebe hinterlegen und stabilisieren.
„Es sind oft auch die kleinen Dinge, die wichtige Hinweise geben“,
erklärt Seidlmayer. Manche Motive – Darstellungen des Königs
auf der Jagd, im Krieg und in rituellen Handlungen – sind in der
Kunsttradition Ägyptens tief verwurzelt. Andere Bilder – Darstellungen von Tierkämpfen, das Motiv der „Capriden am Baum“ und
verschiedene ornamentale Pflanzen – tauchen ab der späten
Bronzezeit im gesamten östlichen Mittelmeerraum auf.
„Diese bislang kaum beachteten Goldbleche geben wichtige Hinweise zu den internationalen Beziehungen zwischen den Mächten des Orients in dieser Zeit.“ Krieg, Tributbeziehungen und
dynastische Heiraten gehörten ebenso dazu wie der intensive
Handel mit Metallen, Glas, Halbedelsteinen, Rohstoffen, Luxusgütern und Nahrungsmitteln oder der Austausch von Beamten. Und
womöglich kann man mit Hilfe der kleinen Bleche auch neue Erkenntnisse über ägyptische Streitwagen der Bronzezeit gewinnen.
archäologie weltweit _ 23
cultural heritage
Dr. sc. tech. Philipp Speiser
leitet das Projekt „Die frühislamische Nekropole von Assuan“
(Fatimidenfriedhof ).
Foto: Sigl
Bei der Restaurierung
der Mausoleen werden
lokale Arbeiter in traditionellen Handwerkstechniken geschult.
Schautafeln auf dem neu gestalteten Besucherparcours in der
frühislamischen Nekropole von Assuan geben Informationen zu
den Gebäuden und ihrer Geschichte.
Kooperation
Ministry of Antiquities Cairo
Lehrstuhl für Bau- und Stadtbaugeschichte der
Technischen Universität Berlin
Förderung
Auswärtiges Amt
Die frühislamische Nekropole von Assuan, der sogenannte
Fatimidenfriedhof, ist einer der bedeutendsten Plätze der islamischen Archäologie außerhalb Kairos. Fotos: Speiser
24 _ archäologie weltweit
Der Fatimidenfriedhof
Der Blick auf die Antike verleitet häufig dazu, die Vergangenheit
als statisch zu betrachten. Doch es gehört zum Kern archäologischer Arbeit, sich mit Transformationen in der Vergangenheit und
ihren langfristigen Wirkungen auseinanderzusetzen. „Am ‚Fatimidenfriedhof’ in Assuan können wir die Arabisierungs- und Islamisierungsprozesse in der Region sehr gut nachvollziehen“, erklärt
Stephan Seidlmayer. Mit geschätzten 500 Privatgräbern und rund
50 Mausoleen ist er eine der größten islamischen Nekropolen
Ägyptens und der größte aus dieser frühen Zeit, errichtet seit dem
7. Jahrhundert und belegt bis in das hohe Mittelalter. Doch der
Zahn der Zeit nagte an den Lehmziegeln, aus denen die Gräber
und Mausoleen errichtet waren. Der Fatimidenfriedhof, bis heute
eine wichtige Stätte islamischer Kultur und Frömmigkeit, drohte
zu zerfallen.
Daher galt es, die Nekropole zu dokumentieren und zu sichern,
um anschließend zunächst Teile davon restaurieren zu können.
Das Projekt des DAI startete in Kooperation mit der Technischen
Universität Berlin im Jahr 2006 mit einer umfassenden Untersuchung und Dokumentation. „Wir konnten schließlich neun Mausoleen sichern und 50 Privatgräber restaurieren“, sagt Philipp Speiser, der die Arbeiten vor Ort leitet. Doch das Projekt ging über die
reine Restaurierung hinaus. „In enger Zusammenarbeit mit den
ägyptischen Experten konnten auch lokale Arbeiter zu Restauratoren ausgebildet werden.“ Nach knapp zehn Jahren Arbeit wurde
das Projekt erfolgreich abgeschlossen. Und auch hier spielt die
Einbeziehung der lokalen Bevölkerung eine entscheidende Rolle
beim Kulturerhalt. In einem ausgewählten Sektor der Nekropole
haben die Projektmitarbeiter einen Besucherparcours angelegt.
Mehrere Erklärungstafeln sind für die zahlreichen ausländischen
Besucherinnen und Besucher angelegt, die die Nekropole jährlich
besuchen – vor allem aber für die lokale Bevölkerung.
Bereits Muhammad Ali Pascha trieb in der ersten Hälfte
des 19. Jahrhunderts die Industrialisierung Ägyptens voran.
Erhalten blieben Bauten des Arsenalkomplexes auf der Zitadelle
von Kairo aus seiner Zeit. Foto: Bodenstein
Industriearchitektur als Spiegel
der Geschichte
„Die Zeugnisse der ägyptischen Industriearchitektur sind wertvolle Monumente lokaler Geschichte und globaler Verflechtungen“,
weiß Ralph Bodenstein vom DAI. Er leitet ein Projekt, das die historische Entwicklung dieser Architektur von der Zeit Muhammad
Alis bis in die 1970er-Jahre untersucht. „Unter Muhammad Ali erlebte Ägypten als erstes Land im Nahen Osten großangelegte Industrialisierungsversuche im modernen Sinne“ erklärt Bodenstein.
„Es gab einen Wandel von autokratischen zu bürgerlichen Strukturen im ägyptisch-europäischem Kontakt in beide Richtungen, die
Baugeschichte ist ein Spiegel dieser Zeit.“
Viele der Gebäude sind gefährdet wie die Bauten aus pharaonischer oder antiker Zeit. „Diese baulichen Zeugnisse sind bis heute
in Forschung und Denkmalpflege stark vernachlässigt worden“,
sagt Bodenstein. Deshalb wollen die Wissenschaftler mit Hilfe
von Fotografien und Planzeichnungen eine Bestandsaufnahme
machen, um ggf. künftige Restaurierung unterstützen zu können.
„Mit dieser Bestandsaufnahme erfassen wir die ägyptische Indus-
Die Fabrik zur Entkernung von Baumwolle in el-Qanater
el-Khairije gleich nördlich von Kairo gibt einen Eindruck von der
ästhetischen Gestaltung früher Industrieanlagen.
Foto: Bodenstein
Dr. Ralph Bodenstein
untersucht die moderne
Industriearchitektur
Ägyptens
Foto: Kuckertz
triearchitektur zum ersten Mal im Zusammenhang“, erklärt Bodenstein. „So können wir sie auch auf ihre lokalen und globalen
Entstehungszusammenhänge hin untersuchen.“
Die Bandbreite der schon erfassten Industriebauten reicht vom
großen Arsenalkomplex aus der Zeit Muhammad Alis (1805-1848)
über Baumwoll-Entkernungsanlagen des späteren 19. Jahrhunderts über die gigantischen Textilfabriken von Alexandria und
al-Mahalla al-Kubra aus den 1930er- bis 1960er-Jahren und zahlreiche Fabrikgebäude anderer Branchen bis hin zu den modernistischen Gebäuden der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Bauaufnahme der Südfassade der alten al-Ahram Bierbrauerei in Kairo, der Brauerei
des in Ägypten allbekannten Stella-Bieres. Grafik: Bodenstein
archäologie weltweit _ 25
standpunkt
standpunkt
Connecting Cultures
Prof. Dr. Dr. h. c. Friederike Fless
Präsidentin des Deutschen
Archäologischen Instituts
Foto: Kuckertz
Die aktuellen Bilder von Flüchtlingen,
die über das Mittelmeer und den Balkan
nach Mitteleuropa und besonders nach
Deutschland zu gelangen versuchen, wurden vor allem im vergangenen Jahr in
vielen Medien mit historischen Parallelen
verbunden. Nicht selten war in den Medien von einer neuen Völkerwanderung die
Rede. Und mit diesem Bild wird zunächst
die Vorstellung einer kompakten Wanderung ganzer Völkerschaften verbunden
und dann auch die Vorstellung des Untergangs eines lange stabilen Großreichs, des
römischen Reichs. Mit dem Bild der Völkerwanderung wird unterschwellig also
die Angst vor Instabilität und Untergang
transportiert.
Der Blick in die Vergangenheit erlaubt es
natürlich, diese für moderne Phänomene
genutzten Bilder differenzierter darzustellen. Dies gilt für die Völkerwanderung
ebenso wie für die vielen anderen Formen
der Mobilität. Blickt man in die Vergangenheit zurück, so scheint Mobilität eher die
Norm als die Ausnahme gewesen zu sein.
Es beginnt damit, dass in der Forschung
die Verbreitung des modernen Menschen,
des Homo sapiens, mit einem Migrationsmodell verbunden wird, mit der Theorie
einer „Auswanderung“ aus Afrika, Out of
Africa. Zugleich wird dieser Theorie in der
Forschung das Modell einer multiregionalen Entwicklung des modernen Menschen
entgegengestellt. Und somit sind bereits
für diese frühe Phase der Menschheitsgeschichte zwei Grundmodelle formuliert,
die sich zur Erklärung vieler Formen der
Entwicklung in den frühen Kulturen der
26 _ archäologie weltweit
Menschheitsgeschichte wiederfinden. Die
Domestikation von Pflanzen und Tieren,
die am Übergang zum Neolithikum mit
dem packenden Bild der „neolithischen
Revolution“ verbunden wird, entwickelte
sich im Bereich des Fruchtbaren Halbmondes zwischen Levante und Mesopotamien. Die grundlegenden Kulturtechniken,
Ackerbau und Viehzucht, verbreiteten sich
durch Migration, aber auch durch die Weitergabe von Wissen. Zugleich lassen sich
vergleichbare Entwicklungen hin zum
Anbau und zur Kultivierung von Pflanzen
als eigenständige Entwicklungen, ohne
direkten Kontakt zu dieser Region des
Nahen Ostens, zum Beispiel in der „Neuen
Welt“ Südamerikas beobachten. Auch hier
stehen sich das Modell der Weitergabe
durch Mobilität von Menschen und Wissen und die eigenständige Entwicklung
gegenüber. Deutlich wird jedoch, dass in
zusammenhängenden Regionen die Verbreitung von Kulturtechniken über Mobilität eine große Rolle spielte.
Aber auch in historischen Epochen ist Mobilität ein Kennzeichen. Die Schifffahrt verband die Mittelmeeranrainer und brachte
das Phänomen internationaler Handelsplätze und Heiligtümer hervor. Handelsrouten wiederum verbanden China mit
dem Mittelmeer und dem Schwarzen
Meer. Dass chinesische Lackkästchen auf
der Krim gefunden wurden, erstaunt daher nicht weiter. Dass Griechen und Phönizier Niederlassungen rund um das Mittelmeer gründeten, ist ein ebenso vertrautes
Phänomen wie die Mobilität im Imperium
Romanum, das selbst durch militärische
Expansion, also eine sehr spezifische und
gewaltsame Form von Mobilität entstanden war. Die Karriere eines römischen Soldaten konnte ihn dann später durch das
ganze Imperium Romanum führen, römische Beamte wurden in die Provinzen versetzt. Es waren syrische Bogenschützen,
die unter anderem die römische Grenze,
den Limes in Bayern, bewachten. Ein reger Tourismus in der römischen Kaiserzeit
führte nach Griechenland oder Ägypten.
Mobilität in der Antike erweist sich bei
genauem Hinsehen als genauso facettenreich wie die heutige Mobilität.
Zwischen 1820 und 1914 sind ca. 5 Millionen Deutsche nach Amerika ausgewandert.
40.000 Hugenotten flohen im 17. Jahrhundert nach Deutschland. Ungefähr 10
Millionen Touristen besuchen jährlich die
Balearen. Dies sind fast ebenso viele Besucher, wie jährlich nach Berlin kommen. Im
Jahr 2015 wurden sogar über 12 Millionen
gezählt. Das Aufkommen an Passagieren
allein am Flughafen in Frankfurt am Main
wurde 2015 mit fast 60 Millionen gezählt.
Diese Zahlen wurden in der Antike mit
ihrer begrenzten Mobilität und auch begrenzten Welt natürlich nicht erreicht.
Dennoch waren die frühen Kulturen der
Menschheitsgeschichte erstaunlich mobil
und an Austausch und Handel interessiert.
Netzwerke
Das vorliegende Heft kann nur einen kleinen Einblick in dieses Grundthema geben,
das im DAI in einem eigenen Forschungsverbund „Connecting Cultures“ untersucht wird. Dass das DAI das Thema globa-
ler Vernetzungen in den frühen Kulturen
in den Blick nimmt und diese im Kontext
einer Globalarchäologie betrachtet, hat
der Wissenschaftsrat gerade erst in seiner
Stellungnahme zur Evaluation des DAI positiv hervorgehoben. Globalarchäologie
bedeutet dabei, dass Phänomene, die von
den verschiedenen Abteilungen und Kommissionen des DAI erforscht werden, unter übergreifenden Fragestellungen, wie
der nach Innovation, Migration oder auch
Sesshaftwerdung verglichen werden. Globalarchäologie bedeutet aber auch, dass
größere Regionen in den Blick genommen
werden, wie im TransArea Network Africa.
Hier wird nicht allein Vernetzung antiker Kulturen erforscht – vielmehr ist ein
Merkmal moderner Forschung auch die
Vernetzung der Forschenden. Das macht
sich zunehmend auch bei den Herausforderungen im Bereich des Kulturerhaltes
und Kulturgüterschutzes bemerkbar. So
haben die Zerstörungen, die das kulturelle Erbe weltweit erlebt, zu der Initiative
geführt, die Kompetenzen in Deutschland
im Archaeological Heritage Network zu
bündeln. Mit dieser Gründung reagieren
wir auf die weltweit steigenden Anfragen,
deutsches Know-how im Bereich des Kulturerhalts und Kulturgüterschutzes stärker
einzubringen. Ein erweiterbares Netzwerk
scheint hier die geeignete Form zu sein.
Schließlich verfügen wir in Deutschland
über große Kompetenzen auf diesem
Gebiet. Aufgrund föderaler Strukturen in
Deutschland sind diese Kompetenzen in
zentralen Bereichen jedoch auf die Bundesländer bezogen. Andere Einrichtungen wiederum haben einen explizit auf
Deutschland bezogenen Auftrag. Diese
Kompetenzen auch für die konkrete Arbeit im Ausland sichtbar und einsetzbar
zu machen, ist ein Ziel des Archaeological
Heritage Network. Ein anderes besteht darin, hiervon wiederum zu lernen und das
eigene Handeln in globaler Spiegelung zu
reflektieren. Auch hier geht es letztlich um
Mobilität und den Austausch von Wissen,
Know-how und Menschen.
Das TransArea Network Africa ist
eines der Netzwerke im Forschungsverbund
„Connecting Cultures“
archäologie weltweit _ 27
usammen sind sie 13.000 Kilometer lang – die beiden längsten
Flüsse der Erde. Der Nil ist einige
Kilometer länger, der Amazonas führt
mehr Wasser. Beide sind Lebensader
jeweils mehrerer Länder, Transportweg, Wirtschaftsfaktor, Sehnsuchtsort, Ziel von Habgier und kolonialer
Ermächtigung, Faszinosum für Forscher und Abenteurer, Heimat für
Menschen.
Nördlich von Assuan fließt der Nil in einem
schmalen Bett durch die Wüstenebene.
Foto: Klose
Ströme
Die Landschaften von Nil und Amazonas
Regenzeit. Die Savannen in den Llanos de Mojos
stehen in weiten Bereichen bis zu einem Meter unter
Wasser.
Der eine alt, der andere jung, so der unvorsichtige Gedanke, weil der europäische
Blick den einen in die „Alte Welt“, die der
eigenen näher scheint, den anderen in die
„Neue Welt“ verfrachtete, den einen fast als
eine Art Kulturheros betrachtete, während
der andere ein Wilder blieb. Und während
die Altertumswissenschaften den „alten“
Nil und seine Kulturen schon lange erforschen, betreten die Archäologen am
Amazonas Neuland – mit überraschenden Entdeckungen. Amazonien „gehörte“
lange den Mythologen, Ethnologen und
Aussteigern, den Spezialisten für „primitive“ Kulturen, bis auch Rinderbarone und
Klimaschützer die Landschaft für sich reklamierten. „Wem gehört der Nil?“ ist eine
Frage, die in der europäischen Sicht lange
nicht gestellt wurde. Der Nil war immer
„ägyptisch“, inklusive der Folgen für die
Landschaft selbst und seine Kulturen, die
Ziel gebildeter Reisender und kolonialer
Begehrlichkeiten waren. Seine afrikanischen Quellen blieben lange unbeachtet.
28 _ archäologie weltweit
archäologie weltweit _ 29
landschaft
landschaft
Z
Zur Erforschung der historischen
FluSSverläufe wurden auf dem östlichen Nilufer nördlich von Assuan systematisch Bohrtransekte angelegt.
Grafik: Klose, unter Verwendung eines
Satellitenbilds aus Google Earth
Als der Assuan-Staudamm errichtet wurde, waren
nicht nur die weltberühmten Tempel von Abu Simbel
bedroht. Eine ganze Kulturlandschaft wurde überschwemmt. Foto: Public domain
Ilka Klose bearbeitet den geoarchäologischen Survey Assuan.
Foto: privat
Prof. Dr. Stephan Seidlmayer
ist Direktor der Abteilung Kairo des
Deutschen Archäologischen Instituts.
Foto: DAI Kairo
Dahschur
Kooperation:
Freie Universität Berlin
Ministry of Antiquities Cairo
Städtisches Klinikum München - Klinikum Bogenhausen,
TU München (Humanbiologie und Archäopathologie)
Förderung:
Freie Universität Berlin
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
Buto
Kooperation:
Ministry of Antiquities Cairo
Université de Poitiers
Institut Français d’Archéologie Orientale (IFAO)
Förderung:
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
30 _ archäologie weltweit
Elephantine war ein wichtiger Handelsplatz an dem
Fluss, der den afrikanischen Kontinent mit dem Mittelmeer
verbindet.
Foto: DAI Kairo
In der Uferfront des römischen Satet-Tempels auf Elephantine
war der maßgebliche Nilometer der Region als Treppengang mit seitlichen
Messskalen eingebaut. Diese Anlage wurde 1870 wieder in Betrieb genommen und bildete den Ausgangspunkt auch der modernen Vermessung der
Nilflut. Foto: Seidlmayer
Der Nil
Seit Jahrtausenden wird über den Nil geschrieben. Quellen stammen aus pharaonischer Zeit, aus der griechisch-römischen Epoche
und reichen bis in die arabische Zeit. Sie stehen oft ohne textgeschichtliche Verbindung nebeneinander, doch scheint die Quelle
ihrer Inspiration, der mächtige Nil, immer wieder ähnliche Assoziationen auszulösen. Ohne den Nil hätte es kein menschliches
Verweilen in der Wüste geben können, das lang genug hätte andauern können, etwas hervorzubringen, was bis heute andächtig
bestaunt wird. Der fruchtbare Schlamm, den die Nilflut alljährlich
mitbrachte, bot alles, was man brauchte, um eine nennenswerte
Landwirtschaft zu betreiben. Doch man musste achtsam sein mit
der lebensspendenden Macht, opfern und strenge Riten einhalten,
damit die Flut auch wiederkäme. Schließlich war es eine Frage des
Überlebens zu wissen, welche Mächte der Naturgewalt geboten
und wie man sie milde stimmen konnte. Doch die Menschen am
Nil verließen sich nicht allein darauf. Schon im 4. vorchristlichen
Jahrtausend wurde die Wissenschaft von der Messung der Wasserstände des Nil entwickelt. Die groß angelegte Wasserwirtschaft
entstand in der Zeit der ägyptischen Staatsbildung, zur Zeit des
Pharao Snofru (um 2600 v. Chr.), der auch die erste Großpyramide
errichten ließ. So wie die Steine für König Snofrus erste Pyramiden
über den Nil transportiert wurden, so war der Fluss insgesamt der
Haupttransport- und Verkehrsweg Ägyptens.
