TWG Archäologie Weltweit – Vierter Jahrgang – Berlin, im Juli 2016 – DAI archäologie weltweit 1 • 2016 Wenn wir unser kulturelles Erbe erhalten wollen, brauchen wir Ihre Unterstützung. 1 • 2016 Magazin des Deutschen Archäologischen Instituts Wie Sie uns helfen können, sehen Sie hier: w w w. t w g e s . d e Gesellschaft der Freunde des Deutschen Archäologischen Instituts Meisterklasse am See Genezareth. Jordanische und syrische Handwerker lernen für die Zukunft ihrer Länder. Foto: Bührig, DAI Theodor Wiegand Gesellschaft e. V. Wissenschaftszentrum Bonn Ahrstraße 45, 53175 Bonn Nadja Kajan In der Nähe des Sees Genezareth im Norden Jordaniens liegen die Ruinen der antiken Stadt Tel.: +49 228 30 20 Gadara. Die hellenistisch-römische Stätte – heute heißt der Ort Umm Qays – ist Schauplatz eines Fax: +49 228 30 22 70 außergewöhnlichen Workshops. Auf dem Programm steht Unterricht in traditioneller Steinbear- [email protected] beitung, einem Handwerk, das in der Region fast in Vergessenheit geraten war. Praxisnah und anschaulich vermitteln Meister André Gravert und Geselle Tobias Horn, Steinmetze und Restau- Deutsche Bank AG, Essen ratoren im Handwerk, einem gemischten Team von Jordaniern und Syrern Grundzüge traditioneller Steinbearbeitung. IBAN DE20 3607 0050 0247 1944 00 Ziel ist einerseits Capacity Building für die Bevölkerung vor Ort. Zum anderen sollen aber auch BIC DEUTDEDEXXX die syrischen Kursteilnehmer in die Lage versetzt werden, die neu erworbenen Fähigkeiten beim oder Bonner Sparkasse, Bonn IBAN DE88 3705 0198 0029 0058 08 Wiederaufbau ihres Landes einzusetzen. Die Idee zu dieser Weiterbildungsmaßnahme, die auch vom Auswärtigen Amt unterstützt wird, hatte die DAI-Bauforscherin Dr. Claudia Bührig, die auch das Konzept entwickelte. BIC COLSDE33XXX Ihre Spenden sind steuerbegünstigt. titelThema Titelthema unterwegs Theodor Wiegand Gesellschaft Unterwegs Wege und Wanderungen in der Antike Vielen Dank! www.dainst.org fokus C u lt u r a l H e r i ta g e pa n o r a m a Archaeological Heritage Network Ein Netzwerk für den Erhalt des kulturellen Erbes Archäologie als Teil der Gegenwart Kulturerhalt in Ägypten 40.000 Jahre Musik … Nachbau antiker Instrumente Arc häo lo gi e w e lt w e it Orte und Regionen in dieser Ausgabe Ägypten. Cultural Heritage, Landschaft, Seite 18, 28 Llanos de Mojos. Bolivien. Landschaft, Seite 28 Wuqro. Äthiopien. Das Objekt, Seite 38 Samos. Griechenland. Titelthema, Seite 56 Umm al-Houl. Katar. Titelthema, Seite 58 Ostseeküste. Deutschland, Polen. Titelthema, Seite 58 Malaita. Salomonen. Titelthema, Seite 65 Wanderungen und Migrationsströme vom Fruchtbaren Halbmond bis Mitteleuropa und innerhalb Europas. Titelthema, ab Seite 40 Teheran. Iran. Standort, Seite 82 das titelbild Um 3000 v. Chr. ging im Südpazifik eine Art Völkerwanderung vonstatten. In 20 Meter langen Großkanus kamen Menschen über den Ozean und besiedelten nach und nach die pazifische Inselwelt. Vom BismarckArchipel in Papua-Neuguinea aus stießen die Lapita-Leute, benannt nach einer Fundstelle auf der Foué-Halbinsel in Neukaledonien, bis zu den Salomonen und Vanuatu vor. Später breitete sich die LapitaKultur nach Fidschi, Tonga und schließlich Samoa aus. Doch woher kamen sie? Kamen sie aus Südchina, Taiwan, von den Philippinen oder gar aus Indonesien? Oder doch aus dem Bismarck-Archipel, wo die ältesten Spuren dieser Kultur gefunden wurden? Wanderungen sind ein Dauerphänomen der Menschheitsgeschichte. Einige ihrer Wege und Ziele werden im DAI erforscht. Sie sind diesmal unser Titelthema. Boote vor Malaita. Foto: Moser Die Ruinen von Persepolis wurden seit dem frühen 19. Jahrhundert archäologisch dokumentiert. Friedrich Krefters Fotografien, Aquarelle und Zeichnungen aus den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts besitzen hohen dokumentarischen Wert. Foto: Krefter Editorial editorial Liebe Leserin, lieber Leser, Prof. Dr. Dr. h. c. Friederike Fless Präsidentin des Deutschen Archäologischen Instituts Foto: Kuckertz wenn die Welt in Bewegung gerät und alte Rituale der Selbstvergewisserung auf dem Prüfstand stehen, kann es mitunter schwierig sein, die Anker zu identifizieren, die noch ein Minimum an Sicherheit bieten, sei es im Denken oder im Handeln. Solche Anker in der Vergangenheit zu suchen, wird vielfach zu recht kritisiert – es sei denn, wir reden von einer Vergangenheit, die uns eines Besseren belehren kann, wenn es darum geht, in scheinbar ausweglosen Situationen Lösungen zu finden. Der integrierte Blick in die Geschichte, wie er in der modernen Archäologie gängige Praxis ist, zeigt nämlich, dass Welten in Bewegung ein ziemlich normales Phänomen sind und dass auch die Welt, in der wir heute leben, das Ergebnis vieler sich überschneidender Bewegungen ist. Man kann gerade heute nicht genug darauf hinweisen, dass die Lebensweise, die wir die unsere nennen, die wir für selbstverständlich nehmen und aus der wir Selbstvergewisserung ziehen, auch nur im Zuge einer Bewegung zu uns gekommen ist. Die Vorstellung allein autochthoner Kulturen, die getrennt voneinander je aus sich selbst heraus entstanden, wird zwar in der Forschung als alleiniges Modell für die Entwicklung von Kulturen nicht mehr vertreten, scheint aber in Momenten der Unsicherheit – falsch begründeten – Rückhalt zu bieten. Und Vorstellungen von „Aufstiegen“ und „Niedergängen“ unterschätzen die Komplexität der Bewegungen, die nie aufhören, unsere gemeinsame Welt zu formen und zu verändern und mit ihr die Menschen, die darin leben. Auch die Archäologie ist in Bewegung. Längst hat sie den Blick erweitert und schaut nicht mehr „nur“ auf Objekte und Denkmäler, sondern auch auf die Menschen, die sie schufen. Sie folgt den komplexen Wegen, die Menschen und ihr Wissen in Raum und Zeit gingen, um so die Vergangenheit mit der Gegenwart zu verbinden. Die Welt in Bewegung ist auch das Titelthema dieser Ausgabe von Archäologie Weltweit. Nach neolithischen Reisen geht es weiter zu griechischen internationalen Heiligtümern, ins Imperium Romanum kurz vor seiner Transformation in das Mittelalter, zu Häfen auf verschiedenen Kontinenten bis schließlich in den weit entfernten Südpazifik. Wie man durch Gründung eines „Archaeological Heritage Network“ aktuelle Bewegungen zum Anlass nehmen kann, sich auf gemeinsame Ursprünge zu besinnen und zusammenzuarbeiten, zeigt unser „Fokus“, und das „Panorama“ berichtet, welches menschliche Bedürfnis seit 40.000 Jahren eine wesentliche Rolle in unser aller Leben spielt: Musik. Viel Vergnügen bei der Lektüre wünscht Ihnen Ihre Prof. Dr. Dr. h. c. Friederike Fless archäologie weltweit _ 01 inhalt Fokus 4 Archaeological Heritage network 12 Ein Netzwerk für den Erhalt des kulturellen Erbes 18 Kulturerhalt in Ägypten 26 28 ströme 38 Unterwegs Wege und Wanderungen Alltag Archäologie 40 43 Völkerwanderung? – Eine Klärung der Begriffe 47 Auf dem Weg nach Europa – Die Ausbreitung des Neolithikums Iranisches Neolithikum 52 Kompetenznetzwerke – Wie das Wissen in Bewegung kommt 56 Schmelztiegel – Die internationalen Vernetzungen bedeutender Heiligtümer 84 58 Tore zur Welt – Häfen an der Ostsee und am Arabischen Golf 65 Seewege – Einwanderung auf die Salomonen 72 Im Porträt Heinz-Jürgen Beste Martin Bachmann Panorama 40.000 Jahre Musik Das European Music Archaeology Project 74 alltag archäologie Die Kunst im Bild – Fotografinnen und Fotografen am DAI 82 Standort Archäologie im Iran – Die Außenstelle Teheran Die Kunst im Bild Fotografinnen und Fotografen am DAI Titelthema Unterwegs – Wege und Wanderungen in der Antike in der Antike 74 Das Objekt Ein sabäisches Heiligtum – Der Libationsaltar in Wuqro 40 Titelthema Landschaft Ströme – Die Landschaften von Nil und Amazonas Die Landschaften von Nil und Amazonas Kulturerhalt in Ägypten Standpunkt Connecting Cultures landschaft Archäologie als teil der gegenwart cultural heritage Archäologie als Teil der Gegenwart 28 cultural heritage Fokus Archaeological Heritage Network Ein Netzwerk für den Erhalt des kulturellen Erbes 18 Nachrichten 84 Panorama 40.000 Jahre Musik – Das European Music Archaeology Project 88 02 _ archäologie weltweit Impressum archäologie weltweit _ 03 inhalt 12 nachrichten nachrichten Volles Haus in der Hauptstadtrepräsentanz der Telekom. DAI-Präsidentin Fless begrüßt Außenminister Steinmeier zum Jahresempfang. Jahresempfang des Deutschen Archäologischen Instituts mit Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier Start des Projekts »Stunde Null« und Gründung des Archaeological Heritage Network Am 27. April 2016 wurde in Anwesenheit von Außenminister Frank-Walter Steinmeier das Projekt „Stunde Null – Eine Zukunft für die Zeit nach der Krise“ offiziell gestartet. Es geht auf eine Initiative des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) zurück und steht auf einer breiten Basis kooperierender Einrichtungen, dem Archaeological Heritage Network. Ziel des Netzwerks ist die Bündelung der vielfältigen Kompetenzen an Hochschulen, außeruniversitären Forschungseinrichtungen und Museen, in Verbänden und Einrichtungen der Landesarchäologie und Landesdenkmalpflege, um sie für die konkrete Arbeit im Ausland einsetzbar und sichtbar zu machen. werden, die zum Lebensalltag der Menschen gehören. Aus dem Blick gerät manchmal auch die Frage, wie Syrien nach dem Ende der Krise als Lebensraum für Menschen wieder aufgebaut werden kann. Das Deutsche Archäologische Institut als eine der größten archäologischen Forschungseinrichtungen weltweit initiierte das Projekt „Stunde Null“, um für diese Herausforderung Kompetenzen zu bündeln und Synergieeffekte zu schaffen. Die Zusammenarbeit soll jedoch nicht auf dieses Thema beschränkt werden. Vielmehr will es künftig weitere Projekte initiieren und ist offen für Erweiterung. Außenminister Steinmeier betonte in seiner Ansprache „die Projekte, die wir mit der Initiative „Stunde Null“ fördern, sind komplex und vielschichtig. So vielschichtig und komplex, mag manch einer sagen, wie die Herausforderungen, die mit dem Wiederaufbau Syriens einhergehen werden!“ Die Zerstörung des kulturellen Erbes in Syrien und im Irak durch den sogenannten Islamischen Staat schafft übermächtige, eigens medial inszenierte Bilder beispielsweise von der Sprengung der Tempel in Palmyra. Dabei gerät mitunter aus dem Blick, dass seit 2011 syrische Städte und große Teile des kulturellen Erbes zerstört „Wir verfügen in Deutschland über große Kompetenzen auf diesem Feld. Aufgrund föderaler Strukturen sind diese in zentralen Bereichen jedoch auf die Bundesländer bezogen“, erklärte DAIPräsidentin Friederike Fless. „Andere Einrichtungen haben einen explizit auf Deutschland bezogenen Auftrag. Diese Kompetenzen auch für die konkrete Arbeit im Ausland sichtbar und einsetzbar zu machen, ist ein Ziel des Archaeological Heritage Network. Ein anderes besteht darin, hiervon wiederum zu lernen und das eigene Handeln in globaler Spiegelung zu reflektieren.“ 04 _ archäologie weltweit Gründungsmitglieder des Archaeological Heritage Network Fotos: Paasch Die aktuelle Herausforderung Die Tempel von Palmyra sind bedeutende Stätten des kulturellen Erbes in Syrien. Doch beim Wiederaufbau Syriens müssen auch andere Maßnahmen des Kulturerhalts Priorität haben. Höchste Eile ist geboten, wenn es darum geht, syrische Städte mit ihren antiken Denkmälern und historischen Stadtkernen zu retten und zu erhalten. Es kann also nicht allein um die Frage gehen, wie man die Tempel von Palmyra rekonstruiert, sondern vielmehr darum, wie man zum Beispiel mit dem bereits 2012 zerstörten Basar von Aleppo, einem UNESCO-Welterbe, verfahren will. Soll die Altstadt von Aleppo in ihrer Struktur erhalten und teilweise wieder aufgebaut werden oder will man sie durch eine neu gebaute Stadt ersetzen? Syrische Experten werden gemeinsam mit deutschen Kollegen daran arbeiten, die notwendigen Dokumentationen von Bauten und stadtplanerischen Bestandsaufnahmen durchzuführen, um zielführende Planungsprozesse gestalten und schließlich durchführen zu können. Im Mittelpunkt des Projekts „Stunde Null“ steht daher die Weiterbildung syrischer Architekten, Archäologen, Denkmalpfleger, Bauforscher, Stadtplaner und vor allem Handwerker. Ein großer Teil der Aus- und Weiterbildung findet in den Nachbarländern Syriens statt, die Flüchtlinge aufgenommen haben. Für Hochschulabsolventen stehen darüber hinaus Stipendien für Masterstudiengänge in Baudenkmalpflege an der Helwan University in Kairo und an der German Jordanian University in Amman zur Verfügung. In Ergänzung dazu werden Flüchtlinge und lokale Kräfte bei Arbeiten zum Erhalt bedeutender Denkmäler im Libanon, in Jordanien und in der Türkei professionell geschult und zu Fachkräften weitergebildet. So vereint das Projekt humanitäre Hilfe, indem es Arbeitsplätze schafft und Perspektiven durch Ausbildung eröffnet – nicht in abstrakten Lehreinheiten, sondern in konkreter Planung und Anwendung beim Wiederaufbau und damit Erhalt bedeutender Denkmäler in der Region. DAI-Präsidentin Fless dankte dem Minister ebenso wie den Mitgliedern des Deutschen Bundestages für ihr persönliches Engagement und ihre Entscheidungen, die eine Finanzierung und Umsetzung des Projektes „Stunde Null“ DAI-Präsidentin Prof. Dr. Dr. h. c. überhaupt erst möglich machen. Friederike Fless Das Netzwerk und das Projekt werden vom Auswärtigen Amt unterstützt. Sondermittel „Flucht und Migration“ des Auswärtigen Amts tragen dazu bei, das Projekt in den nächsten Jahren umzusetzen. Die Gerda Henkel Stiftung fördert zahlreiche Stipendien und Projekte im Kontext des Projektes „Stunde Null“. Gründungsmitglieder des Netzwerkes: Baudenkmalausschuss des Deutschen Archäologischen Instituts Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg Deutsche Stiftung Denkmalschutz Deutsche UNESCO-Kommission Deutscher Akademischer Austauschdienst Deutsches Archäologisches Institut Deutsches Nationalkomitee für Denkmalschutz Deutsches Nationalkomitee von ICOMOS Gerda Henkel Stiftung Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin Koldewey-Gesellschaft (Vereinigung für baugeschichtliche Forschung e. V.) Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen Römisch-Germanisches Zentralmuseum Mainz Stiftung Preußischer Kulturbesitz Verband der Landesarchäologen Verein der „Freunde der Altstadt von Aleppo“ Vereinigung der Landesdenkmalpfleger archäologie weltweit _ 05 nachrichten Wiegandhaus Das Deutsche Archäologische Institut. Zentrale im Berliner Stadtteil Dahlem. Foto: Grunwald »Ein Glanzstück des Wissenschaftssystems« Der Wissenschaftsrat im DAI „Das DAI wird von Forschenden sowie Antiken- und Denkmalschutzbehörden zahlreicher Länder als kompetenter Kooperationspartner und vorzüglicher Botschafter Deutschlands geschätzt und trägt zu einem positiven Bild Deutschlands im Ausland bei. Das Institut gehört zu den Glanzstücken unseres Wissenschaftssystems“. Mit diesen Worten fasste der Vorsitzende des Wissenschaftsrats, Prof. Dr. Manfred Prenzel, die Ergebnisse der neuesten Stellungnahme zum Deutschen Archäologischen Institut (DAI) zusammen. Als eine der international „renommiertesten geisteswissenschaftlichen Forschungs- und Forschungsinfrastruktureinrichtungen Deutschlands“ habe das DAI sein wissenschaftliches Profil in den vergangenen Jahren weiter geschärft und profiliere sich insbesondere in der Globalarchäologie, die über große geografische und zeitliche Räume interdisziplinär arbeitet und kulturelle Interaktionen untersucht. Zur positiven Beurteilung trägt weiterhin bei, dass das Institut das Methodenspektrum besonders in den Bereichen Naturwissenschaften und Informationstechnologie kontinuierlich erweitert und eine herausragende Rolle in der archäologischen und altertumswissenschaftlichen Nachwuchsförderung einnimmt. 06 _ archäologie weltweit Uruk ist eine der größten Grabungsstätten des DAI im Irak. Foto: Wagner Wiederaufnahme Neue Arbeiten des DAI im Irak Vor dem Hintergrund rasanter Digitalisierung auch in den Geisteswissenschaften erwähnt der Wissenschaftsrat mit Nachdruck das IANUS-Forschungsdatenzentrum für die Forschung und Vernetzung der Archäologien und Altertumswissenschaften, eine Plattform, die von einem Verbund deutscher wissenschaftlicher Einrichtungen unter Federführung des DAI entwickelt und betrieben und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanziert wird. Das Konzept von IANUS als Langzeitarchiv und digitales Forschungsdatenzentrum zur Archivierung und Bereitstellung von Projektdaten wird in den Archäologien und Altertumswissenschaften dringend benötigt. Besonders beeindruckt zeigten sich die Gutachter von den Leistungen des DAI nicht nur auf wissenschaftlichem Gebiet, sondern auch in den Bereichen Kulturerhalt und Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik. Der Wissenschaftsrat bestärkt daher das Auswärtige Amt ausdrücklich in seinem Bestreben, den Umfang des institutionellen Haushalts des Deutschen Archäologischen Instituts zu erhöhen. Nach 14 Jahren Unterbrechung nimmt das Deutsche Archäologische Institut die Feldforschung im Südirak wieder auf. Ein internationales Team aus zehn aus Deutschland angereisten Archäologen und Spezialisten sowie sieben irakischen Archäologen unter Leitung von Margarete van Ess, Leiterin der Außenstelle Bagdad des DAI, führte einen archäologischen Umlandsurvey in Uruk, der Metropole des legendären Königs Gilgamesch, durch und bereitete Projekte zur weiteren Erforschung der archäologischen Stätten und ihrer Konservierung vor. Konservierungsmaßnahmen an bereits ausgegrabener Architektur sind nach der langen Unterbrechung dringend erforderlich. Das Team dokumentierte die Schäden, die durch Umwelteinflüsse entstanden sind, um auf dieser Grundlage detaillierte Maßnahmen entwickeln zu können. Im Rahmen des Surveys wurden zudem alle archäologischen Reste sowie Hinweise auf antike Bodennutzung in einem Radius von drei Kilometern um die antike Stadtmauer herum kartiert. Die Daten wurden bereits vor Ort in ein Geoinformationssystem aufgenommen. Erste Ergebnisse stehen daher sofort zur Verfügung und können direkt an die örtlichen Behörden weitergegeben werden. Mit den Untersuchungen war ein Fortbildungsprogramm für junge irakische und deutsche Archäologen verbunden. Es war Fortsetzung und Erweiterung der alljährlichen Sommerschulen der Orient-Abteilung des DAI für irakische Nachwuchswissenschaftler. Ein internationales Team inspizierte wesentliche Teile des Stadtgebiets von Al-Hira, eine sehr bedeutende Stadt der Spätantike und wichtig für die Entwicklung des mittelalterlichen Irak. Foto: DAI Orient-Abteilung Al-Hira Auch in al-Hira konnte Ende 2015 ein deutsches Archäologenteam einen zweiwöchigen Survey durchführen. Die Leitung haben Margarete van Ess und Martina Müller-Wiener in Kooperation mit Mitarbeitern der Technischen Universität Berlin. Die Kooperationspartner arbeiteten eng mit der irakischen Antikenverwaltung von Najaf zusammen. Das internationale Team inspizierte wesentliche Teile des umfangreichen Stadtgebiets, kartografierte Architektur- und Topografiebefunde und erfasste Keramik- und sonstige Kleinfunde. So sollte der Umfang der ursprünglich besiedelten Flächen ermittelt und die jeweiligen Stadtteile bestimmt werden. Al-Hira war eines der bedeutenden städtischen Zentren des Irak. Al-Hira gilt als Vorgängerstadt Kufas, der ältesten islamischen Stadtgründung im Irak. Aus früheren Ausgrabungen ist der bedeutende Beitrag al-Hiras in der Geschichte des Zweistromlandes in der Spätantike bekannt. Der Survey brachte wesentliche neue Erkenntnisse. Die Archäologen konnten Funde aus früheren internationalen Vorhaben präziser lokalisieren und auf großen Flächen neue Siedlungsreste dokumentieren. Am Survey war auch eine Gruppe junger irakischer Archäologen beteiligt, die im Rahmen des Weiterbildungsprogramms des DAI moderne Technologien in der Archäologie trainierten. Dieses Programm wird maßgeblich vom Auswärtigen Amt (AA) finanziert. Das wissenschaftliche Personal aus Deutschland wurde durch die schweizerische Fondation Max van Berchem unterstützt. archäologie weltweit _ 07 nachrichten Judith Thomalsky, Leiterin der Außenstelle Teheran des DAI, führt in die Ausstellung ein. Übersetzung: M. Ahmadi. »Tehran55« Jebrael Nokandeh, Direktor des Iranischen Nationalmuseums, spricht das Grußwort. Ausstellung im Iranischen Nationalmuseum Ein halbes Jahrhundert Arbeit deutscher Archäologen im Iran ist im Iranischen Nationalmuseum in Teheran nun für die Öffentlichkeit sichtbar. Am 24. April 2016 wurde die Ausstellung „Tehran 55: Ein halbes Jahrhundert Deutsche Archäologen in Iran“ feierlich eröffnet. Die Ausstellung war zuerst 2011 im Berliner Museum für Islamische Kunst (SMB) zu sehen. Konzipiert hatten sie Barbara Helwing, die damalige Leiterin der Außenstelle Teheran und Patricia Rahemipour von der Eurasien-Abteilung des Deutschen Archäologischen Instituts. Anlass war das 50-jährige Bestehen der Außenstelle. In Teheran wird eine leicht geänderte Fassung der ursprünglichen Präsentation gezeigt. Grußworte sprachen Jebrael Nokandeh, Direktor des Iranischen Nationalmuseums, der deutsche Botschafter im Iran Michael von Ungern-Sternberg, der die Ausstellung eröffnete, Mohammadreza Kargar (ICHHTO) und Mohammad Beheshti, Direktor des Forschungszentrums der Iranischen Antikenbehörde (RICHTO// ICHHTO). Judith Thomalsky, Leiterin der Außenstelle Teheran, führte die Gäste mit einem Vortrag in die Thematik der Ausstellung ein, welche die Vorgeschichte und die Geschichte der Außenstelle Teheran zeigt. Präsentiert werden aber nicht nur Fundstücke aus Ausgrabungen und Archivalien, sondern mit Bildern und Korrespondenz auch ein Stück Wissenschaftsgeschichte. Zu Beginn der Ausstellung werden die Besucher mit ersten Informationen zur Sache versorgt, Vertiefungen gibt es, falls gewünscht, an den einzelnen Stationen. Das Plakat zur Ausstellung „Tehran55“ 08 _ archäologie weltweit In einsamen Höhen … Höhepunkt des Festakts war die feierliche Übergabe des Katalogs „Tehran55“, der in der Redaktion von Yousef Hassanzadeh vom Iranischen Nationalmuseum von Hamid Fahimi ins Persische übersetzt worden war. Ermöglicht wurden Ausstellung und Übersetzung des Katalogs ins Persische unter anderem durch Sondermittel des Auswärtigen Amts. Begleitet wird die Ausstellung von Vorträgen zu archäologischen Projekten des DAI im Iran. archäologie weltweit _ 09 Zu Gast in Deutschland Dank der Finanzierung durch das Auswärtige Amt (AA) konnte die Abteilung Kairo des Deutschen Archäologischen Instituts 29 Einladungen an ägyptische Studierende für Studienaufenthalte aussprechen, damit sie deutsche Universitäten besuchen können. Ägyptologie, Koptologie, Islamische Archäologie, Papyrologie sowie Konservierungs- und Museumskunde sind akademische Disziplinen, die an deutschen Universitäten einen international hervorragenden Ruf genießen. Darüber hinaus erfahren die vermeintlichen „Orchideenfächer“ wachsende Bedeutung für den Erhalt des kulturellen Erbes. nachrichten Akademischer Austausch mit Ägypten Die Gäste besuchten Universitäten, Museen, Forschungseinrichtungen und Akademien ihrer jeweiligen Fachrichtungen in Berlin, Bonn, Heidelberg, Hildesheim, Leipzig, München und Würzburg. Dabei konnten sie einen Blick hinter die Kulissen werfen und in Magazinen, Bibliotheken, Laboratorien und Sammlungen einen Eindruck vom deutschen Wissenschaftsbetrieb gewinnen. So konnte zum Beispiel eine Gruppe von zehn Studierenden der Papyrologie Ende letzten Jahres an einem PapyrologieWorkshop im Ägyptischen Museum und der Papyrussammlung der Staatlichen Museen zu Berlin teilnehmen. Das Studium der Papyri offenbart unter anderem wichtige Sozial- und Wirtschaftsdaten aus dem Alten Ägypten. Zurück in Kairo, trugen die ägyptischen Gäste ihre Rechercheergebnisse vor und äußerten den Wunsch, mit den deutschen Kommilitonen, Kollegen und Institutionen in Kontakt zu bleiben. … scheinen sich die beiden Figuren zu bewegen. Hoch vielleicht, aber sicher nicht einsam. Aleppo zählte einst zu den wichtigsten Handelszentren des Nahen Ostens. Besonders in der Altstadt von Aleppo mit lebendigen Basaren und der Zitadelle herrschte reges Treiben. Hier wurden Anfang des 20. Jahrhunderts die Karawanen Richtung Irak ausgerüstet. Von hier aus brachen auch deutsche Archäologen zu Pferd zu ihren Forschungen im Irak auf. Junge ägyptische AkademikerInnen zu Gast in Deutschland. Foto: DAI Kairo 10 _ archäologie weltweit Das Foto stammt von Walter Bachmann, der an den Ausgrabungen von Assur und Kar Tukulti Ninurta mitgearbeitet hat. Wir schreiben das Jahr 1914. Zu sehen ist das Haupttor zur Zitadelle von Aleppo. Bilder wie diese gehören zu den reichen Beständen des DAI, die nun digitalisiert und syrischen Einrichtungen zur Verfügung gestellt werden, um Vorlagen beim Wiederaufbau zerstörter Kulturgüter bieten zu können. siehe auch: Archäologie Weltweit, Sonderausgabe „Rekonstruktionen“ archäologie weltweit _ 11 fokus fokus »D as Deutsche Archäologische Institut als die Forschungseinrichtung des Auswärtigen Amtes setzt international Maßstäbe. Gemeinsam werden wir ein Archaeological Heritage Network gründen, das Kompetenzen bündelt und von der kulturellen Bildung über die gemeinsamen Grabungen und Restaurierungen bis hin zur wissenschaftlichen Auswertung für aktuelle Fragen wie den nachhaltigen Umgang mit natürlichen Ressourcen nutzbar macht und vor allem eines gewährt: Zugang zum kulturellen Erbe der Welt hier in Berlin sowie das gemeinsame Erarbeiten von Weltwissen.