Von Menschenbildern und Textmaschinen: Was

Von Menschenbildern und Textmaschinen: Was
Cyborgs im Film über den Wandel medialer
Kommunikation erzählen
Lena Trüper, Frankfurt am Main
Um ein technisches Gerät als Kommunikationspartner zu akzeptieren, muss es dem menschlichen Gegenüber Freiraum zur Imagination lassen. So lautet das Ergebnis des japanischen Androidenforschers Hiroshi Ishiguro, der zwei androide Repliken seiner selbst besitzt (Abb. 1). Er bezieht sich dabei auf ein Problem, das der Roboterforscher Masahiro Mori in den 1970er Jahren „Uncanny-Valley“1
(unheimliches Tal) nannte: Je menschenähnlicher Roboter aussehen,
so Mori damals, desto abstoßender wirken sie auf Menschen in der
sozialen Interaktion. Roboter, die der menschlichen Gestalt weniger
ähnlich sind, lassen sich dagegen besser in die soziale Interaktion integrieren. Mit seinen Kollegen des Osaka Intelligent Robotics Laboratory
arbeitet Ishiguro derzeit (2015) an der Entwicklung des Smartphones
„Telenoid“ (Abb. 2). Der geisterhaft anmutende, weiße Silikonkörper soll Anreize zur Imagination des Kommunikationspartners am
anderen Ende des Satelliten bieten.
Seit der Entwicklung der Telekommunikation im 19. Jahrhundert
sind westliche Gesellschaften davon geprägt, das sich die gesellschaftliche Interaktion zunehmend unabhängiger von der körperlichen Präsenz der Kommunikationsteilnehmer gestalten lässt. In der
wissenschaftlichen Aufarbeitung dieser Veränderung wurde der
menschliche Körper immer wieder als Bild herangezogen, um den
gesellschaftlichen Umgang mit technischen Kommunikationsmitteln
zu veranschaulichen. Ausgehend von der kybernetischen Theorie
Norbert Wieners prägen amerikanische Militärforscher in den 1960er
Jahren den Ausdruck „Cyborg“2 (engl. „cybernetic organism“) für
1
2
Mori 1970.
Clynes – Kline 1960.
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einen Körper, in dem organische und technische Bestandteile „kommunizieren“. In den 1980er Jahren bringt die feministische Biologin
Donna Haraway die Figur der Cyborg in den geisteswissenschaftlichen Diskurs ein.3 Er gilt ihr als verdichtetes, mythologisierendes
Bild, dass sowohl für medial strukturierte Gesellschaftsformen als
auch für Subjekte stehen kann, die sich an die flexibilisierten Arbeitsbedingungen des medial strukturierten Kapitalismus anpassen müssen.
Abb. 1: Geminoid HI-2 mit Hiroshi Ishiguro, Vortragspräsentation von Hiroshi Ishiguro zur Tagung „Human 2112“, 09.04.2012, TedxPark Kulturny, Moskau (Ausschnitt), <https://www.ted.
com/tedx/events/5382> (05.11.2014).
3
Haraway 1985 [1995]. Einen umfassenden Überblick über die variantenreichen Zugänge
zur Genese der Cyborg-Figur geben die Herausgeber des bisher ausführlichsten CyborgHandbuchs. Sie kategorisieren die ambivalenten Figuren nach der Herkunft der
Technologien (Militär, Medizin, Unterhaltung, Arbeitsoptimierung) und der Art der
körperlichen Erweiterung (verstärkend, vereinheitlichend, umgestaltend, erweiternd).
Vgl. Gray 1995a, 3.
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Während Haraway von einer subversiven Umdeutung der CyborgFigur auf textueller Ebene ausgeht und die Vorstellung eines einheitlichen Körpers als Grundlage der Identitätsbildung ablehnt, treten
seit den 1960er Jahren Cyborg-Figuren in Science-Fiction-Filmen
auf, die mit ihrer meist androiden Gestalt ebendieses Bild einer einheitlichen, körperlichen Identität aufrufen. „Cyborg 2087“ von 1966
dürfte einer der ersten Filme sein, in dem sich ein Cyborg als solcher
bezeichnet. In den 1980er Jahren gerät die Cyborg-Figur in Konjunktur. Am bekanntesten ist die Figur des Terminator T-700, gespielt
von Arnold Schwarzenegger, der im Blockbuster „The Terminator“ von 1984 auftritt.4 Bereits 1927 verhandelte Fritz Lang in seinem
Monumentalfilm „Metropolis“ die Figur einer Menschmaschine. Mit
„Ex Machina“ ist 2015 ein Film erschienen, der die künstliche Intelligenz Ava in einer menschlichen Frauengestalt zeigt.
Abb. 2: Telenoid, Ars Electronica Center Linz, Fotografie aus der Sammlung der Autorin.
4
Um nur einige Hollywood-Produktionen zu nennen: Blade Runner (Harrison Ford, 1982),
RoboCop (Paul Verhoeven, 1987), Cyborg (Albert Pyun, 1989). Auch in den Filmen und
Serien der Star Trek-Reihe sind Cyborg-Figuren anzutreffen, die in der folgenden Untersuchung ausgeklammert werden müssen. Auch die zahlreichen japanischen Animes und
Filme können nicht behandelt werden, da sie einen grundlegend anderen, gesellschaftlichen Zugang zur Technikentwicklung spiegeln. Vgl. Grabbe 2010 und Schodt 1990.
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Die teils sehr unterschiedlichen Filme, die in der folgenden Untersuchung behandelt werden, reflektieren exemplarisch den gesellschaftlichen Umgang mit medialer Kommunikation im historischen Kontext ihrer Entstehungszeit. Er bildet den Schlüssel für die Interpretation der Cyborg-Figuren.5 Die Filme entwerfen jeweils zwei kontrastierende Gesellschaftsformen mit unterschiedlichen Technologisierungsgraden, die räumlich oder zeitlich voneinander getrennt sind.