In Ägypten, wo deutsche Archäologen schon seit der Mitte des
19. Jahrhunderts forschen, hat fast alles mit dem Nil zu tun – auch
in der Wissenschaft.
„Der Nil und sein Lauf haben sich im Laufe der Jahrtausende stark
verändert“, sagt Stephan Seidlmayer, Direktor der Abteilung Kairo
des DAI. „Jede Dynamisierung der Landschaft hat mit dem Fluss
zu tun, wobei Eingriffe der Menschen eine ebenso große Rolle
spielen wie natürliche Prozesse.“
Vor 6000 Jahren begannen Menschen mitten im Nil auf einer Insel
namens Elephantine eine Siedlung zu bauen. Von hier aus wurde
in der Folge der Handelsverkehr mit dem nubischen Süden und
nach Norden kontrolliert. Elephantine war aber auch wichtig für
den Götterkult. Denn es galt als mythischer Ort der Quellen des
Nil. Auf Elephantine und später auch gegenüber, in der Bucht des
modernen Assuan wurden vor 5500 Jahren Siedlungen gegründet, die in der Gegenwart einem der gigantischsten Eingriffe in
die natürlichen Prozesse der Nillandschaft mit ihren Menschen
und Kulturen ihren Namen geben sollte: Assuan. Die Minderheit
der Nubier wurde ausgesiedelt, um dem Bau des Assuan-Staudamms und dem Bett des Stausees Platz zu machen. „1971 ist
eine ganze Kulturregion überschwemmt worden“, erklärt Stephan
Seidlmayer.
So will ein Projekt die (Kultur-)Landschaftsgenese der Region
nachvollziehen. Der geoarchäologische Survey findet auf dem
West- und Ostufer in den ehemaligen Überschwemmungsgebieten des Nils nördlich des ersten Kataraktes statt. Das Untersuchungsgebiet erstreckt sich von den nördlichen Grenzen der
modernen Stadt Assuan und der Felsnekropole Qubbet el-Hawa
etwa 15 Kilometer in nördliche Richtung. Um zu ermitteln, wie die
Alluvialböden im Laufe der verschiedenen Epochen entstanden
sind und wie sich vor allem die Morphologie des Schwemmlandes durch die Jahrtausende ständig änderte, hat Ilka Klose, die
das Projekt durchführt, zahlreiche Bohrungen vorgenommen.
Bisherige Analysen ergaben, dass sich die Landschaft in den vergangenen 5000 Jahren dramatisch verändert hat. Etwas landeinwärts wurde Keramik der Naqada Periode (~4500 bis 3500 v. Chr.)
in 2,5 Meter tiefen Schichten gefunden. Keramikbefunde aus dem
Mittleren Reich (~ 2100 bis 1800 v. Chr.) stammen aus bis zu sechs
Metern Tiefe in Flussnähe, und die Siedlungen römischer und spätantiker Zeit liegen teilweise bis zu zwei Meter unter der heutigen
Oberfläche.
archäologie weltweit _ 31
landschaft
Im Hadrianstor auf Philae ist der Nilgott mit
seinen beiden Wasserkrügen im Quell-Loch unter
der Katarakteninsel Bigge abgebildet.
Foto: Seidlmayer
landschaft
Im digitalen Höhenmodell erkennt
man die architektonischen Eingriffe in die
Landschaft. Es zeigt sich die fraktale Beschaffenheit der natürlichen Landschaft (u. r.) im
Unterschied zu der von Menschen gemachten (u. l.).
Die natürlichen Erosionsrinnen übertragen
ihre fraktale Natur auf die Oberfläche – hier
sind sie als selbstähnlicher Baum zu erkennen.
Abb.: Arne Ramisch, Freie Universität Berlin,
Geowissenschaften
Pharaonische Landschaftsarchitektur
In tiefer Trauer geben wir bekannt, dass am Donnerstag, dem
28. April 2016 Dr. Nicole Alexanian verstorben ist.
Nicole Alexanian wurde am 6. Januar 1965 geboren. Sie studierte Ägyptologie, Kunstgeschichte und Germanistik an der
Universität Heidelberg. Dort wurde sie 2001 mit der Arbeit
„Die provinziellen Mastabagräber und Friedhöfe im Alten
Reich“ promoviert.
Schon als Schülerin nahm sie an Ausgrabungen in Ägypten
teil. Noch als Studentin arbeitete sie seit 1988 in Dahschur,
seit 2005 leitete sie dort die Projekte. Die Stätte von Dahschur
und die Archäologie der Begräbniskultur des Alten Reichs
standen stets im Mittelpunkt ihrer wissenschaftlichen Arbeit.
Ihr Buch zur monumentalen Mastaba des Prinzen NetjerAperef in Dahschur und ihre Artikel zu den archäologischen
Spuren von Begräbnisritualen erlangten internationale Anerkennung.
In ihrem Leben wie auch in ihrer Arbeit ließ Nicole Alexanian
niemals in ihrem Bemühen nach, für andere da zu sein –
Arbeiter, Studierende, Kollegen. In Ägypten zu leben und für
die ägyptische Archäologie zu arbeiten, war die Erfüllung
ihres Lebens.
Weitere 1000 Kilometer nilabwärts, in
Dahschur, steht die erste, in idealer, glattseitiger Form geplante Mega-Pyramide,
die König Snofru errichten ließ, die Knickpyramide. Sie besaß einen eigenen Nilhafen, der, anders als bei anderen Pyramiden, eine echte Funktion hatte. „Gigantische Mengen Materie mussten bewegt
werden“, so Nicole Alexanian, die die Arbeiten des DAI in Dahschur leitete. 3,5 Millionen Kubikmeter Baumaterial wurden
transportiert und verbaut. Doch König
Snofru ließ nicht nur eine Pyramide bauen.
„In Dahschur wurde Landschaftsarchitektur
in großem Stil betrieben“, erklärt Alexanian.
Diese umwälzenden Maßnahmen wurden
möglich, weil der Nil zu dieser Zeit etwa
500 Meter weiter östlich verlief – in unmittelbarer Nähe der Pyramiden.
Mit magnetometrischen Untersuchungen
wollen die Archäologen Anhaltspunkte
für die Suche nach der genauen Lage der
Anlagen gewinnen. Denn das Hafenbecken und die umliegenden Bauten sind
heute unter einer sieben Meter dicken
Sandschicht begraben.
Zu Zeiten des Königs Snofru verlief der Nil etwa 500 Meter weiter östlich.
Vom Hafen führte ein Aufweg zum Taltempel, ein weiterer von dort zur Pyramide. Da Hafenbecken und die umliegenden Bauten unter einer
sieben Meter dicken Sandschicht liegen, untersuchten die Archäologen das Gelände zunächst magnetometrisch.
Foto: DAI Kairo, Magnetogramm: Helmut Becker, München
32 _ archäologie weltweit
archäologie weltweit _ 33
landschaft
Der TELL EL FARA‘IN, Stätte der antiken Stadt Buto, erhebt sich als einer der
eindrucksvollsten Siedlungshügel aus
der Schwemmebene des nordwestlichen
Nildeltas. Foto: Hartung
Nildynamik
Ulrich Hartung. Danach verlieren sich die
Spuren für rund 1000 Jahre. „Offenbar war
der Ort aufgegeben worden“, erklärt Hartung. Die Wissenschaftler gehen davon
aus, dass sich lebenswichtige Nilarme so
verlagert hatten, dass Buto die Verbindung zu anderen Regionen verlor. Erst im
späten 8. Jahrhundert v. Chr. wird die Stadt
in größerem Umfang wiederbesiedelt.
Die permanente Dynamik der Nillandschaft führt dazu, dass Anzahl und Verlauf der Flussarme sich im Laufe der Zeit
grundlegend änderten und dass die Flusslandschaft ständig neue Lebensbedingungen mit unmittelbaren Auswirkungen auf
den Siedlungsraum der Menschen hervorbrachte. Das zweiarmige Delta, so wie
Die Reliefs des sowjetischen Bild-hauers Nikolaj
Vetchkanow im Monument am Hochdamm von Assuan feiern
die Bändigung des Stroms. Foto: Seidlmayer
34 _ archäologie weltweit
Blick in die Grabungsfläche mit Gefäßbestattungen. Fotos: Prümers
Die unterste Schicht der prädynastischen Siedlung in Buto zeigt noch die
Grundrisse einfacher Hütten aus Matten und
Astwerk. Foto: Hartung
Dr. Ulrich Hartung, Wissenschaftlicher
Mitarbeiter an der Abteilung Kairo des DAI,
leitet das Projekt Buto / Tell el Fara‘in
Nach 250 Kilometern Richtung Norden
erreicht man den Siedlungshügel des
alten Buto (heute: Tell el Fara‘in). Er liegt
in der Schwemmebene des nordwestlichen Nildeltas, etwa 40 Kilometer von
der heutigen Küstenlinie des Mittelmeers
und rund 10 Kilometer vom Rosetta-Arm
des Nils entfernt. Das DAI führt seit 2010
einen Survey im nordwestlichen Nildelta
durch, um die Siedlungsgeschichte und
Landschaftsveränderungen in der Region zu erforschen. Am Beispiel Buto zeigt
sich, wie tiefgreifend die Auswirkungen
der Dynamik des Nils auf menschliche Ansiedlungen war. „Von der ersten Hälfte des
4. Jahrtausends bis zum Ende des Alten
Reichs (ca. 2200 v. Chr.) wurde das Areal
kontinuierlich genutzt“, sagt Projektleiter
Luftaufnahme der Ringgrabenanlage BV-2 auf dem Gelände der Granja del
Padre bei Bella Vista. Im Zentrum die Grabungsschnitte von jeweils 5 × 10 m Größe.
Anhand der Konturlinien des modernen
Geländereliefs und
der Verteilung antiker Siedlungshügel
ist es möglich, antike
Nilarme im Delta zu
rekonstruieren.
Grafik: Schiestl
man es heute kennt, existiert erst seit gut
1000 Jahren.
Eine andere Dynamik jedoch ist an ihr
Ende gelangt. Die jährlichen Überschwemmungen des Nil, die außer fruchtbarem
Boden auch Götter, Opfer, Riten und Weltbilder, Wissenschaften und tiefgreifende
theologische Fragen hervorbrachten, gibt
es nicht mehr. 1964 wurde der große Staudamm bei Assuan in Betrieb genommen
und setzte ihnen ein Ende.
Amazonien
Francisco de Orellana, Hauptmann in
Diensten des Gonzalo Pizarro, wollte im
Osten der Anden das Zimtland Canelas
und das Gold von El Dorado suchen. Er
war der erste, der den Amazonenstrom
von Peru bis zur Mündung befuhr. Den
berühmt gewordenen Bericht dazu („Relación“) schrieb Gaspar de Carvajal, Provinzialvikar in Lima, 1542. Die Fahrt führte
sie durch das Herrschaftsgebiet der „Amazonen“, Herrscherinnen über fruchtbares
Land und Arbeitskraft, Erbauerinnen von
Städten und Besitzerinnen von Reichtümern an Gold und Silber. Der Bericht
sollte nahelegen, dass die Grundlagen
für eine systematische Kolonisierung bereits existierten – man müsste nur noch
den Amazonen die Herrschaft und die
Kontrolle über die natürlichen Reichtümer entreißen. Heute weiß man, dass die
ansässigen Bevölkerung den Spaniern
allerhand Geschichten erzählte, um sie
schnell wieder loszuwerden. Die aber sahen, was sie sehen wollten. Menschen mit
Affenschwänzen gehörten ebenso dazu
wie reich bevölkerte Städte und das, was
man heute komplexe Gesellschaften nennen würde. In all den Vermischungen von
Fiktion und Wirklichkeit, Relaciónes und
Ritterromanen, Konstruktion und Dekonstruktion wollte niemand mehr Garantien
darüber abgeben, was nun wirklich in der
Zeit der Conquista am Amazonas vorhanden war. Und so gewannen die Zuschreibungen die Oberhand. Amazonien blieb
erst einmal wild – genau wie seine Bewohner, die eher der Natur zugezählt wurden
als dem Bereich der Kultur. Bedeutende
Hochkulturen gab es ja an anderen Stellen
des Kontinents. Die Landschaften Amazoniens verweigerten sich zudem beharrlich
der Vorstellung, größere Siedlungen sesshafter Gemeinschaften beherbergen zu
können.
Dr. Heiko Prümers, Referent für
Lateinamerika an der KAAK, leitet das
Projekt Llanos de Mojos gemeinsam mit
Dr. Carla Jaimes Betancourt. Foto: KAAK
Kooperation:
Unidad Nacional de Arqueología
(UNAR) von Bolivien
Förderung:
Deutsche Forschungsgemeinschaft
(DFG)
Beigaben aus einem Grab auf dem
Gelände der Schule von Bella Vista.
archäologie weltweit _ 35
landschaft
Das bislang einzige ‚reich’ ausgestattete Grab in ganz Amazonien. Neben
Körperschmuck aus Knochen und Tigerzähnen fanden sich auch Schmuckscheiben aus
Kupfer.
Plan des Fundortes Loma
Salvatierra. Südlich des durch einen Wall abgegrenzten Bereiches
befinden sich Damm- und Kanalanlagen für die Regulierung des
Regenwassers.
Ein ideales Siedlungsgebiet ist die Region
wirklich nicht. Die Böden sind nährstoffarm – trotz der vermeintlichen Fruchtbarkeit. Umso größer war die Überraschung,
als man überall Spuren dichter Besiedlung
aus vorspanischer Zeit fand. In einem Gürtel von der brasilianischen Provinz Acre
im Südwesten des Amazonasgebietes
über Nordbolivien bis in den Alto Xingú
Südbrasiliens, in Regionen also, die man
für wild und unberührt hielt, entdeckten
Archäologen Hunderte von Ringgrabenanlagen.
Fotos: Prümers
Heiko Prümers von der Kommission für
Archäologie Außereuropäischer Kulturen
(KAAK) des DAI und seine bolivianische
Co-Direktorin Carla Jaimes Betancourt,
arbeiten seit 2007 in Kooperation mit der
Bolivianischen Denkmalschutzbehörde in
den Llanos de Mojos, einer rund 110.000
Quadratkilometer großen Überschwemmungssavanne im bolivianischen Teil
Amazoniens.
Die Llanos de Mojos entsprechen in etwa
dem Departement Beni. Eine der Provinzen dieses Bundeslandes ist die Provinz
Iténez, die im Nordosten der Llanos liegt
– im Nordosten des bolivianischen Amazonastieflandes.
„Offenbar verlief die Geschichte Amazoniens anders, als man lange Zeit dachte
oder romantische Vorstellungen es wollten“, erklärt Prümers den neuen Blick auf
die Region. Plötzlich war von einer wissenschaftlichen „Revolution am Amazonas“
die Rede, von „verlorenen Städten“ und
„vergessenen Zivilisationen“. Tatsächlich
sind archäologische Daten zur Besiedlung
des Amazonasbeckens noch rar.
Zu Beginn der Arbeiten der DAI-Archäologen und ihrer bolivianischen Kooperationspartner gab es weder ein chronologisches Grundgerüst für die ausgewählte
Region, noch konnte man bestimmte Kulturen bestimmten Regionen zuordnen.
Lange blieb unklar, wann genau die Region überhaupt aufgesiedelt worden war.
„2013 fanden wir auf der Waldinsel Jasiaquiri erstmals Reste einer Kultur aus dem
4. bis 6. Jahrhundert n. Chr.“, sagt Prümers.
Das war der erste Nachweis, dass die Region eine lange vorspanische Siedlungsgeschichte hat. Das in der Waldinsel liegende
Dorf befindet sich direkt nordwestlich einer Ringgrabenanlage mit einem Durchmesser von etwa 350 Metern. Die Ringgräben umgaben einst die Siedlungsplätze
und dienten womöglich der Verteidigung.
Ursprünglich vermutete man als Zeit ihrer
Entstehung Beginn oder Verlauf der Conquista (14.-16. Jh.).
Digitales Geländemodell einer Grabenanlage rund 10 km
östlich von Bella Vista am nördlichen Ufer des Río San Martín.
Vermessungsarbeiten an der Ringgrabenanlage
von Jasiaquiri.
36 _ archäologie weltweit
Figürlich gestaltetes GefäSS der späten Besiedlungsphase
vom Fundort Jasiaquiri.
Bestattung der frühen Phase (350-550 n. Chr.) von Jasiaquiri.
Fotos: Prümers
archäologie weltweit _ 37
das objekt
das objekt
Ein sabäisches Heiligtum
in Äthiopien
Der Libationsaltar aus dem Almaqah-Tempel von Wuqro
Wir wissen sehr wenig über den Einfluss Altsüdarabiens auf die
Kultur Nordäthiopiens. Auch die Fusion nordostafrikanischer mit
sabäischen Kulturelementen zu Beginn des letzten Jahrtausends
v. Chr. kennen wir nur aus sehr wenigen Fundstellen. Dazu gehören Yeha im äthiopischen Tigray oder Matara im Norden Eritreas.
Es war daher eine archäologische Sensation, als Mitarbeiter des
Tigray Culture and Tourism Bureau (TCTB) bei Rettungsgrabungen
in Meqaber Ga‘ewa nahe der Kleinstadt Wuqro im Dezember 2007
einen fast vollständig erhaltenen Libationsaltar und weitere Kultobjekte sabäischer Prägung fanden. Die künstlerische und handwerkliche Qualität dieser Objekte sind herausragend.
Die Funde waren der Ausgangspunkt für gemeinsame Feldarbeiten der TCTB, der Orient-Abteilung des DAI und der FriedrichSchiller-Universität Jena in den Jahren 2008 bis 2014. Ergebnis war
die Ausgrabung und Konservierung eines Heiligtums des sabäischen Mondgottes Almaqah, das aus dem 8. bis 6. Jahrhundert
v. Chr. stammt.
In Ikonographie und Stil entspricht der etwa 70 cm hohe Altar
altsüdarabischen Opferaltären. Allerdings wurde selbst im Jemen
noch keine vergleichbar vollständig erhaltene Opferanlage dieser
Art gefunden. Somit liefert der Altar von Wuqro erstmals klare Hinweise für die Rekonstruktion einzelner Altarteile, die aus anderen
Orten wie Yeha oder Marib im sabäischen Mutterland bekannt
sind. Die Fassadenplatten des Altars mit vierstufigem Sockel und
darüber eingeschnittenen Blendfenstern bilden das Auflager für
die mit Zahnfries dekorierten Deckplatten, die mit einer königlichen Votivinschrift versehen sind. Die Deckplatten rahmen ein
quadratisches Becken für die Aufnahme von Opferflüssigkeiten.
Eine flach eingetiefte quadratische Opferfläche auf der westlichen
Deckplatte weist Schlagkerben auf. Gemeinsam mit Knochenfragmenten von Schaf und Ziege, die im Lehmboden um den Altar gefunden wurden, lässt dies an Tieropfer denken. Blut oder andere
Opferflüssigkeiten liefen über einen stierkopfgestaltigen Ausguss
in das Becken, dessen Boden aus einer kalksteinernen Opferplatte
bestand. Derartige Opferplatten sind aus Altsüdarabien als sogenannte ‚Trankopfertische‘ belegt. Unser Trankopfertisch war durch
eine Aufmauerung aus Feldsteinen und Lehmmörtel im Inneren
des Altars befestigt. Er besitzt ebenfalls einen stierkopfgestaltigen
Ausguss, der aus der Südfassade des Altars herausragt und die Op-
38 _ archäologie weltweit
ferflüssigkeiten auf eine zwei Meter lange, in den Lehmboden des
Tempels eingelassene monolithische Rinne aus Kalkstein leitete.