«* Frank-Walter Steinmeier Archaeological Heritage Network Ein Netzwerk für den Erhalt des kulturellen Erbes Restaurierung auf der Nilinsel Elephantine bei Assuan in Ägypten. Teile der Arbeiten wurden aus Mitteln der Transformationspartnerschaft des Auswärtigen Amts unterstützt. Foto: DAI Kairo * Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15. Mai 2015 12 _ archäologie weltweit archäologie weltweit _ 13 fokus Kulturerhalt im Jemen Foto: Wagner Meister André Gravert und Geselle Tobias Horn, Steinmetze und Restauratoren im Handwerk, vermitteln Grundzüge traditioneller Steinbearbeitung. Foto: Bührig Der „GroSSe Tempel“ von Yeha ist ein einzigartiges Zeugnis sabäischer Baukultur in Äthiopien. In Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) werden ungelernte Bewohnerinnen und Bewohner des Dorfes in unterschiedlichen Handwerken ausgebildet. Foto: Wagner Das Orchontal ist die Wiege spätnomadischer Stadtkultur im nördlichen Zentralasien und galt als heiliges Zentrum der Welt. Heute gehört es zum Welterbe der UNESCO. Foto: Wittersheim 14 _ archäologie weltweit In Zeiten von Umbruch und Krise steht die Gewährleistung der Sicherheit von Leib und Leben und die Grundversorgung mit dem Lebensnotwendigen der Menschen an erster Stelle. In Zeiten fehlender Gewissheiten ist Selbstvergewisserung in der eigenen Tradition und kulturellen Überlieferung darüber hinaus ein wichtiger Faktor, so etwas wie eine Verankerung in der eigenen Geschichte herstellen zu können. Kultur und Tradition manifestieren sich dabei nicht nur in Gebäuden und Objekten, sondern auch in den Fähigkeiten der Menschen, sie zu konzipieren und herzustellen. Kulturelle Konzepte bestimmen aber auch die Art und Weise, wie Menschen das Verhältnis zu ihrer natürlichen Umgebung bestimmen und gestalten. Die Zerstörung des kulturellen Erbes hat vielfältige Ursachen. Krieg ist diejenige Ursache, die durch die aktuellen Ereignisse in Ländern wie Syrien, im Irak oder im Jemen derzeit am deutlichsten vor Augen stehen. In medial inszenierten spektakulären Aktionen vernichtete der sogenannte Islamische Staat weltbekannte Kulturstätten und Denkmäler. Doch fast unbemerkt von der Weltöffentlichkeit verlieren Menschen in der kriegsgeschüttelten Region fast täglich auch kulturelles Erbe, das für sie zur alltäglichen Lebenswelt gehört. Krisen verstärken zudem die Bedrohung des kulturellen Erbes durch Raubgrabungen und Plünderungen für den weltweit operierenden illegalen Kunsthandel. Zu den von Menschen gemachten Gefährdungen des Kulturerbes gehört auch die Vernichtung ganzer Kulturlandschaften durch weitläufige Infrastrukturmaßnahmen und rücksichtslosen Ressourcenabbau. Aber auch Umweltfaktoren wie Wind, Niederschläge und Überschwemmungen bedrohen mit der Zeit archäologische Denkmäler in ihrer Substanz. Aktuelle Herausforderungen Es ist aber die Lage in den Krisenregionen des Nahen Ostens, durch welche die Notwendigkeit, das kulturelle Erbe zu schützen und zu erhalten, wieder stärker ins Bewusstsein rückt und zunehmend auch auf politischer Ebene an Bedeutung gewinnt. Doch Kulturerhalt geht weit über den Erhalt, die Sicherung und Restaurierung bedeutender kultureller Stätten und Denkmäler hinaus. Kulturerhalt bedeutet auch, traditionelles Handwerk mit innovativen Methoden zu verbinden sowie Arbeitsplätze zu schaffen und so wirtschaftliche Impulse zu setzen, die zur Stabilisierung in den Gast- und Partnerländern beitragen. Alte Konzepte von geschlossenen Kulturräumen oder gar asymmetrische Hilfsangebote können dabei aber keine Grundlage bieten. Zum einen werden in einer rasch sich verändernden Welt die Diskurse über nationale und kulturelle Identitäten komplizierter und mit ihnen die Entscheidungen darüber, welche Herangehensweise gewählt und welche Prioritäten beim Erhalt des kulturellen Erbes gesetzt werden sollen. Zum anderen gilt es, kooperative Formate zu entwickeln, die das Wissen, das über lange Zeit in Institutionen wie dem DAI gesammelt wurde, dort zur Verfügung zu stellen, wo es gebraucht wird. Die Restaurierungsarbeiten des DAI und seiner Partner in Pergamon sind unverzichtbar für den Erhalt des Weltkulturerbes. Foto: Bachmann archäologie weltweit _ 15 Steinmetzschule in Gadara Syrische Flüchtlinge in Jordanien werden an der archäologischen Stätte der 2000 Jahre alten hellenistisch-römischen Stadtanlage von Gadara in der Nähe von Umm Qays gemeinsam mit lokalen Akteuren in den Bereichen Restaurierung und Konservierung ausgebildet. In einem Trainingscamp für jordanische und syrische Handwerkerinnen und Handwerker werden zudem traditionelle Steinmetztechniken vermittelt. Foto: Bührig Das Archaeological Heritage Network hat sich in seiner konstituierenden Sitzung 2015 auf ein erstes gemeinsames Vorhaben geeinigt. Das Projekt „Stunde Null“ bietet Plattform und Rahmen, um syrische Fachleute, Studierende und zukünftige Entscheidungsträger zusammenzubringen und in den Bereichen Architektur, Archäologie, Denkmalpflege, Bauforschung und Stadtplanung sowie im Handwerk aus- und weiterzubilden, und zwar sowohl in Deutschland wie auch in Ländern der Region. Ziel ist es, sie dabei zu unterstützen, die Zukunft ihres Landes planen und gestalten zu können. Während des Jahresempfangs des DAI am 27. April 2016 wurde es in Anwesenheit von Außenminister Frank-Walter Steinmeier offiziell gegründet. Sicherung und Präsentation der bronzezeitlichen Stadtmauer von Hattuscha in Zentralanatolien. Foto: Schachner Gründungsmitglieder des Archaeological Heritage Network Das Kompetenz-Netzwerk Das Expertennetzwerk „Archaeological Heritage Network“ ist keine neue Institution. Vielmehr geht es darum, vorhandene Kompetenzen zu bündeln und so die notwendigen Synergieeffekte zu schaffen. Im Netzwerk haben sich Hochschulen und Forschungsinstitute, Verbände und Einrichtungen des Denkmalschutzes, Förderinstitutionen, Museen, Berufsverbände und Stiftungen, aber auch private Initiativen zusammengeschlossen. Die internationalen Vorhaben zur Rettung des kulturellen Erbes weltweit werden in einer rasant sich verändernden Welt zunehmend komplexer. Diesen veränderten Herausforderungen kann man nur gemeinsam begegnen – auch wenn es gilt, auf internationaler Ebene erfolgreich Mittel einzuwerben und die Sichtbarkeit des deutschen Engagements zu steigern. Deutschland besitzt aufgrund seiner historischen Erfahrungen besondere Expertise im Bereich der „Postwar Reconstruction“, bei der entscheidungsrelevante Theorie und logistische Praxis Hand in Hand arbeiten müssen. Diese Expertise wird zunehmend nachgefragt. In den einschlägigen internationalen Netzwerken verspricht man sich von einem starken deutschen Netzwerk einen positiven Einfluss auf die Entwicklung profunder Konzepte im Kulturerhalt – was umgekehrt positive Rückkopplungseffekte auf Forschung, Lehre und Ausbildung in Deutschland haben würde. Deutsche Hochschulen und Forschungseinrichtungen besitzen eine Fülle von Kompetenzen für den Bereich des archäologischen Kulturerhalts, die jedoch nicht gebündelt, sondern in einem breiten Spektrum aufgelöst sind. Sie werden in zahlreichen Studiengängen vermittelt und umfassen sowohl ein breites Spektrum archäologischer Forschung wie auch Architektur und historische Bauforschung. Methoden der Schadenserfassung sowie Restaurierung und Konservierung gehören dazu, ebenso wie Site Management und nicht zuletzt die inhaltliche Erschließung und Vermittlung an Besucherinnen und Besucher. In vielen Ländern, die bedeutende Denkmäler und Welterbestätten beherbergen, ist der Tourismus ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Dieses multidisziplinäre wissenschaftliche Angebot, das Theorie und Praxis miteinander verbindet, besitzt eine große internationale Ausstrahlung und zieht daher zahlreiche Studierwillige, aber auch Gastforscher aus allen Ländern der Welt an. Die Beschäftigungsmöglichkeiten für Absolventen dieser Studiengänge sind vielfältig. Zum einen ist ihre Expertise gefragt in zahlreichen nationalen und internationalen wissenschaftlichen und kulturellen Einrichtungen wie Hochschulen und Museen. Zum anderen bietet der wirtschaftliche Sektor attraktive Angebote in spezialisierten Architekturbüros und Restaurierungsfirmen bis hin zu Positionen in der Tourismusbranche. Nur mit einem Ausbau dieser Kompetenzen wird es möglich sein, die Basis für eine erfolgreiche Kulturerhaltarbeit im Ausland zu gewährleisten. Die Verbindung von innovativer Forschung, nachhaltiger Ausbildung, praxisorientierter Arbeit und die Stärkung wirtschaftlichen Potentials zur Stabilisierung in Gast- und Partnerländern wird darüber hinaus langfristig zu einer erhöhten Akzeptanz der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik beitragen. Baudenkmalausschuss des Deutschen Archäologischen Instituts Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg Deutsche Stiftung Denkmalschutz Deutsche UNESCO-Kommission Deutscher Akademischer Austauschdienst Deutsches Archäologisches Institut Deutsches Nationalkomitee für Denkmalschutz Deutsches Nationalkomitee von ICOMOS Gerda Henkel Stiftung Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin Koldewey-Gesellschaft (Vereinigung für baugeschichtliche Forschung e.V.) Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen Römisch-Germanisches Zentralmuseum Mainz Stiftung Preußischer Kulturbesitz Verband der Landesarchäologen Verein der „Freunde der Altstadt von Aleppo“ Vereinigung der Landesdenkmalpfleger Tipp Das DAI gibt zum Projekt „Stunde Null“ eine Sonderausgabe von Archäologie Weltweit heraus. Sie erscheint zeitgleich mit dieser Ausgabe. Museumsbau in Yeha Foto: Wagner 16 _ archäologie weltweit Dokumentation als Basis für Konservierung und Präsentation: Architekten bei der Aufnahme der hellenistischen Stadtmauer von Oinoanda (Lykien, Türkei). Foto: Bachmann archäologie weltweit _ 17 fokus Das erste Projekt – Die „Stunde Null“ cultural heritage cultural heritage W ie will man in Ägypten Kultur erhalten und restaurieren? Wo anfangen, mag man sich fragen. Und wo enden? Schließlich geht es um 6000 Jahre, in denen kulturelle Zeugnisse von überragender Bedeutung und unschätzbarem Wert für Land und Leute entstanden, blieben oder versanken, zerfallen durch Naturgewalt oder Vernachlässigung, in Vergessenheit gerieten oder Teil der Gegenwart wurden. Archäologie als Teil der Gegenwart Kulturerhalt in Ägypten 18 _ archäologie weltweit Pharaonische Geschichte unter dem Mikroskop. In starker Vergrößerung wird der technische Aufbau der Pferdegeschirre und Waffenscheiden sichtbar, die im Grab des Tutanchamun gefunden wurden. Die Goldfolien sind auf einen Träger aus Leder, Textil, Füll- und Bindemitteln aufgetragen. Abb.: Eckmann archäologie weltweit _ 19 cultural heritage Prof. Dr. Stephan Seidlmayer ist Direktor der Abteilung Kairo des Deutschen Archäologischen Instituts. Foto: DAI Kairo Vor 6000 Jahren begannen Menschen auf der Nilinsel Elephantine eine Siedlung zu bauen. Sie war ein wichtiger Handelsplatz und bedeutend für den Götterkult. Foto: DAI Kairo Durch Flyer in englischer und arabischer Sprache – hier zu den Felsinschriften im „Public Garden“ von Assuan – werden Besucher und Einheimische mit den Denkmälern vertraut gemacht. 20 _ archäologie weltweit Die größten Bedrohungen bringt die Moderne. Mit der europäischen Ägyptomanie erlebt die Grabräuberei erste Hochkonjunkturen. Im Windschatten kolonialer Eroberungen und umwälzender geopolitischer Veränderungen wird Ägypten wie viele andere Länder auch in einen anderen Aggregatzustand katapultiert und folgt seit dem 19. Jahrhundert den Entwicklungen der Moderne in vielerlei Hinsicht. Als das 20. Jahrhundert technische Möglichkeiten ungeahnten Ausmaßes bereitstellt, werden sie stürmisch begrüßt und in Gestalt gewaltiger Unternehmungen angewendet. So kommt es zur bislang spektakulärsten und größten Rettung antiker Kultur am Nil. Als die Tempel von Abu Simbel, Heiligtümer von Ramses II., im neu geschaffenen Assuan-Stausee zu versinken drohten, wurden sie in einer weltweit konzertierten Aktion auf ein höheres Niveau am Nilufer verlegt. Der Pharao hatte die Anlage vor mehr als 3000 Jahren fast 60 Meter tief in einen Sandsteinfelsen am Westufer des Nils graben lassen. Fünf Jahre dauerte die Rettung, von 1963 bis 1968. 1970 wurde der Staudamm in Betrieb genommen. Doch spektakuläre Ereignisse dieser Art überstrahlen häufig die andauernde, langwierige und oft komplizierte alltägliche archäologische Arbeit in Ägypten. Ein bedeutender Teil dieser Arbeit ist heute der Kulturerhalt, aber auch – untrennbar damit verbunden – die adäquate Vermittlung vor Ort der langen und reichen Geschichte des Landes am Nil. „Für ein Land in komplizierten Zeiten ist ein Rückgriff auf die Vergangenheit wesentlich“, weiß Stephan Seidlmayer, Direktor der Abteilung Kairo des Deutschen Archäologischen Instituts. Das pharaonische Ägypten wird im modernen Staat mehr denn je zu einem Anker der Selbstvergewisserung, und unversehens wird Archäologie zu einem Teil der Gegenwart. Daher befassen sich die Kulturerhaltprojekte des DAI Kairo nicht nur mit Zeugnissen ferner Vergangenheiten, sondern auch mit solchen aus der jüngsten Geschichte und Gegenwart. In einem Land wie Ägypten, das immer wieder Umbrüche erlebt, ist der Schutz des kulturellen Erbes mitunter eine Herausforderung. Viele der weltbekannten Bauten sind gut geschützt, an entlegenen Stellen hingegen gibt es immer wieder Zerstörungen. Eine der Ursachen ist oft Unwissenheit. „Eines der Probleme beim Kulturerhalt ist häufig die vernachlässigte Einbindung der lokalen Bevölkerung“, erklärt Seidlmayer. „Deshalb darf die Forschungsarbeit nie auf die Innenwelt der Wissenschaft beschränkt bleiben. In einem Land, in dem rund 15 % des Bruttosozialprodukts und der Arbeitsplätze vom Tourismus abhängen, ist es entscheidend, die gesellschaftliche Bedeutung der Archäologie zu erkennen.“ Mit den Projekten zum Erhalt des kulturellen Erbes gehen daher immer auch Site Management, Erschließung und Information einher, sei es in Form touristischer oder moderner musealer Konzepte – zum Beispiel auch in Form eines Smartphone-basierten Reiseführers zu Assuan für die Digital Natives. Das DAI Kairo gibt Newsletter in arabischer Sprache heraus, stellt Unterrichtsmaterial zur Verfügung, veranstaltet Kurse für Schülerinnen und Schüler und berichtet mit einer Fülle öffentlicher Veranstaltungen von seiner Arbeit. Beim „Kindertag“ auf der Ausgrabung Elephantine erleben die Schulkinder der benachbarten Dörfer den archäologischen Platz als Teil ihres kulturellen Erbes. Foto: Sigl archäologie weltweit _ 21 cultural heritage Die bislang kaum beachteten Goldbleche geben wichtige Hinweise zu den internationalen Beziehungen zwischen den Mächten des Orients in der Bronzezeit. Foto: Eckmann Das Bild der Archäologie als Wissenschaft mit „Spaten und Schaufel“ ist lange überholt. Heute spielen modernste naturwissenschaftliche Analyseverfahren eine ebenso große Rolle wie die traditionellen Methoden. Goldbleche unter dem Mikroskop. Foto: Eckmann Public Domain, Joshdboz Die Goldbleche wurden in der Nähe der Streitwagen gefunden. Hier Reproduktionen für eine Ausstellung in Paris 2012. Foto: Exposition Toutankamon à Paris, Parc des Expositions en 2012 avec des copies. © Traumrune / Wikimedia Commons / CC-BY-3.0 Unter dem Mikroskop wird der technische Aufbau der Pferdegeschirre und Waffenscheiden sichtbar. Die Goldfolien sind auf einen Träger aus Leder, Textil, Füll- und Bindemitteln aufgetragen. Foto: Eckmann Kleines Gold mit groSSen Geschichten Kooperation Römisch-Germanisches Zentralmuseum Mainz, Abteilung Vorgeschichte Eberhard Karls Universität Tübingen, Institut für die Kulturen des Alten Orients (IANES), Abteilung für Vorderasiatische Archäologie Ägyptisches Museum Kairo Förderung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) Auswärtiges Amt Die Bilderwelt der Bleche zeigt eine Kombination von Motiven klar pharaonischer Provenienz und von Themen – wie die Tierkampfszene hier –, die in der zweiten Hälfte des 2. Jahrtausends v. Chr. im östlichen Mittelmeerraum weit verbreitet waren. Foto: Eckmann 22 _ archäologie weltweit Vor knapp 100 Jahren, 1922, entdeckte Howard Carter das Grab des Tutanchamun aus dem 14. Jahrhundert v. Chr. Kaum ein altägyptisches Objekt ist so berühmt wie die spektakuläre Goldmaske des Pharao, die einer staunenden Weltöffentlichkeit präsentiert wurde. Andere Stücke blieben dabei manchmal unbeachtet und fristeten ein Dasein abseits von Glanz und Prunk. In einem Kooperationsprojekt erforscht das DAI Kairo einige dieser „Aschenputtel“ aus dem Grab des Pharao. Es sind rund 100 Goldblechbeschläge aus der Vorkammer des Grabes, die in der Nähe der Streitwagen gefunden wurden. Sie bestehen aus punzierter Goldfolie, die auf ein Trägermaterial, vermutlich Leder und Textil, aufgebracht waren. Bis vor kurzem wurden sie im Magazin des Ägyptischen Museums in Kairo aufbewahrt. Nun werden die überaus empfindlichen Objekte analysiert, wissenschaftlich aufgearbeitet, restauriert und der Öffentlichkeit in adäquater Weise zugänglich gemacht. Hier und da finden sich noch Reste des ursprünglichen Trägermaterials an den Goldblechen. Die Forscher vermuten, dass es aus mehreren Schichten von Leder, Textil und Gips bestand. Mit mordernsten zerstörungsfreien Untersuchungsmethoden wollen sie herausfinden, wie die Materialien zusammengesetzt und wie das Gold auf den Trägerschichten befestigt war. Viele der feinen Goldbleche haben sich vom Trägermaterial gelöst, die meisten sind beschädigt. Sie zeigen zahlreiche Risse, Verwerfungen und Falten. Doch die materielle Analyse ist nur ein Teil der Arbeit. „Wir wollen versuchen, diese Schäden so gut wie möglich zu beseitigen, um die Lesbarkeit der Darstellungen zurückzugewinnen“, sagt Christian Eckmann, Restaurator am Römisch-Germanischen Zentralmuseum Mainz.“ Dazu müssen Restauratorinnen und Restauratoren die Goldbleche vorsichtig entfalten, die Risse zusammenfügen, auf der Rückseite mit feinem Kunstfasergewebe hinterlegen und stabilisieren. „Es sind oft auch die kleinen Dinge, die wichtige Hinweise geben“, erklärt Seidlmayer. Manche Motive – Darstellungen des Königs auf der Jagd, im Krieg und in rituellen Handlungen – sind in der Kunsttradition Ägyptens tief verwurzelt. Andere Bilder – Darstellungen von Tierkämpfen, das Motiv der „Capriden am Baum“ und verschiedene ornamentale Pflanzen – tauchen ab der späten Bronzezeit im gesamten östlichen Mittelmeerraum auf. „Diese bislang kaum beachteten Goldbleche geben wichtige Hinweise zu den internationalen Beziehungen zwischen den Mächten des Orients in dieser Zeit.