Durch ihr hybrides Wesen stehen die Cyborg-Figuren zwischen diesen Parallelwelten. Zum einen verkörpern sie metaphorisch die
hochtechnologisierten Gesellschaftsformen, zum anderen nehmen
sie in ihrer körperlichen Präsenz als Handlungsträger die Rolle eines
„Mediums“ ein, das zwischen den jeweiligen Gesellschaftsformen
vermittelt. Als verkörperte Kommunikationsmedien intervenieren
die Cyborg-Figuren in die gesellschaftliche Kommunikation und manipulieren die technologischen Umstände, die zu ihrer eigenen Entstehung beigetragen haben. Entsprechend ihrer Interventionen verändert sich im Laufe der filmischen Handlung ihre menschliche Erscheinung. Die Gestaltung der Körper zeigt an, wie sich der gesellschaftliche Umgang mit technischen Kommunikationsmedien wandelt. Es wird zu untersuchen sein, inwiefern sich anhand der Veränderung des menschlichen Äußeren in der filmischen Handlung Rückschlüsse darauf ziehen lassen, welche Rolle die menschliche Erscheinung für gesellschaftliche Kommunikationsprozesse in der jeweiligen Entstehungszeit der Filme spielt. Ein kurzer historischer Abriss
über die Entstehung der Cyborg-Figur im Kontext der medialen Entwicklung gibt den Auftakt zu den folgenden Filmanalysen.
5
Eine Abgrenzung zwischen Cyborgs und androiden Robotern ist anhand der menschlichen Erscheinung in den Filmen oft nicht eindeutig möglich. Die im Folgenden verwendete Cyborg-Definition geht davon aus, dass sich der Cyborg-Charakter der Figuren aus
ihrer spezifischen Manipulation gesellschaftlicher Mediennutzung im Film ergibt. Die Cyborg-Figur wie Thomas Koebner im Sinne des „Frankenstein-Komplexes“ zu deuten,
greift meiner Ansicht nach zu kurz, auch wenn dieser den Filmen aus dem westlichen
Entstehungskontext zu Grunde liegt. Vgl. Koebner 1999, 125.
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Historische Annäherung an die Entstehung der Cyborg-Figur im
Kontext der Medienentwicklung
Die magische Dimension von Kommunikationsmedien, das Absente
präsent zu machen, lässt sich bis zu den Orakeln der Frühgeschichte
verfolgen, die als körperliche „Medien“ den Kontakt mit dem Jenseits ermöglichten. Bei frühen Experimenten mit der Elektrizität vermutete man Mitte des 18. Jahrhunderts, dass sich die unsichtbare
elektrische Kraft innerhalb der Nervenbahnen fortpflanze und auch
transzendentale Erfahrungen außerhalb des Körpers begünstigen
könne.6 So erzählt die Wissenschaftsgeschichte von den elektrischen
Experimenten Jean-Antoine Nollets, der 700 französische Karthäusermönche verband und durch die Entladung einer Leidener-Flasche
in Zuckungen versetzte.7 In der Romantik waren besonders empfindsame Frauen mit Nervenleiden für solch transzendentale Erfahrungen durch die unsichtbare elektrische Energie prädestiniert.8 Mit
dem Ausbau der Telegrafie gegen Ende des 19. Jahrhunderts avancierte die elektrische Kommunikation zum Massenmedium. Das
transzendente „Jenseits“ verlagerte sich ans andere Ende der Leitung, in der Poststelle übernahm das kurbelnde „Fräulein vom Amt“9
die Position des nervösen, weiblichen Mediums. Die transzendentalen, elektrischen Ströme schienen sich in Telegrafenkabeln zu manifestieren. Für den Geographen Ernst Wilhelm Kapp galt die „Vergleichung [des elektrischen Telegraphennetzes] mit der Function des
Nervensystems […] als selbstverständlich […] um sich das Verhalten
der elektrischen Strömung im Organismus anschaulich zu machen.“10
6
7
8
9
10
Barkhoff 2004, 73.
Siegert 2004, 55.
Als bekanntes Beispiel nennt Barkhoff die Seherin von Prevorst aus Weinsberg, die als
Vorbild für Heinrich von Kleists „Kätchen von Heilbronn“ gilt. Zu den Experimenten von
Justinius Kerner, bei der die Seherin Frederike Hauffe lebte vgl. Barkhoff 2004, 81.
Barkhoff 2004, 83.
Kapp 1877, 139. Die Entstehung des Telegraphennetzes bezeichnete Kapp als
unbewusste „Organprojection“, einer Veräußerlichung der menschlichen Geistestätigkeit
in technischen Werkzeugen, die dem Menschen seiner Auffassung nach eigen ist. Kapp
1877, 25. 29. Im 20. Jahrhundert führte Marshall McLuhan diese metaphorische Erweiterung des Körpers in Kommunikationsnetzwerke weiter. McLuhan 1968, 52.