An ihrem Ende wurden die Opferflüssigkeiten in einem schalenförmigen Beckenaufgefangen.
Ikonographie und Stil, aber auch die Votivinschrift eines der
Meister auf einem der Verkleidungsblöcke des Tempelsanktuars
verweisen darauf, dass es sabäische Steinmetze waren, die diese
Altaranlage schufen.
Der Name des Meisters, „Hayrhumu“, gehört zu einem Typ, der im
zentraljemenitischen Inschriftenkorpus gut belegt ist. Gesteinsanalysen belegen aber, dass die Steinmetzen ihr Werk vor Ort in
Wuqro schufen. Der Kalkstein stammt aus lokalen Steinbrüchen.
Eine Holzkohleprobe aus dem Inneren des Altars datiert dessen
Zusammenfügung in das 8. bis 6. Jahrhundert v. Chr.
Königliche Inschrift
Herausragende kulturhistorische Bedeutung kommt der Weihinschrift des Altars zu. Es ist die erste königliche Inschrift aus dem
letzten Jahrtausend v. Chr., die im abessinischen Hochland in einem gesicherten archäologischen Kontext gefunden wurde. Ihr
in klarem Sabäisch verfasster Text besagt, dass ein bislang unbekannter König namens Wa‘ran, Sohn des Königs Radi‘um und dessen Gefährtin Shakatum den Altar aus Anlass seiner Amtseinsetzung als Herr des Tempels von Yeha, dem damaligen Zentrum des
Reiches von Di‘amat, dem Gott Almaqah stiftete.
Neben dem hier erstmals inschriftlich belegten Namen von Yeha
enthält die Inschrift zwei bemerkenswerte Hinweise auf regionalafrikanische und in die nordwestlich gelegenen Ebenen des Niltals weisende Kulturtraditionen. Die Erwähnung der Mutter des
Königs und sein Attribut „der die Feinde niederwirft“ sind im
altsüdarabischen Kulturraum ungewöhnlich. Gleichzeitig ist im
Reich von Kusch am mittleren Niltal die Hervorhebung der weiblichen Vorfahren in der Filiation des Königs von großer Bedeutung.
Sie beruht auf einer Tradition der Legitimierung der königlichen
Herrschaft über die mütterliche Linie, die sich bis in das christliche Mittelalter fortsetzt. Das „Niederschlagen der Feinde“ gehört
zu den formelhaften Beinamen altägyptischer und kuschitischer
Herrscher in ihren Inschriften und in den Bildprogrammen königlicher Gräber und Göttertempel. In denselben Kulturhorizont verweisen im Tempelbezirk von Wuqro gefundene Keramiken, wie
beispielsweise schwarzrandige oder mit geometrischen Motiven
verzierte Gefäße, während andere Votivgaben durch ihre Bindung
an den Almaqah-Kult auf altsüdarabische Traditionen zurückgehen. Das Almaqah-Heiligtum vereinte Kultobjekte und Votivgaben einer sabäisch beeinflussten Oberschicht mit ortsüblichen
Weihgaben der einfachen Bevölkerung.
Dank der großzügigen Unterstützung des Auswärtigen Amtes
konnten der Libationsaltar und weitere Votivobjekte am Fundort
durch präzise Repliken ersetzt, der Tempel konserviert und durch
einen Schutzbau überdacht werden, um das Heiligtum als Freilichtmuseum zu erhalten. Die Originale sind der interessierten Öffentlichkeit seit Oktober 2015 in einem neuen Museum – errichtet
gemeinsam von TCTB und dem Berliner Verein zur Förderung der
Museen in Äthiopien – in Wuqro zugänglich.
Pawel Wolf
Der in exzellenter Bildhauerarbeit
aus nahtlos aneinander gefügten Kalksteinblöcken zusammengesetzte Libationsaltar stellte einst das rituelle Zentrum des
Almaqah-Heiligtums dar. Foto: P. Wolf
Der Libationsaltar von Meqaber Ga‘ewa war der Schlüssel
für die Entdeckung des Almaqah-Tempels von Wuqro und damit
eines bis dahin unbekannten Zentrums der äthio-sabäischen
Kulturfusion im archäologisch noch kaum erforschten abessinischen Hochland. Foto: P. Wolf
Dr. Pawel Wolf von der Orient-Abteilung
des DAI hat sich als Ägyptologe und Klassischer Archäologe auf die antiken Kulturen
des Sudan und des nördlichen Horns von
Afrika spezialisiert. Er leitete Ausgrabungen
und archäologische Surveys mehrerer Projekte im Sudan, beispielsweise in Musawwarat
es Sufra, am Jebel Barkal und am 4. Nilkatarakt, sowie in Qohaito in Eritrea. Neben der
Leitung seines siedlungs- und landschaftsarchäologischen Projektes in Hamadab im
Nordsudan betreut er die archäologischen
Arbeiten des DAI an den königlichen Pyramidennekropolen von Meroë und leitet die
Feldarbeiten der Orient-Abteilung im äthiopischen Wuqro.
archäologie weltweit _ 39
titelthema
titelthema
W
anderungen sind ein Dauerphänomen der Menschheitsgeschichte.
Wanderungen von Menschen, von
Gegenständen, Handelsgütern, aber
auch Wanderungen von Wissen, von
Ideologien, Glaubensrichtungen oder
Kulturtechniken.
Der Facettenreichtum von Kulturkontakten über Jahrtausende ist schier
unübersehbar – und eines der fruchtbarsten Forschungsthemen moderner
Archäologie.
Unterwegs
Wege und Wanderungen in der Antike
40 _ archäologie weltweit
Gütertransport und Tauschgeschäfte
zwischen den Inseln haben auf den Salomonen
eine lange Tradition.
Foto: Moser
archäologie weltweit _ 41
titelthema
Wie in dieser Szene auf der Marcussäule in Rom war das
Verhältnis zwischen Römern und Barbaren im offiziellen Verständnis
klar definiert. Der zivilisierte, siegreiche Römer triumphiert über den
wilden, kulturlosen Barbaren. Foto: DAI Rom
Am Deutschen Archäologischen Institut (DAI) werden die Untersuchungen zu diesem weltumspannenden Phänomen in einem Forschungscluster gebündelt. „Connecting Cultures. Formen, Wege
und Räume kultureller Interaktion“ wurde 2013 neu gegründet.
In Zeiten beschleunigter Globalsierung können die Themen, die
hier verhandelt werden, unverzichtbare Grundlagen auch für die
Einschätzung gegenwärtiger Entwicklungen liefern.
In der Archäologie geht mit der Zunahme der weltweiten Verflechtungen, den Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur
vieler Länder und den vielfältiger werdenden wissenschaftlichen,
gesellschaftlichen und politischen Diskursen ein Paradigmenwechsel einher.
Seit dem 19. Jahrhundert hatte die Forschung Denkmodelle entwickelt, die die Gegensätze und Unterschiede zwischen beteiligten Akteuren ins Auge fasste. Dabei wurde häufig der Dualismus
zwischen „Fremdem“ und der Bewahrung des „Eigenen“ betont.
Inzwischen wird dieses Modell differenziert. Denn gesellschaftliche Prozesse – seien sie nun kultureller, politischer oder wirtschaftlicher Natur – sind nur noch selten räumlich eindeutig zuzuordnen. Die Vorstellung, wonach nationalstaatliche Grenzen
eine Einheit umfassen, innerhalb derer sich Politik, Gesellschaft,
Kultur und Wirtschaft national und deutlich von anderen Ländern
getrennt entwickeln, erweist sich immer mehr als überholte Kategorie. Auch die Vorstellung, dass Kultur ein unveränderter und unveränderbarer Vorrat sei, aus dem ein Individuum Lebensformen,
Werte und Identitätskonstruktionen quasi mechanisch ableitet,
wird zunehmend in Frage gestellt. Ein statischer Kulturbegriff
kann dem dynamischen Charakter des kulturellen Austauschs und
den gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen nicht mehr
gerecht werden. Nicht, dass die Vorstellung einer aus der kulturellen Tradition abgeleiteten Identität deshalb irrelevant wäre. Es
könnte aber zu Fehlschlüssen führen, sie als eine Art Computerprogramm zu betrachten, das vorschreibt, wie konkrete Personen
in bestimmten Situationen handeln oder reagieren.
Kulturkontakte und die damit verbundene Genese oder Transformation von Identitäten werden daher auch in der Archäologie
zunehmend in ihrer ganzen Komplexität betrachtet. Dahinter
verbergen sich nicht nur unterschiedliche Akteure mit mitunter
wechselnden Identitäten, sondern verschiedene Formen von
42 _ archäologie weltweit
Kontakten, die sich in unterschiedlichen physischen Räumen und
Handlungsräumen vollziehen. Mobilität und Migration sowie der
Austausch von Gütern sind Motoren für Bevölkerungsentwicklung, technische Innovationen, die Weitergabe von Wissen und
für die Genese neuer sozialer und kultureller Ordnungen. Als was
würde man zum Beispiel die Kulturen des westlichen und des östlichen Mittelmeerraums bezeichnen wollen, wenn man bedenkt,
dass große Teile von ihnen nacheinander phönizisch, griechisch
und römisch waren?
Antike Reiche waren immer Vielvölkerstaaten, am augenfälligsten
trifft dies auf das Römische Reich zu, das, einer Vorstellung des
19. Jahrhunderts zufolge, brutalen Überfällen wilder Barbaren
zum Opfer fiel.
Unser Titelthema zeigt, dass nicht nur diese Vorstellung von einer Epoche namens „Völkerwanderung“ überholt ist. Wanderungen waren auch im Spiel, als es viel früher in der Geschichte der
Menschheit um die Verbreitung von Wissen ging. Schon Jäger
und Sammler waren in weiträumigen Netzwerken miteinander
verbunden und hockten keineswegs ein jede Gruppe für sich vor
einem kleinen Feuer. Wie komplex indigene Entwicklungen bahnbrechender Innovationen einerseits und die „Wanderungen“ von
Neuerungen andererseits aufeinander einwirken, zeigt ein Stück
über Entwicklungen im Neolithikum, über das die wissenschaftliche Debatte noch längst nicht vorbei ist. Pilgerreisen sind ein
auch heute noch bekanntes Phänomen. Menschen suchen Heiligtümer auf, um bestimmten Göttinnen und Göttern zu huldigen.
Weniger in Betracht gezogen wird dabei allerdings, dass dies zu
einer steten Bewegung von Menschen, Kenntnissen und Gütern
führte. Das Heraion auf Samos ist ein herausragendes Beispiel früher „Reisereligion“.
Dass Häfen eine bedeutende Rolle bei überregionalen Bewegungen und Transporten spielen, liegt auf der Hand. Ostseehäfen im
Mittelalter und ein kleiner, aber bedeutender katarischer Hafen
aus dem 19. Jahrhundert sind unsere Beispiele. Unsere Wanderung führt uns schließlich in weit entfernte Welten, in denen vor
langer Zeit ebenfalls sehr weite Wanderungen stattgefunden haben – und zwar nicht über Land, sondern mit hochseetauglichen
Langbooten in die Inselwelt des Pazifik. Wir fragen uns: Wie wurden die Salomonen besiedelt?
Völkerwanderung?
Eine Klärung der Begriffe
„Fellbekleidete Horden überrennen die
römischen Grenzen, wilde Krieger mit
Hörnerhelmen demütigen besiegte römische
Generäle und hilflose Senatoren in wehenden
Togen – und vernichten schließlich die
antike Zivilisation.“*
„Wenn heute von Völkerwanderung die Rede ist, schwingt häufig
das 19. Jahrhundert mit“, erklärt Philipp von Rummel, Generalsekretär des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) zum lebhaft
diskutierten Thema. Die Dichotomie des „Gegen“ – Barbaren zerstören die Zivilisation – ist nach wie vor lebendig und verschleiert
allzu häufig den gebotenen analytischen Blick auf eine komplexe
Kette von Ereignissen. „Im 19. Jahrhundert war ‚Volk‘ die konstituierende Größe, und Geschichte sah man als ein Agieren von Völkern gegeneinander an“, erklärt von Rummel. Doch weder ‚Volk’
noch ‚Wanderung’ lassen sich so einfach auf den Begriff bringen.
Zwischen dem 4. und dem Ende des 6. Jahrhunderts ereigneten
sich Vorfälle, an deren Ende der europäische Kontinent sein Gesicht vollkommen verändert hatte – das Imperium Romanum in
der bis dahin bekannten Form hatte aufgehört zu existieren. Den
Beginn der Ereignisse markieren der Einbruch der Hunnen nach
* Tipp
Philipp von Rummel –
Hubert Fehr
Die Völkerwanderung
Darmstadt 2011
Broschiert: 152 Seiten
Osteuropa und die Migration der terwingischen Goten in das
römische Reich 376 n. Chr. „Zwar hatten die Einfälle der Hunnen
durchaus den Charakter von Raubzügen, aber man kann nicht alle
Bewegungen dieser Zeit als kompakte oder gar intendiert geordnete Vorgänge mit dezidiertem Eroberungswillen ansehen“, sagt
von Rummel. „Vielmehr waren die meisten der vielen Gruppen,
die unterwegs waren, auf der Suche nach einem stabilen Platz
im großen Vielvölkerstaat Römisches Reich.“ Viele der Kämpfe
der Völkerwanderungszeit waren Kämpfe um die Integration ins
Reich, nicht Angriffe fremder Mächte zum Zwecke der Eroberung.
Es waren Kämpfe zwischen denen, die ihre Privilegien behalten
wollten, und denen, die ihr Glück erzwingen wollten. „Alarich oder
Theoderich agierten nicht gegen die römische Welt oder gar außerhalb, sondern innerhalb der römischen Strukturen“, rückt von
Rummel eine der üblichen Fehleinschätzungen zurecht. „Nicht ‚die
Germanen’ haben das Römische Reich besiegt. Vielmehr haben sie
archäologie weltweit _ 43
in und mit ihm einen Entwicklungsprozess durchlaufen, an dessen
Ende neue Herrschaftsgebilde standen.“ Und während die einen
das Imperium an seinen inneren Widersprüchen und Dekadenzen zerbrechen sahen, war es für die anderen ein eindeutiger Fall
politischer Barbarei, ein Überfall, der das stolze Reich in den Untergang zwang. „Beides ist richtig, und beides ist falsch“, benennt
Philipp von Rummel die komplexe Sachlage.
In den ereignisreichen zwei Jahrhunderten veränderte sich die
Landkarte Europas grundlegend. Das riesige Römische Reich war
auf seine östliche Hälfte reduziert, und in den Provinzen des Westens hatten sich neue Herrscher etabliert. „Das Leben ging weiter und keineswegs in allen Lebensbereichen schlechter“, weiß
Philipp von Rummel. Geradezu romantische Vorstellungen des
Imperium Romanum als einem unerreichten Vorbild des neuzeit-
Sattelbeschläge eines Gepidenfürsten aus dem Schatz von Apahida - Nationales Museum der Geschichte von Rumänien. Apahida ist
eine Gemeinde in Siebenbürgen, die durch ihre drei Prunkgräber aus
der Zeit der Völkerwanderung berühmt wurde.
Abb: „Saddle fittings of a Gepid prince - Apahida.jpg“, James Steakly,
GFDL 1.2 oder später
44 _ archäologie weltweit
lichen Machtstaats trieben manchen Gelehrten in die Vorstellung
eines ‚Clash of Civilizations’, weiß der Archäologe. „Es ist richtig,
dass das technische und wirtschaftliche Niveau in ganz Europa
sank“, sagt von Rummel. Man solle dabei aber auch fragen, für
wen genau welche Entwicklungen von Nachteil waren. „Zwar mag
die Residenz des angelsächsischen Königs von Northumbria nicht
annähernd so prächtig gewesen sein wie der Palast Hadrians in
Tivoli. Doch der Ernährungsstatus der europäischen Bevölkerung
blieb während der Völkerwanderungszeit der gleiche“, sagt von
Rummel. Damit war ihr Lebensstandard in dieser Hinsicht besser
als derjenige der meisten Menschen im 19. Jahrhundert, dem Jahrhundert der großen Erzählungen über die Völkerwanderungszeit.
Das Mausoleum Theoderichs in Ravenna. Der Eckstein des
eindrucksvollen Grabbaus ist aus einem einzigen Stein gearbeitet.
Foto: DAI Rom
titelthema
Basis des TheodosiusObelisken auf dem Hippodrom in Istanbul (Türkei): Klare
Verhältnisse in der kaiserlichen
Darstellung in der beginnenden Völkerwanderungszeit
mit der kaiserlichen Familie
und Leibwächtern im oberen
Register, unten gabenbringende Barbaren.
Foto: von Rummel
Unter vandalischer Herrschaft wurden in Karthago (Tunesien) große Villen errichtet und ausgebaut, die sich von
älteren römischen Häusern, wenn überhaupt, nur dadurch unterschieden, dass sie noch etwas prächtiger ausgestattet
waren. Foto: von Rummel
Vandalen in Afrika –
Völkerwanderung ohne „Vandalismus“
Grabinschrift des Vandalen Arifridos aus einer Kirche in
Thuburbo Maius (Tunesien, heute im Bardo-Museum Tunis): auch
in der Gestaltung ihrer Gräber unterschieden sich die Vandalen
nicht von ihren römisch-afrikanischen Nachbarn.
Foto: von Rummel
Aus einer kleinen Kirche in Henchir elGousset (Tunesien) stammt der Schlussstein eines Bogens mit einer Inschrift, die den
vandalischen König Thrasamund nennt.
Foto: von Rummel
archäologie weltweit _ 45
titelthema
Dr. Philipp von Rummel
ist Generalsekretär des Deutschen
Archäologischen Instituts
Foto: Kuckertz
Neue Quellen der Archäologie
Neue Methoden in der Archäologie könnten Übersicht in die komplexe
Lage bringen. Schon seit Jahrzehnten werden mittels Radiokarbonmethode Datierungen genauer, Materialanalysen erweitern das Wissen
um Produktion und Distribution, seit einiger Zeit spielen Isotopen- und
DNA-Analysen eine größer werdende Rolle, um zum Beispiel Wanderungsbewegungen bestimmter Gruppen ausmachen zu können.
Archäologie Weltweit
AW
Machen die Naturwissenschaften den klassischen
Methoden der Archäologie Konkurrenz?
Wie gestalten sich die Diskurse in der Archäologie
zu den Möglichkeiten etwa von DNA-Analysen?
Philipp von Rummel
von Rummel
Sie bieten eine wertvolle Ergänzung. Aber wie alle anderen Quellen müssen auch Quellen aus naturwissenschaftlicher Forschung
kritisch betrachtet werden. So können wir zum Beispiel mit biologischen Methoden populationsgeschichtliche Informationen
gewinnen und Verwandtschaftsverhältnisse bestimmen – aber
kulturell und soziologisch ist damit noch nichts gesagt. Denn
Verwandtschaft wurde und wird ja häufig nicht in erster Linie
biologisch definiert, sondern soziologisch. Wenn es schließlich zu
Fragen wie Selbstzuschreibung, Identität oder Sprache kommt,
kann es sehr kompliziert werden.
Wenn man mit neuen Methoden Erkenntnisse erweitern kann,
ist die Begeisterung anfangs immer groß. Aber wir dürfen dabei
nicht historische gegen genetische Methoden ausspielen wollen.