“ Krieg, Tributbeziehungen und dynastische Heiraten gehörten ebenso dazu wie der intensive Handel mit Metallen, Glas, Halbedelsteinen, Rohstoffen, Luxusgütern und Nahrungsmitteln oder der Austausch von Beamten. Und womöglich kann man mit Hilfe der kleinen Bleche auch neue Erkenntnisse über ägyptische Streitwagen der Bronzezeit gewinnen. archäologie weltweit _ 23 cultural heritage Dr. sc. tech. Philipp Speiser leitet das Projekt „Die frühislamische Nekropole von Assuan“ (Fatimidenfriedhof ). Foto: Sigl Bei der Restaurierung der Mausoleen werden lokale Arbeiter in traditionellen Handwerkstechniken geschult. Schautafeln auf dem neu gestalteten Besucherparcours in der frühislamischen Nekropole von Assuan geben Informationen zu den Gebäuden und ihrer Geschichte. Kooperation Ministry of Antiquities Cairo Lehrstuhl für Bau- und Stadtbaugeschichte der Technischen Universität Berlin Förderung Auswärtiges Amt Die frühislamische Nekropole von Assuan, der sogenannte Fatimidenfriedhof, ist einer der bedeutendsten Plätze der islamischen Archäologie außerhalb Kairos. Fotos: Speiser 24 _ archäologie weltweit Der Fatimidenfriedhof Der Blick auf die Antike verleitet häufig dazu, die Vergangenheit als statisch zu betrachten. Doch es gehört zum Kern archäologischer Arbeit, sich mit Transformationen in der Vergangenheit und ihren langfristigen Wirkungen auseinanderzusetzen. „Am ‚Fatimidenfriedhof’ in Assuan können wir die Arabisierungs- und Islamisierungsprozesse in der Region sehr gut nachvollziehen“, erklärt Stephan Seidlmayer. Mit geschätzten 500 Privatgräbern und rund 50 Mausoleen ist er eine der größten islamischen Nekropolen Ägyptens und der größte aus dieser frühen Zeit, errichtet seit dem 7. Jahrhundert und belegt bis in das hohe Mittelalter. Doch der Zahn der Zeit nagte an den Lehmziegeln, aus denen die Gräber und Mausoleen errichtet waren. Der Fatimidenfriedhof, bis heute eine wichtige Stätte islamischer Kultur und Frömmigkeit, drohte zu zerfallen. Daher galt es, die Nekropole zu dokumentieren und zu sichern, um anschließend zunächst Teile davon restaurieren zu können. Das Projekt des DAI startete in Kooperation mit der Technischen Universität Berlin im Jahr 2006 mit einer umfassenden Untersuchung und Dokumentation. „Wir konnten schließlich neun Mausoleen sichern und 50 Privatgräber restaurieren“, sagt Philipp Speiser, der die Arbeiten vor Ort leitet. Doch das Projekt ging über die reine Restaurierung hinaus. „In enger Zusammenarbeit mit den ägyptischen Experten konnten auch lokale Arbeiter zu Restauratoren ausgebildet werden.“ Nach knapp zehn Jahren Arbeit wurde das Projekt erfolgreich abgeschlossen. Und auch hier spielt die Einbeziehung der lokalen Bevölkerung eine entscheidende Rolle beim Kulturerhalt. In einem ausgewählten Sektor der Nekropole haben die Projektmitarbeiter einen Besucherparcours angelegt. Mehrere Erklärungstafeln sind für die zahlreichen ausländischen Besucherinnen und Besucher angelegt, die die Nekropole jährlich besuchen – vor allem aber für die lokale Bevölkerung. Bereits Muhammad Ali Pascha trieb in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Industrialisierung Ägyptens voran. Erhalten blieben Bauten des Arsenalkomplexes auf der Zitadelle von Kairo aus seiner Zeit. Foto: Bodenstein Industriearchitektur als Spiegel der Geschichte „Die Zeugnisse der ägyptischen Industriearchitektur sind wertvolle Monumente lokaler Geschichte und globaler Verflechtungen“, weiß Ralph Bodenstein vom DAI. Er leitet ein Projekt, das die historische Entwicklung dieser Architektur von der Zeit Muhammad Alis bis in die 1970er-Jahre untersucht. „Unter Muhammad Ali erlebte Ägypten als erstes Land im Nahen Osten großangelegte Industrialisierungsversuche im modernen Sinne“ erklärt Bodenstein. „Es gab einen Wandel von autokratischen zu bürgerlichen Strukturen im ägyptisch-europäischem Kontakt in beide Richtungen, die Baugeschichte ist ein Spiegel dieser Zeit.“ Viele der Gebäude sind gefährdet wie die Bauten aus pharaonischer oder antiker Zeit. „Diese baulichen Zeugnisse sind bis heute in Forschung und Denkmalpflege stark vernachlässigt worden“, sagt Bodenstein. Deshalb wollen die Wissenschaftler mit Hilfe von Fotografien und Planzeichnungen eine Bestandsaufnahme machen, um ggf. künftige Restaurierung unterstützen zu können. „Mit dieser Bestandsaufnahme erfassen wir die ägyptische Indus- Die Fabrik zur Entkernung von Baumwolle in el-Qanater el-Khairije gleich nördlich von Kairo gibt einen Eindruck von der ästhetischen Gestaltung früher Industrieanlagen. Foto: Bodenstein Dr. Ralph Bodenstein untersucht die moderne Industriearchitektur Ägyptens Foto: Kuckertz triearchitektur zum ersten Mal im Zusammenhang“, erklärt Bodenstein. „So können wir sie auch auf ihre lokalen und globalen Entstehungszusammenhänge hin untersuchen.“ Die Bandbreite der schon erfassten Industriebauten reicht vom großen Arsenalkomplex aus der Zeit Muhammad Alis (1805-1848) über Baumwoll-Entkernungsanlagen des späteren 19. Jahrhunderts über die gigantischen Textilfabriken von Alexandria und al-Mahalla al-Kubra aus den 1930er- bis 1960er-Jahren und zahlreiche Fabrikgebäude anderer Branchen bis hin zu den modernistischen Gebäuden der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Bauaufnahme der Südfassade der alten al-Ahram Bierbrauerei in Kairo, der Brauerei des in Ägypten allbekannten Stella-Bieres. Grafik: Bodenstein archäologie weltweit _ 25 standpunkt standpunkt Connecting Cultures Prof. Dr. Dr. h. c. Friederike Fless Präsidentin des Deutschen Archäologischen Instituts Foto: Kuckertz Die aktuellen Bilder von Flüchtlingen, die über das Mittelmeer und den Balkan nach Mitteleuropa und besonders nach Deutschland zu gelangen versuchen, wurden vor allem im vergangenen Jahr in vielen Medien mit historischen Parallelen verbunden. Nicht selten war in den Medien von einer neuen Völkerwanderung die Rede. Und mit diesem Bild wird zunächst die Vorstellung einer kompakten Wanderung ganzer Völkerschaften verbunden und dann auch die Vorstellung des Untergangs eines lange stabilen Großreichs, des römischen Reichs. Mit dem Bild der Völkerwanderung wird unterschwellig also die Angst vor Instabilität und Untergang transportiert. Der Blick in die Vergangenheit erlaubt es natürlich, diese für moderne Phänomene genutzten Bilder differenzierter darzustellen. Dies gilt für die Völkerwanderung ebenso wie für die vielen anderen Formen der Mobilität. Blickt man in die Vergangenheit zurück, so scheint Mobilität eher die Norm als die Ausnahme gewesen zu sein. Es beginnt damit, dass in der Forschung die Verbreitung des modernen Menschen, des Homo sapiens, mit einem Migrationsmodell verbunden wird, mit der Theorie einer „Auswanderung“ aus Afrika, Out of Africa. Zugleich wird dieser Theorie in der Forschung das Modell einer multiregionalen Entwicklung des modernen Menschen entgegengestellt. Und somit sind bereits für diese frühe Phase der Menschheitsgeschichte zwei Grundmodelle formuliert, die sich zur Erklärung vieler Formen der Entwicklung in den frühen Kulturen der 26 _ archäologie weltweit Menschheitsgeschichte wiederfinden. Die Domestikation von Pflanzen und Tieren, die am Übergang zum Neolithikum mit dem packenden Bild der „neolithischen Revolution“ verbunden wird, entwickelte sich im Bereich des Fruchtbaren Halbmondes zwischen Levante und Mesopotamien. Die grundlegenden Kulturtechniken, Ackerbau und Viehzucht, verbreiteten sich durch Migration, aber auch durch die Weitergabe von Wissen. Zugleich lassen sich vergleichbare Entwicklungen hin zum Anbau und zur Kultivierung von Pflanzen als eigenständige Entwicklungen, ohne direkten Kontakt zu dieser Region des Nahen Ostens, zum Beispiel in der „Neuen Welt“ Südamerikas beobachten. Auch hier stehen sich das Modell der Weitergabe durch Mobilität von Menschen und Wissen und die eigenständige Entwicklung gegenüber. Deutlich wird jedoch, dass in zusammenhängenden Regionen die Verbreitung von Kulturtechniken über Mobilität eine große Rolle spielte. Aber auch in historischen Epochen ist Mobilität ein Kennzeichen. Die Schifffahrt verband die Mittelmeeranrainer und brachte das Phänomen internationaler Handelsplätze und Heiligtümer hervor. Handelsrouten wiederum verbanden China mit dem Mittelmeer und dem Schwarzen Meer. Dass chinesische Lackkästchen auf der Krim gefunden wurden, erstaunt daher nicht weiter. Dass Griechen und Phönizier Niederlassungen rund um das Mittelmeer gründeten, ist ein ebenso vertrautes Phänomen wie die Mobilität im Imperium Romanum, das selbst durch militärische Expansion, also eine sehr spezifische und gewaltsame Form von Mobilität entstanden war. Die Karriere eines römischen Soldaten konnte ihn dann später durch das ganze Imperium Romanum führen, römische Beamte wurden in die Provinzen versetzt. Es waren syrische Bogenschützen, die unter anderem die römische Grenze, den Limes in Bayern, bewachten. Ein reger Tourismus in der römischen Kaiserzeit führte nach Griechenland oder Ägypten. Mobilität in der Antike erweist sich bei genauem Hinsehen als genauso facettenreich wie die heutige Mobilität. Zwischen 1820 und 1914 sind ca. 5 Millionen Deutsche nach Amerika ausgewandert. 40.000 Hugenotten flohen im 17. Jahrhundert nach Deutschland. Ungefähr 10 Millionen Touristen besuchen jährlich die Balearen. Dies sind fast ebenso viele Besucher, wie jährlich nach Berlin kommen. Im Jahr 2015 wurden sogar über 12 Millionen gezählt. Das Aufkommen an Passagieren allein am Flughafen in Frankfurt am Main wurde 2015 mit fast 60 Millionen gezählt. Diese Zahlen wurden in der Antike mit ihrer begrenzten Mobilität und auch begrenzten Welt natürlich nicht erreicht. Dennoch waren die frühen Kulturen der Menschheitsgeschichte erstaunlich mobil und an Austausch und Handel interessiert. Netzwerke Das vorliegende Heft kann nur einen kleinen Einblick in dieses Grundthema geben, das im DAI in einem eigenen Forschungsverbund „Connecting Cultures“ untersucht wird. Dass das DAI das Thema globa- ler Vernetzungen in den frühen Kulturen in den Blick nimmt und diese im Kontext einer Globalarchäologie betrachtet, hat der Wissenschaftsrat gerade erst in seiner Stellungnahme zur Evaluation des DAI positiv hervorgehoben. Globalarchäologie bedeutet dabei, dass Phänomene, die von den verschiedenen Abteilungen und Kommissionen des DAI erforscht werden, unter übergreifenden Fragestellungen, wie der nach Innovation, Migration oder auch Sesshaftwerdung verglichen werden. Globalarchäologie bedeutet aber auch, dass größere Regionen in den Blick genommen werden, wie im TransArea Network Africa. Hier wird nicht allein Vernetzung antiker Kulturen erforscht – vielmehr ist ein Merkmal moderner Forschung auch die Vernetzung der Forschenden. Das macht sich zunehmend auch bei den Herausforderungen im Bereich des Kulturerhaltes und Kulturgüterschutzes bemerkbar. So haben die Zerstörungen, die das kulturelle Erbe weltweit erlebt, zu der Initiative geführt, die Kompetenzen in Deutschland im Archaeological Heritage Network zu bündeln. Mit dieser Gründung reagieren wir auf die weltweit steigenden Anfragen, deutsches Know-how im Bereich des Kulturerhalts und Kulturgüterschutzes stärker einzubringen. Ein erweiterbares Netzwerk scheint hier die geeignete Form zu sein. Schließlich verfügen wir in Deutschland über große Kompetenzen auf diesem Gebiet. Aufgrund föderaler Strukturen in Deutschland sind diese Kompetenzen in zentralen Bereichen jedoch auf die Bundesländer bezogen. Andere Einrichtungen wiederum haben einen explizit auf Deutschland bezogenen Auftrag. Diese Kompetenzen auch für die konkrete Arbeit im Ausland sichtbar und einsetzbar zu machen, ist ein Ziel des Archaeological Heritage Network. Ein anderes besteht darin, hiervon wiederum zu lernen und das eigene Handeln in globaler Spiegelung zu reflektieren. Auch hier geht es letztlich um Mobilität und den Austausch von Wissen, Know-how und Menschen. Das TransArea Network Africa ist eines der Netzwerke im Forschungsverbund „Connecting Cultures“ archäologie weltweit _ 27 usammen sind sie 13.000 Kilometer lang – die beiden längsten Flüsse der Erde. Der Nil ist einige Kilometer länger, der Amazonas führt mehr Wasser. Beide sind Lebensader jeweils mehrerer Länder, Transportweg, Wirtschaftsfaktor, Sehnsuchtsort, Ziel von Habgier und kolonialer Ermächtigung, Faszinosum für Forscher und Abenteurer, Heimat für Menschen. Nördlich von Assuan fließt der Nil in einem schmalen Bett durch die Wüstenebene. Foto: Klose Ströme Die Landschaften von Nil und Amazonas Regenzeit. Die Savannen in den Llanos de Mojos stehen in weiten Bereichen bis zu einem Meter unter Wasser. Der eine alt, der andere jung, so der unvorsichtige Gedanke, weil der europäische Blick den einen in die „Alte Welt“, die der eigenen näher scheint, den anderen in die „Neue Welt“ verfrachtete, den einen fast als eine Art Kulturheros betrachtete, während der andere ein Wilder blieb. Und während die Altertumswissenschaften den „alten“ Nil und seine Kulturen schon lange erforschen, betreten die Archäologen am Amazonas Neuland – mit überraschenden Entdeckungen. Amazonien „gehörte“ lange den Mythologen, Ethnologen und Aussteigern, den Spezialisten für „primitive“ Kulturen, bis auch Rinderbarone und Klimaschützer die Landschaft für sich reklamierten. „Wem gehört der Nil?“ ist eine Frage, die in der europäischen Sicht lange nicht gestellt wurde. Der Nil war immer „ägyptisch“, inklusive der Folgen für die Landschaft selbst und seine Kulturen, die Ziel gebildeter Reisender und kolonialer Begehrlichkeiten waren. Seine afrikanischen Quellen blieben lange unbeachtet. 28 _ archäologie weltweit archäologie weltweit _ 29 landschaft landschaft Z Zur Erforschung der historischen FluSSverläufe wurden auf dem östlichen Nilufer nördlich von Assuan systematisch Bohrtransekte angelegt. Grafik: Klose, unter Verwendung eines Satellitenbilds aus Google Earth Als der Assuan-Staudamm errichtet wurde, waren nicht nur die weltberühmten Tempel von Abu Simbel bedroht. Eine ganze Kulturlandschaft wurde überschwemmt. Foto: Public domain Ilka Klose bearbeitet den geoarchäologischen Survey Assuan. Foto: privat Prof. Dr. Stephan Seidlmayer ist Direktor der Abteilung Kairo des Deutschen Archäologischen Instituts. Foto: DAI Kairo Dahschur Kooperation: Freie Universität Berlin Ministry of Antiquities Cairo Städtisches Klinikum München - Klinikum Bogenhausen, TU München (Humanbiologie und Archäopathologie) Förderung: Freie Universität Berlin Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) Buto Kooperation: Ministry of Antiquities Cairo Université de Poitiers Institut Français d’Archéologie Orientale (IFAO) Förderung: Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) 30 _ archäologie weltweit Elephantine war ein wichtiger Handelsplatz an dem Fluss, der den afrikanischen Kontinent mit dem Mittelmeer verbindet. Foto: DAI Kairo In der Uferfront des römischen Satet-Tempels auf Elephantine war der maßgebliche Nilometer der Region als Treppengang mit seitlichen Messskalen eingebaut. Diese Anlage wurde 1870 wieder in Betrieb genommen und bildete den Ausgangspunkt auch der modernen Vermessung der Nilflut. Foto: Seidlmayer Der Nil Seit Jahrtausenden wird über den Nil geschrieben. Quellen stammen aus pharaonischer Zeit, aus der griechisch-römischen Epoche und reichen bis in die arabische Zeit. Sie stehen oft ohne textgeschichtliche Verbindung nebeneinander, doch scheint die Quelle ihrer Inspiration, der mächtige Nil, immer wieder ähnliche Assoziationen auszulösen. Ohne den Nil hätte es kein menschliches Verweilen in der Wüste geben können, das lang genug hätte andauern können, etwas hervorzubringen, was bis heute andächtig bestaunt wird. Der fruchtbare Schlamm, den die Nilflut alljährlich mitbrachte, bot alles, was man brauchte, um eine nennenswerte Landwirtschaft zu betreiben. Doch man musste achtsam sein mit der lebensspendenden Macht, opfern und strenge Riten einhalten, damit die Flut auch wiederkäme. Schließlich war es eine Frage des Überlebens zu wissen, welche Mächte der Naturgewalt geboten und wie man sie milde stimmen konnte. Doch die Menschen am Nil verließen sich nicht allein darauf. Schon im 4. vorchristlichen Jahrtausend wurde die Wissenschaft von der Messung der Wasserstände des Nil entwickelt. Die groß angelegte Wasserwirtschaft entstand in der Zeit der ägyptischen Staatsbildung, zur Zeit des Pharao Snofru (um 2600 v. Chr.), der auch die erste Großpyramide errichten ließ. So wie die Steine für König Snofrus erste Pyramiden über den Nil transportiert wurden, so war der Fluss insgesamt der Haupttransport- und Verkehrsweg Ägyptens. In Ägypten, wo deutsche Archäologen schon seit der Mitte des 19. Jahrhunderts forschen, hat fast alles mit dem Nil zu tun – auch in der Wissenschaft. „Der Nil und sein Lauf haben sich im Laufe der Jahrtausende stark verändert“, sagt Stephan Seidlmayer, Direktor der Abteilung Kairo des DAI. „Jede Dynamisierung der Landschaft hat mit dem Fluss zu tun, wobei Eingriffe der Menschen eine ebenso große Rolle spielen wie natürliche Prozesse.“ Vor 6000 Jahren begannen Menschen mitten im Nil auf einer Insel namens Elephantine eine Siedlung zu bauen. Von hier aus wurde in der Folge der Handelsverkehr mit dem nubischen Süden und nach Norden kontrolliert. Elephantine war aber auch wichtig für den Götterkult. Denn es galt als mythischer Ort der Quellen des Nil. Auf Elephantine und später auch gegenüber, in der Bucht des modernen Assuan wurden vor 5500 Jahren Siedlungen gegründet, die in der Gegenwart einem der gigantischsten Eingriffe in die natürlichen Prozesse der Nillandschaft mit ihren Menschen und Kulturen ihren Namen geben sollte: Assuan. Die Minderheit der Nubier wurde ausgesiedelt, um dem Bau des Assuan-Staudamms und dem Bett des Stausees Platz zu machen. „1971 ist eine ganze Kulturregion überschwemmt worden“, erklärt Stephan Seidlmayer. So will ein Projekt die (Kultur-)Landschaftsgenese der Region nachvollziehen. Der geoarchäologische Survey findet auf dem West- und Ostufer in den ehemaligen Überschwemmungsgebieten des Nils nördlich des ersten Kataraktes statt. Das Untersuchungsgebiet erstreckt sich von den nördlichen Grenzen der modernen Stadt Assuan und der Felsnekropole Qubbet el-Hawa etwa 15 Kilometer in nördliche Richtung. Um zu ermitteln, wie die Alluvialböden im Laufe der verschiedenen Epochen entstanden sind und wie sich vor allem die Morphologie des Schwemmlandes durch die Jahrtausende ständig änderte, hat Ilka Klose, die das Projekt durchführt, zahlreiche Bohrungen vorgenommen. Bisherige Analysen ergaben, dass sich die Landschaft in den vergangenen 5000 Jahren dramatisch verändert hat. Etwas landeinwärts wurde Keramik der Naqada Periode (~4500 bis 3500 v. Chr.) in 2,5 Meter tiefen Schichten gefunden. Keramikbefunde aus dem Mittleren Reich (~ 2100 bis 1800 v. Chr.) stammen aus bis zu sechs Metern Tiefe in Flussnähe, und die Siedlungen römischer und spätantiker Zeit liegen teilweise bis zu zwei Meter unter der heutigen Oberfläche. archäologie weltweit _ 31 landschaft Im Hadrianstor auf Philae ist der Nilgott mit seinen beiden Wasserkrügen im Quell-Loch unter der Katarakteninsel Bigge abgebildet. Foto: Seidlmayer landschaft Im digitalen Höhenmodell erkennt man die architektonischen Eingriffe in die Landschaft. Es zeigt sich die fraktale Beschaffenheit der natürlichen Landschaft (u. r.) im Unterschied zu der von Menschen gemachten (u. l.). Die natürlichen Erosionsrinnen übertragen ihre fraktale Natur auf die Oberfläche – hier sind sie als selbstähnlicher Baum zu erkennen. Abb.: Arne Ramisch, Freie Universität Berlin, Geowissenschaften Pharaonische Landschaftsarchitektur In tiefer Trauer geben wir bekannt, dass am Donnerstag, dem 28. April 2016 Dr. Nicole Alexanian verstorben ist. Nicole Alexanian wurde am 6. Januar 1965 geboren. Sie studierte Ägyptologie, Kunstgeschichte und Germanistik an der Universität Heidelberg. Dort wurde sie 2001 mit der Arbeit „Die provinziellen Mastabagräber und Friedhöfe im Alten Reich“ promoviert. Schon als Schülerin nahm sie an Ausgrabungen in Ägypten teil. Noch als Studentin arbeitete sie seit 1988 in Dahschur, seit 2005 leitete sie dort die Projekte. Die Stätte von Dahschur und die Archäologie der Begräbniskultur des Alten Reichs standen stets im Mittelpunkt ihrer wissenschaftlichen Arbeit. Ihr Buch zur monumentalen Mastaba des Prinzen NetjerAperef in Dahschur und ihre Artikel zu den archäologischen Spuren von Begräbnisritualen erlangten internationale Anerkennung. In ihrem Leben wie auch in ihrer Arbeit ließ Nicole Alexanian niemals in ihrem Bemühen nach, für andere da zu sein – Arbeiter, Studierende, Kollegen. In Ägypten zu leben und für die ägyptische Archäologie zu arbeiten, war die Erfüllung ihres Lebens. Weitere 1000 Kilometer nilabwärts, in Dahschur, steht die erste, in idealer, glattseitiger Form geplante Mega-Pyramide, die König Snofru errichten ließ, die Knickpyramide. Sie besaß einen eigenen Nilhafen, der, anders als bei anderen Pyramiden, eine echte Funktion hatte. „Gigantische Mengen Materie mussten bewegt werden“, so Nicole Alexanian, die die Arbeiten des DAI in Dahschur leitete. 3,5 Millionen Kubikmeter Baumaterial wurden transportiert und verbaut. Doch König Snofru ließ nicht nur eine Pyramide bauen. „In Dahschur wurde Landschaftsarchitektur in großem Stil betrieben“, erklärt Alexanian. Diese umwälzenden Maßnahmen wurden möglich, weil der Nil zu dieser Zeit etwa 500 Meter weiter östlich verlief – in unmittelbarer Nähe der Pyramiden. Mit magnetometrischen Untersuchungen wollen die Archäologen Anhaltspunkte für die Suche nach der genauen Lage der Anlagen gewinnen. Denn das Hafenbecken und die umliegenden Bauten sind heute unter einer sieben Meter dicken Sandschicht begraben. Zu Zeiten des Königs Snofru verlief der Nil etwa 500 Meter weiter östlich. Vom Hafen führte ein Aufweg zum Taltempel, ein weiterer von dort zur Pyramide. Da Hafenbecken und die umliegenden Bauten unter einer sieben Meter dicken Sandschicht liegen, untersuchten die Archäologen das Gelände zunächst magnetometrisch. Foto: DAI Kairo, Magnetogramm: Helmut Becker, München 32 _ archäologie weltweit archäologie weltweit _ 33 landschaft Der TELL EL FARA‘IN, Stätte der antiken Stadt Buto, erhebt sich als einer der eindrucksvollsten Siedlungshügel aus der Schwemmebene des nordwestlichen Nildeltas. Foto: Hartung Nildynamik Ulrich Hartung. Danach verlieren sich die Spuren für rund 1000 Jahre. „Offenbar war der Ort aufgegeben worden“, erklärt Hartung. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass sich lebenswichtige Nilarme so verlagert hatten, dass Buto die Verbindung zu anderen Regionen verlor. Erst im späten 8. Jahrhundert v. Chr. wird die Stadt in größerem Umfang wiederbesiedelt. Die permanente Dynamik der Nillandschaft führt dazu, dass Anzahl und Verlauf der Flussarme sich im Laufe der Zeit grundlegend änderten und dass die Flusslandschaft ständig neue Lebensbedingungen mit unmittelbaren Auswirkungen auf den Siedlungsraum der Menschen hervorbrachte. Das zweiarmige Delta, so wie Die Reliefs des sowjetischen Bild-hauers Nikolaj Vetchkanow im Monument am Hochdamm von Assuan feiern die Bändigung des Stroms. Foto: Seidlmayer 34 _ archäologie weltweit Blick in die Grabungsfläche mit Gefäßbestattungen. Fotos: Prümers Die unterste Schicht der prädynastischen Siedlung in Buto zeigt noch die Grundrisse einfacher Hütten aus Matten und Astwerk. Foto: Hartung Dr. Ulrich Hartung, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Abteilung Kairo des DAI, leitet das Projekt Buto / Tell el Fara‘in Nach 250 Kilometern Richtung Norden erreicht man den Siedlungshügel des alten Buto (heute: Tell el Fara‘in). Er liegt in der Schwemmebene des nordwestlichen Nildeltas, etwa 40 Kilometer von der heutigen Küstenlinie des Mittelmeers und rund 10 Kilometer vom Rosetta-Arm des Nils entfernt. Das DAI führt seit 2010 einen Survey im nordwestlichen Nildelta durch, um die Siedlungsgeschichte und Landschaftsveränderungen in der Region zu erforschen. Am Beispiel Buto zeigt sich, wie tiefgreifend die Auswirkungen der Dynamik des Nils auf menschliche Ansiedlungen war. „Von der ersten Hälfte des 4. Jahrtausends bis zum Ende des Alten Reichs (ca. 2200 v. Chr.) wurde das Areal kontinuierlich genutzt“, sagt Projektleiter Luftaufnahme der Ringgrabenanlage BV-2 auf dem Gelände der Granja del Padre bei Bella Vista. Im Zentrum die Grabungsschnitte von jeweils 5 × 10 m Größe. Anhand der Konturlinien des modernen Geländereliefs und der Verteilung antiker Siedlungshügel ist es möglich, antike Nilarme im Delta zu rekonstruieren. Grafik: Schiestl man es heute kennt, existiert erst seit gut 1000 Jahren. Eine andere Dynamik jedoch ist an ihr Ende gelangt. Die jährlichen Überschwemmungen des Nil, die außer fruchtbarem Boden auch Götter, Opfer, Riten und Weltbilder, Wissenschaften und tiefgreifende theologische Fragen hervorbrachten, gibt es nicht mehr. 1964 wurde der große Staudamm bei Assuan in Betrieb genommen und setzte ihnen ein Ende. Amazonien Francisco de Orellana, Hauptmann in Diensten des Gonzalo Pizarro, wollte im Osten der Anden das Zimtland Canelas und das Gold von El Dorado suchen. Er war der erste, der den Amazonenstrom von Peru bis zur Mündung befuhr. Den berühmt gewordenen Bericht dazu („Relación“) schrieb Gaspar de Carvajal, Provinzialvikar in Lima, 1542. Die Fahrt führte sie durch das Herrschaftsgebiet der „Amazonen“, Herrscherinnen über fruchtbares Land und Arbeitskraft, Erbauerinnen von Städten und Besitzerinnen von Reichtümern an Gold und Silber. Der Bericht sollte nahelegen, dass die Grundlagen für eine systematische Kolonisierung bereits existierten – man müsste nur noch den Amazonen die Herrschaft und die Kontrolle über die natürlichen Reichtümer entreißen. Heute weiß man, dass die ansässigen Bevölkerung den Spaniern allerhand Geschichten erzählte, um sie schnell wieder loszuwerden. Die aber sahen, was sie sehen wollten. Menschen mit Affenschwänzen gehörten ebenso dazu wie reich bevölkerte Städte und das, was man heute komplexe Gesellschaften nennen würde. In all den Vermischungen von Fiktion und Wirklichkeit, Relaciónes und Ritterromanen, Konstruktion und Dekonstruktion wollte niemand mehr Garantien darüber abgeben, was nun wirklich in der Zeit der Conquista am Amazonas vorhanden war. Und so gewannen die Zuschreibungen die Oberhand. Amazonien blieb erst einmal wild – genau wie seine Bewohner, die eher der Natur zugezählt wurden als dem Bereich der Kultur. Bedeutende Hochkulturen gab es ja an anderen Stellen des Kontinents. Die Landschaften Amazoniens verweigerten sich zudem beharrlich der Vorstellung, größere Siedlungen sesshafter Gemeinschaften beherbergen zu können. Dr. Heiko Prümers, Referent für Lateinamerika an der KAAK, leitet das Projekt Llanos de Mojos gemeinsam mit Dr. Carla Jaimes Betancourt. Foto: KAAK Kooperation: Unidad Nacional de Arqueología (UNAR) von Bolivien Förderung: Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) Beigaben aus einem Grab auf dem Gelände der Schule von Bella Vista. archäologie weltweit _ 35 landschaft Das bislang einzige ‚reich’ ausgestattete Grab in ganz Amazonien. Neben Körperschmuck aus Knochen und Tigerzähnen fanden sich auch Schmuckscheiben aus Kupfer. Plan des Fundortes Loma Salvatierra. Südlich des durch einen Wall abgegrenzten Bereiches befinden sich Damm- und Kanalanlagen für die Regulierung des Regenwassers. Ein ideales Siedlungsgebiet ist die Region wirklich nicht. Die Böden sind nährstoffarm – trotz der vermeintlichen Fruchtbarkeit. Umso größer war die Überraschung, als man überall Spuren dichter Besiedlung aus vorspanischer Zeit fand. In einem Gürtel von der brasilianischen Provinz Acre im Südwesten des Amazonasgebietes über Nordbolivien bis in den Alto Xingú Südbrasiliens, in Regionen also, die man für wild und unberührt hielt, entdeckten Archäologen Hunderte von Ringgrabenanlagen. Fotos: Prümers Heiko Prümers von der Kommission für Archäologie Außereuropäischer Kulturen (KAAK) des DAI und seine bolivianische Co-Direktorin Carla Jaimes Betancourt, arbeiten seit 2007 in Kooperation mit der Bolivianischen Denkmalschutzbehörde in den Llanos de Mojos, einer rund 110.000 Quadratkilometer großen Überschwemmungssavanne im bolivianischen Teil Amazoniens. Die Llanos de Mojos entsprechen in etwa dem Departement Beni. Eine der Provinzen dieses Bundeslandes ist die Provinz Iténez, die im Nordosten der Llanos liegt – im Nordosten des bolivianischen Amazonastieflandes. „Offenbar verlief die Geschichte Amazoniens anders, als man lange Zeit dachte oder romantische Vorstellungen es wollten“, erklärt Prümers den neuen Blick auf die Region. Plötzlich war von einer wissenschaftlichen „Revolution am Amazonas“ die Rede, von „verlorenen Städten“ und „vergessenen Zivilisationen“. Tatsächlich sind archäologische Daten zur Besiedlung des Amazonasbeckens noch rar. Zu Beginn der Arbeiten der DAI-Archäologen und ihrer bolivianischen Kooperationspartner gab es weder ein chronologisches Grundgerüst für die ausgewählte Region, noch konnte man bestimmte Kulturen bestimmten Regionen zuordnen. Lange blieb unklar, wann genau die Region überhaupt aufgesiedelt worden war. „2013 fanden wir auf der Waldinsel Jasiaquiri erstmals Reste einer Kultur aus dem 4. bis 6. Jahrhundert n. Chr.“, sagt Prümers. Das war der erste Nachweis, dass die Region eine lange vorspanische Siedlungsgeschichte hat. Das in der Waldinsel liegende Dorf befindet sich direkt nordwestlich einer Ringgrabenanlage mit einem Durchmesser von etwa 350 Metern. Die Ringgräben umgaben einst die Siedlungsplätze und dienten womöglich der Verteidigung. Ursprünglich vermutete man als Zeit ihrer Entstehung Beginn oder Verlauf der Conquista (14.-16. Jh.). Digitales Geländemodell einer Grabenanlage rund 10 km östlich von Bella Vista am nördlichen Ufer des Río San Martín. Vermessungsarbeiten an der Ringgrabenanlage von Jasiaquiri. 36 _ archäologie weltweit Figürlich gestaltetes GefäSS der späten Besiedlungsphase vom Fundort Jasiaquiri. Bestattung der frühen Phase (350-550 n. Chr.) von Jasiaquiri. Fotos: Prümers archäologie weltweit _ 37 das objekt das objekt Ein sabäisches Heiligtum in Äthiopien Der Libationsaltar aus dem Almaqah-Tempel von Wuqro Wir wissen sehr wenig über den Einfluss Altsüdarabiens auf die Kultur Nordäthiopiens. Auch die Fusion nordostafrikanischer mit sabäischen Kulturelementen zu Beginn des letzten Jahrtausends v. Chr. kennen wir nur aus sehr wenigen Fundstellen. Dazu gehören Yeha im äthiopischen Tigray oder Matara im Norden Eritreas. Es war daher eine archäologische Sensation, als Mitarbeiter des Tigray Culture and Tourism Bureau (TCTB) bei Rettungsgrabungen in Meqaber Ga‘ewa nahe der Kleinstadt Wuqro im Dezember 2007 einen fast vollständig erhaltenen Libationsaltar und weitere Kultobjekte sabäischer Prägung fanden. Die künstlerische und handwerkliche Qualität dieser Objekte sind herausragend. Die Funde waren der Ausgangspunkt für gemeinsame Feldarbeiten der TCTB, der Orient-Abteilung des DAI und der FriedrichSchiller-Universität Jena in den Jahren 2008 bis 2014. Ergebnis war die Ausgrabung und Konservierung eines Heiligtums des sabäischen Mondgottes Almaqah, das aus dem 8. bis 6. Jahrhundert v. Chr. stammt. In Ikonographie und Stil entspricht der etwa 70 cm hohe Altar altsüdarabischen Opferaltären. Allerdings wurde selbst im Jemen noch keine vergleichbar vollständig erhaltene Opferanlage dieser Art gefunden. Somit liefert der Altar von Wuqro erstmals klare Hinweise für die Rekonstruktion einzelner Altarteile, die aus anderen Orten wie Yeha oder Marib im sabäischen Mutterland bekannt sind. Die Fassadenplatten des Altars mit vierstufigem Sockel und darüber eingeschnittenen Blendfenstern bilden das Auflager für die mit Zahnfries dekorierten Deckplatten, die mit einer königlichen Votivinschrift versehen sind. Die Deckplatten rahmen ein quadratisches Becken für die Aufnahme von Opferflüssigkeiten. Eine flach eingetiefte quadratische Opferfläche auf der westlichen Deckplatte weist Schlagkerben auf. Gemeinsam mit Knochenfragmenten von Schaf und Ziege, die im Lehmboden um den Altar gefunden wurden, lässt dies an Tieropfer denken. Blut oder andere Opferflüssigkeiten liefen über einen stierkopfgestaltigen Ausguss in das Becken, dessen Boden aus einer kalksteinernen Opferplatte bestand. Derartige Opferplatten sind aus Altsüdarabien als sogenannte ‚Trankopfertische‘ belegt. Unser Trankopfertisch war durch eine Aufmauerung aus Feldsteinen und Lehmmörtel im Inneren des Altars befestigt. Er besitzt ebenfalls einen stierkopfgestaltigen Ausguss, der aus der Südfassade des Altars herausragt und die Op- 38 _ archäologie weltweit ferflüssigkeiten auf eine zwei Meter lange, in den Lehmboden des Tempels eingelassene monolithische Rinne aus Kalkstein leitete. An ihrem Ende wurden die Opferflüssigkeiten in einem schalenförmigen Beckenaufgefangen. Ikonographie und Stil, aber auch die Votivinschrift eines der Meister auf einem der Verkleidungsblöcke des Tempelsanktuars verweisen darauf, dass es sabäische Steinmetze waren, die diese Altaranlage schufen. Der Name des Meisters, „Hayrhumu“, gehört zu einem Typ, der im zentraljemenitischen Inschriftenkorpus gut belegt ist. Gesteinsanalysen belegen aber, dass die Steinmetzen ihr Werk vor Ort in Wuqro schufen. Der Kalkstein stammt aus lokalen Steinbrüchen. Eine Holzkohleprobe aus dem Inneren des Altars datiert dessen Zusammenfügung in das 8. bis 6. Jahrhundert v. Chr. Königliche Inschrift Herausragende kulturhistorische Bedeutung kommt der Weihinschrift des Altars zu. Es ist die erste königliche Inschrift aus dem letzten Jahrtausend v. Chr., die im abessinischen Hochland in einem gesicherten archäologischen Kontext gefunden wurde. Ihr in klarem Sabäisch verfasster Text besagt, dass ein bislang unbekannter König namens Wa‘ran, Sohn des Königs Radi‘um und dessen Gefährtin Shakatum den Altar aus Anlass seiner Amtseinsetzung als Herr des Tempels von Yeha, dem damaligen Zentrum des Reiches von Di‘amat, dem Gott Almaqah stiftete. Neben dem hier erstmals inschriftlich belegten Namen von Yeha enthält die Inschrift zwei bemerkenswerte Hinweise auf regionalafrikanische und in die nordwestlich gelegenen Ebenen des Niltals weisende Kulturtraditionen. Die Erwähnung der Mutter des Königs und sein Attribut „der die Feinde niederwirft“ sind im altsüdarabischen Kulturraum ungewöhnlich. Gleichzeitig ist im Reich von Kusch am mittleren Niltal die Hervorhebung der weiblichen Vorfahren in der Filiation des Königs von großer Bedeutung. Sie beruht auf einer Tradition der Legitimierung der königlichen Herrschaft über die mütterliche Linie, die sich bis in das christliche Mittelalter fortsetzt. Das „Niederschlagen der Feinde“ gehört zu den formelhaften Beinamen altägyptischer und kuschitischer Herrscher in ihren Inschriften und in den Bildprogrammen königlicher Gräber und Göttertempel. In denselben Kulturhorizont verweisen im Tempelbezirk von Wuqro gefundene Keramiken, wie beispielsweise schwarzrandige oder mit geometrischen Motiven verzierte Gefäße, während andere Votivgaben durch ihre Bindung an den Almaqah-Kult auf altsüdarabische Traditionen zurückgehen. Das Almaqah-Heiligtum vereinte Kultobjekte und Votivgaben einer sabäisch beeinflussten Oberschicht mit ortsüblichen Weihgaben der einfachen Bevölkerung. Dank der großzügigen Unterstützung des Auswärtigen Amtes konnten der Libationsaltar und weitere Votivobjekte am Fundort durch präzise Repliken ersetzt, der Tempel konserviert und durch einen Schutzbau überdacht werden, um das Heiligtum als Freilichtmuseum zu erhalten. Die Originale sind der interessierten Öffentlichkeit seit Oktober 2015 in einem neuen Museum – errichtet gemeinsam von TCTB und dem Berliner Verein zur Förderung der Museen in Äthiopien – in Wuqro zugänglich. Pawel Wolf Der in exzellenter Bildhauerarbeit aus nahtlos aneinander gefügten Kalksteinblöcken zusammengesetzte Libationsaltar stellte einst das rituelle Zentrum des Almaqah-Heiligtums dar. Foto: P. Wolf Der Libationsaltar von Meqaber Ga‘ewa war der Schlüssel für die Entdeckung des Almaqah-Tempels von Wuqro und damit eines bis dahin unbekannten Zentrums der äthio-sabäischen Kulturfusion im archäologisch noch kaum erforschten abessinischen Hochland. Foto: P. Wolf Dr. Pawel Wolf von der Orient-Abteilung des DAI hat sich als Ägyptologe und Klassischer Archäologe auf die antiken Kulturen des Sudan und des nördlichen Horns von Afrika spezialisiert. Er leitete Ausgrabungen und archäologische Surveys mehrerer Projekte im Sudan, beispielsweise in Musawwarat es Sufra, am Jebel Barkal und am 4. Nilkatarakt, sowie in Qohaito in Eritrea. Neben der Leitung seines siedlungs- und landschaftsarchäologischen Projektes in Hamadab im Nordsudan betreut er die archäologischen Arbeiten des DAI an den königlichen Pyramidennekropolen von Meroë und leitet die Feldarbeiten der Orient-Abteilung im äthiopischen Wuqro. archäologie weltweit _ 39 titelthema titelthema W anderungen sind ein Dauerphänomen der Menschheitsgeschichte. Wanderungen von Menschen, von Gegenständen, Handelsgütern, aber auch Wanderungen von Wissen, von Ideologien, Glaubensrichtungen oder Kulturtechniken. Der Facettenreichtum von Kulturkontakten über Jahrtausende ist schier unübersehbar – und eines der fruchtbarsten Forschungsthemen moderner Archäologie. Unterwegs Wege und Wanderungen in der Antike 40 _ archäologie weltweit Gütertransport und Tauschgeschäfte zwischen den Inseln haben auf den Salomonen eine lange Tradition. Foto: Moser archäologie weltweit _ 41 titelthema Wie in dieser Szene auf der Marcussäule in Rom war das Verhältnis zwischen Römern und Barbaren im offiziellen Verständnis klar definiert. Der zivilisierte, siegreiche Römer triumphiert über den wilden, kulturlosen Barbaren. Foto: DAI Rom Am Deutschen Archäologischen Institut (DAI) werden die Untersuchungen zu diesem weltumspannenden Phänomen in einem Forschungscluster gebündelt. „Connecting Cultures. Formen, Wege und Räume kultureller Interaktion“ wurde 2013 neu gegründet. In Zeiten beschleunigter Globalsierung können die Themen, die hier verhandelt werden, unverzichtbare Grundlagen auch für die Einschätzung gegenwärtiger Entwicklungen liefern. In der Archäologie geht mit der Zunahme der weltweiten Verflechtungen, den Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur vieler Länder und den vielfältiger werdenden wissenschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Diskursen ein Paradigmenwechsel einher. Seit dem 19. Jahrhundert hatte die Forschung Denkmodelle entwickelt, die die Gegensätze und Unterschiede zwischen beteiligten Akteuren ins Auge fasste. Dabei wurde häufig der Dualismus zwischen „Fremdem“ und der Bewahrung des „Eigenen“ betont. Inzwischen wird dieses Modell differenziert. Denn gesellschaftliche Prozesse – seien sie nun kultureller, politischer oder wirtschaftlicher Natur – sind nur noch selten räumlich eindeutig zuzuordnen. Die Vorstellung, wonach nationalstaatliche Grenzen eine Einheit umfassen, innerhalb derer sich Politik, Gesellschaft, Kultur und Wirtschaft national und deutlich von anderen Ländern getrennt entwickeln, erweist sich immer mehr als überholte Kategorie. Auch die Vorstellung, dass Kultur ein unveränderter und unveränderbarer Vorrat sei, aus dem ein Individuum Lebensformen, Werte und Identitätskonstruktionen quasi mechanisch ableitet, wird zunehmend in Frage gestellt. Ein statischer Kulturbegriff kann dem dynamischen Charakter des kulturellen Austauschs und den gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen nicht mehr gerecht werden. Nicht, dass die Vorstellung einer aus der kulturellen Tradition abgeleiteten Identität deshalb irrelevant wäre. Es könnte aber zu Fehlschlüssen führen, sie als eine Art Computerprogramm zu betrachten, das vorschreibt, wie konkrete Personen in bestimmten Situationen handeln oder reagieren. Kulturkontakte und die damit verbundene Genese oder Transformation von Identitäten werden daher auch in der Archäologie zunehmend in ihrer ganzen Komplexität betrachtet. Dahinter verbergen sich nicht nur unterschiedliche Akteure mit mitunter wechselnden Identitäten, sondern verschiedene Formen von 42 _ archäologie weltweit Kontakten, die sich in unterschiedlichen physischen Räumen und Handlungsräumen vollziehen. Mobilität und Migration sowie der Austausch von Gütern sind Motoren für Bevölkerungsentwicklung, technische Innovationen, die Weitergabe von Wissen und für die Genese neuer sozialer und kultureller Ordnungen. Als was würde man zum Beispiel die Kulturen des westlichen und des östlichen Mittelmeerraums bezeichnen wollen, wenn man bedenkt, dass große Teile von ihnen nacheinander phönizisch, griechisch und römisch waren? Antike Reiche waren immer Vielvölkerstaaten, am augenfälligsten trifft dies auf das Römische Reich zu, das, einer Vorstellung des 19. Jahrhunderts zufolge, brutalen Überfällen wilder Barbaren zum Opfer fiel. Unser Titelthema zeigt, dass nicht nur diese Vorstellung von einer Epoche namens „Völkerwanderung“ überholt ist. Wanderungen waren auch im Spiel, als es viel früher in der Geschichte der Menschheit um die Verbreitung von Wissen ging. Schon Jäger und Sammler waren in weiträumigen Netzwerken miteinander verbunden und hockten keineswegs ein jede Gruppe für sich vor einem kleinen Feuer. Wie komplex indigene Entwicklungen bahnbrechender Innovationen einerseits und die „Wanderungen“ von Neuerungen andererseits aufeinander einwirken, zeigt ein Stück über Entwicklungen im Neolithikum, über das die wissenschaftliche Debatte noch längst nicht vorbei ist. Pilgerreisen sind ein auch heute noch bekanntes Phänomen. Menschen suchen Heiligtümer auf, um bestimmten Göttinnen und Göttern zu huldigen. Weniger in Betracht gezogen wird dabei allerdings, dass dies zu einer steten Bewegung von Menschen, Kenntnissen und Gütern führte. Das Heraion auf Samos ist ein herausragendes Beispiel früher „Reisereligion“. Dass Häfen eine bedeutende Rolle bei überregionalen Bewegungen und Transporten spielen, liegt auf der Hand. Ostseehäfen im Mittelalter und ein kleiner, aber bedeutender katarischer Hafen aus dem 19. Jahrhundert sind unsere Beispiele. Unsere Wanderung führt uns schließlich in weit entfernte Welten, in denen vor langer Zeit ebenfalls sehr weite Wanderungen stattgefunden haben – und zwar nicht über Land, sondern mit hochseetauglichen Langbooten in die Inselwelt des Pazifik. Wir fragen uns: Wie wurden die Salomonen besiedelt? Völkerwanderung? Eine Klärung der Begriffe „Fellbekleidete Horden überrennen die römischen Grenzen, wilde Krieger mit Hörnerhelmen demütigen besiegte römische Generäle und hilflose Senatoren in wehenden Togen – und vernichten schließlich die antike Zivilisation.“* „Wenn heute von Völkerwanderung die Rede ist, schwingt häufig das 19. Jahrhundert mit“, erklärt Philipp von Rummel, Generalsekretär des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) zum lebhaft diskutierten Thema. Die Dichotomie des „Gegen“ – Barbaren zerstören die Zivilisation – ist nach wie vor lebendig und verschleiert allzu häufig den gebotenen analytischen Blick auf eine komplexe Kette von Ereignissen. „Im 19. Jahrhundert war ‚Volk‘ die konstituierende Größe, und Geschichte sah man als ein Agieren von Völkern gegeneinander an“, erklärt von Rummel. Doch weder ‚Volk’ noch ‚Wanderung’ lassen sich so einfach auf den Begriff bringen. Zwischen dem 4. und dem Ende des 6. Jahrhunderts ereigneten sich Vorfälle, an deren Ende der europäische Kontinent sein Gesicht vollkommen verändert hatte – das Imperium Romanum in der bis dahin bekannten Form hatte aufgehört zu existieren. Den Beginn der Ereignisse markieren der Einbruch der Hunnen nach * Tipp Philipp von Rummel – Hubert Fehr Die Völkerwanderung Darmstadt 2011 Broschiert: 152 Seiten Osteuropa und die Migration der terwingischen Goten in das römische Reich 376 n. Chr. „Zwar hatten die Einfälle der Hunnen durchaus den Charakter von Raubzügen, aber man kann nicht alle Bewegungen dieser Zeit als kompakte oder gar intendiert geordnete Vorgänge mit dezidiertem Eroberungswillen ansehen“, sagt von Rummel. „Vielmehr waren die meisten der vielen Gruppen, die unterwegs waren, auf der Suche nach einem stabilen Platz im großen Vielvölkerstaat Römisches Reich.“ Viele der Kämpfe der Völkerwanderungszeit waren Kämpfe um die Integration ins Reich, nicht Angriffe fremder Mächte zum Zwecke der Eroberung. Es waren Kämpfe zwischen denen, die ihre Privilegien behalten wollten, und denen, die ihr Glück erzwingen wollten. „Alarich oder Theoderich agierten nicht gegen die römische Welt oder gar außerhalb, sondern innerhalb der römischen Strukturen“, rückt von Rummel eine der üblichen Fehleinschätzungen zurecht. „Nicht ‚die Germanen’ haben das Römische Reich besiegt. Vielmehr haben sie archäologie weltweit _ 43 in und mit ihm einen Entwicklungsprozess durchlaufen, an dessen Ende neue Herrschaftsgebilde standen.