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Mit der kybernetischen Theorie gibt der Mathematiker Norbert
Wiener in den 1950er Jahren den transzendentalen Erfahrungen mit
dem Jenseits eine rechnerische Grundlage. Während des Zweiten
Weltkriegs entwickelte er am MIT11 Flugzeugabwehrsysteme, die
durch Sensoren und die Errechnung statistischer Daten fähig waren,
feindliche Flugzeuge ohne menschliches Eingreifen zu orten und abzuschießen.12 Aufgrund der scheinbar autonomen Handlungsfähigkeit, die er seinen Maschinen verlieh, ließen einige die „unheimliche
Fähigkeit erkennen [...], menschliches Verhalten nachzuahmen.“13
Individualität, so Wiener, könne daher nicht mehr mit dem Begriff
der Identität verbunden werden, weder im Sinne einer körperlichen
Materialität noch im Sinne einer geistigen Seele. Sie konstituiere sich
durch einen kontinuierlichen Datenaustausch des Individuums mit
seiner Umwelt.14
Im regen, interdisziplinären Austausch der Nachkriegszeit fand
Wieners kybernetische Idee in vielen Bereichen der Wissenschaft
Anklang.15 Losgelöst von den ursprünglichen Forschungsapparaturen des Militärs avancierte das kybernetische Denkmodell zu einer
universellen „Kommunikationstheorie“, die sich auf Prozesse verschiedener Organisationszusammenhänge anwenden ließ. Sowohl
organische Körper als auch gesamte Gesellschaften konnten als
selbstorganisierende Systeme verstanden werden, deren immanenter
Informationsaustausch ihrer Stabilität und Selbsterhaltung diente.16
11
12
13
14
15
16
Massachusetts Institute of Technology.
Zu Wieners „anti-aircraft-predictor“ vgl. Galison 1991, 233 – 234.
„Seit Jahren beschäftige ich mich mit dem Problem der Nachrichtentechnik. Dies hat
mich dazu geführt, verschiedene Arten von Maschinen für den Nachrichtenverkehr zu
entwerfen und näher zu untersuchen, von denen einige [die] unheimliche Fähigkeit erkennen lassen, menschliche[s] Verhalten nachzuahmen und dadurch möglicherweise das
Wesen des Menschlichen zu erhellen.“ Wiener 1950 [1964], 13.
„Die älteren Auffassungen von der Individualität waren irgendwie mit dem Begriff der
Identität verknüpft, sei es nun, daß es sich um die materielle Substanz des Animalischen
oder um die geistige der menschlichen Seele handelte. Heutzutage müssen wir zugestehen, dass Individualität mit der Kontinuität des Schemas in Zusammenhang steht und
infolgedessen mit ihr das Wesen der Kommunikation teilt.“ Wiener 1950 [1964], 94.
Zum universalistischen Anspruch der Kybernetik und dem Einfluss der Macy-Konferenzen vgl. Hagner – Hörl 2008a, 13. 16.
Zur Tradierung des kybernetischen Paradigmas in Biologie und Geisteswissenschaften
vgl. Geoghegan 2011, 102; Galison 1994, 229.
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Auf die gleiche kommunikative Ebene gebracht, schien die Grenze
zwischen organischen Körpern und technischen Artefakten überschritten. Eine technische Intervention in den biologischen Körper
wurde für möglich gehalten, sobald der „Code“ des zugrunde liegenden Informationssystems entschlüsselt war. 1960 untersuchten der
Mathematiker Manfred E. Clynes und der klinische Psychologe
Nathan S. Kline im Rahmen eines militärischen Forschungsprojekts
für die NASA, wie sich das organische Funktionssystem eines Astronautenkörpers durch Implantationen technischer Geräte „erweitern“ und optimal an das Leben im All anpassen ließe.17 Dieser neuen
„Spezies“ technisch modifizierter organischer Körper gaben sie den
Namen „Cyborg“.18
Mit Sorge betrachtet die feministische Biologin und Sozialhistorikerin Donna Haraway in den 1980er Jahren, dass die Entwicklung
medial dominierter, kapitalistischer Gesellschaften von einem wissenschaftlichen Diskurs begleitet wird, der sowohl organische Körper als auch gesellschaftliche Systeme auf universell codierbare, programmierbare Geräte reduziert. So konstatierte beispielsweise der
französische Philosoph Jean Baudrillard 1976, dass die Unterscheidung zwischen Mensch und Maschine durch die Überführung des
menschlichen Körpers in ein Problem metaphysischer Codierung sei
hinfällig geworden sei. Die kapitalistische Mediengesellschaft habe
sich in ein perfektioniertes System „kybernetischer Operationalität“19
verwandelt, im Zeitalter der medialen „Simulation“ sei der menschliche Körper „zum totalen, von Modellen gelenkten Zeichensystem
geworden.“20
17
18
19
20
Gray 1995b, 46.
Clynes – Kline 1960, 29. Das erste Versuchsobjekt der Wissenschaftler war eine
Labormaus, in deren Schwanz eine Medikamentenpumpe implantiert war. In
Abhängigkeit ihres aktuellen Blutdrucks führte die Pumpe ihr Heparindosen zu, um ihren
Blutdruck konstant zu halten. Gray 1995b, 46.
Baudrillard 1976 [1982], 19.
Baudrillard 1976 [1982], 175.
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In ihrem Manifest für Cyborgs. Feminismus im Streit mit den Technowissenschaften21 von 1985 thematisiert Haraway, dass die Grenze zwischen Mensch/Tier/Maschine sowohl in den Geisteswissenschaften
als auch in Naturwissenschaften undeutlich geworden sei. Sie begrüßt dies einerseits, weil damit duale Kategorien verabschiedet würden, auf die sich patriarchale, kapitalistische Machtverhältnisse stützen – in der Herrschaft des Geists über den Körper, der Kultur über
die Natur, des Mannes über die Frau.22 Andererseits kritisiert sie an
postmodernen Theorien, die den Körper lediglich als „Simulationsmodell“ begreifen, dass dadurch neue Machtverhältnisse des sich
wandelnden kapitalistischen Systems nicht reflektiert werden könnten, in die leibliche Körper als flexible Arbeitskräfte eingebunden
sind.23
Um eine kritische Perspektive auf den postmodernen Diskurs zu
entwickeln, adaptiert sie den Ausdruck des Cyborg aus der amerikanischen Militärforschung und entwirft die Cyborg als ein subversives,
„verdichtetes Bild [der] imaginären und materiellen Realität“24. Sie
nennt ausformulierte Cyborg-Figuren aus feministischen ScienceFiktion-Geschichten als Beispiele für politische Handlungsträgerinnen im High-Tech-Kapitalismus. Die fiktiven, textuellen Körper gelten ihr als „Topographien der Macht“25, an denen sich die Machtverhältnisse des spezifischen Entstehungskontexts der Figuren ablesen
21
22
23
24
25
Haraway 1985 [1995].