Die Zusammenarbeit zwischen Geistes- und Naturwissenschaften ist fruchtbar und notwendig, und wird gerade im DAI schon
seit langer Zeit praktiziert. Alte DNA ist eine von vielen Quellengattungen, an die historische Fragen gestellt werden können. In
dieser Reihe kann sie äußerst wertvolle Erkenntnisse liefern, ist
aber grundsätzlich nicht wichtiger oder gar objektiver als andere
Quellen. Ganz gleich, ob es sich um einen archäologischen Fund,
einen Text oder eben DNA aus einem alten Skelett handelt – alle
bedürfen einer historischen Interpretation, wenn die Aussage
über das rein Faktische hinausgehen soll. Die Archäologie war
stets ein Mittler zwischen unterschiedlichsten Disziplinen und
Zugängen. In dieser Tradition fügt sich die Paläogentik ein in eine
Reihe zahlreicher anderer in der Archäologie angewandter Naturwissenschaften. In unterschiedlichsten Kooperationen wird sie in
DAI-Projekten bereits ganz selbstverständlich praktiziert, sowohl
in Studien zu menschlicher als auch tierischer DNA.
Untersuchungen am Referat für
Naturwissenschaften des DAI: Man
kann die Fellfarbe von Pferden als Marker für
das Einsetzen des Domestikationsprozesses
von Wildtieren verstehen. Spätestens ab der
Mitte des 3. Jahrtausends v. Chr. gibt es eine
deutliche Zunahme der Farbfell-Varianten bei
Pferden aus Osteuropa und Westsibirien als
Folge gezielter Zucht.
Abb.: Benecke
46 _ archäologie weltweit
Lebensmittel zu produzieren, statt sie nur zu sammeln, ist einer der wesentlichen Züge der „Neolithischen
Revolution“. In Mitteleuropa wird die Verbreitung der Innovationen des Neolithikums mit der Linienbandkeramik-Kultur verbunden. Mahlsteine wie diese wurden in Gräbern der Bandkeramiker gefunden.
Foto: “Molino piedra-2009.jpg”, Tamorlan, CC-BY 3.0
Auf dem Weg nach Europa
Die Ausbreitung des Neolithikums
In weiten Teilen der Alten Welt werden zwischen 10.000 und 6500
v. Chr. Menschen sesshaft, produzieren Lebensmittel anstatt sie
nur zu sammeln, domestizieren Tier und Pflanze, bauen Häuser,
entwickeln Keramik, schließlich sogar die Metallurgie und bringen differenzierte gesellschaftliche Institutionen hervor. Älteste
Formen dieser Lebensweise sind aus dem Fruchtbaren Halbmond,
der Kernlandschaft des Vorderen Orients, seit dem 10. Jahrtausend v. Chr. bekannt. Von dort breitete sich die frühbäuerliche
Lebens- und Wirtschaftsweise ab dem 7. Jahrtausend v. Chr. aus.
Über Südost-Europa wanderte die „neolithische Revolution“ bis
nach Mitteleuropa und schließlich weiter nach Norden und Westen.
„Was wir heute in Europa unter Zivilisation verstehen, kommt ursprünglich aus dieser Region des Vorderen Orients“, sagt Eszter
Bánffy, Erste Direktorin der Römisch-Germanischen Kommission
des DAI (RGK). Transmissionsriemen dieser Prozesse ist die südosteuropäische Starčevo-Kultur – so genannt nach einem Fundort in
Serbien. „Die Angehörigen dieser Kultur waren die letzten Migranten, die noch genetisch aus Anatolien stammen“, sagt Bánffy,
„Träger der Innovationen eines sozialen und kulturellen ‚Pakets’,
das Europa irreversibel veränderte.“
Doch es wäre verfehlt, sich den Prozess der Neolithisierung Europas als einen einfachen Kulturkontakt im Sinne einer „mission
civilisatrice“ vorzustellen, bei dem eine „höher entwickelte“ Kultur
einer einfacheren etwas beibringt. „Im Zuge dieser lang andau-
Prof. Dr. Eszter Bánffy
ist Erste Direktorin der RömischGermanischen Kommission des
DAI in Frankfurt. Foto: privat
ernden Entwicklung gab es in vielfältige Kontakte und komplexe Akkulturationsprozesse zwischen den Einwanderern und den
ansässigen Jäger- und Sammlerkulturen im südost- und mitteleuropäischen Raum“, weiß Bánffy. „Eine Revolution im wörtlichen
Sinne war die Neolithisierung also eher nicht.“ Begünstigt wurden
die Kontakte durch eine Verlangsamung der Wanderungsbewegung der Immigranten in der Region um das westliche Karpatenbecken, unter anderem, weil die bäuerliche Lebensweise an das
immer kühlere und nassere, atlantische Klima angepasst werden
musste. So ergaben sich Gelegenheiten, voneinander zu lernen.
„Die ansässigen Jäger- und Sammlerkulturen waren an die Hügelund Wasserlandschaft der Region bestens angepasst“, sagt die
Archäologin.
archäologie weltweit _ 47
titelthema
Hinterlassenschaften einer Jahrtausende alten Kultur. Fotos: Bánffy
Die Karte zeigt die Formierung der linienbandkeramischen Kultur im westlichen
Karpatenbecken, Mitte des 6. Jahrtausends
v.Chr. Abb.: Bánffy
Vor allem aber waren die Bauern auf der Suche nach fruchtbaren
Böden. Als einen weiteren wichtigen Grund der dynamischen
Ausbreitung ins heutige Deutschland sieht Eszter Bánffy aber
auch die Suche nach Salz an, das zum einen eine eher fleischarme
Ernährung kompensieren konnte und zum andern als Konservierungsmittel unerlässlich war. Bekannte Salzgebiete mit Solquellen,
in denen Salz auch in Gewässern zugänglich war, lagen im Flachland, einer Topografie mithin, in der die Bauern sich auskannten:
nördlich von Frankfurt, in der Elbe-Saale-Region und in Kleinpolen.
Um die komplexe Geschichte der Neolithisierung Europas nachvollziehen zu können, müssen geistes- wie auch naturwissenschaftliche archäologische Forschungsmethoden Hand in Hand
gehen, ist Eszter Bánffy überzeugt. In mehreren Projekten, die sie
leitet und zusammen mit Kooperationspartnern durchführt, kommen traditionelle archäologische Methoden ebenso zum Einsatz
wie umwelt- und bioarchäologische Verfahren. Isotopenuntersuchungen, paläomedizinische Forschungen und aDNA-Analysen
werden herangezogen, um archäologisch gesicherte Befunde
zu bestätigen, aber auch, um neue Antworten auf alte Fragen zu
finden. Es gilt noch viel herauszufinden über eine Revolution, die
keine war und die dennoch das Angesicht eines Kontinents von
Grund auf veränderte. Eine der grundlegenden Veränderungen
war die Entstehung einer neuen Kultur. „Im Zuge einer Reihe komplexer Entwicklungen und Zusammentreffen entstand schließlich
die neue kulturelle Identität der Linienbandkeramiker, der ersten
Bauern Mitteleuropas“, erklärt Eszter Bánffy, Nachkommen der
nordwestbalkanischen Starčevo-Kultur, „der letzten Immigranten
aus dem Südosten“.
48 _ archäologie weltweit
Mehr als 30 gefundene Skelette bieten – neben der archäologischen und anthropologischen Auswertung –
zahlreiche Möglichkeiten für weitere Forschungen wie zum Beispiel paläopathologische Untersuchungen, 14C-Datierung
sowie Isotopen- und aDNA-Analysen. Einige der Skelette wurden in unterirdischen Öfen bestattet. Fotos: Bánffy
Alsónyék-Bátaszék
Die frühneolithische Fundstelle Alsónyék-Bátaszék
ist die größte bekannte Starčevo-Siedlung in Ungarn. Sie wurde
im Rahmen von Baumaßnahmen für eine Autobahn zu großen
Teilen freigelegt.
Oben: Ovale Öfen in Alsónyék-Bátaszék,
unten: Unterirdische Öfen mit Lüftungsröhren Fotos: Bánffy
Karpatenbecken
Transdanubien
Kooperationen
Kooperationen
Kooperation
Landesamt für Denkmalpflege Hessen
Ungarische Akademie der Wissenschaften,
Budapest, Forschungszentrum für
Humanwissenschaften
Kroatische Akademie der Wissenschaften
und Künste, Zagreb, Institut für Archäologie
Johannes Gutenberg-Universität Mainz,
Institut für Anthropologie
Eötvös Loránd Universität Budapest,
Institut für Archäologie
Ungarische Akademie der Wissenschaften
Budapest, Institut für Archäologie
Universität Szeged, Institut für Anthropologie
Universität Heidelberg, Institut für
Ur- und Frühgeschichte
Ungarische Akademie der Wissenschaften,
Budapest, Forschungszentrum für
Humanwissenschaften
Förderung
Deutsche Forschungsgemeinschaft
(DFG)
archäologie weltweit _ 49
titelthema
Iranisches Neolithikum
Dr. Judith Thomalsky
leitet die Außenstelle Teheran
der Eurasien-Abteilung des DAI.
„Das Neolithikum ist wohl die innovativste
Phase der Menschheitsgeschichte, die wir
Archäologen beschreiben können“, sagt
Judith Thomalsky, Leiterin der Außenstelle
Teheran des DAI – eine innovative Phase,
die an mehreren Stellen des Fruchtbaren
Halbmonds gleichzeitig einsetzt. Einer der
Indikatoren für die umwälzenden Veränderungen ist das Aufkommen der Keramik.
„Die frühe Keramikproduktion beginnt in
Nordmesopotamien – in Syrien, in der Levante und in der Südost-Türkei – wie auch
im iranischen Zagrosgebirge und in der
Fars im Süden Irans gleichzeitig“, erklärt
die Archäologin, „nämlich um 7000 v. Chr.“.
Dies ist eines der Ergebnisse einer internationalen Konferenz Anfang März
an der Universität Teheran, veranstaltet
vom Forschungscluster 1 „Sesshaftigkeit“
des DAI in Kooperation mit Hasan Fazeli
Nashli, Institut für Archäologie (siehe Kasten). Auch andere neolithische Entwicklungen im Iran sind indigen, weiß man
heute. „Anhand von DNA-Analysen wie
auch archäozoologischen und -botanischen Untersuchungen können wir Spuren einer lokalen Domestikation von Ziegen und auch von Getreide ausmachen“,
sagt Thomalsky. Doch die Neolithisierung
ist ein langer Prozess. Tiere zu halten, heißt
zunächst noch nicht, sie auch zu domestizieren, und auch die Verarbeitung von
Pflanzen gab es schon lange, bevor Menschen damit begannen, Zuchtsorten zu
entwickeln. Im Iran beginnt dieser Prozess
vor 10.000 Jahren.
Technologien
Als in der ersten Hälfte des 7. Jahrtausends
v. Chr. die Keramik erfunden wird, sind die
Stile in der Frühphase noch recht einheitlich, doch bald entstehen regionale Stile.
„Für die Zeit, in der sich die Keramik ‚regionalisiert’, bilden sich offenbar auch verstärkt regionale Kontakte und Netzwerke“,
sagt Thomalsky. Der Bedarf an Materialien für die aufkommenden Technologien
steigt und setzt eine Zirkulation dieser
Rohstoffe in Gang. Noch deutlicher fassbar wird dies beim Aufkommen der Metallurgie, einer anderen der bahnbrechenden Erfin-dungen des Neolithikums.
„Für Ali Kosh in der Deh Luran Ebene können wir ab dem 9. Jahrtausend eine erste
Verarbeitung von Erzen wie Naturkupfer
und Malachit nachweisen“, sagt Thomalsky.
Im 6. Jahrtausend wird die neue Technologie erprobt, um sich schließlich im 5. Jahrtausend weiträumig im Iran und darüber
hinaus zu verbreiten.
Judith Thomalsky erforscht die Entwicklung der charakteristischen iranischen
Steingeräteindustrie. Im Zagros-Gebirge
und in der Fars ist sie am frühesten zu belegen. Thomalsky analysiert Feuersteingeräte mit einem Alter von 8000 bis 14.000
Jahren. „Von hier scheint sich dann diese
neue Technik in die Türkei und in den
Kaukasus zu verbreiten“, sagt Thomalsky.
Insgesamt, so eines der übergreifenden
Ergebnisse der Konferenz, gab es viele lokale neolithische Entwicklungen, die aber
dennoch in regem Austausch miteinander
standen.
Die ältesten Ansiedlungen bei Tappe
Sialk nahe Kashan in der Provinz Isfahan
gehen 7500 bis 8000 Jahre zurück.
Fotos: Thomalsky
Hirte mit Pferd in Paläolithischen Abri Do Ashkraft bei Kermanshah, Zentralzagros, Iran. Um
7000 v. Chr. kommt Keramik zeitgleich in Syrien, in der Levante und in der Südost-Türkei wie
auch im iranischen Zagrosgebirge und in der Fars im Süden Irans auf. Für Ali Kosh im ZagrosGebirge ist ab dem 9. Jahrtausend eine erste Verarbeitung von Erzen wie Naturkupfer und
Malachit nachgewiesen.
Forschungscluster „Sesshaftigkeit”
Die Konferenz „Neolithization and its Cosequences: A global View from and to Iran”
vom 1. bis zum 4. März 2016 an der Universität Teheran wurde vom Forschungscluster 1 des DAI in Kooperation mit Hasan Fazeli Nashli, Institut für Archäologie
der Universität Teheran, veranstaltet.
Im Cluster 1 „Von der Sesshaftigkeit zur komplexen Gesellschaft: Siedlung,
Wirtschaft, Umwelt, Kult“ (SprecherInnen Friedrich Lüth, Karin Bartl, Norbert
Benecke, Markus Reindel) wird am DAI die Forschung zu neolithischen Prozessen
gebündelt. Ziel des Clusters ist es, das Umfeld und die Rahmenbedingungen der
Sesshaftwerdung des Menschen in unterschiedlichen Natur- und Kulturräumen
der Alten und der Neuen Welt vergleichend zu untersuchen und die wesentlichen
Schritte zur Ausbildung komplexer Lebensformen nachzuvollziehen.
Archäologen bei der Arbeit in Pahlavan Tappe in der iranischen Provinz Nord-Khorasan.
Pahlavan Tappe ist ein Siedlungshügel aus dem 6. Jahrtausend v. Chr.
50 _ archäologie weltweit
archäologie weltweit _ 51
titelthema
Maikop, Russische Föderation, 1. Hälfte 4. Jt. v. Chr.
Der Stier ist einer der ältesten Nachweise für die Verwendung des Silbers. Die Stierfigur ist darüber hinaus eines der
frühsten Beispiele für den Guss in verlorener Form. Dieses
Verfahren war schon im 4. Jt. v. Chr. zwischen Persischem
Golf und südlichem Ostseeraum verbreitet.
Fotos: Piotrovsky, Eremitage St. Petersburg
Kompetenznetzwerke
Wie das Wissen in Bewegung kommt
Wie kommen die Dinge in die Welt? Alle die nützlichen Dinge, die Menschen im Laufe der Jahrtausende
dazu benutzten, sich das Leben zu erleichtern oder
vielleicht auch nur damit anzugeben. Woher wissen
Menschen, wie Pflanzen anzubauen und Tiere zu halten
sind, wie man Töpfe herstellt und – viel schwieriger –
Gegenstände aus Metall?
Prof. Dr. Dr. h. c.
Svend Hansen
ist Erster Direktor der
Eurasien-Abteilung
des DAI.
Foto: I. Hansen
52 _ archäologie weltweit
Erz zu finden, zu fördern, zu verhütten, zu gießen und zu formen,
war eine veritable Innovation, eher schon eine Revolution (nach
der Keramik die zweite Umwandlung von Materie durch Feuer). In
vielen Gegenden Eurasiens wurden Zeugnisse primitiver bis elaborierter Metallbearbeitung gefunden, die zu analysieren – mitsamt dem Wissen, das in ihnen steckt, ebenfalls innovative Methoden erfordert, vor allem, wenn es keine schriftlichen Quellen gibt.
„Den meisten Begriffen von Wissen fehlt etwas“, findet Svend Hansen, Erster Direktor der Eurasien-Abteilung des Deutschen Archäologischen Instituts. Nur das akademische Wissen, niedergeschrieben und kanonisiert, als Wissen zu betrachten, hieße nämlich, den
größeren Teil der Menschheit aus den Betrachtungen auszuschließen. „Daher ist es wichtig, die Objekte zu betrachten, die Träger
von Wissen sind.“
Aşağı Pınar, Türkisch-Thrakien. Fragment
einer Tonstatuette mit dem charakteristischen flachen Oberkörper und Kopf, um
6000 v. Chr.
Foto: Hansen
Doch wie verbreitet sich das Wissen über komplexe Handwerkstechniken? Nur im Objekt, das gehandelt, hergeschenkt oder geraubt wird? „Schon seit dem Paläolithikum waren die Gesellschaften des westlichen Eurasiens zwischen Atlantik und Ural durch
überregionale Netzwerke verbunden“, erklärt Hansen. „In ihnen
waren der Austausch von Gütern, Techniken und Ideen geregelt
und auch der von Menschen.“ Gruppen von Jägern durchstreiften
weite Gebiete, trafen andere Jäger und tauschten sich aus mit ihnen. „Innovationen verbreiteten sich dann schnell, wenn sie plausibel waren“, sagt Hansen. Das gilt auch für das Neolithikum und
die Anfänge der Metallurgie. Denn Metall ist als Innovation plausibel, weil es sich um das erste recycling-Material handelt, das wieder und wieder verwendet werden konnte. Plausibel sind auch
Rad und Wagen, die um 3500 v. Chr. zwischen Mesopotamien und
der Nordsee nachweisbar sind.
Im 5. Jahrtausend v. Chr. entwickelt sich die Metallurgie von
Westasien bis nach Südosteuropa. „Metallurgische Innovationen
begründeten sich auf einen beständigen und raschen Wissenstransfer“, erklärt Hansen. Grundlage ist zum einen eine hohe
soziale Kooperationsbereitschaft. Zum anderen gibt es aber auch
Faktoren des technischen Prozesses, die den Wissenstransfer auch
über große Distanzen begünstigten. „Manche Metalle – wie Zinn,
Antimon oder Silber – sind nur begrenzt verfügbar“, sagt Hansen.
„Allein darin liegt ein innerer Motor für die Überwindung großer
Distanzen.“ Lagerstätten waren immer auch potentielle Treffpunkte für Spezialisten.
archäologie weltweit _ 53
Innerhalb der Gesellschaften wurde handwerklich-technisches
Wissen durch Anschauung und Nachahmung weitergegeben.
Und wie zu allen Zeiten mussten die Adepten eines spezialisierten
Handwerks eine echte Lehrzeit durchlaufen. „In schriftlosen Kulturen können wir von einem familialen oder verwandtschaftlich geprägten Umfeld ausgehen“, sagt Hansen. Mit der Einführung der
Schrift können theoretisch Schulen die Vermittlung dieser neuen
Technik übernehmen und zunehmend die Vermittlung des durch
sie aufgespeicherten Wissens. Allerdings gibt es hierfür zum Bei-
spiel in Mesopotamien keine Belege, so dass auch in Schriftkulturen weiterhin eher von einer mündlichen Tradition auszugehen
ist. Notwendig wurde die Vermittlung von Wissen und so die Verteilung auf mehrere Köpfe, weil auch schon in der Kupfer- und
Bronzezeit die Menschen mobil waren. Es hätte unter Umständen
den Fortbestand einer ganzen Gruppe gefährden können, wenn
es einem einsamen Genie gefallen hätte, einfach wegzugehen.
Bytyń, Woj. Wielkopolskie, Polen. Rindergespann aus Arsenbronze. Die Figuren sind ebenfalls im Guss in verlorener Form hergestellt. Aber sie weisen darüber hinaus auf eine der wirkmächtigsten Innovationen der Menschheitsgeschichte hin: Wagen und Pflug, die bereits um die Mitte des 4. Jt. v. Chr. zwischen Nordsee und Mesopotamien
bekannt waren. Foto: Museum Poznań
54 _ archäologie weltweit
titelthema
Aşağı Pınar, Türkisch-Thrakien.