“ Und während die einen das Imperium an seinen inneren Widersprüchen und Dekadenzen zerbrechen sahen, war es für die anderen ein eindeutiger Fall politischer Barbarei, ein Überfall, der das stolze Reich in den Untergang zwang. „Beides ist richtig, und beides ist falsch“, benennt Philipp von Rummel die komplexe Sachlage. In den ereignisreichen zwei Jahrhunderten veränderte sich die Landkarte Europas grundlegend. Das riesige Römische Reich war auf seine östliche Hälfte reduziert, und in den Provinzen des Westens hatten sich neue Herrscher etabliert. „Das Leben ging weiter und keineswegs in allen Lebensbereichen schlechter“, weiß Philipp von Rummel. Geradezu romantische Vorstellungen des Imperium Romanum als einem unerreichten Vorbild des neuzeit- Sattelbeschläge eines Gepidenfürsten aus dem Schatz von Apahida - Nationales Museum der Geschichte von Rumänien. Apahida ist eine Gemeinde in Siebenbürgen, die durch ihre drei Prunkgräber aus der Zeit der Völkerwanderung berühmt wurde. Abb: „Saddle fittings of a Gepid prince - Apahida.jpg“, James Steakly, GFDL 1.2 oder später 44 _ archäologie weltweit lichen Machtstaats trieben manchen Gelehrten in die Vorstellung eines ‚Clash of Civilizations’, weiß der Archäologe. „Es ist richtig, dass das technische und wirtschaftliche Niveau in ganz Europa sank“, sagt von Rummel. Man solle dabei aber auch fragen, für wen genau welche Entwicklungen von Nachteil waren. „Zwar mag die Residenz des angelsächsischen Königs von Northumbria nicht annähernd so prächtig gewesen sein wie der Palast Hadrians in Tivoli. Doch der Ernährungsstatus der europäischen Bevölkerung blieb während der Völkerwanderungszeit der gleiche“, sagt von Rummel. Damit war ihr Lebensstandard in dieser Hinsicht besser als derjenige der meisten Menschen im 19. Jahrhundert, dem Jahrhundert der großen Erzählungen über die Völkerwanderungszeit. Das Mausoleum Theoderichs in Ravenna. Der Eckstein des eindrucksvollen Grabbaus ist aus einem einzigen Stein gearbeitet. Foto: DAI Rom titelthema Basis des TheodosiusObelisken auf dem Hippodrom in Istanbul (Türkei): Klare Verhältnisse in der kaiserlichen Darstellung in der beginnenden Völkerwanderungszeit mit der kaiserlichen Familie und Leibwächtern im oberen Register, unten gabenbringende Barbaren. Foto: von Rummel Unter vandalischer Herrschaft wurden in Karthago (Tunesien) große Villen errichtet und ausgebaut, die sich von älteren römischen Häusern, wenn überhaupt, nur dadurch unterschieden, dass sie noch etwas prächtiger ausgestattet waren. Foto: von Rummel Vandalen in Afrika – Völkerwanderung ohne „Vandalismus“ Grabinschrift des Vandalen Arifridos aus einer Kirche in Thuburbo Maius (Tunesien, heute im Bardo-Museum Tunis): auch in der Gestaltung ihrer Gräber unterschieden sich die Vandalen nicht von ihren römisch-afrikanischen Nachbarn. Foto: von Rummel Aus einer kleinen Kirche in Henchir elGousset (Tunesien) stammt der Schlussstein eines Bogens mit einer Inschrift, die den vandalischen König Thrasamund nennt. Foto: von Rummel archäologie weltweit _ 45 titelthema Dr. Philipp von Rummel ist Generalsekretär des Deutschen Archäologischen Instituts Foto: Kuckertz Neue Quellen der Archäologie Neue Methoden in der Archäologie könnten Übersicht in die komplexe Lage bringen. Schon seit Jahrzehnten werden mittels Radiokarbonmethode Datierungen genauer, Materialanalysen erweitern das Wissen um Produktion und Distribution, seit einiger Zeit spielen Isotopen- und DNA-Analysen eine größer werdende Rolle, um zum Beispiel Wanderungsbewegungen bestimmter Gruppen ausmachen zu können. Archäologie Weltweit AW Machen die Naturwissenschaften den klassischen Methoden der Archäologie Konkurrenz? Wie gestalten sich die Diskurse in der Archäologie zu den Möglichkeiten etwa von DNA-Analysen? Philipp von Rummel von Rummel Sie bieten eine wertvolle Ergänzung. Aber wie alle anderen Quellen müssen auch Quellen aus naturwissenschaftlicher Forschung kritisch betrachtet werden. So können wir zum Beispiel mit biologischen Methoden populationsgeschichtliche Informationen gewinnen und Verwandtschaftsverhältnisse bestimmen – aber kulturell und soziologisch ist damit noch nichts gesagt. Denn Verwandtschaft wurde und wird ja häufig nicht in erster Linie biologisch definiert, sondern soziologisch. Wenn es schließlich zu Fragen wie Selbstzuschreibung, Identität oder Sprache kommt, kann es sehr kompliziert werden. Wenn man mit neuen Methoden Erkenntnisse erweitern kann, ist die Begeisterung anfangs immer groß. Aber wir dürfen dabei nicht historische gegen genetische Methoden ausspielen wollen. Die Zusammenarbeit zwischen Geistes- und Naturwissenschaften ist fruchtbar und notwendig, und wird gerade im DAI schon seit langer Zeit praktiziert. Alte DNA ist eine von vielen Quellengattungen, an die historische Fragen gestellt werden können. In dieser Reihe kann sie äußerst wertvolle Erkenntnisse liefern, ist aber grundsätzlich nicht wichtiger oder gar objektiver als andere Quellen. Ganz gleich, ob es sich um einen archäologischen Fund, einen Text oder eben DNA aus einem alten Skelett handelt – alle bedürfen einer historischen Interpretation, wenn die Aussage über das rein Faktische hinausgehen soll. Die Archäologie war stets ein Mittler zwischen unterschiedlichsten Disziplinen und Zugängen. In dieser Tradition fügt sich die Paläogentik ein in eine Reihe zahlreicher anderer in der Archäologie angewandter Naturwissenschaften. In unterschiedlichsten Kooperationen wird sie in DAI-Projekten bereits ganz selbstverständlich praktiziert, sowohl in Studien zu menschlicher als auch tierischer DNA. Untersuchungen am Referat für Naturwissenschaften des DAI: Man kann die Fellfarbe von Pferden als Marker für das Einsetzen des Domestikationsprozesses von Wildtieren verstehen. Spätestens ab der Mitte des 3. Jahrtausends v. Chr. gibt es eine deutliche Zunahme der Farbfell-Varianten bei Pferden aus Osteuropa und Westsibirien als Folge gezielter Zucht. Abb.: Benecke 46 _ archäologie weltweit Lebensmittel zu produzieren, statt sie nur zu sammeln, ist einer der wesentlichen Züge der „Neolithischen Revolution“. In Mitteleuropa wird die Verbreitung der Innovationen des Neolithikums mit der Linienbandkeramik-Kultur verbunden. Mahlsteine wie diese wurden in Gräbern der Bandkeramiker gefunden. Foto: “Molino piedra-2009.jpg”, Tamorlan, CC-BY 3.0 Auf dem Weg nach Europa Die Ausbreitung des Neolithikums In weiten Teilen der Alten Welt werden zwischen 10.000 und 6500 v. Chr. Menschen sesshaft, produzieren Lebensmittel anstatt sie nur zu sammeln, domestizieren Tier und Pflanze, bauen Häuser, entwickeln Keramik, schließlich sogar die Metallurgie und bringen differenzierte gesellschaftliche Institutionen hervor. Älteste Formen dieser Lebensweise sind aus dem Fruchtbaren Halbmond, der Kernlandschaft des Vorderen Orients, seit dem 10. Jahrtausend v. Chr. bekannt. Von dort breitete sich die frühbäuerliche Lebens- und Wirtschaftsweise ab dem 7. Jahrtausend v. Chr. aus. Über Südost-Europa wanderte die „neolithische Revolution“ bis nach Mitteleuropa und schließlich weiter nach Norden und Westen. „Was wir heute in Europa unter Zivilisation verstehen, kommt ursprünglich aus dieser Region des Vorderen Orients“, sagt Eszter Bánffy, Erste Direktorin der Römisch-Germanischen Kommission des DAI (RGK). Transmissionsriemen dieser Prozesse ist die südosteuropäische Starčevo-Kultur – so genannt nach einem Fundort in Serbien. „Die Angehörigen dieser Kultur waren die letzten Migranten, die noch genetisch aus Anatolien stammen“, sagt Bánffy, „Träger der Innovationen eines sozialen und kulturellen ‚Pakets’, das Europa irreversibel veränderte.“ Doch es wäre verfehlt, sich den Prozess der Neolithisierung Europas als einen einfachen Kulturkontakt im Sinne einer „mission civilisatrice“ vorzustellen, bei dem eine „höher entwickelte“ Kultur einer einfacheren etwas beibringt. „Im Zuge dieser lang andau- Prof. Dr. Eszter Bánffy ist Erste Direktorin der RömischGermanischen Kommission des DAI in Frankfurt. Foto: privat ernden Entwicklung gab es in vielfältige Kontakte und komplexe Akkulturationsprozesse zwischen den Einwanderern und den ansässigen Jäger- und Sammlerkulturen im südost- und mitteleuropäischen Raum“, weiß Bánffy. „Eine Revolution im wörtlichen Sinne war die Neolithisierung also eher nicht.“ Begünstigt wurden die Kontakte durch eine Verlangsamung der Wanderungsbewegung der Immigranten in der Region um das westliche Karpatenbecken, unter anderem, weil die bäuerliche Lebensweise an das immer kühlere und nassere, atlantische Klima angepasst werden musste. So ergaben sich Gelegenheiten, voneinander zu lernen. „Die ansässigen Jäger- und Sammlerkulturen waren an die Hügelund Wasserlandschaft der Region bestens angepasst“, sagt die Archäologin. archäologie weltweit _ 47 titelthema Hinterlassenschaften einer Jahrtausende alten Kultur. Fotos: Bánffy Die Karte zeigt die Formierung der linienbandkeramischen Kultur im westlichen Karpatenbecken, Mitte des 6. Jahrtausends v.Chr. Abb.: Bánffy Vor allem aber waren die Bauern auf der Suche nach fruchtbaren Böden. Als einen weiteren wichtigen Grund der dynamischen Ausbreitung ins heutige Deutschland sieht Eszter Bánffy aber auch die Suche nach Salz an, das zum einen eine eher fleischarme Ernährung kompensieren konnte und zum andern als Konservierungsmittel unerlässlich war. Bekannte Salzgebiete mit Solquellen, in denen Salz auch in Gewässern zugänglich war, lagen im Flachland, einer Topografie mithin, in der die Bauern sich auskannten: nördlich von Frankfurt, in der Elbe-Saale-Region und in Kleinpolen. Um die komplexe Geschichte der Neolithisierung Europas nachvollziehen zu können, müssen geistes- wie auch naturwissenschaftliche archäologische Forschungsmethoden Hand in Hand gehen, ist Eszter Bánffy überzeugt. In mehreren Projekten, die sie leitet und zusammen mit Kooperationspartnern durchführt, kommen traditionelle archäologische Methoden ebenso zum Einsatz wie umwelt- und bioarchäologische Verfahren. Isotopenuntersuchungen, paläomedizinische Forschungen und aDNA-Analysen werden herangezogen, um archäologisch gesicherte Befunde zu bestätigen, aber auch, um neue Antworten auf alte Fragen zu finden. Es gilt noch viel herauszufinden über eine Revolution, die keine war und die dennoch das Angesicht eines Kontinents von Grund auf veränderte. Eine der grundlegenden Veränderungen war die Entstehung einer neuen Kultur. „Im Zuge einer Reihe komplexer Entwicklungen und Zusammentreffen entstand schließlich die neue kulturelle Identität der Linienbandkeramiker, der ersten Bauern Mitteleuropas“, erklärt Eszter Bánffy, Nachkommen der nordwestbalkanischen Starčevo-Kultur, „der letzten Immigranten aus dem Südosten“. 48 _ archäologie weltweit Mehr als 30 gefundene Skelette bieten – neben der archäologischen und anthropologischen Auswertung – zahlreiche Möglichkeiten für weitere Forschungen wie zum Beispiel paläopathologische Untersuchungen, 14C-Datierung sowie Isotopen- und aDNA-Analysen. Einige der Skelette wurden in unterirdischen Öfen bestattet. Fotos: Bánffy Alsónyék-Bátaszék Die frühneolithische Fundstelle Alsónyék-Bátaszék ist die größte bekannte Starčevo-Siedlung in Ungarn. Sie wurde im Rahmen von Baumaßnahmen für eine Autobahn zu großen Teilen freigelegt. Oben: Ovale Öfen in Alsónyék-Bátaszék, unten: Unterirdische Öfen mit Lüftungsröhren Fotos: Bánffy Karpatenbecken Transdanubien Kooperationen Kooperationen Kooperation Landesamt für Denkmalpflege Hessen Ungarische Akademie der Wissenschaften, Budapest, Forschungszentrum für Humanwissenschaften Kroatische Akademie der Wissenschaften und Künste, Zagreb, Institut für Archäologie Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Institut für Anthropologie Eötvös Loránd Universität Budapest, Institut für Archäologie Ungarische Akademie der Wissenschaften Budapest, Institut für Archäologie Universität Szeged, Institut für Anthropologie Universität Heidelberg, Institut für Ur- und Frühgeschichte Ungarische Akademie der Wissenschaften, Budapest, Forschungszentrum für Humanwissenschaften Förderung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) archäologie weltweit _ 49 titelthema Iranisches Neolithikum Dr. Judith Thomalsky leitet die Außenstelle Teheran der Eurasien-Abteilung des DAI. „Das Neolithikum ist wohl die innovativste Phase der Menschheitsgeschichte, die wir Archäologen beschreiben können“, sagt Judith Thomalsky, Leiterin der Außenstelle Teheran des DAI – eine innovative Phase, die an mehreren Stellen des Fruchtbaren Halbmonds gleichzeitig einsetzt. Einer der Indikatoren für die umwälzenden Veränderungen ist das Aufkommen der Keramik. „Die frühe Keramikproduktion beginnt in Nordmesopotamien – in Syrien, in der Levante und in der Südost-Türkei – wie auch im iranischen Zagrosgebirge und in der Fars im Süden Irans gleichzeitig“, erklärt die Archäologin, „nämlich um 7000 v. Chr.“. Dies ist eines der Ergebnisse einer internationalen Konferenz Anfang März an der Universität Teheran, veranstaltet vom Forschungscluster 1 „Sesshaftigkeit“ des DAI in Kooperation mit Hasan Fazeli Nashli, Institut für Archäologie (siehe Kasten). Auch andere neolithische Entwicklungen im Iran sind indigen, weiß man heute. „Anhand von DNA-Analysen wie auch archäozoologischen und -botanischen Untersuchungen können wir Spuren einer lokalen Domestikation von Ziegen und auch von Getreide ausmachen“, sagt Thomalsky. Doch die Neolithisierung ist ein langer Prozess. Tiere zu halten, heißt zunächst noch nicht, sie auch zu domestizieren, und auch die Verarbeitung von Pflanzen gab es schon lange, bevor Menschen damit begannen, Zuchtsorten zu entwickeln. Im Iran beginnt dieser Prozess vor 10.000 Jahren. Technologien Als in der ersten Hälfte des 7. Jahrtausends v. Chr. die Keramik erfunden wird, sind die Stile in der Frühphase noch recht einheitlich, doch bald entstehen regionale Stile. „Für die Zeit, in der sich die Keramik ‚regionalisiert’, bilden sich offenbar auch verstärkt regionale Kontakte und Netzwerke“, sagt Thomalsky. Der Bedarf an Materialien für die aufkommenden Technologien steigt und setzt eine Zirkulation dieser Rohstoffe in Gang. Noch deutlicher fassbar wird dies beim Aufkommen der Metallurgie, einer anderen der bahnbrechenden Erfin-dungen des Neolithikums. „Für Ali Kosh in der Deh Luran Ebene können wir ab dem 9. Jahrtausend eine erste Verarbeitung von Erzen wie Naturkupfer und Malachit nachweisen“, sagt Thomalsky. Im 6. Jahrtausend wird die neue Technologie erprobt, um sich schließlich im 5. Jahrtausend weiträumig im Iran und darüber hinaus zu verbreiten. Judith Thomalsky erforscht die Entwicklung der charakteristischen iranischen Steingeräteindustrie. Im Zagros-Gebirge und in der Fars ist sie am frühesten zu belegen. Thomalsky analysiert Feuersteingeräte mit einem Alter von 8000 bis 14.000 Jahren. „Von hier scheint sich dann diese neue Technik in die Türkei und in den Kaukasus zu verbreiten“, sagt Thomalsky. Insgesamt, so eines der übergreifenden Ergebnisse der Konferenz, gab es viele lokale neolithische Entwicklungen, die aber dennoch in regem Austausch miteinander standen. Die ältesten Ansiedlungen bei Tappe Sialk nahe Kashan in der Provinz Isfahan gehen 7500 bis 8000 Jahre zurück. Fotos: Thomalsky Hirte mit Pferd in Paläolithischen Abri Do Ashkraft bei Kermanshah, Zentralzagros, Iran. Um 7000 v. Chr. kommt Keramik zeitgleich in Syrien, in der Levante und in der Südost-Türkei wie auch im iranischen Zagrosgebirge und in der Fars im Süden Irans auf. Für Ali Kosh im ZagrosGebirge ist ab dem 9. Jahrtausend eine erste Verarbeitung von Erzen wie Naturkupfer und Malachit nachgewiesen. Forschungscluster „Sesshaftigkeit” Die Konferenz „Neolithization and its Cosequences: A global View from and to Iran” vom 1. bis zum 4. März 2016 an der Universität Teheran wurde vom Forschungscluster 1 des DAI in Kooperation mit Hasan Fazeli Nashli, Institut für Archäologie der Universität Teheran, veranstaltet. Im Cluster 1 „Von der Sesshaftigkeit zur komplexen Gesellschaft: Siedlung, Wirtschaft, Umwelt, Kult“ (SprecherInnen Friedrich Lüth, Karin Bartl, Norbert Benecke, Markus Reindel) wird am DAI die Forschung zu neolithischen Prozessen gebündelt. Ziel des Clusters ist es, das Umfeld und die Rahmenbedingungen der Sesshaftwerdung des Menschen in unterschiedlichen Natur- und Kulturräumen der Alten und der Neuen Welt vergleichend zu untersuchen und die wesentlichen Schritte zur Ausbildung komplexer Lebensformen nachzuvollziehen. Archäologen bei der Arbeit in Pahlavan Tappe in der iranischen Provinz Nord-Khorasan. Pahlavan Tappe ist ein Siedlungshügel aus dem 6. Jahrtausend v. Chr. 50 _ archäologie weltweit archäologie weltweit _ 51 titelthema Maikop, Russische Föderation, 1. Hälfte 4. Jt. v. Chr. Der Stier ist einer der ältesten Nachweise für die Verwendung des Silbers. Die Stierfigur ist darüber hinaus eines der frühsten Beispiele für den Guss in verlorener Form. Dieses Verfahren war schon im 4. Jt. v. Chr. zwischen Persischem Golf und südlichem Ostseeraum verbreitet. Fotos: Piotrovsky, Eremitage St. Petersburg Kompetenznetzwerke Wie das Wissen in Bewegung kommt Wie kommen die Dinge in die Welt? Alle die nützlichen Dinge, die Menschen im Laufe der Jahrtausende dazu benutzten, sich das Leben zu erleichtern oder vielleicht auch nur damit anzugeben. Woher wissen Menschen, wie Pflanzen anzubauen und Tiere zu halten sind, wie man Töpfe herstellt und – viel schwieriger – Gegenstände aus Metall? Prof. Dr. Dr. h. c. Svend Hansen ist Erster Direktor der Eurasien-Abteilung des DAI. Foto: I. Hansen 52 _ archäologie weltweit Erz zu finden, zu fördern, zu verhütten, zu gießen und zu formen, war eine veritable Innovation, eher schon eine Revolution (nach der Keramik die zweite Umwandlung von Materie durch Feuer). In vielen Gegenden Eurasiens wurden Zeugnisse primitiver bis elaborierter Metallbearbeitung gefunden, die zu analysieren – mitsamt dem Wissen, das in ihnen steckt, ebenfalls innovative Methoden erfordert, vor allem, wenn es keine schriftlichen Quellen gibt. „Den meisten Begriffen von Wissen fehlt etwas“, findet Svend Hansen, Erster Direktor der Eurasien-Abteilung des Deutschen Archäologischen Instituts. Nur das akademische Wissen, niedergeschrieben und kanonisiert, als Wissen zu betrachten, hieße nämlich, den größeren Teil der Menschheit aus den Betrachtungen auszuschließen. „Daher ist es wichtig, die Objekte zu betrachten, die Träger von Wissen sind.“ Aşağı Pınar, Türkisch-Thrakien. Fragment einer Tonstatuette mit dem charakteristischen flachen Oberkörper und Kopf, um 6000 v. Chr. Foto: Hansen Doch wie verbreitet sich das Wissen über komplexe Handwerkstechniken? Nur im Objekt, das gehandelt, hergeschenkt oder geraubt wird? „Schon seit dem Paläolithikum waren die Gesellschaften des westlichen Eurasiens zwischen Atlantik und Ural durch überregionale Netzwerke verbunden“, erklärt Hansen. „In ihnen waren der Austausch von Gütern, Techniken und Ideen geregelt und auch der von Menschen.“ Gruppen von Jägern durchstreiften weite Gebiete, trafen andere Jäger und tauschten sich aus mit ihnen. „Innovationen verbreiteten sich dann schnell, wenn sie plausibel waren“, sagt Hansen. Das gilt auch für das Neolithikum und die Anfänge der Metallurgie. Denn Metall ist als Innovation plausibel, weil es sich um das erste recycling-Material handelt, das wieder und wieder verwendet werden konnte. Plausibel sind auch Rad und Wagen, die um 3500 v. Chr. zwischen Mesopotamien und der Nordsee nachweisbar sind. Im 5. Jahrtausend v. Chr. entwickelt sich die Metallurgie von Westasien bis nach Südosteuropa. „Metallurgische Innovationen begründeten sich auf einen beständigen und raschen Wissenstransfer“, erklärt Hansen. Grundlage ist zum einen eine hohe soziale Kooperationsbereitschaft. Zum anderen gibt es aber auch Faktoren des technischen Prozesses, die den Wissenstransfer auch über große Distanzen begünstigten. „Manche Metalle – wie Zinn, Antimon oder Silber – sind nur begrenzt verfügbar“, sagt Hansen. „Allein darin liegt ein innerer Motor für die Überwindung großer Distanzen.