„Bestimmte Dualismen haben sich in der westlichen Tradition hartnäckig durchgehalten,
sie waren systematischer Bestandteil der Logiken und Praktiken der Herrschaft über
Frauen, farbige Menschen, Natur, ArbeiterInnen, Tiere – kurz, die Herrschaft über all
jene, die als Andere konstituiert werden und deren Funktion es ist, Spiegel des Selbst zu
sein. Die wichtigsten dieser Dualismen sind Selbst/Andere, Geist/Körper, Kultur/Natur,
männlich/weiblich, zivilisiert/primitiv, Realität/Erscheinung, Ganzes/Teil. HandlungsträgerIn/Ressource, SchöpferIn/Geschöpf, aktiv/passiv, richtig/falsch, Wahrheit/Illusion,
total/partiell, Gott/Mensch. Das Selbst ist der Eine, der nicht beherrscht wird, und dies
durch die Knechtschaft der anderen weiß.“ Haraway 1985 [1995], 67.
„Die moderne Produktion ähnelt dem Traum von einer Kolonisierung der Arbeitswelt
durch Cyborgs. Ein Traum, der den Alptraum des Taylorismus idyllisch erscheinen lässt.“
Haraway 1985 [1995], 34. Wird der Körper im kapitalistischen System als Informationssystem begriffen, ist nach Harway „universelle Übersetzung und damit unbehinderte,
instrumentelle Macht“ möglich. Haraway 1985 [1995], 52.
Haraway 1985 [1995], 34.
Haraway 1985 [1995], 70.
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lassen. Durch ihre textuellen Eigenschaften stehen die Cyborg-Figuren bei Haraway in kybernetischer Manier mit ihrem „Kontext“ in
Austausch. Der Cyborg-Körper ist weder abgeschlossene, dem Diskurs vorausgehende Einheit, noch Projektionsfläche gesellschaftlicher Verhältnisse. Er greift in deren Umstrukturierung ein während
er zugleich aus der gesellschaftlichen Interaktion heraus bestimmt
wird.26 In subversiver, „heldinnenhafter“ Attitüde kann sich die Cyborg bei Haraway die Bedingungen ihrer Entstehung aneignen und
zu deren Umwälzung beitragen. Anhand der Figur lässt sich die
Problematik der sprachtheoretischen Auflösung der Grenze zwischen Mensch und Maschine diskutieren. Die imaginative Cyborg
stellt ein Gegenbild zur projektiven Überwindung der Grenze im gesellschaftlichen Umgang mit der technischen Entwicklung dar, wie
sie die zeitgenössische Roboterforschung untersucht. Als körperlicher Handlungsträger in einem spezifischen, politischen Kontext
konterkariert sie Positionen, die den Körper im Sinne medialer Immersionseffekte zu überwinden suchen und den Medienwandel unkritisch affirmieren. Trotz ihres subversiven Gehalts bleibt die Bedeutung der Cyborg-Figur bei Haraway ambivalent. Sie ist ein Medium, dessen Bedeutung aus dem Kontext ihrer Verwendung erwächst.
Anders als ihre literarischen Verwandten geraten filmische Cyborgs in die widersprüchliche Position, dass bei ihnen der Übergang
zwischen einem hybriden Einzelkörper und einer kollektiven Gesellschaftsmetapher nicht auf metaphorischer, textueller Ebene beigelegt werden kann. Mit ihrer visuellen Gestalt bringen sie den unheimlichen Nachhall eines Identitätsbegriffs ins Spiel, der den Körper als
26
In meiner Lesart des Manifests lassen sich drei wesentliche Züge der Cyborg-Figur erkennen: 1) Die Cyborg kann als >Zeichen< in der bestehenden, hochtechnisierten Gesellschaft fungieren, 2) Als körperlich-fiktives >Wissensobjekt< feministischer Wissenschaft kann sie als eine fiktive Denkfigur gelten, die aus einem spezifischen Kontext heraus entsteht und an deren Verörperung sich umgebende Machstrukturen reflektieren
lassen. Als solche hat sie medialen Charakter. 3) Die Cyborg kann als >sozialer Körper<
verstanden werden. Sie ist Bezeichnung einer intimen Vernetzung opositioneller Cyborgs, die sich aufgrund von spezifischer, gegenseitiger Affinität zueinander verhalten,
nicht aufgrund identitärer Zusammengehörigkeit.
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autonome Ganzheit begreift.27 Damit verlieren sie in Haraways Sinne
ihr subversives Potential. Dennoch entfalten die Figuren „subversiven“ Charakter, indem sie durch mediale Manipulationen gesellschaftliche Infrastrukturen untergraben, die zu ihrer eigenen Entstehung beigetragen haben. In Anlehnung an Haraway liegt der folgenden Untersuchung der Gedanke zu Grunde, dass sich in der Körpergestaltung der Figuren der gesellschaftliche Umgang mit medialer
Kommunikation ausdrückt. Der historische Filmvergleich soll zeigen, wie sich die Körpergestaltung und die Rolle der Cyborg-Figur
im historischen Kontext der filmischen Narrationen verschiebt und
welche Relevanz dem menschlichen Äußeren in der medialen Kommunikation der jeweiligen Entstehungszeit der Filme zukommt.