Tonstatuette einer sitzenden
Person, um 6000 v. Chr. Die
Tonstatuette repräsentiert einen
Typus, der charakteristisch für
die Ausbreitung der bäuerlichen
Wirtschaft- und Lebensweise
nach Südosteuropa ist. Statuetten
dieser Form wurden zwischen
Türkisch-Thrakien und der mittleren Theissregion hergestellt.
Foto: Hansen
Karanovo, Bulgarien. Tonstatuette einer
sitzenden Person, um 6000 v. Chr. Die
Tonstatuette weist große Ähnlichkeit mit der
Statuette aus Aşağı Pınar auf. Die linke Hand
ruht auf der Scham, die rechte Hand ist auf
den Rücken gelegt
Szajol-FELSÖFÖLD, Ungarn. Tonstatuette
einer sitzenden Person, frühes 6. Jt. v. Chr.
Auch diese fragmentierte Tonstatuette repräsentiert den gleichen Typus von Figurinen,
der mit der Ausbreitung der bäuerlichen
Wirtschaft- und Lebensweise nach Südosteuropa einhergeht.
Fotos: Hansen
Alte Verbindungen
Die ersten Bauern, die aus Anatolien und der Levante nach Südosteuropa kamen, bildeten
ein materiell erkennbares Netzwerk zwischen Türkisch-Thrakien und Makedonien sowie der
mittleren Tisza-Region (Ungarn). Verblüffend ähnliche Tonstatuetten repräsentierten eine
Form der Zusammengehörigkeit. Die zweite europäische Ausbreitungswelle der bäuerlichen Lebensweise, getragen von der „Linienbandkeramik“ zwischen dem Plattensee und
der nördlichen Oberrheinebene, gründete auf eine strikte Wiedererkennbarkeit gleichartig
verzierter Gefäße und uniformer Häuser, die tausendfach nach dem gleichen Schema
gebaut wurden. Diese Netzwerke regulierten den Austausch von notwendigen Gütern
ebenso wie den von Objekten, die ihrem Besitzer Prestige verliehen. Sie bildeten durch Hilfe
und Unterstützung eine potentielle Reduktion der Gefahren durch Missernten und andere
Krisen und boten damit zugleich eine aktive Verminderung des Konflikt- und Gewaltpotentials. In solchen Netzwerken erfolgte auch die Verbreitung technischen Wissens. Viele
Innovationen der Metallurgie, wie z. B. der „Guss in verlorener Form“ waren im 4. Jt. v. Chr.
schon zwischen Persischem Golf und Mitteleuropa verbreitet.
Aşağı Pınar, Türkisch-Thrakien. Fragment einer Tonstatuette (Kopf und Oberkörper mit Brüsten), um 6000 v. Chr.
Vergleichbare Figurinen dieser Form wurden zwischen Türkisch-Thrakien und der mittleren Theissregion hergestellt.
Die Darstellungskonventionen reichen bis in die Details der sorgfältig dargestellten Haare.
Foto: Hansen
archäologie weltweit _ 55
titelthema
Schuttschicht mit Votiven in situ aus älteren Altären. Das Grabungsteam
deckte eine reiche Planierungsschicht mit einer Fülle an Heiligtumsabfällen auf. Sortiert und bearbeitet, verwandelte sich der unübersichtliche Schutt in ein Zeugnis internationaler Vernetzung.
Schmelztiegel
Die internationalen Vernetzungen bedeutender Heiligtümer
Phönizischer ägyptisierender
Silberring.
Ägyptische Bronzestatuette der 25. Dynastie.
Prof. Dr. Wolf-Dietrich Niemeier,
ehemaliger Erster Direktor der Abteilung
Athen des DAI, leitete die Ausgrabungen
auf Samos.
Kooperationspartner
21. Ephorie für prähistorische und
klassische Altertümer des griechischen
Antikendienstes
Universität von Zypern
Universität Bochum
Förderung
Universität von Zypern
Fritz Thyssen Stiftung
Institute for Aegean Prehistory
Babylonische Bronzestatuette
eines Mannes mit Hund.
56 _ archäologie weltweit
Vom 8. bis zum 6. Jahrhundert v. Chr. geriet eine große Region
am Mittelmeer in Bewegung. Einzelne Gruppen von Menschen
machten sich auf die Suche nach Handelsmöglichkeiten, andere
wollten Land besetzen oder Städte gründen. Die meisten gingen
zuvor nach Delphi, um im Heiligtum des Apollon das Orakel zu
befragen. So wird der Tempel Umschlagplatz für geografische,
nautische und ethnologische Informationen. Später würde man
diese Phase „Die Große Griechische Kolonisation nennen.“ Doch
der Mittelmeerraum war kein Binnenraum. Er war darüber hinaus
über Flüsse und Handelswege mit anderen Kulturen verbunden –
die Netze reichten einerseits bis in keltisches Gebiet, andererseits
hinein in circumsaharische Kulturkreise, die sich wiederum mit
denen des Alten Vorderen Orients überschnitten. Die arabische
Halbinsel war über den pazifischen Ozean mit den Kulturen Indiens verbunden, die wiederum mit dem Zentral- und Mittelasiatischen Raum. Bei den vielen Bewegungen von Menschen, Wissen
und Waren spielten antike Heiligtümer sehr häufig eine uns heute
fremd gewordene Rolle als Informationsbörsen, Treffpunkte und
Koordinationszentren – und zugleich Zeugnisse für ebendiesen
Austausch über kulturelle Grenzen hinweg.
Innerhalb der griechischen Welt gehörten Ortsveränderung und
Bewegung zum Leben der Menschen, die häufig aus religiösen
Gründen auf Reisen gingen. Ein Beispiel dafür sind die panhellenischen Feste, die seit der Entstehung der Polisgesellschaften im
8. vorchristlichen Jahrhundert stattfanden. Jede Polis, die ein heiliges Spiel ausrichtete, hatte Monate vor Beginn der Agone eine
Abordnung an alle Orte der griechischen Welt zu entsenden, um
den genauen Termin in Abstimmung mit den unterschiedlichen
Kultkalendern bekanntzugeben.
Die „Olympischen Spiele“ beginnen im 8. vorchristlichen Jahrhundert und erreichen wie andere Spiele auch allmählich eine panhellenische Bedeutung. Alle vier Jahre rief Olympia die Jugend zu
den panhellenischen Spielen. Und mit ihr kamen alle, die Rang
und Namen, Macht und Mittel hatten. Hier wurden die Sportwettkämpfe ausgetragen, die so berühmt und so ruhmreich waren,
dass bis heute bei der Zählung der Spiele das Zeitalter genannt
wird: 2016 finden die 31. Olympischen Spiele „der Neuzeit“ statt.
Waren und Kulturtechniken – einheimische wie fremde – fanden
Anbieter und Abnehmer, Menschen und Wissen kursierten in freiem Austausch. Olympia im Nordwesten der Halbinsel Peloponnes
wird seit 1875 von deutschen Archäologen erforscht. Inzwischen
ist fast das gesamte Heiligtum mit seinen zahlreichen repräsentativen Bauten für Kulte und Sport freigelegt.
Samos
Die griechische Insel Samos liegt vor der ionischen Küste Kleinasiens. In der Antike war sie Regionalmacht und bedeutendes Handelszentrum. Hier wurde eines der herausragenden Heiligtümer
für Hera, Gattin und Schwester des Zeus, das Heraion, errichtet.
Herodot bezeichnet die monumentale Tempelanlage als den
größten Tempel Griechenlands. Seine Blütezeit fällt in das 8. bis
5. Jahrhundert v. Chr., bezeugt durch eine Fülle an Weihgeschenken
aus Keramik, Stein, Fayence, Elfenbein, Metall und Schnitzereien
aus Holz, die sich im sumpfigen Gelände des Heiligtums erhielten.
Ushebti aus Kalkstein.
Fotos: Niemeier
Das Heraion wird seit rund 90 Jahren von der Abteilung Athen des
Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) erforscht. Für Überraschungen sorgten die Grabungen, die ein internationales Archäologenteam unter der Leitung des damaligen Direktors der Abteilung Athen des DAI, Wolf-Dietrich Niemeier, östlich des ca. 550
v. Chr. errichteten Großen Altars 2012 und 2013 durchführte.
Das Grabungsteam deckte eine reiche Planierungsschicht mit einer Fülle an Heiligtumsabfällen auf, die auf den ersten Blick ein
großes Durcheinander offenbarte. Sortiert und bearbeitet, verwandelte sich der unübersichtliche Schutt in ein Zeugnis internationaler Vernetzung. Zyprische Kalksteinstatuetten, Edelmetalle
und Gussformen für Schmuck gehörten zu den Neufunden, die
Archäologinnen und Archäologen fanden aber auch einen silbernen ägyptisierenden Siegelring aus phönizischer Produktion
oder auch eine Ushbeti-Statuette aus Kalkstein, die aus Ägypten
importiert worden war, in einer älteren Planierschicht zudem eine
ägyptische Bronzestatuette der nubischen 25. Dynastie. Sie zeigt
die nackte weibliche Gestalt einer Konkubine mit afrikanischen
Gesichtszügen. In der linken Hand trägt sie Krone und Lilie.
„Kein anderes griechisches Heiligtum hat unter den Votiven früharchaischer Zeit einen solchen Reichtum und eine solche Vielfalt an
Importen aus dem Vorderen Orient und Ägypten hervorgebracht
wie das der Hera auf Samos“, sagt Wolf-Dietrich Niemeier. „Samos
war also bereits im 7. Jahrhundert v. Chr. in die internationalen
Handelsnetze des östlichen Mittelmeers und darüber hinaus eingebunden.“ Nun gilt es, die Vielzahl der Neufunde weiter zu bearbeiten und für die Publikation vorzubereiten.
archäologie weltweit _ 57
titelthema
H
äfen sind Schnittstellen zwischen
Land und Wasser. Sie sind Wege in
ferne Welten. In vielen geografischen
Kontexten braucht es Häfen, um
Güter, Menschen und Informationen
transportieren zu können. So werden
Häfen zu Trägern ökonomischer,
sozialer und kultureller Strukturen.
Häfen
Grabung in Rostock-Dierkow.
Foto: Karle, Niedersächsisches Institut für
historische Küstenforschung (NIhK)
Tore zur Welt
Häfen an der Ostsee und am Arabischen Golf
Die Archäologen haben in Umm AL-HOUL
eine 900 Quadratmeter große Hofhausanlage
freigelegt. Foto: Pfeiffer
Häfen sind komplexe Systeme, in
denen Umwelt, Technik, Logistik,
soziale, ökonomische und politische
Beziehungen einander überlagern.
Schließlich: Wie definieren Städte am
Meer ihr Verhältnis zum Hinterland?
In welchem Maße richtet sich ihr
Blick aufs Meer?
Die Erforschung antiker Stadtkultur gehört zu den zentralen Forschungsfeldern der Archäologie – viele der bedeutenden Zentren
der Antike waren auch Hafenstädte. Zur archäologischen Forschung gehört auch herauszufinden, wie in der Vergangenheit
der Austausch von Ressourcen und Ideen und die Bewegung von
Menschen funktionierte.
58 _ archäologie weltweit
archäologie weltweit _ 59
titelthema
Die Lage im vertorften Niederungsbereich begünstigte die Erhaltung von organischen Materialien wie Holz oder
Leder in Rostock-Dierkow; mehrere freigelegte Flechtwerkmatten und -zäune sowie verschiedene Holzkonstruktionen
weisen auf umfangreiche Baumaßnahmen hin. Fotos: Sack
Früh- und hochmittelalterliche auf Handel und Handwerk spezialisierte Küstenansiedlungen entlang der
südlichen Ostseeküste:
Groß Strömkendorf, Rostock-Dierkow, Ralswiek auf Rügen, Usedom,
Bardy/Świelubie und Puck wurden von den Archäologen bereits
umfassend interdisziplinär untersucht.
Dr. Sebastian Messal
ist Mitarbeiter der Abteilung Kulturgüterschutz und Site Management
des Deutschen Archäologischen
Instituts. Foto: Karle, NIhK
Ostseehäfen
Anders als man heute denken mag, war der Ostseeraum im frühen Mittelalter eine belebte und durchaus globalisierte Region,
in der nicht nur enge Nachbarn miteinander zu tun hatten und
entsprechend begrenzten Handel trieben. Vielmehr bildete er die
Kontaktzone zwischen den skandinavischen Königreichen, dem
fränkischen Reich und den baltischen und slawischen Gebieten.
Ein gesellschaftlich, ethnisch, religiös und wirtschaftlich äußerst
heterogener internationaler Wirtschaftsraum entstand, in dem
Güter, Informationen und Menschen ständig unterwegs waren. Er
bot somit ausgezeichnete Voraussetzungen für die Erschließung
neuer Märkte und die Kommunikation von Innovationen.
1 Starigard/Oldenburg; 2 Alt Lübeck; 3 Groß Strömkendorf;
4 Rostock-Dierkow; 5 Ralswiek; 6 Menzlin; 7 Usedom; 8 Szczecin;
9 Wolin; 10 Kamień Pomorski; 11 Kołobrzeg; 12 Bardy/ Świelubie;
13 Puck; 14 Gdańsk; 15 Janów Pomorski.
Grafik: Messal
„Seit dem 8. Jahrhundert erlebt der Ostseeraum eine Blüte des
Fernhandels und die Etablierung und Festigung eines überregionalen Verkehrsnetzes“, beschreibt Sebastian Messal die Entstehung des internationalen Wirtschaftsraums. Das zentrale Element
dabei sind Häfen, die sich in Anlage und Ausrichtung auf überregionalen Handel und das dazu notwendige Handwerk spezialisierten, die ihrerseits eine große kulturelle Vielfalt zeigen. „Neben
Slawen könnten hier auch Skandinavier und vielleicht Friesen und
Sachsen gelebt haben“, fügt Messal hinzu. „So etwas finden wir
im Frühmittelalter südlich der Ostsee nur auf diesen Seehandelsplätzen.“
Messal ist Mitarbeiter des interdisziplinären DFG-Gemeinschaftsprojekts der Abteilung Kulturgüterschutz und Site Management
des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) und des Niedersächsischen Institutes für historische Küstenforschung, in dem
frühmittelalterliche Hafenanlagen zwischen Wismarer und Danziger Bucht erforscht werden.
„Im 9. und 10. Jahrhundert schließlich erleben die Ostseehäfen
einen erheblichen Bedeutungszuwachs“, erklärt Messal. „Manche
entwickelten sich sogar zu mittelalterlichen Städten.“ Während
aber die einen Naturgewalten wie Hochwasser, Verlandung oder
Veränderung des Wasserspiegels durch umfangreiche Ausbauund Infrastrukturmaßnahmen innerhalb der Siedlungen trotzten,
gaben andere auf und verschwanden wieder.
Akribische Arbeit beim Ausschlämmen
und Durchsichten der Kulturschichten.
Neben botanischem Material traten die
schönsten Perlen zutage. Sie zeigen, dass es
weitreichende Kontakte gab, teilweise über
den Ostseeraum hinaus.
Foto: Messal
Doch wie wählten die Menschen einzelne Standorte überhaupt
aus? „Für die Anlage von Landeplätzen bzw. Häfen bevorzugte
man geschützte Lagen in Buchten, Boddengewässern oder an
Flussläufen“, sagt Messal. „Die dazugehörige Siedlung wurde aber
in der Regel in unmittelbarer Nähe auf erhöhten Standorten angelegt.“
Die Archäologen wollen darüber hinaus klären, wie die Häfen
an die jeweilige Siedlung angebunden waren und welche Rolle
überhaupt der Hafen im Leben der Siedlung spielte. Mit der Zeit
scheint sich so etwas wie eine maritime Identität entwickelt zu
haben – die Gräber, mehrfach auch in Form von Booten, in den
Küstenorten befanden sich meist in erhöhter Lage und boten einen guten Blick über Handelsplatz und Hafen.
Foto: Kiepe, Niedersächsisches Institut für
historische Küstenforschung (NIhK)
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titelthema
Blick auf den Hafen von GroSS Strömkendorf.
Das Hafenbecken zeichnet sich deutlich als L-förmige
Verfärbung (durch Algenwachstum) ab.
Luftbild: Google Earth
Durch BaumaSSnahmen hat sich der Grundwasserspiegel stark verändert.
Dadurch ist die Ruine gefährdet. Foto: Pfeiffer
Umm al-Houl
Schwierige Arbeitsbedingungen. Die Hafenareale sind
heute zumeist vermoort, sumpfig
und mit Schilf bestanden.
Geomagnetische Untersuchungen in Rostock-Dierkow.
Foto: Karle, Niedersächsisches
Institut für historische Küstenforschung (NIhK)
Kernbohrungen
in Bardy/Świelubie.
Foto: Messal
Der Handelsplatz von GroSS Strömkendorf wird sowohl von der Landseite
her als auch auf dem Wasser erforscht.
Die geophysikalischen Messungen im
Flachwasserbereich des Hafenbeckens
(hier Geomagnetik) werden vom Institut für
Geowissenschaften der Christian-AlbrechtsUniversität Kiel durchgeführt.
Auf den ersten Blick scheint Umm al-Houl
ein kleines unscheinbares Nest an der
katarischen Küste des Arabischen Golfs
gewesen zu sein. Um die 20 Häuser aus
dem 19. Jahrhundert mögen es gewesen
sein, die in der Siedlung, die landseitig
von einer Stadtmauer umgeben war, errichtet worden waren. „Doch der Ort ist
ein bedeutsamer Bestandteil des kulturellen Erbes Katars“, weiß Kristina Pfeiffer
von der Orient-Abteilung des Deutschen
Archäologischen Instituts (DAI). Die Siedlung ist die einzige befestigte Siedlung
an der Südostküste des Landes. Seit 2012
werden in Kooperation zwischen Qatar
Museums (QM) und der Orient-Abteilung
des DAI umfassende Surveys in der Region durchgeführt. Da der alte Ort sowohl
durch Baumaßnahmen wie auch durch
Umweltschäden gefährdet ist, entschied
man sich für Rettungsgrabungen, die von
2014 bis 2015 durchgeführt wurden.
Der kolonialzeitliche Ort liegt an der
Südostküste Katars, 20 km südöstlich
der Hauptstadt Doha. Seeseitig ist durch
vorgelagerte Strandstreifen eine Lagune
entstanden, in der sich ein niedriger Mangrovenwald gebildet hat. Dieser trennt die
Siedlung von der offenen See und grenzt
westlich direkt an die Bebauungsreste.
Die landseitige, natürliche topografische
Umgebung des Ortes ist durch die jüngste Bebauung in Form eines Sedimentationsbeckens vollkommen zerstört. Die
Wälle des Beckens umfassen die Siedlung
im Norden, Westen und Süden. Nach Osten zum Meer hin war die Siedlung offen.
Rundtürme dienten als Beobachtungsposten besonders zur Küstenseite. Im Ort
fanden sich verschieden große Hofhäuser
aus lehmverputztem Kalkstein mit viereckigen Grundrissen im traditionellen
Baustil der Region.
Im Jahr 2015 fanden die Archäologinnen
und Archäologen Teile einer möglichen
kleinen Hafenanlage und Bootswerkstätten in den Mangroven. „Die Anbindung an
den Arabischen Golf ist ein Hauptgrund
für die Wahl des Siedlungsplatzes“, erklärt
Pfeiffer. Zum einen war so die Subsistenz
gesichert. Zum anderen aber war der Zugang zu den großen Perlenbänken gewährleistet. Perlen hatten seit jeher eine
überregionale Bedeutung für den Handel –
das Perlentauchen im Arabischen Golf war
ein einträgliches Unterfangen. So ließ sich
eine der bedeutendsten katarischen Handelsfamilien in Umm Al-Houl nieder und
trug zur Bedeutung der kleinen Siedlung
an der katarischen Küste bei. Das Ende des
Perlenhandels läutete auch das Ende des
Ortes Umm Al-Houl ein. 1930 hatten die
Japaner die Zuchtperlen erfunden.