“ Lagerstätten waren immer auch potentielle Treffpunkte für Spezialisten. archäologie weltweit _ 53 Innerhalb der Gesellschaften wurde handwerklich-technisches Wissen durch Anschauung und Nachahmung weitergegeben. Und wie zu allen Zeiten mussten die Adepten eines spezialisierten Handwerks eine echte Lehrzeit durchlaufen. „In schriftlosen Kulturen können wir von einem familialen oder verwandtschaftlich geprägten Umfeld ausgehen“, sagt Hansen. Mit der Einführung der Schrift können theoretisch Schulen die Vermittlung dieser neuen Technik übernehmen und zunehmend die Vermittlung des durch sie aufgespeicherten Wissens. Allerdings gibt es hierfür zum Bei- spiel in Mesopotamien keine Belege, so dass auch in Schriftkulturen weiterhin eher von einer mündlichen Tradition auszugehen ist. Notwendig wurde die Vermittlung von Wissen und so die Verteilung auf mehrere Köpfe, weil auch schon in der Kupfer- und Bronzezeit die Menschen mobil waren. Es hätte unter Umständen den Fortbestand einer ganzen Gruppe gefährden können, wenn es einem einsamen Genie gefallen hätte, einfach wegzugehen. Bytyń, Woj. Wielkopolskie, Polen. Rindergespann aus Arsenbronze. Die Figuren sind ebenfalls im Guss in verlorener Form hergestellt. Aber sie weisen darüber hinaus auf eine der wirkmächtigsten Innovationen der Menschheitsgeschichte hin: Wagen und Pflug, die bereits um die Mitte des 4. Jt. v. Chr. zwischen Nordsee und Mesopotamien bekannt waren. Foto: Museum Poznań 54 _ archäologie weltweit titelthema Aşağı Pınar, Türkisch-Thrakien. Tonstatuette einer sitzenden Person, um 6000 v. Chr. Die Tonstatuette repräsentiert einen Typus, der charakteristisch für die Ausbreitung der bäuerlichen Wirtschaft- und Lebensweise nach Südosteuropa ist. Statuetten dieser Form wurden zwischen Türkisch-Thrakien und der mittleren Theissregion hergestellt. Foto: Hansen Karanovo, Bulgarien. Tonstatuette einer sitzenden Person, um 6000 v. Chr. Die Tonstatuette weist große Ähnlichkeit mit der Statuette aus Aşağı Pınar auf. Die linke Hand ruht auf der Scham, die rechte Hand ist auf den Rücken gelegt Szajol-FELSÖFÖLD, Ungarn. Tonstatuette einer sitzenden Person, frühes 6. Jt. v. Chr. Auch diese fragmentierte Tonstatuette repräsentiert den gleichen Typus von Figurinen, der mit der Ausbreitung der bäuerlichen Wirtschaft- und Lebensweise nach Südosteuropa einhergeht. Fotos: Hansen Alte Verbindungen Die ersten Bauern, die aus Anatolien und der Levante nach Südosteuropa kamen, bildeten ein materiell erkennbares Netzwerk zwischen Türkisch-Thrakien und Makedonien sowie der mittleren Tisza-Region (Ungarn). Verblüffend ähnliche Tonstatuetten repräsentierten eine Form der Zusammengehörigkeit. Die zweite europäische Ausbreitungswelle der bäuerlichen Lebensweise, getragen von der „Linienbandkeramik“ zwischen dem Plattensee und der nördlichen Oberrheinebene, gründete auf eine strikte Wiedererkennbarkeit gleichartig verzierter Gefäße und uniformer Häuser, die tausendfach nach dem gleichen Schema gebaut wurden. Diese Netzwerke regulierten den Austausch von notwendigen Gütern ebenso wie den von Objekten, die ihrem Besitzer Prestige verliehen. Sie bildeten durch Hilfe und Unterstützung eine potentielle Reduktion der Gefahren durch Missernten und andere Krisen und boten damit zugleich eine aktive Verminderung des Konflikt- und Gewaltpotentials. In solchen Netzwerken erfolgte auch die Verbreitung technischen Wissens. Viele Innovationen der Metallurgie, wie z. B. der „Guss in verlorener Form“ waren im 4. Jt. v. Chr. schon zwischen Persischem Golf und Mitteleuropa verbreitet. Aşağı Pınar, Türkisch-Thrakien. Fragment einer Tonstatuette (Kopf und Oberkörper mit Brüsten), um 6000 v. Chr. Vergleichbare Figurinen dieser Form wurden zwischen Türkisch-Thrakien und der mittleren Theissregion hergestellt. Die Darstellungskonventionen reichen bis in die Details der sorgfältig dargestellten Haare. Foto: Hansen archäologie weltweit _ 55 titelthema Schuttschicht mit Votiven in situ aus älteren Altären. Das Grabungsteam deckte eine reiche Planierungsschicht mit einer Fülle an Heiligtumsabfällen auf. Sortiert und bearbeitet, verwandelte sich der unübersichtliche Schutt in ein Zeugnis internationaler Vernetzung. Schmelztiegel Die internationalen Vernetzungen bedeutender Heiligtümer Phönizischer ägyptisierender Silberring. Ägyptische Bronzestatuette der 25. Dynastie. Prof. Dr. Wolf-Dietrich Niemeier, ehemaliger Erster Direktor der Abteilung Athen des DAI, leitete die Ausgrabungen auf Samos. Kooperationspartner 21. Ephorie für prähistorische und klassische Altertümer des griechischen Antikendienstes Universität von Zypern Universität Bochum Förderung Universität von Zypern Fritz Thyssen Stiftung Institute for Aegean Prehistory Babylonische Bronzestatuette eines Mannes mit Hund. 56 _ archäologie weltweit Vom 8. bis zum 6. Jahrhundert v. Chr. geriet eine große Region am Mittelmeer in Bewegung. Einzelne Gruppen von Menschen machten sich auf die Suche nach Handelsmöglichkeiten, andere wollten Land besetzen oder Städte gründen. Die meisten gingen zuvor nach Delphi, um im Heiligtum des Apollon das Orakel zu befragen. So wird der Tempel Umschlagplatz für geografische, nautische und ethnologische Informationen. Später würde man diese Phase „Die Große Griechische Kolonisation nennen.“ Doch der Mittelmeerraum war kein Binnenraum. Er war darüber hinaus über Flüsse und Handelswege mit anderen Kulturen verbunden – die Netze reichten einerseits bis in keltisches Gebiet, andererseits hinein in circumsaharische Kulturkreise, die sich wiederum mit denen des Alten Vorderen Orients überschnitten. Die arabische Halbinsel war über den pazifischen Ozean mit den Kulturen Indiens verbunden, die wiederum mit dem Zentral- und Mittelasiatischen Raum. Bei den vielen Bewegungen von Menschen, Wissen und Waren spielten antike Heiligtümer sehr häufig eine uns heute fremd gewordene Rolle als Informationsbörsen, Treffpunkte und Koordinationszentren – und zugleich Zeugnisse für ebendiesen Austausch über kulturelle Grenzen hinweg. Innerhalb der griechischen Welt gehörten Ortsveränderung und Bewegung zum Leben der Menschen, die häufig aus religiösen Gründen auf Reisen gingen. Ein Beispiel dafür sind die panhellenischen Feste, die seit der Entstehung der Polisgesellschaften im 8. vorchristlichen Jahrhundert stattfanden. Jede Polis, die ein heiliges Spiel ausrichtete, hatte Monate vor Beginn der Agone eine Abordnung an alle Orte der griechischen Welt zu entsenden, um den genauen Termin in Abstimmung mit den unterschiedlichen Kultkalendern bekanntzugeben. Die „Olympischen Spiele“ beginnen im 8. vorchristlichen Jahrhundert und erreichen wie andere Spiele auch allmählich eine panhellenische Bedeutung. Alle vier Jahre rief Olympia die Jugend zu den panhellenischen Spielen. Und mit ihr kamen alle, die Rang und Namen, Macht und Mittel hatten. Hier wurden die Sportwettkämpfe ausgetragen, die so berühmt und so ruhmreich waren, dass bis heute bei der Zählung der Spiele das Zeitalter genannt wird: 2016 finden die 31. Olympischen Spiele „der Neuzeit“ statt. Waren und Kulturtechniken – einheimische wie fremde – fanden Anbieter und Abnehmer, Menschen und Wissen kursierten in freiem Austausch. Olympia im Nordwesten der Halbinsel Peloponnes wird seit 1875 von deutschen Archäologen erforscht. Inzwischen ist fast das gesamte Heiligtum mit seinen zahlreichen repräsentativen Bauten für Kulte und Sport freigelegt. Samos Die griechische Insel Samos liegt vor der ionischen Küste Kleinasiens. In der Antike war sie Regionalmacht und bedeutendes Handelszentrum. Hier wurde eines der herausragenden Heiligtümer für Hera, Gattin und Schwester des Zeus, das Heraion, errichtet. Herodot bezeichnet die monumentale Tempelanlage als den größten Tempel Griechenlands. Seine Blütezeit fällt in das 8. bis 5. Jahrhundert v. Chr., bezeugt durch eine Fülle an Weihgeschenken aus Keramik, Stein, Fayence, Elfenbein, Metall und Schnitzereien aus Holz, die sich im sumpfigen Gelände des Heiligtums erhielten. Ushebti aus Kalkstein. Fotos: Niemeier Das Heraion wird seit rund 90 Jahren von der Abteilung Athen des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) erforscht. Für Überraschungen sorgten die Grabungen, die ein internationales Archäologenteam unter der Leitung des damaligen Direktors der Abteilung Athen des DAI, Wolf-Dietrich Niemeier, östlich des ca. 550 v. Chr. errichteten Großen Altars 2012 und 2013 durchführte. Das Grabungsteam deckte eine reiche Planierungsschicht mit einer Fülle an Heiligtumsabfällen auf, die auf den ersten Blick ein großes Durcheinander offenbarte. Sortiert und bearbeitet, verwandelte sich der unübersichtliche Schutt in ein Zeugnis internationaler Vernetzung. Zyprische Kalksteinstatuetten, Edelmetalle und Gussformen für Schmuck gehörten zu den Neufunden, die Archäologinnen und Archäologen fanden aber auch einen silbernen ägyptisierenden Siegelring aus phönizischer Produktion oder auch eine Ushbeti-Statuette aus Kalkstein, die aus Ägypten importiert worden war, in einer älteren Planierschicht zudem eine ägyptische Bronzestatuette der nubischen 25. Dynastie. Sie zeigt die nackte weibliche Gestalt einer Konkubine mit afrikanischen Gesichtszügen. In der linken Hand trägt sie Krone und Lilie. „Kein anderes griechisches Heiligtum hat unter den Votiven früharchaischer Zeit einen solchen Reichtum und eine solche Vielfalt an Importen aus dem Vorderen Orient und Ägypten hervorgebracht wie das der Hera auf Samos“, sagt Wolf-Dietrich Niemeier. „Samos war also bereits im 7. Jahrhundert v. Chr. in die internationalen Handelsnetze des östlichen Mittelmeers und darüber hinaus eingebunden.“ Nun gilt es, die Vielzahl der Neufunde weiter zu bearbeiten und für die Publikation vorzubereiten. archäologie weltweit _ 57 titelthema H äfen sind Schnittstellen zwischen Land und Wasser. Sie sind Wege in ferne Welten. In vielen geografischen Kontexten braucht es Häfen, um Güter, Menschen und Informationen transportieren zu können. So werden Häfen zu Trägern ökonomischer, sozialer und kultureller Strukturen. Häfen Grabung in Rostock-Dierkow. Foto: Karle, Niedersächsisches Institut für historische Küstenforschung (NIhK) Tore zur Welt Häfen an der Ostsee und am Arabischen Golf Die Archäologen haben in Umm AL-HOUL eine 900 Quadratmeter große Hofhausanlage freigelegt. Foto: Pfeiffer Häfen sind komplexe Systeme, in denen Umwelt, Technik, Logistik, soziale, ökonomische und politische Beziehungen einander überlagern. Schließlich: Wie definieren Städte am Meer ihr Verhältnis zum Hinterland? In welchem Maße richtet sich ihr Blick aufs Meer? Die Erforschung antiker Stadtkultur gehört zu den zentralen Forschungsfeldern der Archäologie – viele der bedeutenden Zentren der Antike waren auch Hafenstädte. Zur archäologischen Forschung gehört auch herauszufinden, wie in der Vergangenheit der Austausch von Ressourcen und Ideen und die Bewegung von Menschen funktionierte. 58 _ archäologie weltweit archäologie weltweit _ 59 titelthema Die Lage im vertorften Niederungsbereich begünstigte die Erhaltung von organischen Materialien wie Holz oder Leder in Rostock-Dierkow; mehrere freigelegte Flechtwerkmatten und -zäune sowie verschiedene Holzkonstruktionen weisen auf umfangreiche Baumaßnahmen hin. Fotos: Sack Früh- und hochmittelalterliche auf Handel und Handwerk spezialisierte Küstenansiedlungen entlang der südlichen Ostseeküste: Groß Strömkendorf, Rostock-Dierkow, Ralswiek auf Rügen, Usedom, Bardy/Świelubie und Puck wurden von den Archäologen bereits umfassend interdisziplinär untersucht. Dr. Sebastian Messal ist Mitarbeiter der Abteilung Kulturgüterschutz und Site Management des Deutschen Archäologischen Instituts. Foto: Karle, NIhK Ostseehäfen Anders als man heute denken mag, war der Ostseeraum im frühen Mittelalter eine belebte und durchaus globalisierte Region, in der nicht nur enge Nachbarn miteinander zu tun hatten und entsprechend begrenzten Handel trieben. Vielmehr bildete er die Kontaktzone zwischen den skandinavischen Königreichen, dem fränkischen Reich und den baltischen und slawischen Gebieten. Ein gesellschaftlich, ethnisch, religiös und wirtschaftlich äußerst heterogener internationaler Wirtschaftsraum entstand, in dem Güter, Informationen und Menschen ständig unterwegs waren. Er bot somit ausgezeichnete Voraussetzungen für die Erschließung neuer Märkte und die Kommunikation von Innovationen. 1 Starigard/Oldenburg; 2 Alt Lübeck; 3 Groß Strömkendorf; 4 Rostock-Dierkow; 5 Ralswiek; 6 Menzlin; 7 Usedom; 8 Szczecin; 9 Wolin; 10 Kamień Pomorski; 11 Kołobrzeg; 12 Bardy/ Świelubie; 13 Puck; 14 Gdańsk; 15 Janów Pomorski. Grafik: Messal „Seit dem 8. Jahrhundert erlebt der Ostseeraum eine Blüte des Fernhandels und die Etablierung und Festigung eines überregionalen Verkehrsnetzes“, beschreibt Sebastian Messal die Entstehung des internationalen Wirtschaftsraums. Das zentrale Element dabei sind Häfen, die sich in Anlage und Ausrichtung auf überregionalen Handel und das dazu notwendige Handwerk spezialisierten, die ihrerseits eine große kulturelle Vielfalt zeigen. „Neben Slawen könnten hier auch Skandinavier und vielleicht Friesen und Sachsen gelebt haben“, fügt Messal hinzu. „So etwas finden wir im Frühmittelalter südlich der Ostsee nur auf diesen Seehandelsplätzen.“ Messal ist Mitarbeiter des interdisziplinären DFG-Gemeinschaftsprojekts der Abteilung Kulturgüterschutz und Site Management des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) und des Niedersächsischen Institutes für historische Küstenforschung, in dem frühmittelalterliche Hafenanlagen zwischen Wismarer und Danziger Bucht erforscht werden. „Im 9. und 10. Jahrhundert schließlich erleben die Ostseehäfen einen erheblichen Bedeutungszuwachs“, erklärt Messal. „Manche entwickelten sich sogar zu mittelalterlichen Städten.“ Während aber die einen Naturgewalten wie Hochwasser, Verlandung oder Veränderung des Wasserspiegels durch umfangreiche Ausbauund Infrastrukturmaßnahmen innerhalb der Siedlungen trotzten, gaben andere auf und verschwanden wieder. Akribische Arbeit beim Ausschlämmen und Durchsichten der Kulturschichten. Neben botanischem Material traten die schönsten Perlen zutage. Sie zeigen, dass es weitreichende Kontakte gab, teilweise über den Ostseeraum hinaus. Foto: Messal Doch wie wählten die Menschen einzelne Standorte überhaupt aus? „Für die Anlage von Landeplätzen bzw. Häfen bevorzugte man geschützte Lagen in Buchten, Boddengewässern oder an Flussläufen“, sagt Messal. „Die dazugehörige Siedlung wurde aber in der Regel in unmittelbarer Nähe auf erhöhten Standorten angelegt.“ Die Archäologen wollen darüber hinaus klären, wie die Häfen an die jeweilige Siedlung angebunden waren und welche Rolle überhaupt der Hafen im Leben der Siedlung spielte. Mit der Zeit scheint sich so etwas wie eine maritime Identität entwickelt zu haben – die Gräber, mehrfach auch in Form von Booten, in den Küstenorten befanden sich meist in erhöhter Lage und boten einen guten Blick über Handelsplatz und Hafen. Foto: Kiepe, Niedersächsisches Institut für historische Küstenforschung (NIhK) 60 _ archäologie weltweit archäologie weltweit _ 61 titelthema Blick auf den Hafen von GroSS Strömkendorf. Das Hafenbecken zeichnet sich deutlich als L-förmige Verfärbung (durch Algenwachstum) ab. Luftbild: Google Earth Durch BaumaSSnahmen hat sich der Grundwasserspiegel stark verändert. Dadurch ist die Ruine gefährdet. Foto: Pfeiffer Umm al-Houl Schwierige Arbeitsbedingungen. Die Hafenareale sind heute zumeist vermoort, sumpfig und mit Schilf bestanden. Geomagnetische Untersuchungen in Rostock-Dierkow. Foto: Karle, Niedersächsisches Institut für historische Küstenforschung (NIhK) Kernbohrungen in Bardy/Świelubie. Foto: Messal Der Handelsplatz von GroSS Strömkendorf wird sowohl von der Landseite her als auch auf dem Wasser erforscht. Die geophysikalischen Messungen im Flachwasserbereich des Hafenbeckens (hier Geomagnetik) werden vom Institut für Geowissenschaften der Christian-AlbrechtsUniversität Kiel durchgeführt. Auf den ersten Blick scheint Umm al-Houl ein kleines unscheinbares Nest an der katarischen Küste des Arabischen Golfs gewesen zu sein. Um die 20 Häuser aus dem 19. Jahrhundert mögen es gewesen sein, die in der Siedlung, die landseitig von einer Stadtmauer umgeben war, errichtet worden waren. „Doch der Ort ist ein bedeutsamer Bestandteil des kulturellen Erbes Katars“, weiß Kristina Pfeiffer von der Orient-Abteilung des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI). Die Siedlung ist die einzige befestigte Siedlung an der Südostküste des Landes. Seit 2012 werden in Kooperation zwischen Qatar Museums (QM) und der Orient-Abteilung des DAI umfassende Surveys in der Region durchgeführt. Da der alte Ort sowohl durch Baumaßnahmen wie auch durch Umweltschäden gefährdet ist, entschied man sich für Rettungsgrabungen, die von 2014 bis 2015 durchgeführt wurden. Der kolonialzeitliche Ort liegt an der Südostküste Katars, 20 km südöstlich der Hauptstadt Doha. Seeseitig ist durch vorgelagerte Strandstreifen eine Lagune entstanden, in der sich ein niedriger Mangrovenwald gebildet hat. Dieser trennt die Siedlung von der offenen See und grenzt westlich direkt an die Bebauungsreste. Die landseitige, natürliche topografische Umgebung des Ortes ist durch die jüngste Bebauung in Form eines Sedimentationsbeckens vollkommen zerstört. Die Wälle des Beckens umfassen die Siedlung im Norden, Westen und Süden. Nach Osten zum Meer hin war die Siedlung offen. Rundtürme dienten als Beobachtungsposten besonders zur Küstenseite. Im Ort fanden sich verschieden große Hofhäuser aus lehmverputztem Kalkstein mit viereckigen Grundrissen im traditionellen Baustil der Region. Im Jahr 2015 fanden die Archäologinnen und Archäologen Teile einer möglichen kleinen Hafenanlage und Bootswerkstätten in den Mangroven. „Die Anbindung an den Arabischen Golf ist ein Hauptgrund für die Wahl des Siedlungsplatzes“, erklärt Pfeiffer. Zum einen war so die Subsistenz gesichert. Zum anderen aber war der Zugang zu den großen Perlenbänken gewährleistet. Perlen hatten seit jeher eine überregionale Bedeutung für den Handel – das Perlentauchen im Arabischen Golf war ein einträgliches Unterfangen. So ließ sich eine der bedeutendsten katarischen Handelsfamilien in Umm Al-Houl nieder und trug zur Bedeutung der kleinen Siedlung an der katarischen Küste bei. Das Ende des Perlenhandels läutete auch das Ende des Ortes Umm Al-Houl ein. 1930 hatten die Japaner die Zuchtperlen erfunden. An der küstenzugewandten Seite der Siedlung stand ein runder Turm, der als Beobachtungsposten gedient haben könnte. Foto: Pfeiffer Foto: Messal 62 _ archäologie weltweit archäologie weltweit _ 63 Malaita So wie sich die Insel einst den pazifischen Seefahrern präsentierte, so zeigt sie sich weitgehend auch noch heute. titelthema Foto: J. Moser Im Mangrovengebiet wurden Baureste vorgefunden, die womöglich Bootshäuser waren. Im Hintergrund die Großbaustelle des neuen Industriehafens. Foto: Pfeiffer seewege Einwanderung auf die Salomonen Dr. Kristina Pfeiffer dokumentiert die Arbeiten während der Ausgrabung. Foto: Tiltmann Überreste kleiner baulicher Anlagen, die als Bootshäuser oder zum Trocknen von Netzen verwendet worden sein könnten. Foto: Pfeiffer Frühmittelalterliche Hafenanlagen Umm Al-Houl Kooperation Förderung Kooperationspartner Niedersächsisches Institut für historische Küstenforschung (NIhK) Landesamt für Kultur und Denkmalpflege Mecklenburg-Vorpommern Institut für Geowissenschaften der ChristianAlbrechts-Universität Kiel (IFG) Nationalmuseum Stettin Nationales Maritimes Museum Danzig Polnisches Geologisches Institut Danzig Wikingerschiffmuseum Roskilde DFG-Antrag Schwerpunktprogramms (SPP 1630) „Häfen von der römischen Kaiserzeit bis zum Mittelalter. Zur Archäologie und Geschichte regionaler und überregionaler Verkehrssysteme“. Gesamtlaufzeit: Sechs Jahre (2012–2018) Qatar Museums (QM) Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) Universität zu Köln Deutsches Archäologisches Institut (DAI) 64 _ archäologie weltweit Förderung Qatar Museums (QM) Eine regelrechte Völkerwanderung soll es gewesen sein, die um 3000 v. Chr. im größten Ozean der Erde vonstatten ging. In 20 Meter langen Großkanus kamen Menschen über den Ozean und besiedelten nach und nach die pazifische Inselwelt. Vom Bismarck-Archipel in Papua-Neuguinea aus stießen die Lapita-Leute, benannt nach einer Fundstelle auf der Foué-Halbinsel in Neukaledonien, bis zu den Salomonen und Vanuatu vor. Später breitete sich die Lapita-Kultur nach Fidschi, Tonga und schließlich Samoa aus. Doch woher kamen die Lapita-Leute? Kamen sie aus Südchina, Taiwan, von den Philippinen oder gar aus Indonesien? Oder doch aus dem Bismarck-Archipel, wo die ältesten Spuren dieser Kultur gefunden wurden? Dr. Johannes Moser ist Referent für Asien der KAAK in Bonn. Foto: C. Moser archäologie weltweit _ 65 titelthema Doppelbestattung unter dem Ria Felsschutzdach. Das Ria Felsschutzdach, ein Wohn- und Bestattungsplatz im Süden der Insel Malaita, Salomonen. Das Felsdach bietet Platz für 1-2 Familienverbände. Der vorkragende Felsüberhang ist Teil eines isolierten Felsstocks im tropischen Regenwald. Die Art der Bestattung mit gekreuzten Unterarmen und gekreuzten FüSSen wurde in entlegenen Regionen auf der Insel Malaita bis in die 1960er-Jahre praktiziert. Die Kopfpartien der Toten wurden häufig mit Steinen abgedeckt. Fotos: J. Moser Julia Gresky bei der anthropologischen Analyse der menschlichen Skelettreste aus den Bestattungen des Ria Felsschutzdaches. Foto: J. Moser „Wir stehen noch ganz am Anfang“, sagt Johannes Moser von der Kommission für Archäologie Außereuropäischer Kulturen des DAI (KAAK). Seit 2011 arbeiten er und seine Kooperationspartner auf der Insel Malaita (Salomonen), um neue Erkenntnisse zur Ausbreitung des prähistorischen Menschen in den pazifischen Raum zu gewinnen. Eine erste Besiedlungswelle in der Region gab es während des Paläolithikums, vor 30.000 Jahren. „Die Lapita-Leute sind die ‚Neuen‘“, erklärt Moser. Sie kamen vor ungefähr 3500 Jahren, besiedelten die Küstensäume und brachten verzierte, in Stichtechnik aufpunktierte Keramik mit, die Lapita-Keramik. Auf der Spur der Steine des Fundplatzes Apunirereha ist Benjamin Spies, der an der Universität Tübingen zum Thema promoviert. Er will nicht nur die Entwicklung der Feuersteintechnologie, die an diesem Fundort vor mehr als 2000 Jahren ihren Anfang genommen zu haben scheint, untersuchen, sondern auch Aufschluss darüber gewinnen, ob Malaita womöglich die weitere Region mit Silex versorgt hat. In mehreren Höhlen, und unter Felsdächern und an offenen Freilandfundplätzen entdeckten die Wissenschaftler Abschlagmaterial aus Feuerstein, der offenbar in die Fundstellen eingebracht und dort zu Werkzeugen weiterverarbeitet wurde und in die Vergangenheit vor dem ersten Kontakt mit Europäern Ende des 16. Jahrhunderts zurückreichte. Bald stellte sich heraus, dass hier nicht nur für den Eigenbedarf produziert wurde. „Wir haben es hier mit einem großräumigen Produktionszentrum zu tun, von dem aus die Fabrikate – in erster Linie Steinbeile – als Handelsoder Tauschware überregional in Umlauf gebracht wurden“, sagt Moser. Der Fundort Apunirereha hat, auch wegen seines einzigartigen und immensen Rohmaterialvorkommens vor Ort, dabei eine Schlüsselposition auf der Insel Malaita. Kontakte zwischen den Inseln, auch über größere Distanzen, und funktionierende Beziehungsgeflechte haben im melanesischen Raum eine lange Tradition. Scheibenbeile aus lokalem Feuerstein. Foto: J. Moser 66 _ archäologie weltweit Beiltypen unterschiedlicher Machart aus Apunirereha. Foto: Hartl-Reiter; J. Moser Benjamin Spies promoviert zur Entwicklung der Feuersteintechnologie und der Verbreitungswege von Silex. Foto: J. Moser archäologie weltweit _ 67 titelthema Foto: J. Moser Vereinfachtes Schema der Migrationsabläufe im südlichen Pazifik. (Karte basierend auf: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Map_Polynesian_migration-es.svg? CC-SA 4.0 Anpassung: J. Moser) „Crossroads of Culture“ Kulturschicht mit Erdofen ‚UMU‘ Datierung 672 BP ± 42 Datierung 2050 BP ± 43 Der Fundort Apunirereha, ein lithischer Freilandfundplatz zur Herstellung von Steinwerkzeugen. Die Ausgrabungen werden von der lokalen Bevölkerung mit großem Interesse verfolgt. Nordwestprofil der Sondage in Apunirereha. Kulturschicht mit Erdofen (‚Umu‘) und projizierten 14C Daten. Die Kulturschicht, hier als schwarzbraunes Band zu erkennen, datiert auf 672 BP ± 42. Foto: J. Moser Foto: J. Moser 68 _ archäologie weltweit Beim Ria-Felsschutzdach, dem zweiten Fundplatz auf der Insel, fanden Moser und seine Kollegen einen gesetzten Kieselbelag, der offenbar Menschenwerk war. Darunter fanden sie menschliche Überreste, die wahrscheinlich bestattet worden waren. Aber sie deckten die Knochen vorerst wieder zu. „Die Bewohner der Insel wussten nicht, dass an dieser Stelle ein Grab war“, erzählt Moser. „Andernfalls wäre der Platz tabu gewesen.