Die Cyborg-Figur im Science-Ficiton-Film –
ein historischer Vergleich
„Metropolis“ (Fritz Lang, 1927)
An der Spitze der technologischen Entwicklung der fiktiven Stadt
„Metropolis“ steht die Maschinenfrau HEL. Sie ist eine technische
Nachbildung der verstorbenen Frau des Unternehmers und Machthabers von Metropolis, Joh Fredersen. Dessen technokratische Stadt
gründet ihren Reichtum auf einer ausgeprägten Klassengesellschaft:
Während die „oberen Hundert“ den Luxus der lichten Architektur
der Oberstadt mit ihren Leuchtreklamen und Autostraßen genießen,
werden die Arbeiter in den dunklen Katakomben der Unterstadt ausgebeutet.28 HEL entstammt einer Zwischenwelt, den okkulten Laboratorien des Erfinders Rotwang. Im Laufe der Filmhandlug macht
ihre Figur zwei Verwandlungen durch. Sie wechselt dabei zwischen
der Erscheinung als Mensch und der als Maschine.
27
28
Koebner 1999, 120.
Der Film spiegelt den Entstehungskontext der politischen Situation in der Weimarer
Republik. Zur Rezeptionsgeschichte vgl. Minden – Bachmann 2000.
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In ihrer ersten, magisch-elektrischen Verwandlung erhält HEL
auf Geheiß des Unternehmers Joh Fredersen von dem Erfinder Rotwang das menschliche Aussehen der Predigerin Maria, von der die
Arbeiter der Stadt eine Botschaft der Erlösung erwarten. Als
„Menschmaschine“ soll die Maschinen-Maria den Glauben der Arbeiter unter Kontrolle bringen und die Stadt vor einem Arbeiteraufstand bewahren. Die Instrumente in den Laboratorien des Erfinders
erinnern an frühe elektrische Experimente. Während die Elektrizität
die gesamte Infrastruktur der Stadt reguliert, offenbart sie in den Gemächern des Erfinders ihre Eigenschaft als ungezügelte „Lebenskraft“. Von einer Konduktorkugel schießt der elektrische Strom in
unkontrollierten „Geistesblitzen“ auf Maria herab, die in einem runden Glastubus liegt und mit einem verkabelten Helm versehen ist
(Abb. 3). Von dort aus laufen helle Kabel in einer Dreiecksform auf
HELs aufrecht sitzenden Körper zu. Durch einen Filmtrick werden
sie optisch zu einem Blutkreislauf erweitert, in dessen Mitte ein pulsierendes Herz leuchtend aufscheint (Abb. 4). Ein Fünfzack im Hintergrund ihres Throns sowie auf und ab schwingende Lichtkreise, die
HELs Körper umspielen, verweisen auf die okkulten Machenschaften des Wissenschaftlers. Zur Verdeutlichung des maskenhaften
Identitätenwechsels ist HELs maschinelles Gesicht zu sehen, dass
von Marias verkabeltem Antlitz überblendet wird (Abb. 5a. b).
In der Gestalt des menschlichen „Mediums“ der Maria spricht die
Maschinen-Maria zu den Arbeitern, die ihren Worten aufgrund ihres
täuschend echten Aussehens Glauben schenken. Anstatt sie zu beschwichtigen, hetzt die Maschinen die Arbeiter zur Revolution auf.
Durch ihr verführerisches Aussehen und ihren „wilden“ Tanz macht
sie auch die „oberen Hundert“ von sich abhängig, die nach Unterhaltung gieren. Im revolutionären Umsturz gelangt die MaschinenMaria mit Hilfe der Arbeiter an den Hebel der zentralen Herz-Maschine, die für die elektrische Versorgung der Stadt verantwortlich
ist, und zerstört sie (Abb. 5a. b). Als bewegliche, elektrische Maschine, von der beide Gesellschaftsschichten abhängig sind, ersetzt
HEL/Maria die statische Herz-Maschine und bringt die gesellschaftlichen Hierarchien ins Wanken.
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Abb. 3: Die magisch-elektrische Verwandlung der HEL. Screenshot aus Metropolis, Fritz Lang,
1927, DVD, Eureka Entertainment Ltd., 2010.
Ihre zweite Verwandlung vollzieht sich auf dem Scheiterhaufen, auf
dem sie verbrannt wird, als die Arbeiter den elektrischen Effekt ihrer
Täuschungsmanöver entlarven. Im Feuer, in dem ihre menschliche
Hülle verraucht, kommt ihr maschineller Körper zum Vorschein.
Damit ist auch ihre Macht über die Stadtgesellschaft erloschen und
die Stadt aus den Zwängen der Technik befreit. In Folge kann die
Position der „Herz-Maschine“ durch das menschliche Herz des Erlösers Freder ersetzt werden.
Obwohl in Metropolis verschiedene Formen der Kommunikation
existieren, wie das Bildtelefon Joh Fredersens oder die handschriftliche Zettelpost der Arbeiter, greift die Maschinen-Maria nicht in diese
Kommunikationsformen ein, sondern tritt in persona an die Stelle Marias, des wichtigsten menschlichen „Mediums“ der Arbeiter. Während die „oberen Hundert“ völlig eingenommen von ihrem elektri-
Trüper, Von Menschenbildern und Textmaschinen
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schen Schein sind, lassen sich die Arbeiter durch ihre Worte aufwiegeln und decken das visuelle Täuschungsmanöver auf. Die Macht der
Maschinen-Maria beruht dennoch in beiden Gesellschaftsformen auf
dem elektrischen Schein ihres Äußeren. Wie Michael Minden beschreibt, wiederholt sich der zwischen den Welten springende, diskontinuierliche Handlungsstrang des Films in den Verwandlungen
der Figur und verweist auf den Topos der subjektiven Selbstentfremdung im Zuge der technischen Entwicklung im Kapitalismus.29 Als
„Cyborg“ weit vor dem Aufkommen der kybernetischen Theorie ist
die Maschinen-Maria entweder Mensch oder Maschine.