An der küstenzugewandten Seite der
Siedlung stand ein runder Turm, der als
Beobachtungsposten gedient haben könnte.
Foto: Pfeiffer
Foto: Messal
62 _ archäologie weltweit
archäologie weltweit _ 63
Malaita So wie sich die Insel einst den pazifischen Seefahrern
präsentierte, so zeigt sie sich weitgehend auch noch heute.
titelthema
Foto: J. Moser
Im Mangrovengebiet wurden Baureste vorgefunden, die
womöglich Bootshäuser waren. Im Hintergrund die Großbaustelle
des neuen Industriehafens. Foto: Pfeiffer
seewege
Einwanderung auf die Salomonen
Dr. Kristina Pfeiffer dokumentiert
die Arbeiten während der Ausgrabung.
Foto: Tiltmann
Überreste kleiner baulicher Anlagen, die als Bootshäuser oder zum Trocknen
von Netzen verwendet worden sein könnten.
Foto: Pfeiffer
Frühmittelalterliche
Hafenanlagen
Umm Al-Houl
Kooperation
Förderung
Kooperationspartner
Niedersächsisches Institut für historische
Küstenforschung (NIhK)
Landesamt für Kultur und Denkmalpflege
Mecklenburg-Vorpommern
Institut für Geowissenschaften der ChristianAlbrechts-Universität Kiel (IFG)
Nationalmuseum Stettin
Nationales Maritimes Museum Danzig
Polnisches Geologisches Institut Danzig
Wikingerschiffmuseum Roskilde
DFG-Antrag Schwerpunktprogramms (SPP
1630) „Häfen von der römischen Kaiserzeit
bis zum Mittelalter. Zur Archäologie und
Geschichte regionaler und überregionaler
Verkehrssysteme“. Gesamtlaufzeit: Sechs
Jahre (2012–2018)
Qatar Museums (QM)
Ludwig-Maximilians-Universität München
(LMU)
Universität zu Köln
Deutsches Archäologisches Institut (DAI)
64 _ archäologie weltweit
Förderung
Qatar Museums (QM)
Eine regelrechte Völkerwanderung soll es gewesen
sein, die um 3000 v. Chr. im größten Ozean der
Erde vonstatten ging. In 20 Meter langen Großkanus kamen Menschen über den Ozean und besiedelten nach und nach die pazifische Inselwelt. Vom
Bismarck-Archipel in Papua-Neuguinea aus stießen
die Lapita-Leute, benannt nach einer Fundstelle auf
der Foué-Halbinsel in Neukaledonien, bis zu den
Salomonen und Vanuatu vor. Später breitete sich die
Lapita-Kultur nach Fidschi, Tonga und schließlich
Samoa aus. Doch woher kamen die Lapita-Leute?
Kamen sie aus Südchina, Taiwan, von den Philippinen oder gar aus Indonesien? Oder doch aus dem
Bismarck-Archipel, wo die ältesten Spuren dieser
Kultur gefunden wurden?
Dr. Johannes Moser
ist Referent für Asien
der KAAK in Bonn.
Foto: C. Moser
archäologie weltweit _ 65
titelthema
Doppelbestattung unter dem Ria Felsschutzdach.
Das Ria Felsschutzdach, ein Wohn- und Bestattungsplatz im
Süden der Insel Malaita, Salomonen. Das Felsdach bietet Platz für 1-2
Familienverbände. Der vorkragende Felsüberhang ist Teil eines isolierten Felsstocks im tropischen Regenwald.
Die Art der Bestattung mit gekreuzten Unterarmen und
gekreuzten FüSSen wurde in entlegenen Regionen auf der Insel
Malaita bis in die 1960er-Jahre praktiziert. Die Kopfpartien der Toten
wurden häufig mit Steinen abgedeckt.
Fotos: J. Moser
Julia Gresky bei der anthropologischen Analyse der menschlichen Skelettreste aus den Bestattungen des Ria Felsschutzdaches.
Foto: J. Moser
„Wir stehen noch ganz am Anfang“, sagt Johannes Moser von der
Kommission für Archäologie Außereuropäischer Kulturen des DAI
(KAAK). Seit 2011 arbeiten er und seine Kooperationspartner auf
der Insel Malaita (Salomonen), um neue Erkenntnisse zur Ausbreitung des prähistorischen Menschen in den pazifischen Raum zu
gewinnen. Eine erste Besiedlungswelle in der Region gab es während des Paläolithikums, vor 30.000 Jahren. „Die Lapita-Leute sind
die ‚Neuen‘“, erklärt Moser. Sie kamen vor ungefähr 3500 Jahren,
besiedelten die Küstensäume und brachten verzierte, in Stichtechnik aufpunktierte Keramik mit, die Lapita-Keramik.
Auf der Spur der Steine des Fundplatzes Apunirereha ist Benjamin
Spies, der an der Universität Tübingen zum Thema promoviert. Er
will nicht nur die Entwicklung der Feuersteintechnologie, die an
diesem Fundort vor mehr als 2000 Jahren ihren Anfang genommen zu haben scheint, untersuchen, sondern auch Aufschluss
darüber gewinnen, ob Malaita womöglich die weitere Region mit
Silex versorgt hat.
In mehreren Höhlen, und unter Felsdächern und an offenen
Freilandfundplätzen entdeckten die Wissenschaftler Abschlagmaterial aus Feuerstein, der offenbar in die Fundstellen eingebracht und dort zu Werkzeugen weiterverarbeitet wurde und in
die Vergangenheit vor dem ersten Kontakt mit Europäern Ende
des 16. Jahrhunderts zurückreichte. Bald stellte sich heraus, dass
hier nicht nur für den Eigenbedarf produziert wurde. „Wir haben
es hier mit einem großräumigen Produktionszentrum zu tun, von
dem aus die Fabrikate – in erster Linie Steinbeile – als Handelsoder Tauschware überregional in Umlauf gebracht wurden“, sagt
Moser. Der Fundort Apunirereha hat, auch wegen seines einzigartigen und immensen Rohmaterialvorkommens vor Ort, dabei
eine Schlüsselposition auf der Insel Malaita. Kontakte zwischen
den Inseln, auch über größere Distanzen, und funktionierende
Beziehungsgeflechte haben im melanesischen Raum eine lange
Tradition.
Scheibenbeile aus lokalem Feuerstein.
Foto: J. Moser
66 _ archäologie weltweit
Beiltypen unterschiedlicher Machart aus Apunirereha.
Foto: Hartl-Reiter; J. Moser
Benjamin Spies promoviert zur Entwicklung der Feuersteintechnologie und der Verbreitungswege von Silex.
Foto: J. Moser
archäologie weltweit _ 67
titelthema
Foto: J. Moser
Vereinfachtes Schema der Migrationsabläufe im südlichen Pazifik.
(Karte basierend auf: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Map_Polynesian_migration-es.svg? CC-SA 4.0
Anpassung: J. Moser)
„Crossroads of Culture“
Kulturschicht mit Erdofen ‚UMU‘
Datierung 672 BP ± 42
Datierung 2050 BP ± 43
Der Fundort Apunirereha, ein lithischer Freilandfundplatz zur Herstellung von Steinwerkzeugen. Die Ausgrabungen werden von der
lokalen Bevölkerung mit großem Interesse verfolgt.
Nordwestprofil der Sondage in Apunirereha. Kulturschicht mit Erdofen
(‚Umu‘) und projizierten 14C Daten. Die Kulturschicht, hier als schwarzbraunes Band zu erkennen, datiert auf 672 BP ± 42.
Foto: J. Moser
Foto: J. Moser
68 _ archäologie weltweit
Beim Ria-Felsschutzdach, dem zweiten Fundplatz auf der Insel,
fanden Moser und seine Kollegen einen gesetzten Kieselbelag,
der offenbar Menschenwerk war. Darunter fanden sie menschliche Überreste, die wahrscheinlich bestattet worden waren. Aber
sie deckten die Knochen vorerst wieder zu. „Die Bewohner der Insel wussten nicht, dass an dieser Stelle ein Grab war“, erzählt Moser. „Andernfalls wäre der Platz tabu gewesen.“ Zum Glück für die
Forscher gibt es etwas wie eine nachträgliche Tabuisierung nicht.
Nun hoffen sie, dass der Fund Aufschluss über die noch unklaren
Befunde zur Herkunft der Menschen geben könnte.
Die ersten Untersuchungen der Skelette dreier Menschen führte
die Paläoanthropologin Julia Gresky vom Referat für Naturwissenschaften des DAI durch. „Normalerweise zerstören Feuchtigkeit
und Wurzeln in solchen Klimaten die Knochen“, erklärt Gresky.
Der Fund ist also ein Glückstreffer. Schnell stand fest, dass die Bestatteten vor dem ersten Kontakt mit Europäern gestorben sind.
„Sie sind etwa 500 Jahre alt, das haben 14C-Datierungen ergeben“,
erklärt die Anthropologin. In dem Grab lagen eine Frau von ca.
25 bis 30 Jahren, ein 11- bis 13-jähriges Kind, eher weiblich als
männlich, und ein ungefähr 4-jähriges Kind. Einen ersten Hinweis
auf die mögliche Herkunft ergab die Untersuchung der Zähne.
Gresky entdeckte bei den zwei älteren Individuen eine schaufelartige Verformung der Zahnrückseiten, was an einen asiatischen
Ursprung denken lässt. Aufgrund anderer Hinweise ist außerdem
darauf zu schließen, dass die Frau und das ältere Kind miteinander
verwandt waren. Das jüngere Kind hatte hingegen keine schaufelförmigen Zähne. DNA-Analysen, die am Max-Planck-Institut für
Menschheitsgeschichte in Jena durchgeführt werden, aber auch
Isotopenuntersuchungen, mit denen Fragen zur regionalen Herkunft der Menschen und zu Ernährungsgewohnheiten beantwortet werden können, sollen weiteren Aufschluss geben. „Natürlich
sind drei Skelette noch zu wenig, um ‚große‘ Theorien entwickeln
zu können“, warnt Julia Gresky vor allzu schnellen Schlussfolgerungen.
„Die Salomonen sind ‚Crossroads of Culture‘“, weiß Johannes
Moser. Schon seit langer Zeit sind sie eine bedeutende, gut
vernetzte kulturgeografische Kontaktzone zwischen den Großregionen Südostasiens, Australiens und der pazifischen Inselwelt.
„Die Menschen waren ständig unterwegs – das ist es, was die Forschung so viel spannender macht.“
Sondage am lithischen Schlagplatz
Apunirereha mit sichtbarer Artefaktstreuung
an der Oberfläche. Foto: J. Moser
archäologie weltweit _ 69
titelthema
titelthema
Die BEWOHNERINNEN UND BEWOHNER der Salomonen zeigen eine große Vielfalt unterschiedlicher Typen. Foto: Moser
Die Inselkette der Salomonen und Teile des Bismarck-Archipels
mit erweiterter Landmasse zu Zeiten eines Meeresspiegelabfalls (Regressionsphase) im Pleistozän mit Fundstellen des Paläolithikums und
dem bislang ältesten Fundort Vatuluma Posovi auf den Salomonen.
Die Salomonen und der Bismarck-Archipel in heutiger Zeit.
Grafik: Wittersheim
Kooperation
Mitarbeiter
National Museum Solomon Islands (Honiara)
Ministry of Culture and Tourism, Solomon Islands
Tony Heorake, Director National Museum
Lawrence Kiko, Chief Archaeologist National
Museum.
Dennis Marita, Director of Culture
Chief Andrew Raroirae (Maniaha)
Robinson Kokope (Masupa)
70 _ archäologie weltweit
Nomaden im Iran auf dem Weg zu den Sommerweiden. Ihre
Passage führt sie an den weithin sichtbaren Felsformationen vorbei, in die König Darius I. sein Felsgrab meißeln ließ.
Die Aufnahme stammt von der Fotografin der Abteilung (heute
Außenstelle) Teheran, Barbara Grunewald. Entstehungszeit zwischen 1972 und 1978.
Logistische Hilfestellung
Deutsche Botschaft Canberra
Honorarkonsul der Bundesrepublik Deutschland
auf den Salomonen Gerald Stenzel (Honiara).
archäologie weltweit _ 71
„Die deutsche Baukunst, die Gotik zumal,
hat ja etwas Dunkles“, weiß der Architekt.
„Dann kommt man auf einmal ins sizilianische Licht mit seiner antiken griechischen
Architektur, die so anders ist als die historischen Monumente hierzulande.“ Doch
damit nicht genug der Unterschiede. „In
Deutschland sind die meisten Denkmäler in geschlossene Ensembles eingefügt“,
sagt Beste. „In Sizilien, in den archäologischen Zonen oder Parks, ist man häufig
allein mit dem Denkmal. Es will, dass man
sich mit ihm auseinandersetzt.“ Wenn er
Besucher nach Agrigent führt, freut er sich
jedesmal wieder über deren Begeisterung.
Dr.-Ing. Heinz-Jürgen Beste ist
Referent an der Abteilung Rom des DAI.
Architekten haben mit Planung und Entwurf zu tun, mit deren Umsetzung und
sogar mit Fragen der Ökonomie. Insofern
ist die Architektur eine ideale Verbindung
von Theorie und Praxis. Für Heinz-Jürgen
Beste ist sie darüber hinaus eine ideale
Verbindung von Wissenschaft und Kunst.
Seit 1996 ist Beste Referent an der Abteilung Rom des Deutschen Archäologischen
Instituts (DAI) mit dem Schwerpunkt römische Architektur und Topografie.
Wegen dieser Verbindung von Architektur
und Kunst hat Heinz-Jürgen Beste dem
Architekturstudium in Dortmund und
Berlin auch die Kunstgeschichte hinzugefügt. Diplom-Ingenieur wurde er 1986,
die Promotion in Architektur erfolgte 1997
an der Technischen Universität München.
Durch einen Schwerpunkt in Forschung
und Lehre säumten hier schon früh „alte
Steine“ einen Weg, der beharrlich in die
Antike führte und dem Beste nur zu gern
folgte. Er wurde Assistent am Institut für
Baugeschichte der Technischen Universtät München. Das Reisestipendium des
DAI 1989-1990 führte ihn ans Mittelmeer.
72 _ archäologie weltweit
Den Bauforscher Beste interessiert von
Anfang an der historische Kontext von Gebäuden, und so stellt er Fragen, die weit
über die reine Architektur hinausgehen.
„Wer waren die Menschen, die diese Häuser bauten? Was für ein Leben haben sie
geführt? In welcher Art von Gesellschaft
haben sie gelebt?“
Beste arbeitet am kaiserlichen Palast Domus Aurea in Rom, an den Amphitheatern
in der antiken Stadt Capua in Kampanien
und Ancona an der Adriaküste und am
Olympieion in der Stadt Agrigent.
Doch sein Lieblingsprojekt ist das Kolosseum in Rom. Das Flavische Amphitheater
gehört zu den Höchstleistungen römischer Ingenieurbaukunst, findet Beste. „Es
ist ein Bauwerk von gewaltigen Dimensionen, das in nur zehn Jahren errichtet
wurde.“ Und das ist nicht noch nicht alles.
Besucherströme von fünfzigtausend Zuschauern waren perfekt organisiert. „Das
Kolosseum ist so berühmt, dabei aber so
wenig gekannt und kaum verstanden“,
sagt Beste. Längst haben sich die Fragen
in Archäologie und historischer Bauforschung verändert. „Früher fragte man
nicht, wie das Untergeschoss des Kolosseums funktionierte“, erklärt Beste und lacht:
„Keiner wollte in den Keller.“
In Kooperation mit der Soprintendenza
Archeologica di Roma, der römischen
Denkmalbehörde, vereinbarte man, dass
die Bauforscher des DAI und ihre italieni-
Die Architektur
der Projekte
schen KollegInnen dem berühmten unbekannten Keller die wissenschaftliche Ehre
erweisen konnten. „Und er barg eine Überraschung nach der anderen“, freut sich der
Bauforscher.
Bestes umfassender Blick auf einen Bau,
seinen gesellschaftlichen Kontext und
seine Geschichte führt ihn aber auch zu einem scheinbar unbedeutenden Sachverhalt. „Für mich beginnt die Baugeschichte
mit dem Bauplatz“, sagt er. Der Bauplatz
des Kolosseums lässt an historischer Bedeutung nichts zu wünschen übrig, und
Heinz-Jürgen Beste kann hier zudem
zwei seiner Projekte miteinander verbinden. Denn das Kolosseum wurde auf dem
ehemaligen Areal der Domus Aurea des
Kaisers Nero errichtet, und zwar genau an
der Stelle, an der auf kaiserlichen Wunsch
ein künstlicher See entstehen sollte. Doch
dazu kam es nicht mehr. Es ist die komplexe Baugeschichte des alten Rom an
solchen Stellen, die den Bauforscher fasziniert. Hier, wo die Kunst, die Architektur,
die Ökonomie und die Soziologie zusammenkommen und zusammen verstanden
werden müssen, um Aussagen zum antiken Geschehen machen zu können.
„In einer Stadt wie Rom zu leben und zu
arbeiten, ist ein großes Privileg“, ist Beste
überzeugt. „Italien ist eine ungebrochene
Kulturnation, Antike und Moderne stehen
souverän nebeneinander.“ Nicht nur in
Bestes Fach, der Architektur, sei das unschwer zu erkennen. Auch der Mode, der
natürlichen Eleganz, im Design und nicht
zuletzt in der Küche – „in allen Punkten gekonnte Selbstdarstellung.“
Der moderne Schmelztiegel Rom mit
seinen vielen Gesichtern, Kulturen und
Sprachen ist für Beste ein Faszinosum,
das auch wieder in die Antike weist, auch
wenn er zum Beispiel mit seinen Kindern
zum Spiel von AS Rom ins Fußballstadion
geht. „Genau so muss sich das Rom der
Antike angefühlt haben.“
Dr.-Ing. Martin Bachmann ist Zweiter
Direktor der Abteilung Istanbul des DAI.
Als Le Corbusier 1911 nach Istanbul kam,
faszinierten ihn mehr als die großen
Prachtbauten die typischen Holzhäuser
der Stadt, ihre vielfältigen Formen und
Farben, ihre filigrane Bauweise. Martin
Bachmann kann sich darin wiedererkennen. „Hier kommt der Architekt in mir
durch“, sagt der Bauforscher, der seit 2006
Zweiter Direktor der Abteilung Istanbul
des DAI ist.
Nach Beendigung des Architektur-Studiums 1996 wurde Martin Bachmann Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für
Baugeschichte an der Universität Karlsruhe, 1999 folgte die Promotion daselbst mit
dem Thema „Die Karlsburg. Spuren einer
Residenzanlage im Durlacher Stadtgefüge“. Im Jahr 2000 wurde er Referent für
Bauforschung bei der Abteilung Istanbul
des Deutschen Archäologischen Instituts
(DAI), nahm während dieser Zeit einen
Lehrauftrag an der BTU Cottbus wahr und
kurz danach eine Lehrstuhlvertretung in
Dortmund. 2005 nahm Bachmann seine
Tätigkeit am DAI wieder auf.
„Noch bis vor 100 Jahren war Istanbul
fast eine hölzerne Stadt“, erzählt Martin
Bachmann. Die alten Holzhäuser, die Le
Corbusier so faszinierten, zeigten mannigfaltige Bauformen, Dekorationen und Farben. Doch grundlegende Veränderungen,
städtebauliche Paradigmenwechsel und
der Einbruch der Moderne im Verlauf des
20. Jahrhunderts haben wenig von der
alten Bausubstanz übrig gelassen. Bachmanns Lieblingsprojekt ist dem DAI Istanbul seit über 50 Jahren anvertraut.