“ Zum Glück für die Forscher gibt es etwas wie eine nachträgliche Tabuisierung nicht. Nun hoffen sie, dass der Fund Aufschluss über die noch unklaren Befunde zur Herkunft der Menschen geben könnte. Die ersten Untersuchungen der Skelette dreier Menschen führte die Paläoanthropologin Julia Gresky vom Referat für Naturwissenschaften des DAI durch. „Normalerweise zerstören Feuchtigkeit und Wurzeln in solchen Klimaten die Knochen“, erklärt Gresky. Der Fund ist also ein Glückstreffer. Schnell stand fest, dass die Bestatteten vor dem ersten Kontakt mit Europäern gestorben sind. „Sie sind etwa 500 Jahre alt, das haben 14C-Datierungen ergeben“, erklärt die Anthropologin. In dem Grab lagen eine Frau von ca. 25 bis 30 Jahren, ein 11- bis 13-jähriges Kind, eher weiblich als männlich, und ein ungefähr 4-jähriges Kind. Einen ersten Hinweis auf die mögliche Herkunft ergab die Untersuchung der Zähne. Gresky entdeckte bei den zwei älteren Individuen eine schaufelartige Verformung der Zahnrückseiten, was an einen asiatischen Ursprung denken lässt. Aufgrund anderer Hinweise ist außerdem darauf zu schließen, dass die Frau und das ältere Kind miteinander verwandt waren. Das jüngere Kind hatte hingegen keine schaufelförmigen Zähne. DNA-Analysen, die am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena durchgeführt werden, aber auch Isotopenuntersuchungen, mit denen Fragen zur regionalen Herkunft der Menschen und zu Ernährungsgewohnheiten beantwortet werden können, sollen weiteren Aufschluss geben. „Natürlich sind drei Skelette noch zu wenig, um ‚große‘ Theorien entwickeln zu können“, warnt Julia Gresky vor allzu schnellen Schlussfolgerungen. „Die Salomonen sind ‚Crossroads of Culture‘“, weiß Johannes Moser. Schon seit langer Zeit sind sie eine bedeutende, gut vernetzte kulturgeografische Kontaktzone zwischen den Großregionen Südostasiens, Australiens und der pazifischen Inselwelt. „Die Menschen waren ständig unterwegs – das ist es, was die Forschung so viel spannender macht.“ Sondage am lithischen Schlagplatz Apunirereha mit sichtbarer Artefaktstreuung an der Oberfläche. Foto: J. Moser archäologie weltweit _ 69 titelthema titelthema Die BEWOHNERINNEN UND BEWOHNER der Salomonen zeigen eine große Vielfalt unterschiedlicher Typen. Foto: Moser Die Inselkette der Salomonen und Teile des Bismarck-Archipels mit erweiterter Landmasse zu Zeiten eines Meeresspiegelabfalls (Regressionsphase) im Pleistozän mit Fundstellen des Paläolithikums und dem bislang ältesten Fundort Vatuluma Posovi auf den Salomonen. Die Salomonen und der Bismarck-Archipel in heutiger Zeit. Grafik: Wittersheim Kooperation Mitarbeiter National Museum Solomon Islands (Honiara) Ministry of Culture and Tourism, Solomon Islands Tony Heorake, Director National Museum Lawrence Kiko, Chief Archaeologist National Museum. Dennis Marita, Director of Culture Chief Andrew Raroirae (Maniaha) Robinson Kokope (Masupa) 70 _ archäologie weltweit Nomaden im Iran auf dem Weg zu den Sommerweiden. Ihre Passage führt sie an den weithin sichtbaren Felsformationen vorbei, in die König Darius I. sein Felsgrab meißeln ließ. Die Aufnahme stammt von der Fotografin der Abteilung (heute Außenstelle) Teheran, Barbara Grunewald. Entstehungszeit zwischen 1972 und 1978. Logistische Hilfestellung Deutsche Botschaft Canberra Honorarkonsul der Bundesrepublik Deutschland auf den Salomonen Gerald Stenzel (Honiara). archäologie weltweit _ 71 „Die deutsche Baukunst, die Gotik zumal, hat ja etwas Dunkles“, weiß der Architekt. „Dann kommt man auf einmal ins sizilianische Licht mit seiner antiken griechischen Architektur, die so anders ist als die historischen Monumente hierzulande.“ Doch damit nicht genug der Unterschiede. „In Deutschland sind die meisten Denkmäler in geschlossene Ensembles eingefügt“, sagt Beste. „In Sizilien, in den archäologischen Zonen oder Parks, ist man häufig allein mit dem Denkmal. Es will, dass man sich mit ihm auseinandersetzt.“ Wenn er Besucher nach Agrigent führt, freut er sich jedesmal wieder über deren Begeisterung. Dr.-Ing. Heinz-Jürgen Beste ist Referent an der Abteilung Rom des DAI. Architekten haben mit Planung und Entwurf zu tun, mit deren Umsetzung und sogar mit Fragen der Ökonomie. Insofern ist die Architektur eine ideale Verbindung von Theorie und Praxis. Für Heinz-Jürgen Beste ist sie darüber hinaus eine ideale Verbindung von Wissenschaft und Kunst. Seit 1996 ist Beste Referent an der Abteilung Rom des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) mit dem Schwerpunkt römische Architektur und Topografie. Wegen dieser Verbindung von Architektur und Kunst hat Heinz-Jürgen Beste dem Architekturstudium in Dortmund und Berlin auch die Kunstgeschichte hinzugefügt. Diplom-Ingenieur wurde er 1986, die Promotion in Architektur erfolgte 1997 an der Technischen Universität München. Durch einen Schwerpunkt in Forschung und Lehre säumten hier schon früh „alte Steine“ einen Weg, der beharrlich in die Antike führte und dem Beste nur zu gern folgte. Er wurde Assistent am Institut für Baugeschichte der Technischen Universtät München. Das Reisestipendium des DAI 1989-1990 führte ihn ans Mittelmeer. 72 _ archäologie weltweit Den Bauforscher Beste interessiert von Anfang an der historische Kontext von Gebäuden, und so stellt er Fragen, die weit über die reine Architektur hinausgehen. „Wer waren die Menschen, die diese Häuser bauten? Was für ein Leben haben sie geführt? In welcher Art von Gesellschaft haben sie gelebt?“ Beste arbeitet am kaiserlichen Palast Domus Aurea in Rom, an den Amphitheatern in der antiken Stadt Capua in Kampanien und Ancona an der Adriaküste und am Olympieion in der Stadt Agrigent. Doch sein Lieblingsprojekt ist das Kolosseum in Rom. Das Flavische Amphitheater gehört zu den Höchstleistungen römischer Ingenieurbaukunst, findet Beste. „Es ist ein Bauwerk von gewaltigen Dimensionen, das in nur zehn Jahren errichtet wurde.“ Und das ist nicht noch nicht alles. Besucherströme von fünfzigtausend Zuschauern waren perfekt organisiert. „Das Kolosseum ist so berühmt, dabei aber so wenig gekannt und kaum verstanden“, sagt Beste. Längst haben sich die Fragen in Archäologie und historischer Bauforschung verändert. „Früher fragte man nicht, wie das Untergeschoss des Kolosseums funktionierte“, erklärt Beste und lacht: „Keiner wollte in den Keller.“ In Kooperation mit der Soprintendenza Archeologica di Roma, der römischen Denkmalbehörde, vereinbarte man, dass die Bauforscher des DAI und ihre italieni- Die Architektur der Projekte schen KollegInnen dem berühmten unbekannten Keller die wissenschaftliche Ehre erweisen konnten. „Und er barg eine Überraschung nach der anderen“, freut sich der Bauforscher. Bestes umfassender Blick auf einen Bau, seinen gesellschaftlichen Kontext und seine Geschichte führt ihn aber auch zu einem scheinbar unbedeutenden Sachverhalt. „Für mich beginnt die Baugeschichte mit dem Bauplatz“, sagt er. Der Bauplatz des Kolosseums lässt an historischer Bedeutung nichts zu wünschen übrig, und Heinz-Jürgen Beste kann hier zudem zwei seiner Projekte miteinander verbinden. Denn das Kolosseum wurde auf dem ehemaligen Areal der Domus Aurea des Kaisers Nero errichtet, und zwar genau an der Stelle, an der auf kaiserlichen Wunsch ein künstlicher See entstehen sollte. Doch dazu kam es nicht mehr. Es ist die komplexe Baugeschichte des alten Rom an solchen Stellen, die den Bauforscher fasziniert. Hier, wo die Kunst, die Architektur, die Ökonomie und die Soziologie zusammenkommen und zusammen verstanden werden müssen, um Aussagen zum antiken Geschehen machen zu können. „In einer Stadt wie Rom zu leben und zu arbeiten, ist ein großes Privileg“, ist Beste überzeugt. „Italien ist eine ungebrochene Kulturnation, Antike und Moderne stehen souverän nebeneinander.“ Nicht nur in Bestes Fach, der Architektur, sei das unschwer zu erkennen. Auch der Mode, der natürlichen Eleganz, im Design und nicht zuletzt in der Küche – „in allen Punkten gekonnte Selbstdarstellung.“ Der moderne Schmelztiegel Rom mit seinen vielen Gesichtern, Kulturen und Sprachen ist für Beste ein Faszinosum, das auch wieder in die Antike weist, auch wenn er zum Beispiel mit seinen Kindern zum Spiel von AS Rom ins Fußballstadion geht. „Genau so muss sich das Rom der Antike angefühlt haben.“ Dr.-Ing. Martin Bachmann ist Zweiter Direktor der Abteilung Istanbul des DAI. Als Le Corbusier 1911 nach Istanbul kam, faszinierten ihn mehr als die großen Prachtbauten die typischen Holzhäuser der Stadt, ihre vielfältigen Formen und Farben, ihre filigrane Bauweise. Martin Bachmann kann sich darin wiedererkennen. „Hier kommt der Architekt in mir durch“, sagt der Bauforscher, der seit 2006 Zweiter Direktor der Abteilung Istanbul des DAI ist. Nach Beendigung des Architektur-Studiums 1996 wurde Martin Bachmann Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Baugeschichte an der Universität Karlsruhe, 1999 folgte die Promotion daselbst mit dem Thema „Die Karlsburg. Spuren einer Residenzanlage im Durlacher Stadtgefüge“. Im Jahr 2000 wurde er Referent für Bauforschung bei der Abteilung Istanbul des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI), nahm während dieser Zeit einen Lehrauftrag an der BTU Cottbus wahr und kurz danach eine Lehrstuhlvertretung in Dortmund. 2005 nahm Bachmann seine Tätigkeit am DAI wieder auf. „Noch bis vor 100 Jahren war Istanbul fast eine hölzerne Stadt“, erzählt Martin Bachmann. Die alten Holzhäuser, die Le Corbusier so faszinierten, zeigten mannigfaltige Bauformen, Dekorationen und Farben. Doch grundlegende Veränderungen, städtebauliche Paradigmenwechsel und der Einbruch der Moderne im Verlauf des 20. Jahrhunderts haben wenig von der alten Bausubstanz übrig gelassen. Bachmanns Lieblingsprojekt ist dem DAI Istanbul seit über 50 Jahren anvertraut. Martin Bachmann wusste immer, dass er Bauforscher werden wollte. „Am Ende des Studiums gab es einen Moment der Überlegung, vielleicht doch Architekt zu werden“, blickt er zurück. Die Stelle im Karlsruher Institut entschied den inneren Wettstreit, der in seiner Arbeit am DAI allerdings aufgehoben ist, wie er findet, weil beide Stränge hier vereint sind. Bachmann leitet und koordiniert die Konservierungsarbeiten an der Welterbestätte Pergamon. „Es ist die beste Verbindung von Wissenschaft und kreativem Architektendasein“, ist er überzeugt. Eine besondere Herausforderung für den Architekten stellt dabei die Arbeit in der modernen Stadt Bergama dar, wo das DAI Istanbul in Kooperation mit deutschen und türkischen Partnern umfassende Restaurierungsarbeiten an bedeutenden Denkmälern durchführt und darüber hinaus ein neues touristisches Erschließungsprojekt für die Altstadt mit ihren zahlreichen Monumenten osmanischer und multiethnisch geprägter Architektur entwickelt hat. „Bei solchen Vorhaben muss man nicht nur die Struktur und Funktion der alten Gebäude verstehen“, erklärt Bachmann. „Es ist auch notwendig zu verstehen, wie eine moderne Stadt funktioniert, damit Vergangenheit und Gegenwart sich nicht im Wege stehen.“ Bei Bauaufnahme und Restaurierung spielt das Alter der Gebäude ohnehin keine Rolle. Die Herangehensweise der Bauforscher bleibt gleich, ebenso wie die selbstverständliche Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen und Spezialisten. Bei derart komplexen Anforderungen und heterogenen Projektteams ist die sorgfäl- im porträt im porträt Die Verbindung von Kunst und Architektur tige Planung der Vorhaben unverzichtbar. Doch hier kommt dem Zweiten Direktor die Erfahrung seines Berufs entgegen. „Ich muss in gewisser Weise die Architektur der Projekte entwickeln“, erklärt Bachmann – Planung, Entwurf, Abstimmung, Ausführung. Seit 2010 ist Martin Bachmann Vorsitzender der Koldewey-Gesellschaft, der berufsständischen Vereinigung der Bauforscher; zum Mitglied wurde er 1998 ernannt. „Die historische Bauforschung wird derzeit an den Universitäten recht stiefmütterlich behandelt“, weiß Bachmann. Gerade deshalb sei die Verbandsarbeit wichtig, zu der er sich in einer aus seiner Sicht privilegierten Lage verpflichtet fühlt. „Am DAI wurde die Bauforschung immer sehr geschätzt“, sagt er. „Und die Zeiten, in denen manch einer fand, dass Bauforscher zwar nützliche Dinge tun, aber nicht wissenschaftlich-konzeptionell arbeiten, sind zum Glück schon lange vorbei.“ Seit 15 Jahren lebt und arbeitet Martin Bachmann in einer der dynamischsten Städte der Welt. „Istanbul ist in vieler Hinsicht mit keiner anderen Stadt vergleichbar“, erzählt er. „4000 Jahre Geschichte, dann wieder die Rasanz der Entwicklung und Veränderung, wie man sie sonst aus fernöstlichen Metropolen kennt, und eine Wachstumsrate, die alles sprengt.“ Istanbul hat heute 18 Millionen Einwohner. „In dieser Dynamik geht natürlich manches verloren“, bedauert der Bauforscher. „Die Situation ist ähnlich wie im Deutschland der 1960er-Jahre. Der Blick ist häufig eher nach vorn als in die ferne Vergangenheit gerichtet.“ So sehr dadurch Teile des historischen Erbes bedroht sind, so intensiv ist aber auch die Beschäftigung damit. „Es gibt eine zum Teil sehr fruchtbare Spannung zwischen dem Wunsch, ein Teil der Moderne zu sein und zugleich Identität aus dem kulturellen Erbe ableiten zu wollen.“ Von vorschnellen Beurteilungen rät er ab. „Man begreift vieles von dem, was geschieht, besser, wenn man hier lebt.“ archäologie weltweit _ 73 E s ist heiß und staubig. Sandstürme wehen Partikel auf die empfindlichen Objektive. Anderswo ist es so kalt, dass die Finger klamm werden. Manchmal muss man auf wacklige Türme und Gerüste klettern, um den besten Blick, den besten Ausschnitt und das beste Licht zu haben. Manchmal gibt es gar kein Licht, auch keinen Strom oder Menschenmengen, die ständig im Wege stehen. Sammelaufnahme des Caesar, Titus und der Antonia Minor, Pantelleria die kunst im bild Fotografinnen und Fotografen am DAI Auf dem Gerüst am Hadrianeum versucht Daniela Gauss das Licht optimal zu setzen. Fotos: Behrens Der Einsatz professioneller Fotografinnen und Fotografen hat am Deutschen Archäologischen Institut eine lange Tradition. Drei von ihnen erzählen von ihrem Arbeitsalltag. 74 _ archäologie weltweit archäologie weltweit _ 75 alltag archäologie alltag archäologie alltag archäologie Portraits des Caius Iulius Caesar, Pantelleria Terracotta aus Fabrateria Nuova Die Archäologie verlangt nach der Illustration. Als 1829 das Deutsche Archäologische Institut (DAI) gegründet wurde, war die Fotografie gerade erfunden worden. Aber es verging noch einige Zeit, bis sich die neue Technologie als Dokumentationsmethode in der archäologischen Wissenschaft durchgesetzt hatte. Das Mittel der Wahl war die Zeichnung, das mit den Fortschritten der Fotografie auch nicht verschwand. Heute stehen beide Methoden häufig friedlich nebeneinander, besonders da, wo es um die Darstellung archäologischer Objekte geht. Unterlegen ist die Fotografie in Sachen Präzision der Zeichnung aber schon lange nicht mehr, und die anfangs misstrauisch betrachtete digitale Fotografie hat die Kinderkrankheiten längst hinter sich gelassen. Technisch hat sie das Fotografieren müheloser und einfacher gemacht. Selbst die Profis wissen das zu schätzen. Dabei führte die digitale Fotografie aber auch zu Missverständnissen über das Handwerk an sich, in dem mehr beherrscht werden muss, als „auf den Auslöser zu drücken“. Es braucht das Auge des Künstlers, um den richtigen Ausschnitt erkennen zu können oder den goldenen Schnitt anzulegen. Ohne diesen Blick wird die Komposition fehlgehen, ohne Verständnis für Proportion und Farbe entsteht das große Durcheinander „geknipster“ Bilder. Auch wenn Archäologen in unwegsamen Gegenden, tiefen Grabungsschnitten oder dunklen Ecken in ländlichen Museen ohne Strom dokumentieren möchten, oder wenn die Zeit drängt und improvisiert werden muss, muss der Fotograf das Bild wie ein Gemälde sehen können, auch dann muss es eine stimmige Komposition werden, die die archäologische Arbeit in adäquater Weise darstellt. Heide Behrens „Schwierig wird es, wenn ich das Original nicht richtig sehen kann“, erzählt Heide Behrens, Fotografin an der Abteilung Rom des DAI. Wie in Tarquinia, der bedeutenden Etruskerstadt, deren Nekropole zum UNESCO-Welterbe gehört. Das einzige Licht fiel zur Tür hinein und störte eher, als dass es half. Außerdem war es in der Grabkammer so kalt, dass die Einstellung der Kamera eine Strapaze war. Heide Behrens musste schnell umschalten und mit Handlicht improvisieren. „Es muss trotzdem gut werden“, sagt sie. Schließlich dienten die Aufnahmen der wissenschaftlichen Dokumentation. Seit 2002 ist Heide Behrens beim DAI. Ihr Schwerpunkt ist die Objektfotografie in Museen und Sammlungen, bei Grabungen die Dokumentation der Funde. In Italien kennt sie fast alle Häuser, Fotokampagnen führten sie und ihre Kollegen aber auch nach Tunesien und Albanien – wo immer die Abteilung Rom archäologisch arbeitet. „Bei ‚meiner‘ Fotografie ist die Lichtsetzung das A und O“, sagt Heide Behrens. Das Besondere ihrer Arbeit – besonders bei Statuen oder Terrakotta-Statuetten – ist es, die Kunst der Schöpfer möglichst originalgetreu zur Wirkung zu bringen. „Ich versuche mir vorzustellen, wie das Stück ursprünglich beleuchtet wurde und versuche, diese Situation zu imitieren“, erklärt Behrens. „Foto- grafie ist ‚Schreiben mit Licht‘“, nennt die Fotografin diese Herangehensweise. Oft gilt es dabei, auf das perfekte natürliche Licht zu warten. „Ich versuche, möglichst wenige Lichtquellen zur Wirkung zu bringen, da unser Auge ursprünglich nur eine Lichtquelle, die Sonne, gewöhnt war“, sagt die Fotografin. Doch wo natürliches Licht nicht zur Verfügung steht, greift sie zu Blitzlampen, Dauerlichtlampen oder Handblitzgeräten, die allerdings mit Augenmaß und Sorgfalt eingesetzt werden müssen. „Erzeuge ich mehr als einen Schatten, indem ich viele Lichtquellen verwende, ist das irritierend für den Betrachter“, sagt Behrens. Am Anfang einer Kampagne steht jedes Mal die technische Ausstattung im Vordergrund. „Doch im Laufe der Kampagne nimmt man Verbindung mit den Dingen auf“, erzählt Heide Behrens. „Man entdeckt zum Beipiel die kleinen Fehler, und man mag sie. Sie markieren den Unterschied und zeigen so etwas wie die Persönlichkeit eines Objekts“. Und manchmal werden auch die Schöpfer der Gegenstände greifbar. „Wenn ich unter Streiflicht die Rückseite von Terrakotten betrachte, sehe ich die Fingerabdrücke derjenigen, die sie hergestellt haben“, sagt Behrens. „Ich sehe mich dann als Künstlerin, wenn ich durch die Wahl meines Lichtes aus dem Objekt etwas Besonderes hervorheben kann.“ In der „Tomba dei Sarcofagi“, Cerveteri, war es eng und feuchtkalt – eine Strapaze für Fotografin und Ausrüstung. Alle Fotos stammen, falls nicht anders angegeben, von Heide Behrens. Terrakotta-Köpfchen aus Selinunt Heide Behrens im Museo Capitolino in Rom. Foto: Gauss 76 _ archäologie weltweit Heide Behrens im Garten des Palazzo Colonna in Rom. Foto: Gauss archäologie weltweit _ 77 alltag archäologie Baalbek, Herbst 2012. Irmgard Wagner im Altarhof bei Horizontalaufnahmen der Grabungsfläche mit dem Kamerakran. Foto: Genz Sirwah, eines der wichtigsten politischen und ökonomischen Zentren des sabäischen Reichs im heutigen Jemen, im Frühjahr 2009. Kurz vor Grabungsende werden die letzten Aufräumarbeiten erledigt. Irmgard Wagner Mit ähnlichen und auch wieder ganz anderen Herausforderungen ist Irmgard Wagner konfrontiert, die ab 2000 die professionelle Digitalfotografie an der Orient-Abteilung des DAI eingeführt hat. „Wenn die Sandstürme kommen, kann man die Ausrüstung kaum noch richtig schützen“, erzählt sie. Jeden Abend muss man die feinen Partikel aus den Objektiven putzen. Andernfalls wäre schnelle Zerstörung des teuren Geräts die sichere Folge. Einmal im Jahr lässt Irmgard Wagner die Kamera-Ausrüstungen der Orient-Abteilung professionell reinigen. Die Fotografin kennt weite Teile des Vorderen Orients. Sie war in Jordanien, im Irak, im Jemen, im Libanon, in Saudi-Arabien und in der Türkei. Auch in Syrien hat sie fotografiert. Vor kurzem ist sie aus Äthiopien zurückgekommen, wo sie die archäologischen, bauhistorischen und restauratorischen Arbeiten am Monumentalbau Grat Be’al Gebri und den großen Tempel in Yeha dokumentiert hat. Um fünf Uhr früh beginnt der Arbeitstag, nachdem am Vortag die Planung gemacht wurde. In Yeha gibt es vier Stationen, die sie dokumentieren muss: Museumsbau, Grabungsschnitte, Restaurierungsarbeiten und Fundobjekte. Erbil im Nordirak 2011. Blick auf die zwei Sarkophage in der Grabgruft. Hama in Syrien 2009. Blick von der fünfbogigen Arkade nach Osten und Süden in den Hof II. Wenn das Tageslicht gleißend und hart ist, spannt Irmgard Wagner den Diffusor auf, um künstlichen Schatten zu schaffen. Umgekehrt kann es in einem sechs Meter tiefen Grabungsschnitt so dunkel sein, dass man starke Tageslichtlampen einsetzen muss, um verwertbare Aufnahmen machen zu können. Nicht selten klettert die Fotografin auf hohe Gerüste oder hangelt sich an Gestängen entlang, um das optimale Bild produzieren zu können. Der geschulte Blick erkennt die Position, die das beste Ergebnis zeitigt – auch wenn Irmgard Wagner mit dem neun Meter langen Kamerakran hantiert, um auch an schwer zugänglichen Stellen fotografieren zu können oder horizontale Grabungsflächen aufzunehmen. Bei ihrer Arbeit steht die wissenschaftliche Dokumentation an erster Stelle. „Das heißt aber nicht, dass man auf Ästhetik und Schönheit verzichtet“, betont Irmgard Wagner. „Denn die Qualität der Aufnahme entscheidet darüber, wie die archäologische Arbeit wahrgenommen wird.