Abb. 4: Ein Blutkreislauf erscheint auf HELs Maschinenkörper. Screenshot aus Metropolis, Fritz
Lang, 1927, DVD, Eureka Entertainment Ltd., 2010.
29
Minden 2000, 53 – 55.
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Visual Past 2016
Abb. 5a. b: Überblendung der Gesichter. Screenshot aus Metropolis, Fritz Lang, 1927, DVD,
Eureka Entertainment Ltd., 2010 (Ausschnitte).
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Abb. 6: Maria an der Herz-Maschine. Screenshot aus Metropolis, Fritz Lang, 1927, DVD, Eureka
Entertainment Ltd., 2010.
„Cyborg 2087“ (Franklin Aderon, 1966)
In den Körper des Cyborg Garth aus „Cyborg 2087“30 sind im Gegensatz zu HEL/Marias Körper im Jahr 1966 bereits Sender/Empfänger-Module implantiert, durch die er radiotelepathische Botschaften versenden und Zeitreisen kann. Durch seine Implantate ähnelt
Garths Körper dem Bild eines Cyborg-Astronauten, das die Wissenschaftler Clyne und Klines im militärischen Kontext der 1960er Jahre
30
Über die Rezeption des B-Movies konnte ich bisher keine Quellen ausfindig machen.
Stefan Höltgen bezeichnet „Cyborg 2087“ anhand seiner Motivik zusammen mit “The
Creation of Humanoids” (Wesley Barry, 1962) und “The Time Travelers” (Ib Melchior,
1964) als „einen der Grundpfeiler des Science-Fiction-Genres der Nachkriegszeit.“
Höltgen 2010.
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vorgestellt hatten.31 Während in „Metropolis“ eine dystopische Gesellschaft der Zukunft konzipiert wird, zeichnet der Hollywoodfilm
„Cyborg 2087“ das Bild einer freiheitlichen, zukunftsorientierten
amerikanischen Gesellschaft im Entstehungsjahr des Films, 1966.
Diese Gesellschaftsform wird mit einer zukünftigen (staatssozialistischen) Gesellschaft des Jahres 2087 kontrastiert, in der die Gedanken
der Menschen durch die Technologie der Radiotelepathie kontrolliert werden. Garth ist der zeitreisende Spezialagent einer Widerstandsgruppe aus der Zukunft. Er soll die Weitergabe der neuen
Technologie in die Hände des Militärs im Jahr 1966 verhindern. Seine
implantierten Module wurden von der Widerstandsgruppe erweitert,
sodass er im Gegensatz zu den anderen Menschen der Zukunft ein
freier Denker ist. Anhand des Zeitbeamers in seinem Körper wird er
von feindlichen „tracer agents“ aus der Zukunft geortet. Die etwas
ungelenk navigierenden Verfolger erinnern in ihren Ortungsmanövern entfernt an Norbert Wieners Flugzeugabschussmaschinen. Mit
der Unterstützung des Biologen Dr. Cellar lässt sich Garth den Zeitbeamer aus seinem Körper herausoperieren. Im Film öffnet der Cyborg sein Hemd, um dem ungläubigen Wissenschaftler (und dem
Filmzuschauer) das Implantat in seinem Brustkorb zu zeigen (Abb.
7). Auch am Handgelenk enthüllt er externe Sehnenapplikationen,
die ihn dazu befähigen, Türen zu öffnen (Abb. 8). Obwohl Garth im
Gegensatz zu HEL/Maria bereits als kybernetisches, „selbstgesteuertes System“ agiert, ist er von dem Eingriff des Wissenschaftlers von
Außen abhängig (Abb. 9).
31
Da Regisseur Franklin Aderon und Drehbuchautor Arthur C. Pierce während des zweiten
Weltkriegs als Major bei der Marine und als Fotograf bei der US Navy gedient hatten,
könnten sie mit dem militärischen Hintergrund des Cyborg vertraut gewesen sein.
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Abb. 7: Garths Moonboots. Screenshot aus Cyborg 2087, Franklin Aderon, 1966, VHS, Cable2Video, 1986.
Abb. 8: Der Eingriff in Garths Körper. Screenshot aus Cyborg 2087, Franklin Aderon, 1966,
VHS, Cable2Video, 1986.
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Ähnlich den im Film gezeigten Drehscheibentelefonen, die als technisches Kommunikationsmedium in der Gesellschaft der 1960er
Jahre bereits etabliert sind, wird auch das neu erfundene Radiotelepathiegerät im Jahr 1966 als externes Modul appliziert. Über einen
ringförmigen Kopfaufsatz sind die Probanden an eine schrankartige
Rechenmaschine angeschlossen, die elektrische Hirnströme auszulesen und über magnetische Tonbandspulen zu verarbeiten scheint.