Martin Bachmann wusste immer, dass
er Bauforscher werden wollte. „Am Ende
des Studiums gab es einen Moment der
Überlegung, vielleicht doch Architekt zu
werden“, blickt er zurück. Die Stelle im
Karlsruher Institut entschied den inneren
Wettstreit, der in seiner Arbeit am DAI allerdings aufgehoben ist, wie er findet, weil
beide Stränge hier vereint sind. Bachmann
leitet und koordiniert die Konservierungsarbeiten an der Welterbestätte Pergamon.
„Es ist die beste Verbindung von Wissenschaft und kreativem Architektendasein“,
ist er überzeugt. Eine besondere Herausforderung für den Architekten stellt dabei
die Arbeit in der modernen Stadt Bergama
dar, wo das DAI Istanbul in Kooperation
mit deutschen und türkischen Partnern
umfassende Restaurierungsarbeiten an
bedeutenden Denkmälern durchführt
und darüber hinaus ein neues touristisches Erschließungsprojekt für die Altstadt mit ihren zahlreichen Monumenten
osmanischer und multiethnisch geprägter
Architektur entwickelt hat. „Bei solchen
Vorhaben muss man nicht nur die Struktur
und Funktion der alten Gebäude verstehen“, erklärt Bachmann. „Es ist auch notwendig zu verstehen, wie eine moderne
Stadt funktioniert, damit Vergangenheit
und Gegenwart sich nicht im Wege stehen.“ Bei Bauaufnahme und Restaurierung
spielt das Alter der Gebäude ohnehin
keine Rolle. Die Herangehensweise der
Bauforscher bleibt gleich, ebenso wie die
selbstverständliche Zusammenarbeit mit
anderen Disziplinen und Spezialisten. Bei
derart komplexen Anforderungen und
heterogenen Projektteams ist die sorgfäl-
im porträt
im porträt
Die Verbindung von
Kunst und Architektur
tige Planung der Vorhaben unverzichtbar.
Doch hier kommt dem Zweiten Direktor
die Erfahrung seines Berufs entgegen. „Ich
muss in gewisser Weise die Architektur der
Projekte entwickeln“, erklärt Bachmann
– Planung, Entwurf, Abstimmung, Ausführung.
Seit 2010 ist Martin Bachmann Vorsitzender der Koldewey-Gesellschaft, der berufsständischen Vereinigung der Bauforscher;
zum Mitglied wurde er 1998 ernannt. „Die
historische Bauforschung wird derzeit an
den Universitäten recht stiefmütterlich behandelt“, weiß Bachmann. Gerade deshalb
sei die Verbandsarbeit wichtig, zu der er
sich in einer aus seiner Sicht privilegierten
Lage verpflichtet fühlt. „Am DAI wurde die
Bauforschung immer sehr geschätzt“, sagt
er. „Und die Zeiten, in denen manch einer
fand, dass Bauforscher zwar nützliche Dinge tun, aber nicht wissenschaftlich-konzeptionell arbeiten, sind zum Glück schon
lange vorbei.“
Seit 15 Jahren lebt und arbeitet Martin
Bachmann in einer der dynamischsten
Städte der Welt. „Istanbul ist in vieler Hinsicht mit keiner anderen Stadt vergleichbar“, erzählt er. „4000 Jahre Geschichte,
dann wieder die Rasanz der Entwicklung
und Veränderung, wie man sie sonst aus
fernöstlichen Metropolen kennt, und eine
Wachstumsrate, die alles sprengt.“ Istanbul hat heute 18 Millionen Einwohner.
„In dieser Dynamik geht natürlich manches
verloren“, bedauert der Bauforscher. „Die
Situation ist ähnlich wie im Deutschland
der 1960er-Jahre. Der Blick ist häufig eher
nach vorn als in die ferne Vergangenheit
gerichtet.“ So sehr dadurch Teile des historischen Erbes bedroht sind, so intensiv
ist aber auch die Beschäftigung damit.
„Es gibt eine zum Teil sehr fruchtbare Spannung zwischen dem Wunsch, ein Teil der
Moderne zu sein und zugleich Identität
aus dem kulturellen Erbe ableiten zu wollen.“ Von vorschnellen Beurteilungen rät
er ab. „Man begreift vieles von dem, was
geschieht, besser, wenn man hier lebt.“
archäologie weltweit _ 73
E
s ist heiß und staubig. Sandstürme wehen Partikel auf die empfindlichen Objektive. Anderswo ist es so
kalt, dass die Finger klamm werden.
Manchmal muss man auf wacklige
Türme und Gerüste klettern, um
den besten Blick, den besten Ausschnitt und das beste Licht zu haben.
Manchmal gibt es gar kein Licht,
auch keinen Strom oder Menschenmengen, die ständig im Wege stehen.
Sammelaufnahme des Caesar, Titus
und der Antonia Minor, Pantelleria
die kunst im bild
Fotografinnen und Fotografen am DAI
Auf dem Gerüst am Hadrianeum versucht
Daniela Gauss das Licht optimal zu setzen.
Fotos: Behrens
Der Einsatz professioneller Fotografinnen und Fotografen hat am
Deutschen Archäologischen Institut
eine lange Tradition.
Drei von ihnen erzählen von ihrem
Arbeitsalltag.
74 _ archäologie weltweit
archäologie weltweit _ 75
alltag archäologie
alltag
archäologie
alltag archäologie
Portraits des Caius
Iulius Caesar, Pantelleria
Terracotta aus Fabrateria Nuova
Die Archäologie verlangt nach der Illustration. Als 1829 das Deutsche Archäologische Institut (DAI) gegründet wurde, war die Fotografie gerade erfunden worden. Aber es verging noch einige Zeit,
bis sich die neue Technologie als Dokumentationsmethode in der
archäologischen Wissenschaft durchgesetzt hatte. Das Mittel der
Wahl war die Zeichnung, das mit den Fortschritten der Fotografie auch nicht verschwand. Heute stehen beide Methoden häufig
friedlich nebeneinander, besonders da, wo es um die Darstellung
archäologischer Objekte geht. Unterlegen ist die Fotografie in Sachen Präzision der Zeichnung aber schon lange nicht mehr, und
die anfangs misstrauisch betrachtete digitale Fotografie hat die
Kinderkrankheiten längst hinter sich gelassen. Technisch hat sie
das Fotografieren müheloser und einfacher gemacht. Selbst die
Profis wissen das zu schätzen. Dabei führte die digitale Fotografie aber auch zu Missverständnissen über das Handwerk an sich,
in dem mehr beherrscht werden muss, als „auf den Auslöser zu
drücken“. Es braucht das Auge des Künstlers, um den richtigen
Ausschnitt erkennen zu können oder den goldenen Schnitt anzulegen. Ohne diesen Blick wird die Komposition fehlgehen, ohne
Verständnis für Proportion und Farbe entsteht das große Durcheinander „geknipster“ Bilder. Auch wenn Archäologen in unwegsamen Gegenden, tiefen Grabungsschnitten oder dunklen Ecken
in ländlichen Museen ohne Strom dokumentieren möchten, oder
wenn die Zeit drängt und improvisiert werden muss, muss der
Fotograf das Bild wie ein Gemälde sehen können, auch dann muss
es eine stimmige Komposition werden, die die archäologische
Arbeit in adäquater Weise darstellt.
Heide Behrens
„Schwierig wird es, wenn ich das Original nicht richtig sehen kann“,
erzählt Heide Behrens, Fotografin an der Abteilung Rom des DAI.
Wie in Tarquinia, der bedeutenden Etruskerstadt, deren Nekropole zum UNESCO-Welterbe gehört. Das einzige Licht fiel zur Tür hinein und störte eher, als dass es half. Außerdem war es in der Grabkammer so kalt, dass die Einstellung der Kamera eine Strapaze war.
Heide Behrens musste schnell umschalten und mit Handlicht improvisieren. „Es muss trotzdem gut werden“, sagt sie. Schließlich
dienten die Aufnahmen der wissenschaftlichen Dokumentation.
Seit 2002 ist Heide Behrens beim DAI. Ihr Schwerpunkt ist die Objektfotografie in Museen und Sammlungen, bei Grabungen die
Dokumentation der Funde. In Italien kennt sie fast alle Häuser, Fotokampagnen führten sie und ihre Kollegen aber auch nach Tunesien und Albanien – wo immer die Abteilung Rom archäologisch
arbeitet. „Bei ‚meiner‘ Fotografie ist die Lichtsetzung das A und O“,
sagt Heide Behrens. Das Besondere ihrer Arbeit – besonders bei
Statuen oder Terrakotta-Statuetten – ist es, die Kunst der Schöpfer
möglichst originalgetreu zur Wirkung zu bringen. „Ich versuche
mir vorzustellen, wie das Stück ursprünglich beleuchtet wurde
und versuche, diese Situation zu imitieren“, erklärt Behrens. „Foto-
grafie ist ‚Schreiben mit Licht‘“, nennt die Fotografin diese Herangehensweise. Oft gilt es dabei, auf das perfekte natürliche Licht zu
warten. „Ich versuche, möglichst wenige Lichtquellen zur Wirkung
zu bringen, da unser Auge ursprünglich nur eine Lichtquelle, die
Sonne, gewöhnt war“, sagt die Fotografin. Doch wo natürliches
Licht nicht zur Verfügung steht, greift sie zu Blitzlampen, Dauerlichtlampen oder Handblitzgeräten, die allerdings mit Augenmaß
und Sorgfalt eingesetzt werden müssen. „Erzeuge ich mehr als
einen Schatten, indem ich viele Lichtquellen verwende, ist das irritierend für den Betrachter“, sagt Behrens.
Am Anfang einer Kampagne steht jedes Mal die technische Ausstattung im Vordergrund. „Doch im Laufe der Kampagne nimmt
man Verbindung mit den Dingen auf“, erzählt Heide Behrens.
„Man entdeckt zum Beipiel die kleinen Fehler, und man mag
sie. Sie markieren den Unterschied und zeigen so etwas wie die
Persönlichkeit eines Objekts“. Und manchmal werden auch die
Schöpfer der Gegenstände greifbar. „Wenn ich unter Streiflicht die
Rückseite von Terrakotten betrachte, sehe ich die Fingerabdrücke
derjenigen, die sie hergestellt haben“, sagt Behrens.
„Ich sehe mich dann als Künstlerin,
wenn ich durch die Wahl meines Lichtes
aus dem Objekt etwas Besonderes
hervorheben kann.“
In der „Tomba dei Sarcofagi“, Cerveteri, war es eng und feuchtkalt –
eine Strapaze für Fotografin und Ausrüstung.
Alle Fotos stammen, falls nicht anders angegeben,
von Heide Behrens.
Terrakotta-Köpfchen
aus Selinunt
Heide Behrens im Museo Capitolino in
Rom. Foto: Gauss
76 _ archäologie weltweit
Heide Behrens im Garten des Palazzo Colonna in Rom. Foto: Gauss
archäologie weltweit _ 77
alltag archäologie
Baalbek, Herbst 2012.
Irmgard Wagner im Altarhof
bei Horizontalaufnahmen
der Grabungsfläche mit dem
Kamerakran. Foto: Genz
Sirwah, eines der wichtigsten politischen und ökonomischen
Zentren des sabäischen Reichs im heutigen Jemen, im Frühjahr 2009.
Kurz vor Grabungsende werden die letzten Aufräumarbeiten erledigt.
Irmgard Wagner
Mit ähnlichen und auch wieder ganz anderen Herausforderungen
ist Irmgard Wagner konfrontiert, die ab 2000 die professionelle
Digitalfotografie an der Orient-Abteilung des DAI eingeführt hat.
„Wenn die Sandstürme kommen, kann man die Ausrüstung kaum
noch richtig schützen“, erzählt sie. Jeden Abend muss man die feinen Partikel aus den Objektiven putzen. Andernfalls wäre schnelle Zerstörung des teuren Geräts die sichere Folge. Einmal im Jahr
lässt Irmgard Wagner die Kamera-Ausrüstungen der Orient-Abteilung professionell reinigen.
Die Fotografin kennt weite Teile des Vorderen Orients. Sie war in
Jordanien, im Irak, im Jemen, im Libanon, in Saudi-Arabien und
in der Türkei. Auch in Syrien hat sie fotografiert. Vor kurzem ist
sie aus Äthiopien zurückgekommen, wo sie die archäologischen,
bauhistorischen und restauratorischen Arbeiten am Monumentalbau Grat Be’al Gebri und den großen Tempel in Yeha dokumentiert hat. Um fünf Uhr früh beginnt der Arbeitstag, nachdem am
Vortag die Planung gemacht wurde. In Yeha gibt es vier Stationen,
die sie dokumentieren muss: Museumsbau, Grabungsschnitte, Restaurierungsarbeiten und Fundobjekte.
Erbil im Nordirak 2011. Blick auf die
zwei Sarkophage in der Grabgruft.
Hama in Syrien 2009. Blick von der fünfbogigen Arkade nach
Osten und Süden in den Hof II.
Wenn das Tageslicht gleißend und hart ist, spannt Irmgard Wagner den Diffusor auf, um künstlichen Schatten zu schaffen. Umgekehrt kann es in einem sechs Meter tiefen Grabungsschnitt so
dunkel sein, dass man starke Tageslichtlampen einsetzen muss,
um verwertbare Aufnahmen machen zu können. Nicht selten
klettert die Fotografin auf hohe Gerüste oder hangelt sich an Gestängen entlang, um das optimale Bild produzieren zu können.
Der geschulte Blick erkennt die Position, die das beste Ergebnis
zeitigt – auch wenn Irmgard Wagner mit dem neun Meter langen
Kamerakran hantiert, um auch an schwer zugänglichen Stellen
fotografieren zu können oder horizontale Grabungsflächen aufzunehmen. Bei ihrer Arbeit steht die wissenschaftliche Dokumentation an erster Stelle. „Das heißt aber nicht, dass man auf Ästhetik und Schönheit verzichtet“, betont Irmgard Wagner. „Denn die
Qualität der Aufnahme entscheidet darüber, wie die archäologische Arbeit wahrgenommen wird.“ Um 14 Uhr ist der erste Teil des
Arbeitstages zu Ende. Nun beginnt die Arbeit am Computer. Die
Bilder müssen geordnet und bearbeitet werden. Die Archäologinnen und Archäologen bekommen ihre Bilder für die Beschriftung
auf einen Netzwerkserver gestellt. Auch nach dem Abendessen
geht die Arbeit oft noch weiter, sechs Tage in der Woche und oft
auch sonntags.
„Die Qualität der Aufnahme entscheidet darüber, wie die archäologische Arbeit wahrgenommen wird.“
Relief aus Alabaster mit Inschrift. Fotografiert im Vorderasiatischen Museum für eine
kleine Jemen-Ausstellung.
Alle Fotos stammen, falls nicht anders
angegeben, von Irmgard Wagner.
Irmgard Wagner im Einsatz in Sirwah. Foto: Japp
Baalbek Herbstkampagne 2007. Blick auf den Altarhof
und den Jupitertempel von Süden.
Jemen, Wadi Gufaina 2003. Dem alten Beduinen begegnete
Irmgard Wagner auf einen Streifzug nach der besten Ansicht
auf eine Siedlung und wurde von seiner Familie auf ein Glas
lauwarme Ziegenmilch eingeladen.
Manchmal gibt es neugierige
Zuschauer bei der Grabung, die
unbedingt fotografiert werden
wollen.
78 _ archäologie weltweit
archäologie weltweit _ 79
Ein mongolischer Murmeltierjäger hatte den Fund eines
Felsspaltengrabes im Gebirge in der Provinz Bajanchongor
gemeldet. Mit schwerer Ausrüstung machten sich Archäologen
und Fotograf auf den Weg zur Fundstelle auf 2700 Meter Höhe.
Foto: Pohl
alltag archäologie
Warane und Giftschlangen gehören auf
der Grabung zu den eher
unliebsamen Besuchern.
Fotos: Wittersheim
Die Höhle Ifri n‘Ammar im östlichen Rif Marrokos. Die Lichtverhältnisse im Grabungsschnitt sind
für den Fotografen eine Herausforderung.
Im Innenhof des alten BerberGehöfts bereitet die Köchin für das
Grabungsteam das Mittagessen vor.
Fotos: Wittersheim
Hans-Peter Wittersheim
Anfang der 90er-Jahre in Togo: Die Felsbilder werden
fotografiert, aber auch noch mittels transparenter Folie 1:1 von
der Wand übertragen. Foto: Moser
Arbeitsplatz Jurte. Die eisige Morgenkälte weicht mittags den
hochsommerlichen Temperaturen der mongolischen Steppe.
Foto: Zick
Auch Hans-Peter Wittersheim ist das Problem mit Sand und Hitze wohl vertraut. Seit Oktober 1983 arbeitet der Fotograf und
Grafiker bei der Kommission für Archäologie Außereuropäischer
Kulturen des DAI (KAAK). Am Beginn seiner Tätigkeit standen die
grafische Arbeit für die Publikationen des Instituts und die Dokumentation von Grabungsfunden. Seit Ende der 80er-Jahre kam
das Fotografieren im Feld hinzu. Hitze, Wind, Sand und Staub, die
die Objektive verschmutzten, waren tägliche Herausforderungen
z. B. im westafrikanischen Togo.
„In Togo habe ich Anfang der 90er-Jahre parallel noch gezeichnet“,
erinnert sich Wittersheim. Es war die Übergangszeit von der Zeichnung zur Fotografie als der bevorzugten archäologischen Dokumentationsmethode. Später, in Karakorum, der alten Hauptstadt
Dschingis Khans in der Mongolei, erlebte Wittersheim den Übergang von der analogen zur digitalen Fotografie und bevorzugte
noch für eine Weile die Kamera mit Film. „Die ersten Digitalkameras entsprachen noch nicht den Qualitätsansprüchen.“ Das hat
sich geändert; geblieben ist die Anforderung ans Handwerk. „Beim
Fotografieren von Objekten, Kleinfunden oder Architekturresten
muss ich besonders auf die Lichtverhältnisse achten“, erklärt Wittersheim. „Ich muss wissen, wie ich Licht und Schatten einsetze,
um starke Kontraste zu vermeiden. Abschatten und Erzeugen von
diffusem Licht mit Folien und Reflektoren sind hier unerlässlich.“
All das muss auch funktionieren in eisiger Morgenkälte, wenn die
Feinmotorik der Finger streikt und man vor der mongolischen Jurte mithilfe des Reprostativs Objekte fotografieren will.
In den feuchtheißen Tropen, die Wittersheim in Sri Lanka erlebte,
herrschten hingegen ganz andere Bedingungen. Bereits vor Sonnenaufgang sah man ihn auf dem Fototurm – noch bevor die Palmen ihre langen Schatten auf die Grabungsfläche warfen. Warane
und Schlangen, einmal auch eine hochgefährliche Kettenviper,
zählten zu den eher unliebsamen Besuchern.
In Marokko schließlich hieß die Herausforderung „Ifri n’Ammar“,
eine Höhle im östlichen Rif. „Die Höhle ist natürlich nur zu einer
Seite offen und dementsprechend dunkel“, sagt Wittersheim. „Wir
bekamen zwar später ein Aggregat, mit dem wir Lampen versorgen konnten. Aber es blieb sehr schwierig, mit Licht und Schatten
fertig zu werden.“ Der Innenhof des alten Berber-Gehöfts, in dem
das Team in Marokko untergebracht war, bot hingegen ideale
Bedingungen für die Fotografie der Fundobjekte: „Die weiß getünchten Wände gaben regelmäßiges Licht durch gegenseitige
Reflektion“, erzählt Wittersheim. Bis die Köchinnen mittags Feuer machten und die weiße Asche auf das schwarze Tuch flog, auf
dem die Funde arrangiert waren.