“ Um 14 Uhr ist der erste Teil des Arbeitstages zu Ende. Nun beginnt die Arbeit am Computer. Die Bilder müssen geordnet und bearbeitet werden. Die Archäologinnen und Archäologen bekommen ihre Bilder für die Beschriftung auf einen Netzwerkserver gestellt. Auch nach dem Abendessen geht die Arbeit oft noch weiter, sechs Tage in der Woche und oft auch sonntags. „Die Qualität der Aufnahme entscheidet darüber, wie die archäologische Arbeit wahrgenommen wird.“ Relief aus Alabaster mit Inschrift. Fotografiert im Vorderasiatischen Museum für eine kleine Jemen-Ausstellung. Alle Fotos stammen, falls nicht anders angegeben, von Irmgard Wagner. Irmgard Wagner im Einsatz in Sirwah. Foto: Japp Baalbek Herbstkampagne 2007. Blick auf den Altarhof und den Jupitertempel von Süden. Jemen, Wadi Gufaina 2003. Dem alten Beduinen begegnete Irmgard Wagner auf einen Streifzug nach der besten Ansicht auf eine Siedlung und wurde von seiner Familie auf ein Glas lauwarme Ziegenmilch eingeladen. Manchmal gibt es neugierige Zuschauer bei der Grabung, die unbedingt fotografiert werden wollen. 78 _ archäologie weltweit archäologie weltweit _ 79 Ein mongolischer Murmeltierjäger hatte den Fund eines Felsspaltengrabes im Gebirge in der Provinz Bajanchongor gemeldet. Mit schwerer Ausrüstung machten sich Archäologen und Fotograf auf den Weg zur Fundstelle auf 2700 Meter Höhe. Foto: Pohl alltag archäologie Warane und Giftschlangen gehören auf der Grabung zu den eher unliebsamen Besuchern. Fotos: Wittersheim Die Höhle Ifri n‘Ammar im östlichen Rif Marrokos. Die Lichtverhältnisse im Grabungsschnitt sind für den Fotografen eine Herausforderung. Im Innenhof des alten BerberGehöfts bereitet die Köchin für das Grabungsteam das Mittagessen vor. Fotos: Wittersheim Hans-Peter Wittersheim Anfang der 90er-Jahre in Togo: Die Felsbilder werden fotografiert, aber auch noch mittels transparenter Folie 1:1 von der Wand übertragen. Foto: Moser Arbeitsplatz Jurte. Die eisige Morgenkälte weicht mittags den hochsommerlichen Temperaturen der mongolischen Steppe. Foto: Zick Auch Hans-Peter Wittersheim ist das Problem mit Sand und Hitze wohl vertraut. Seit Oktober 1983 arbeitet der Fotograf und Grafiker bei der Kommission für Archäologie Außereuropäischer Kulturen des DAI (KAAK). Am Beginn seiner Tätigkeit standen die grafische Arbeit für die Publikationen des Instituts und die Dokumentation von Grabungsfunden. Seit Ende der 80er-Jahre kam das Fotografieren im Feld hinzu. Hitze, Wind, Sand und Staub, die die Objektive verschmutzten, waren tägliche Herausforderungen z. B. im westafrikanischen Togo. „In Togo habe ich Anfang der 90er-Jahre parallel noch gezeichnet“, erinnert sich Wittersheim. Es war die Übergangszeit von der Zeichnung zur Fotografie als der bevorzugten archäologischen Dokumentationsmethode. Später, in Karakorum, der alten Hauptstadt Dschingis Khans in der Mongolei, erlebte Wittersheim den Übergang von der analogen zur digitalen Fotografie und bevorzugte noch für eine Weile die Kamera mit Film. „Die ersten Digitalkameras entsprachen noch nicht den Qualitätsansprüchen.“ Das hat sich geändert; geblieben ist die Anforderung ans Handwerk. „Beim Fotografieren von Objekten, Kleinfunden oder Architekturresten muss ich besonders auf die Lichtverhältnisse achten“, erklärt Wittersheim. „Ich muss wissen, wie ich Licht und Schatten einsetze, um starke Kontraste zu vermeiden. Abschatten und Erzeugen von diffusem Licht mit Folien und Reflektoren sind hier unerlässlich.“ All das muss auch funktionieren in eisiger Morgenkälte, wenn die Feinmotorik der Finger streikt und man vor der mongolischen Jurte mithilfe des Reprostativs Objekte fotografieren will. In den feuchtheißen Tropen, die Wittersheim in Sri Lanka erlebte, herrschten hingegen ganz andere Bedingungen. Bereits vor Sonnenaufgang sah man ihn auf dem Fototurm – noch bevor die Palmen ihre langen Schatten auf die Grabungsfläche warfen. Warane und Schlangen, einmal auch eine hochgefährliche Kettenviper, zählten zu den eher unliebsamen Besuchern. In Marokko schließlich hieß die Herausforderung „Ifri n’Ammar“, eine Höhle im östlichen Rif. „Die Höhle ist natürlich nur zu einer Seite offen und dementsprechend dunkel“, sagt Wittersheim. „Wir bekamen zwar später ein Aggregat, mit dem wir Lampen versorgen konnten. Aber es blieb sehr schwierig, mit Licht und Schatten fertig zu werden.“ Der Innenhof des alten Berber-Gehöfts, in dem das Team in Marokko untergebracht war, bot hingegen ideale Bedingungen für die Fotografie der Fundobjekte: „Die weiß getünchten Wände gaben regelmäßiges Licht durch gegenseitige Reflektion“, erzählt Wittersheim. Bis die Köchinnen mittags Feuer machten und die weiße Asche auf das schwarze Tuch flog, auf dem die Funde arrangiert waren. Karakorum, die alte Hauptstadt des Dschingis Khan, ist teilweise vom Kloster Erdene Zuu überbaut, das hier von Pilgern aufgesucht wird. Foto: Wittersheim Aufnahme einer Deponierung von Reibsteinen auf der Grabung in Tissamaharama, Sri Lanka. Foto: Weisshaar 80 _ archäologie weltweit In Sri Lanka hält die tropische Vegetation ganz andere Herausforderungen bereit. Vor Sonnenaufgang muss der Fotograf auf den Fototurm – noch bevor die Palmen ihre langen Schatten auf die Grabungsfläche werfen. Foto: Weisshaar archäologie weltweit _ 81 standort standort Das Gebäude der Außenstelle Teheran Foto: DAI Teheran Archäologie im Iran Die Außenstelle Teheran 82 _ archäologie weltweit Die wissenschaftliche Zusammenarbeit zwischen Deutschland und dem Iran blickt auf eine lange Tradition zurück. 1961 wurde schließlich die heutige Außenstelle Teheran als zunächst eigenständige Abteilung des DAI gegründet. Das Arbeitsgebiet umfasst die Archäologie Irans von der Vorgeschichte bis in islamische Zeit. Die langjährigen Ausgrabungen an zentralen Plätzen wie Takht-i Suleiman, Zendan-i Suleiman, Bastam, Bisutun und Firuzabad sind weit über die Grenzen Irans hinaus von Bedeutung und hatten nachhaltige Wirkung auf das heutige Bild von der urartäischen bis sassanidischen Zeit dieses Kulturraums. Ferner wurden im Institutsgebäude in Teheran eine umfangreiche Fachbibliothek und eine Fotothek aufgebaut. Neben der archäologischen Feldarbeit widmete sich die Abteilung außerdem der Herausgabe einer wissenschaftlichen Zeitschrift und mehrerer Reihenwerke. 1996 wurde die Außenstelle in die ein Jahr zuvor gegründete Eurasien-Abteilung eingegliedert, die ihren Sitz an der Berliner Zentrale hat. Nach 30 Jahren wurde die Leitung der Außenstelle Teheran erstmals wieder entsandt mit Dienstsitz Teheran, von wo aus die Projekte organisiert werden. Gleichzeitig ist die Außenstelle ein Anlaufpunkt für deutsche und iranische Altertumswissenschaftlerinnen und -wis- senschaftler. Seit 2005 unterstützt die Außenstelle die Iranische Behörde für Kulturerbe, traditionelles Handwerk und Tourismus bei Rettungsgrabungen. Am 18. Oktober 2015 wurde während der Iranreise von Außenminister Steinmeier ein Memorandum of Understanding (MoU) zwischen dem DAI und der Iranischen Behörde für Kulturerbe, Handwerk und Tourismus (ICHHTO) unterzeichnet. Gemeinsam mit der ICHHTO sollen an zentralen archäologischen Stätten Programme zum Schutz des Kuturerbes und für „sanften Tourismus“ erarbeitet und umgesetzt werden. Konkrete Planungen betreffen antike Gebäude in Firuzabad, unter anderen Qaleh Dokhtar des Sassanidenkönigs Arteshir I., archäologisch-bauhistorische Prospektionen des Weltkulturerbes Bisutun/Bagistan (Kermanshah) sowie archäologische Forschungen in dem über 100 Hektar großen Platz Rivi in der Provinz Nord-Khorasan (eisenzeitlichsassanidisch). AuSSenstelle Teheran der Eurasien-Abteilung Khiaban-i Shahid Hasan Akbari 7 P.O. Box 3894 19639 Tehran Elahiya +98 (0)21 222 163-39 www.dainst.org/standort/teheran E-Mail: [email protected] Archäologie weltweit Die Standorte des Deutschen Archäologischen Instituts Berlin Bonn München Frankfurt am Main Athen Istanbul Rom Lissabon Madrid Kairo Jerusalem Amman Sana'a Peking Bagdad Damaskus Ulaanbaatar Teheran www.dainst.org/standort/teheran archäologie weltweit _ 83 panorama panorama 40.000 Jahre Musik Das European Music Archaeology Project Archäologen und Altertumswissenschaftler beschreiben alte Kulturen, erkunden Bauwerke, Schriftzeugnisse, Landschaften und Lebensweisen, und sie befassen sich mit der Kunst antiker Gesellschaften. Dabei denkt man schnell an Bildhauerei, Malerei und natürlich die unsterblichen Werke der großen Dichter des Altertums. Für prähistorische Zeiten wird die Vorstellungskraft in Sachen Kunst dann schon auf die Probe gestellt – zum Teil aber auch, weil ein bürgerlicher Kunstbegriff häufig allzu deutlich vom „eigentlichen“ Leben getrennt wird. Das betrifft nicht nur Werke der – wie man heute sagen würde – bildenden Kunst. Es betrifft vor allem eine Form menschlicher Artikulation, die wie kaum eine andere von allen bekannten Kulturen der Menschheitsgeschichte geteilt wird: die Musik. John Kenny mit Tintignac Carnyx and Loughnashade Horn. Foto: Marano Denn was wusste man schließlich über das musikalische Leben der Jahrzehntausende der Steinzeit? Zunächst nicht viel. In den letzten Jahrzehnten jedoch kamen mehr und mehr Funde und mit ihnen Erkenntnisse ans Licht, um Aussagen über diese Epoche und ihr künstlerisches Schaffen zu machen. Die ältesten Musikinstrumente der Menschheit wurden in den Tälern der oberen Donaunebenflüsse in Deutschland gefunden. Es waren Flöten mit vier oder fünf Grifflöchern, hergestellt aus den Flügelknochen von Geiern und Schwänen oder aus den Stoßzähnen des Mammut. Die Höhlenfunde sind etwa 40.000 Jahre alt. Nachbauten altägyptischer Lauten aus Gräbern der pharaonischen Zeit (Mitte des 2. Jahrtausends v. Chr.) und aus koptischer Zeit (5./6. Jahrhundert n. Chr.). Fotos: Wagner 84 _ archäologie weltweit Der Musiker und Komponist John Kenny mit dem irischen Loughnashade Horn. Foto: Marano „Musik ist ein Primärbedürfnis menschlicher Zivilisationen, und sie kann viel über antike Kulturen aussagen“, weiß Arnd Adje Both, der an der Orient-Abteilung des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) ein innovatives musikarchäologisches Projekt leitet. „Neben anderen Formen der Zusammenarbeit wissen wir heute, dass Musik und Musikinstrumente zum Austausch über zum Teil weit gespannte Netzwerke beitrugen.“ Auch das „European Music Archaeology Project“ (EMAP) ist ein weit gespanntes Netzwerk. Als Kooperationsprojekt mehrerer europäischer Forschungseinrichtungen will es mit EU-Förderung in den kommenden Jahren der alten und reichen Geschichte europäischer Musikkultur auf den Grund gehen. Dabei wird das Vorhaben sich aber nicht mit archäologischen theoretischen Erörterungen begnügen. Vielmehr ist es ein einzigartiges Zusammentreffen nicht nur von Wissenschaft und Kunst, sondern auch von altem Wissen mit modernen Technologien. In einem eisenzeitlichen Ofen in Bailén, Spanien, werden keltiberische Trompeten hergestellt. Foto: Jiménez archäologie weltweit _ 85 panorama Nachbauten Keltiberischer Trompeten, Spanien, 2.-1. Jahrhundert v.Chr. Foto: Jiménez Nachbau einer ägyptischen Kastenleier aus Theben, 12. Jahrhundert v. Chr. Foto: Wagner Raquel Jiménez baut in der Keramikwerkstatt im spanischen Bailén keltiberische Trompeten nach. Foto: Howkins ARCHÆOMUSICA Kernstück des Projekts ist eine multimediale Wanderausstellung, die professionell gefertigte Nachbauten alter Instrumente zeigt, und darüber hinaus ihre Klänge hörbar macht. Die theoretische Vorarbeit der Musikarchäologen stellt die Instrumente in ihre kulturellen Kontexte, professionelle Instrumentenbauer sorgen dafür, dass die Reproduktionen den Originalen so nahekommen, wie es geht. Und schließlich stehen Musiker vor der Herausforderung, den Instrumenten Stimme zu geben und Klänge zu entlocken, die das Publikum in die Lage versetzen zu sagen: „So könnte es gewesen sein.“ „Die Nachbauten, die wir in der Ausstellung zeigen, sind auch nicht – wie Originale es sein müssten – abgeschirmt in Vitrinen“, erklärt Both, der die umfangreiche Ausstellung kuratiert. „Vielmehr sind es spielbare Instrumente, die auch von Zuschauern berührt und ausprobiert werden dürfen.“ Die Ausstellungsmacher nutzen darüber hinaus modernste technische Möglichkeiten der Klang- und Bildwiedergabe, die es erlauben, einen ganzheitlichen Eindruck der alten Instrumente und ihrer Musik zu gewinnen. John Creed baut ein Loughnashade Horn aus Irland nach (1. Jahrhundert v. Chr.). Foto: Howkins Steinzeitliche Knochenflöten, Schwirrhölzer, Zahnrasseln und andere „Musikalien“ begleiten den Menschen womöglich schon seit den Zeiten der Neanderthaler, sicher aber schon seit der Besiedlung Europas durch den anatomisch modernen Menschen vor 40.000 Jahren. Hier setzen Projekt und die Ausstellung ein und erstrecken sich über die großen Zivilisationen der Antike bis in die musikalische Gegenwart. Musikarchäologie befasst sich auch mit der Frage, wieviel von der vergangenen Musik womöglich überlebt hat und ob Spuren in den immer noch lebendigen Traditionen der Musikkulturen Europas zu finden sind. „Viele der Instrumente sind herausragende Zeugnisse elaborierter Handwerkskunst“, sagt Both. Die Instrumentenbauer nutzten die Möglichkeiten ihrer jeweiligen Zeit auf kreative und intelligente Weise. Dabei griffen sie immer wieder auf altes Wissen zurück, das von Generation zu Generation weitergegeben wurde, wie auch auf den Transfer von Technologien zwischen zum Teil weit voneinander entfernten Kulturen. Das Neolithikum ist reich an Instrumenten aus Keramik, in der Bronzezeit kommen Saiteninstrumente sowie Trompeten und Hörner aus Metall auf den Spielplan. Im 3. vorchristlichen Jahrtausend entsteht eine Fülle neuer Instrumente. Leiern, Harfen und Lauten Jean Boisserie beim Nachbau einer Tintignac Carnyx aus Frankreich. Foto: Howkins in Mesopotamien, während Harfen zeitgleich auch auf figürlichen Darstellungen in Griechenland erscheinen. Auch im alten Ägypten waren Harfen bekannt, Lauten findet man dort im 2. Jahrtausend v. Chr. Zum berühmten Grabinventar des Tutanchamun gehörten Trompeten aus Silber und Kupfer (2. Hälfte des 14. Jahrhunderts v. Chr.). Die Ausstellung zeigt aber nicht nur die Instrumente selbst, sondern erklärt auch die kulturellen Kontexte ihres jeweiligen Gebrauchs. Von Beginn an spielten Musik und von Instrumenten erzeugte Klänge eine herausragende Rolle in Religion und Ritus, aber auch bei der Übertragung von Informationen und Signalen. Bei der Huldigung an Herrscher und bei Sieges- oder auch Trauerfeiern durfte Musik nicht fehlen. Und natürlich diente sie auch dem schönsten Zweck: dem reinen Vergnügen. EMAP und ARCHÆOMUSICA Das European Music Archaeology Project (EMAP) erreichte 2012 unter 80 Projekten den ersten Platz in einem Wettbewerb der „Education, Audiovisual and Cultural Executive Agency“ (EACEA) der EU. Das innovative Projekt, in dem wissenschaftliche Forschung und künstlerische Kreativität eng zusammenarbeiten, will die antike Musikgeschichte Europas aus einem ungewöhnlichen Blickwinkel zeigen: musikalisch, wissenschaftlich und „zum Anfassen“. Es hat eine Laufzeit von fünf Jahren, von 2013 bis 2018. Beteiligt sind sieben europäische Länder und zehn europäische Institutionen. Koordiniert wird das Vorhaben vom italienischen Tarquinia aus. Außer einer groß angelegten Reise durch Zeit und Raum in der interaktiven Ausstellung „ARCHÆOMUSICA“ wird das Projekt Workshops und Konferenzen durchführen, Konzerte aufführen sowie Bücher, CDs und DVDs und Unterrichtsmaterial herausgeben. www.emaproject.eu John Kenny spielt die Tintignac carnyx. Foto: Marano Nachbau der Tintignac Carnyx aus dem Frankreich des 1. Jahrhunderts v. Chr. Foto: Lake Ausstellungsdaten und -orte: 5./6. Juni 2016 bis 8. Januar 2017 – Ystad, Schweden (Kloster Ystad) Nachbau eines bronzezeitlichen Sistrums aus der Türkei, um 2000 v. Chr. Foto: Marano 7. Februar bis 21. Mai 2017 – Valladolid, Spain (Museo de la Ciencia) 11. Juni bis 24. September 2017 – Ljubljana, Slowenien (Narodni muzej Slovenije – Nationalmuseum Sloweniens) Seikilos Epitaph mit der ältesten komplett erhaltenen griechischen Notation. Tralles, Türkei, 100 v. – 100 n. Chr. 3D Scan: STARC, The Cyprus Institute. 86 _ archäologie weltweit 13. Oktober bis 11. Dezember 2017 – Rom, Italien (Parco Regionale dell‘Appia Antica, Sala Appia) archäologie weltweit _ 87 impressum Archäologie Weltweit Magazin des Deutschen Archäologischen Instituts 4. Jahrgang / 1 2016 HERAUSGEBER Deutsches Archäologisches Institut www.dainst.org TEXT, REDAKTION UND ORGANISATION Wortwandel Verlag Susanne Weiss www.wortwandel.de Mitarbeit: Hedwig Görgen SATZ UND LAYOUT Bauer+Möhring grafikdesign, Berlin www.bauerundmoehring.de GESTALTERISCHE S KONZEPT SCHÜTZ BRANDCOM Agentur für Markenkommunikation GmbH Bessemerstraße 2–14 12103 Berlin schuetz-brandcom.de DRUCK Buch- und Offsetdruckerei H. Heenemann GmbH & Co. KG Bessemerstraße 83–91 12103 Berlin www.heenemann-druck.de VERTRIEB Deutsches Archäologisches Institut Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Nicole Kehrer Podbielskiallee 69–71 14195 Berlin [email protected] www.dainst.org Soweit nicht anders angegeben liegen sämtliche Nutzungsrechte des verwendeten Bildmaterials beim Deutschen Archäologischen Institut. Eine Weiterverwendung ist nur nach ausdrücklicher Genehmigung erlaubt. 88 _ archäologie weltweit Leider wissen wir nicht, wer der Künstler ist, der eines der berühmtesten Denkmäler der Welt verewigt. Sein Motiv ist die Terrasse des Palasts von Persepolis, einer der Hauptstädte des Achämenidenreichs. Persepolis wurde seit den frühen 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts unter der Leitung des Archäologen und Altorientalisten Ernst Herzfeld erforscht. Einer seiner Kollegen war der Archäologe und Architekt Friedrich Krefter, von dem dieses Foto stammt. Eurasien-Abteilung, Archiv Außenstelle Teheran Nachlass Friedrich Krefter Arc häo lo gi e w e lt w e it Orte und Regionen in dieser Ausgabe Ägypten. Cultural Heritage, Landschaft, Seite 18, 28 Llanos de Mojos. Bolivien. Landschaft, Seite 28 Wuqro. Äthiopien. Das Objekt, Seite 38 Samos. Griechenland. Titelthema, Seite 56 Umm al-Houl. Katar. Titelthema, Seite 58 Ostseeküste. Deutschland, Polen. Titelthema, Seite 58 Malaita. Salomonen. Titelthema, Seite 65 Wanderungen und Migrationsströme vom Fruchtbaren Halbmond bis Mitteleuropa und innerhalb Europas. Titelthema, ab Seite 40 Teheran. Iran. Standort, Seite 82 das titelbild Um 3000 v. Chr. ging im Südpazifik eine Art Völkerwanderung vonstatten. In 20 Meter langen Großkanus kamen Menschen über den Ozean und besiedelten nach und nach die pazifische Inselwelt. Vom BismarckArchipel in Papua-Neuguinea aus stießen die Lapita-Leute, benannt nach einer Fundstelle auf der Foué-Halbinsel in Neukaledonien, bis zu den Salomonen und Vanuatu vor. Später breitete sich die LapitaKultur nach Fidschi, Tonga und schließlich Samoa aus. Doch woher kamen sie? Kamen sie aus Südchina, Taiwan, von den Philippinen oder gar aus Indonesien? Oder doch aus dem Bismarck-Archipel, wo die ältesten Spuren dieser Kultur gefunden wurden? Wanderungen sind ein Dauerphänomen der Menschheitsgeschichte. Einige ihrer Wege und Ziele werden im DAI erforscht. Sie sind diesmal unser Titelthema. Boote vor Malaita. Foto: Moser Die Ruinen von Persepolis wurden seit dem frühen 19. Jahrhundert archäologisch dokumentiert. Friedrich Krefters Fotografien, Aquarelle und Zeichnungen aus den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts besitzen hohen dokumentarischen Wert. Foto: Krefter TWG Archäologie Weltweit – Vierter Jahrgang – Berlin, im Juli 2016 – DAI archäologie weltweit 1 • 2016 Wenn wir unser kulturelles Erbe erhalten wollen, brauchen wir Ihre Unterstützung. 1 • 2016 Magazin des Deutschen Archäologischen Instituts Wie Sie uns helfen können, sehen Sie hier: w w w. t w g e s . d e Gesellschaft der Freunde des Deutschen Archäologischen Instituts Meisterklasse am See Genezareth. Jordanische und syrische Handwerker lernen für die Zukunft ihrer Länder. Foto: Bührig, DAI Theodor Wiegand Gesellschaft e. V. Wissenschaftszentrum Bonn Ahrstraße 45, 53175 Bonn Nadja Kajan In der Nähe des Sees Genezareth im Norden Jordaniens liegen die Ruinen der antiken Stadt Tel.: +49 228 30 20 Gadara. Die hellenistisch-römische Stätte – heute heißt der Ort Umm Qays – ist Schauplatz eines Fax: +49 228 30 22 70 außergewöhnlichen Workshops. Auf dem Programm steht Unterricht in traditioneller Steinbear- [email protected] beitung, einem Handwerk, das in der Region fast in Vergessenheit geraten war. Praxisnah und anschaulich vermitteln Meister André Gravert und Geselle Tobias Horn, Steinmetze und Restau- Deutsche Bank AG, Essen ratoren im Handwerk, einem gemischten Team von Jordaniern und Syrern Grundzüge traditioneller Steinbearbeitung. IBAN DE20 3607 0050 0247 1944 00 Ziel ist einerseits Capacity Building für die Bevölkerung vor Ort. Zum anderen sollen aber auch BIC DEUTDEDEXXX die syrischen Kursteilnehmer in die Lage versetzt werden, die neu erworbenen Fähigkeiten beim oder Bonner Sparkasse, Bonn IBAN DE88 3705 0198 0029 0058 08 Wiederaufbau ihres Landes einzusetzen. Die Idee zu dieser Weiterbildungsmaßnahme, die auch vom Auswärtigen Amt unterstützt wird, hatte die DAI-Bauforscherin Dr. Claudia Bührig, die auch das Konzept entwickelte. BIC COLSDE33XXX Ihre Spenden sind steuerbegünstigt. titelThema Titelthema unterwegs Theodor Wiegand Gesellschaft Unterwegs Wege und Wanderungen in der Antike Vielen Dank! www.dainst.org fokus C u lt u r a l H e r i ta g e pa n o r a m a Archaeological Heritage Network Ein Netzwerk für den Erhalt des kulturellen Erbes Archäologie als Teil der Gegenwart Kulturerhalt in Ägypten 40.000 Jahre Musik … Nachbau antiker Instrumente
© Copyright 2025 ExpyDoc