Am Vorabend der Präsentation seiner Forschungsergebnisse testet
Professor Sigmund Marx, der für das Unternehmen „Future Industries“ arbeitet, den Kopfaufsatz an einem Primaten (Abb. 10). Kurze
Zeit später appliziert Garth das Gerät an der Assistentin des Professors, Sheron Mason (Abb. 11). Garths Stimme auf dem Off, mit der
er zu Sheron spricht und sie über seine Cyborg-Mission aufklärt, verdeutlicht, dass er durch die Radiotelepathiegeräte unterbewussten
Zugang zu Sherons Gedanken gewinnt. Nach dem Absetzen des Geräts erinnert sie sich nicht mehr an die „Gehirnwäsche“ durch seinen
Zugriff. Die plakative Gegenüberstellung der beiden Experimente
mit dem Affen und der Frau im Film scheinen wie aus einem Lehrbuch für kybernetische Theorie: Sie suggerieren, dass Frau/Tier sich
auf unterbewusster Ebene durch einen Maschinencode steuern lassen und austauschbar sind.32
Im Gegensatz zur Maschinen-Maria ist die äußere Gestalt bei
Garth zweitrangig. Zwar dient ihm sein Agentenoutfit, sich in die
Gesellschaft der 1960er Jahre zu integrieren. Doch luken seine silbernen Moonboots unter dem beigen Mantel hervor (Abb. 12) und
verweisen auf die maschinellen Anteile in seinem Körper.
32
Bei ihrer erstmaligen Benennung des „Cyborg“ hatten Clyne und Klines die technische
Intervention in den Körper des Astronauten ebenfalls auf einer unterbewussten Ebene
angesiedelt: „Cyborg – Frees Man to explore. What are some of the devices necessary
for creating self-regulating systems? This self-regulation must function without the benefit of conciousness in order to cooperate with the body's own autonomous homeostatic
controls. For the exegenously extended organizational complex functioning as an integrated homeoestatic system uncounciously, we propose the term 'Cyborg'.“ Clynes –
Kline 1960, 29.
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Abb. 9: Das Implantat in Garths Brustkorb. Screenshot aus Cyborg 2087, Franklin Aderon,
1966, VHS, Cable2Video, 1986.
Abb. 10: Garths externe Sehnenapplikation. Screenshot aus Cyborg 2087, Franklin Aderon,
1966, VHS, Cable2Video, 1986.
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Abb. 11: Ein Primat im Experiment mit dem Radiotelepathiegerät. Screenshot aus Cyborg 2087,
Franklin Aderon, 1966, VHS, Cable2Video, 1986.
Abb. 12: Sheron Mason unter Einfluss des Radiotelepathiegeräts. Screenshot aus Cyborg 2087,
Franklin Aderon, 1966, VHS, Cable2Video, 1986.
Trüper, Von Menschenbildern und Textmaschinen
489
Garths Körper beinhaltet sowohl externe als auch interne technische
Applikationen. Analog dazu sind technische Kommunikationsmittel
in den 1960er Jahren bereits in die gesellschaftliche Interaktion integriert, werden im gesellschaftlichen Randbereich der Wissenschaft
aber weiterentwickelt. Entsprechend der externen Anwendung des
Radiotelepathiegeräts, das ins weibliche/tierische Unterbewusstsein
eingreift, interveniert auch Garth als externer „UndercoverAgent“ und Botschafter aus der Zukunft in die fortschrittsorientierte
Gesellschaft der 1960er Jahre, die sich noch nicht über die Gefahren
der neuen Technologie bewusst ist. In seiner Rolle als „Kommunikationsmedium“ zwischen der gegenwärtigen und der zukünftigen
Gesellschaft spiegelt den Umgang mit der neuen Technologie. Als
„echter“ Cyborg bleibt er in seiner Rolle als Verfechter amerikanischer Freiheitswerte ambivalent: Er bringt Sheron mit dem gleichen
Medium unter seine Kontrolle, mit dem die Menschen seiner Zukunft unterjocht werden, während er seinen eigenen Körper modifizieren lässt und sich selbst von den Verfolgern aus der Zukunft befreit.
„The Terminator“ (James Cameron, 1984)
Anders als Garth ist der Terminator T-700 aus „The Terminator“ von 1984 kein freiheitsliebender Cyborg, sondern eine monströse Tötungsmaschine aus der Zukunft des Jahres 2029. Sein metallischer Körper, der an HEL in Metropolis erinnert, ist von einer organischen Außenhaut überzogen, die es ihm ermöglicht, durch eine
„organische Zeitmaschine“ in die Gegenwart des Jahres 1984 zu reisen.33 Er ist das Produkt des Computernetzwerks Skynet, eine Entwicklung des Unternehmens Cyberdyne Systems aus den 1980er Jahren.
In der Zukunft des Jahres 2029 hat sich das Netzwerk verselbständigt und beutet die Menschen in Arbeitslagern aus, die Konzentrationslagern gleichen.34 Nur eine kleine Gruppe Menschen hat den
33
34
Zu den Ähnlichkeiten zwischen „Cyborg 2087“ und „Terminator“ vgl. Höltgen 2010. Auf
die gemeinsamen Motive in Metropolis und Terminator vgl. Trutnau 2005.
Der Freiheitskämpfer Reese, der einem dieser Lager entkommen ist, und dem Terminator
in die 1980er Jahre gefolgt ist, trägt einen eintätowierten Strichcode am Unterarm.
490
Visual Past 2016
„Krieg der Maschinen“ in Katakomben überlebt und leistet Widerstand. Das Netzwerk erzeugt den Terminator, um die Geburt des
zukünftigen Anführers der Widerstandsbewegung John Connor zu
verhindern. In der Vergangenheit des Jahres 1984 soll er die Mutter
Sarah Connor töten. Kurz darauf folgt ihm der menschliche Freiheitskämpfer Reese in die Vergangenheit, um Sarah zu schützen und
ihren Sohn zu zeugen.35
Anders als in den 1960er Jahren sind technische Kommunikationsmittel 1984 keine Randerscheinung mehr, sondern bereits vollständig in die gesellschaftliche Interaktion integriert. Die Medienlandschaft wird als vielseitig beschrieben: Textuelle Printmedien, wie
Telefonbücher und polizeiliche Verwaltungsakten, sichern die
grundlegende Organisations- und Machtstruktur der Gesellschaft;
Sprachliche Medien, die wie Telefone, Polizeifunk und Radios dienen
in ihrer Live-Übertragung der gesellschaftlichen Kommunikation
und werden durch zugehörige Speichermedien, wie Anrufbeantworter und Tonbandgeräte ergänzt. Daneben dienen visuelle Medien wie
die Live-Bilder aus dem Fernsehen und visuelle Speichermedien wie
Fotografien und Videos als gesellschaftliche Reflexions- und Erinnerungsgrundlage.