Karakorum, die alte Hauptstadt des Dschingis Khan,
ist teilweise vom Kloster Erdene Zuu überbaut, das hier von Pilgern
aufgesucht wird. Foto: Wittersheim
Aufnahme einer Deponierung von Reibsteinen auf der Grabung
in Tissamaharama, Sri Lanka. Foto: Weisshaar
80 _ archäologie weltweit
In Sri Lanka hält die tropische Vegetation ganz andere Herausforderungen bereit. Vor Sonnenaufgang muss der Fotograf auf den
Fototurm – noch bevor die Palmen ihre langen Schatten auf die
Grabungsfläche werfen. Foto: Weisshaar
archäologie weltweit _ 81
standort
standort
Das Gebäude der
Außenstelle Teheran
Foto: DAI Teheran
Archäologie
im Iran
Die Außenstelle Teheran
82 _ archäologie weltweit
Die wissenschaftliche Zusammenarbeit
zwischen Deutschland und dem Iran
blickt auf eine lange Tradition zurück.
1961 wurde schließlich die heutige Außenstelle Teheran als zunächst eigenständige Abteilung des DAI gegründet. Das
Arbeitsgebiet umfasst die Archäologie
Irans von der Vorgeschichte bis in islamische Zeit. Die langjährigen Ausgrabungen
an zentralen Plätzen wie Takht-i Suleiman,
Zendan-i Suleiman, Bastam, Bisutun und
Firuzabad sind weit über die Grenzen
Irans hinaus von Bedeutung und hatten
nachhaltige Wirkung auf das heutige Bild
von der urartäischen bis sassanidischen
Zeit dieses Kulturraums. Ferner wurden im
Institutsgebäude in Teheran eine umfangreiche Fachbibliothek und eine Fotothek
aufgebaut. Neben der archäologischen
Feldarbeit widmete sich die Abteilung
außerdem der Herausgabe einer wissenschaftlichen Zeitschrift und mehrerer Reihenwerke.
1996 wurde die Außenstelle in die ein Jahr
zuvor gegründete Eurasien-Abteilung eingegliedert, die ihren Sitz an der Berliner
Zentrale hat. Nach 30 Jahren wurde die
Leitung der Außenstelle Teheran erstmals
wieder entsandt mit Dienstsitz Teheran,
von wo aus die Projekte organisiert werden. Gleichzeitig ist die Außenstelle ein
Anlaufpunkt für deutsche und iranische
Altertumswissenschaftlerinnen und -wis-
senschaftler. Seit 2005 unterstützt die
Außenstelle die Iranische Behörde für Kulturerbe, traditionelles Handwerk und Tourismus bei Rettungsgrabungen.
Am 18. Oktober 2015 wurde während der
Iranreise von Außenminister Steinmeier ein Memorandum of Understanding
(MoU) zwischen dem DAI und der Iranischen Behörde für Kulturerbe, Handwerk
und Tourismus (ICHHTO) unterzeichnet.
Gemeinsam mit der ICHHTO sollen an
zentralen archäologischen Stätten Programme zum Schutz des Kuturerbes und
für „sanften Tourismus“ erarbeitet und
umgesetzt werden. Konkrete Planungen
betreffen antike Gebäude in Firuzabad,
unter anderen Qaleh Dokhtar des Sassanidenkönigs Arteshir I., archäologisch-bauhistorische Prospektionen des Weltkulturerbes Bisutun/Bagistan (Kermanshah)
sowie archäologische Forschungen in
dem über 100 Hektar großen Platz Rivi in
der Provinz Nord-Khorasan (eisenzeitlichsassanidisch).
AuSSenstelle Teheran der
Eurasien-Abteilung
Khiaban-i Shahid Hasan Akbari 7
P.O. Box 3894
19639 Tehran Elahiya
+98 (0)21 222 163-39
www.dainst.org/standort/teheran
E-Mail: [email protected]
Archäologie weltweit
Die Standorte des Deutschen Archäologischen Instituts
Berlin
Bonn
München
Frankfurt am Main
Athen
Istanbul
Rom
Lissabon
Madrid
Kairo
Jerusalem
Amman
Sana'a
Peking
Bagdad
Damaskus
Ulaanbaatar
Teheran
www.dainst.org/standort/teheran
archäologie weltweit _ 83
panorama
panorama
40.000 Jahre Musik
Das European Music Archaeology Project
Archäologen und Altertumswissenschaftler beschreiben alte
Kulturen, erkunden Bauwerke, Schriftzeugnisse, Landschaften
und Lebensweisen, und sie befassen sich mit der Kunst antiker
Gesellschaften. Dabei denkt man schnell an Bildhauerei, Malerei
und natürlich die unsterblichen Werke der großen Dichter des
Altertums. Für prähistorische Zeiten wird die Vorstellungskraft in
Sachen Kunst dann schon auf die Probe gestellt – zum Teil aber
auch, weil ein bürgerlicher Kunstbegriff häufig allzu deutlich vom
„eigentlichen“ Leben getrennt wird. Das betrifft nicht nur Werke
der – wie man heute sagen würde – bildenden Kunst. Es betrifft
vor allem eine Form menschlicher Artikulation, die wie kaum eine
andere von allen bekannten Kulturen der Menschheitsgeschichte
geteilt wird: die Musik.
John Kenny mit Tintignac Carnyx and Loughnashade Horn.
Foto: Marano
Denn was wusste man schließlich über das musikalische Leben
der Jahrzehntausende der Steinzeit? Zunächst nicht viel. In den
letzten Jahrzehnten jedoch kamen mehr und mehr Funde und
mit ihnen Erkenntnisse ans Licht, um Aussagen über diese Epoche und ihr künstlerisches Schaffen zu machen. Die ältesten Musikinstrumente der Menschheit wurden in den Tälern der oberen
Donaunebenflüsse in Deutschland gefunden. Es waren Flöten mit
vier oder fünf Grifflöchern, hergestellt aus den Flügelknochen von
Geiern und Schwänen oder aus den Stoßzähnen des Mammut.
Die Höhlenfunde sind etwa 40.000 Jahre alt.
Nachbauten altägyptischer Lauten aus Gräbern der pharaonischen Zeit (Mitte des 2. Jahrtausends v. Chr.)
und aus koptischer Zeit (5./6. Jahrhundert n. Chr.). Fotos: Wagner
84 _ archäologie weltweit
Der Musiker und Komponist
John Kenny mit dem irischen Loughnashade Horn. Foto: Marano
„Musik ist ein Primärbedürfnis menschlicher Zivilisationen, und sie
kann viel über antike Kulturen aussagen“, weiß Arnd Adje Both,
der an der Orient-Abteilung des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) ein innovatives musikarchäologisches Projekt leitet.
„Neben anderen Formen der Zusammenarbeit wissen wir heute,
dass Musik und Musikinstrumente zum Austausch über zum Teil
weit gespannte Netzwerke beitrugen.“
Auch das „European Music Archaeology Project“ (EMAP) ist ein
weit gespanntes Netzwerk. Als Kooperationsprojekt mehrerer europäischer Forschungseinrichtungen will es mit EU-Förderung in
den kommenden Jahren der alten und reichen Geschichte europäischer Musikkultur auf den Grund gehen. Dabei wird das Vorhaben sich aber nicht mit archäologischen theoretischen Erörterungen begnügen. Vielmehr ist es ein einzigartiges Zusammentreffen
nicht nur von Wissenschaft und Kunst, sondern auch von altem
Wissen mit modernen Technologien.
In einem eisenzeitlichen Ofen in Bailén, Spanien,
werden keltiberische Trompeten hergestellt. Foto: Jiménez
archäologie weltweit _ 85
panorama
Nachbauten Keltiberischer Trompeten,
Spanien, 2.-1. Jahrhundert v.Chr. Foto: Jiménez
Nachbau einer ägyptischen Kastenleier aus Theben, 12. Jahrhundert v. Chr.
Foto: Wagner
Raquel Jiménez baut in der Keramikwerkstatt im spanischen Bailén keltiberische Trompeten nach. Foto: Howkins
ARCHÆOMUSICA
Kernstück des Projekts ist eine multimediale Wanderausstellung,
die professionell gefertigte Nachbauten alter Instrumente zeigt,
und darüber hinaus ihre Klänge hörbar macht. Die theoretische
Vorarbeit der Musikarchäologen stellt die Instrumente in ihre kulturellen Kontexte, professionelle Instrumentenbauer sorgen dafür, dass die Reproduktionen den Originalen so nahekommen, wie
es geht. Und schließlich stehen Musiker vor der Herausforderung,
den Instrumenten Stimme zu geben und Klänge zu entlocken, die
das Publikum in die Lage versetzen zu sagen: „So könnte es gewesen sein.“
„Die Nachbauten, die wir in der Ausstellung zeigen, sind auch
nicht – wie Originale es sein müssten – abgeschirmt in Vitrinen“,
erklärt Both, der die umfangreiche Ausstellung kuratiert. „Vielmehr sind es spielbare Instrumente, die auch von Zuschauern
berührt und ausprobiert werden dürfen.“ Die Ausstellungsmacher
nutzen darüber hinaus modernste technische Möglichkeiten der
Klang- und Bildwiedergabe, die es erlauben, einen ganzheitlichen
Eindruck der alten Instrumente und ihrer Musik zu gewinnen.
John Creed baut ein Loughnashade
Horn aus Irland nach (1. Jahrhundert
v. Chr.). Foto: Howkins
Steinzeitliche Knochenflöten, Schwirrhölzer, Zahnrasseln und
andere „Musikalien“ begleiten den Menschen womöglich schon
seit den Zeiten der Neanderthaler, sicher aber schon seit der Besiedlung Europas durch den anatomisch modernen Menschen vor
40.000 Jahren. Hier setzen Projekt und die Ausstellung ein und erstrecken sich über die großen Zivilisationen der Antike bis in die
musikalische Gegenwart. Musikarchäologie befasst sich auch mit
der Frage, wieviel von der vergangenen Musik womöglich überlebt hat und ob Spuren in den immer noch lebendigen Traditionen der Musikkulturen Europas zu finden sind.
„Viele der Instrumente sind herausragende Zeugnisse elaborierter
Handwerkskunst“, sagt Both. Die Instrumentenbauer nutzten die
Möglichkeiten ihrer jeweiligen Zeit auf kreative und intelligente
Weise. Dabei griffen sie immer wieder auf altes Wissen zurück, das
von Generation zu Generation weitergegeben wurde, wie auch
auf den Transfer von Technologien zwischen zum Teil weit voneinander entfernten Kulturen.
Das Neolithikum ist reich an Instrumenten aus Keramik, in der
Bronzezeit kommen Saiteninstrumente sowie Trompeten und Hörner aus Metall auf den Spielplan. Im 3. vorchristlichen Jahrtausend
entsteht eine Fülle neuer Instrumente. Leiern, Harfen und Lauten
Jean Boisserie beim Nachbau einer
Tintignac Carnyx aus Frankreich.
Foto: Howkins
in Mesopotamien, während Harfen zeitgleich auch auf figürlichen
Darstellungen in Griechenland erscheinen. Auch im alten Ägypten
waren Harfen bekannt, Lauten findet man dort im 2. Jahrtausend
v. Chr. Zum berühmten Grabinventar des Tutanchamun gehörten
Trompeten aus Silber und Kupfer (2. Hälfte des 14. Jahrhunderts
v. Chr.). Die Ausstellung zeigt aber nicht nur die Instrumente selbst,
sondern erklärt auch die kulturellen Kontexte ihres jeweiligen
Gebrauchs. Von Beginn an spielten Musik und von Instrumenten
erzeugte Klänge eine herausragende Rolle in Religion und Ritus,
aber auch bei der Übertragung von Informationen und Signalen.
Bei der Huldigung an Herrscher und bei Sieges- oder auch Trauerfeiern durfte Musik nicht fehlen. Und natürlich diente sie auch
dem schönsten Zweck: dem reinen Vergnügen.
EMAP und ARCHÆOMUSICA
Das European Music Archaeology Project (EMAP) erreichte 2012
unter 80 Projekten den ersten Platz in einem Wettbewerb der
„Education, Audiovisual and Cultural Executive Agency“ (EACEA)
der EU. Das innovative Projekt, in dem wissenschaftliche Forschung und künstlerische Kreativität eng zusammenarbeiten,
will die antike Musikgeschichte Europas aus einem ungewöhnlichen Blickwinkel zeigen: musikalisch, wissenschaftlich und „zum
Anfassen“. Es hat eine Laufzeit von fünf Jahren, von 2013 bis 2018.
Beteiligt sind sieben europäische Länder und zehn europäische
Institutionen. Koordiniert wird das Vorhaben vom italienischen
Tarquinia aus. Außer einer groß angelegten Reise durch Zeit und
Raum in der interaktiven Ausstellung „ARCHÆOMUSICA“ wird
das Projekt Workshops und Konferenzen durchführen, Konzerte
aufführen sowie Bücher, CDs und DVDs und Unterrichtsmaterial
herausgeben.
www.emaproject.eu
John Kenny spielt die
Tintignac carnyx.
Foto: Marano
Nachbau der Tintignac Carnyx aus dem Frankreich
des 1. Jahrhunderts v. Chr. Foto: Lake
Ausstellungsdaten und -orte:
5./6. Juni 2016 bis 8. Januar 2017
– Ystad, Schweden (Kloster Ystad)
Nachbau eines bronzezeitlichen
Sistrums aus der Türkei, um 2000
v. Chr. Foto: Marano
7. Februar bis 21. Mai 2017
– Valladolid, Spain (Museo de la Ciencia)
11. Juni bis 24. September 2017
– Ljubljana, Slowenien
(Narodni muzej Slovenije – Nationalmuseum Sloweniens)
Seikilos Epitaph mit der ältesten
komplett erhaltenen griechischen
Notation. Tralles, Türkei, 100 v. –
100 n. Chr.
3D Scan: STARC, The Cyprus Institute.
86 _ archäologie weltweit
13. Oktober bis 11. Dezember 2017
– Rom, Italien (Parco Regionale dell‘Appia Antica,
Sala Appia)
archäologie weltweit _ 87
impressum
Archäologie Weltweit
Magazin des Deutschen
Archäologischen Instituts
4. Jahrgang / 1  2016
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Mitarbeit: Hedwig Görgen
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sämtliche Nutzungsrechte des verwendeten Bildmaterials beim Deutschen
Archäologischen Institut. Eine Weiterverwendung ist nur nach ausdrücklicher Genehmigung erlaubt.
88 _ archäologie weltweit
Leider wissen wir nicht, wer der Künstler ist, der eines der berühmtesten Denkmäler der Welt verewigt. Sein Motiv ist die Terrasse des
Palasts von Persepolis, einer der Hauptstädte des Achämenidenreichs. Persepolis wurde seit den frühen 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts unter der Leitung des Archäologen und Altorientalisten
Ernst Herzfeld erforscht. Einer seiner Kollegen war der Archäologe
und Architekt Friedrich Krefter, von dem dieses Foto stammt.
Eurasien-Abteilung, Archiv Außenstelle Teheran
Nachlass Friedrich Krefter
Arc häo lo gi e w e lt w e it
Orte und Regionen in dieser Ausgabe
Ägypten. Cultural Heritage, Landschaft, Seite 18, 28
Llanos de Mojos. Bolivien. Landschaft, Seite 28
Wuqro. Äthiopien. Das Objekt, Seite 38
Samos. Griechenland. Titelthema, Seite 56
Umm al-Houl. Katar. Titelthema, Seite 58
Ostseeküste. Deutschland, Polen. Titelthema, Seite 58
Malaita. Salomonen. Titelthema, Seite 65
Wanderungen und Migrationsströme
vom Fruchtbaren Halbmond bis Mitteleuropa und
innerhalb Europas. Titelthema, ab Seite 40
Teheran. Iran. Standort, Seite 82
das titelbild
Um 3000 v. Chr. ging im Südpazifik eine Art Völkerwanderung vonstatten. In 20 Meter langen Großkanus kamen Menschen über den Ozean und besiedelten nach und nach die pazifische Inselwelt. Vom BismarckArchipel in Papua-Neuguinea aus stießen die Lapita-Leute, benannt
nach einer Fundstelle auf der Foué-Halbinsel in Neukaledonien, bis
zu den Salomonen und Vanuatu vor. Später breitete sich die LapitaKultur nach Fidschi, Tonga und schließlich Samoa aus. Doch woher
kamen sie? Kamen sie aus Südchina, Taiwan, von den Philippinen
oder gar aus Indonesien? Oder doch aus dem Bismarck-Archipel,
wo die ältesten Spuren dieser Kultur gefunden wurden?
Wanderungen sind ein Dauerphänomen der Menschheitsgeschichte. Einige ihrer Wege und Ziele werden im DAI erforscht. Sie sind
diesmal unser Titelthema.
Boote vor Malaita. Foto: Moser
Die Ruinen von Persepolis wurden seit dem frühen 19. Jahrhundert
archäologisch dokumentiert. Friedrich Krefters Fotografien, Aquarelle
und Zeichnungen aus den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts besitzen
hohen dokumentarischen Wert.
Foto: Krefter
TWG
Archäologie Weltweit – Vierter Jahrgang – Berlin, im Juli 2016 – DAI
archäologie weltweit
1 • 2016
Wenn wir unser
kulturelles Erbe erhalten
wollen, brauchen wir
Ihre Unterstützung.
1 • 2016
Magazin des Deutschen Archäologischen Instituts
Wie Sie uns helfen
können, sehen Sie hier:
w w w. t w g e s . d e
Gesellschaft der Freunde des Deutschen Archäologischen Instituts
Meisterklasse am See Genezareth. Jordanische und syrische Handwerker
lernen für die Zukunft ihrer Länder. Foto: Bührig, DAI
Theodor Wiegand Gesellschaft e. V.
Wissenschaftszentrum Bonn
Ahrstraße 45, 53175 Bonn
Nadja Kajan
In der Nähe des Sees Genezareth im Norden Jordaniens liegen die Ruinen der antiken Stadt
Tel.: +49 228 30 20
Gadara. Die hellenistisch-römische Stätte – heute heißt der Ort Umm Qays – ist Schauplatz eines
Fax: +49 228 30 22 70
außergewöhnlichen Workshops. Auf dem Programm steht Unterricht in traditioneller Steinbear-
[email protected]
beitung, einem Handwerk, das in der Region fast in Vergessenheit geraten war. Praxisnah und
anschaulich vermitteln Meister André Gravert und Geselle Tobias Horn, Steinmetze und Restau-
Deutsche Bank AG, Essen
ratoren im Handwerk, einem gemischten Team von Jordaniern und Syrern Grundzüge traditioneller Steinbearbeitung.
IBAN DE20 3607 0050 0247 1944 00
Ziel ist einerseits Capacity Building für die Bevölkerung vor Ort. Zum anderen sollen aber auch
BIC DEUTDEDEXXX
die syrischen Kursteilnehmer in die Lage versetzt werden, die neu erworbenen Fähigkeiten beim
oder
Bonner Sparkasse, Bonn
IBAN DE88 3705 0198 0029 0058 08
Wiederaufbau ihres Landes einzusetzen.
Die Idee zu dieser Weiterbildungsmaßnahme, die auch vom Auswärtigen Amt unterstützt wird,
hatte die DAI-Bauforscherin Dr. Claudia Bührig, die auch das Konzept entwickelte.
BIC COLSDE33XXX
Ihre Spenden sind
steuerbegünstigt.
titelThema
Titelthema unterwegs
Theodor Wiegand Gesellschaft
Unterwegs
Wege und Wanderungen in der Antike
Vielen Dank!
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fokus
C u lt u r a l H e r i ta g e
pa n o r a m a
Archaeological Heritage Network
Ein Netzwerk für den Erhalt
des kulturellen Erbes
Archäologie als Teil
der Gegenwart
Kulturerhalt in Ägypten
40.000 Jahre Musik …
Nachbau antiker Instrumente