Während die textuellen und sprachlichen Medien für die Manipulationen des Cyborgs anfällig sind, haben die visuellen Medien aufklärerischen Charakter und stehen auf der Seite der Menschen. Als
sprachliches Medium gewinnt das – in „Cyborg 2087“ nur nebensächlich erwähnte – Telefon in „The Terminator“ eine tragende
Rolle. Aus seiner Fehlfunktion ergeben sich die entscheidenden
Wendungen in der filmischen Handlung.36 Da der Terminator nur
Sarahs Namen und die Stadt kennt, in der sie wohnt, bedient er sich
nach seiner Ankunft der „Datenbank“ des Telefonbuchs, um systematisch alle drei „Sarah Connors“ zu töten, die in der Stadt leben.
Indem sie das systematische Vorgehen des Terminators antizipiert,
35
36
Zur Gender-Thematik in „The Terminator“ vgl. Goldberg 1995.
Dabei weist der Film eine selbstreflexive Ebene auf: Während er als visuelles Medium
auf der Seite der Menschen steht, und die „Wahrheit“ über die Gefahr neuer Medien
enthüllt, wird seine Handlung durch die Manipulation textueller Medien beeinflusst.
Trüper, Von Menschenbildern und Textmaschinen
491
überprüft Sarah ihren Verdacht, selbst auf der Liste des Mörders zu
stehen, anhand eines Telefonbuchs (Abb. 13). Ein defektes Telefon
hindert sie jedoch daran, die Polizei zu erreichen und ihre Mitbewohnerin Ginger rechtzeitig über die lebensbedrohliche Situation zu informieren (Abb. 14).37 Auch die Polizei kann keine telefonische Verbindung zu Sarah herstellen. Daher tötet der Terminator die Mitbewohnerin Ginger an Sarahs Stelle, als er in ihre Wohnung einbricht.
Über Sarahs Nachricht auf dem Anrufbeantworter erfährt er von ihrem tatsächlichen Aufenthaltsort im „TechNoir“-Club. Nach der
Ansage „Bitte legen sie nicht auf. Auch Maschinen brauchen
Liebe!“ richtet der Cyborg kurzzeitig seine Waffe auf das arme Gerät,
dass er aufgrund der Stimmaufnahme mit einem Menschen verwechselt. Anders als der Anrufbeantworter, der nur rezitieren kann, ist der
Terminator in der Lage, eigenständig in Kommunikationssituationen
einzugreifen, indem er Stimmen am Telefon perfekt imitiert. Indem
er den Polizeifunk manipuliert, setzt das staatliche Machtmonopol
der Polizei außer Kraft. Seine Gengner Sarah und Reese lockt er anhand eines gefälschten Telefonanrufs in eine Falle.
Abb. 13: Sarah Conner sieht im Telefonbuch nach. Screenshot aus The Terminator, James Cameron, 1984, DVD, MGM Home Entertainment Inc., 2001.
37
Da Ginger über Kopfhörer verkabelt ist und laute Techno-Musik hört, bemerkt sie das
Eindringen des Terminators nicht und wird kaltblütig ermordet. Gingers „Kopfaufsatz“,
ist mit der Verkabelung von Maria und Sheron vergleichbar. Als Beweis seiner Macht
über die „moderne Verkabelung“ tritt der Terminator nach der Ermordung Gingers auf
die am Boden liegenden Kopfhörer.
492
Visual Past 2016
Abb. 14: Sarah am Telefon. Screenshot aus The Terminator, James Cameron, 1984, DVD, MGM
Home Entertainment Inc., 2001.
Die visuellen Medien scheinen indes immun gegen die Manipulationen des Cyborgs und haben emanzipatorischen Charakter. So verfügt Reese an Stelle des Namens über eine Fotografie von Sarah, die
er in der Zukunft gesehen und in Erinnerung behalten hat, um sie zu
identifizieren. Die junge Frau erfährt über die Fernseher an ihrer Arbeitsstelle und in einer Bar von den beiden Morden der anderen „Sarah Connors“ (Abb. 15). Die „altmodischen“ Polizisten schenken
den medial verbreiteten Bildern dagegen keinen Glauben. Obwohl
sie über ein Videogerät verfügen, mit dem sie ihre Verhöre aufzeichnen, vertrauen sie mehr ihren Aktenbergen, die sich symbolträchtig
um den Fernseher stapeln (Abb. 16). Ein exemplarisches Bild für den
Wahrheitsgehalt visueller Medien bietet ein filmischer Ausblick in die
korrumpierte Zukunft: In den Katakomben sitzen Kinder vor einem
brennenden Fernseher (Abb. 17).
Trüper, Von Menschenbildern und Textmaschinen
493
Abb. 15: Sarah sieht die Fernsehnachrichten. Screenshot aus The Terminator, James Cameron,
1984, DVD, MGM Home Entertainment Inc., 2001.
Abb. 16: Im Büro der Polizisten sind Akten um einen Fernseher gestapelt. Screenshot aus The
Terminator, James Cameron, 1984, DVD, MGM Home Entertainment Inc., 2001.
Der maschinelle „Bildersturm“ der Zukunft zeigt, dass die menschliche Erscheinung als Basis gesellschaftlicher Machtausübung ausgedient hat. Sinnbildlich dafür wird die menschliche Hülle des Termi-
494
Visual Past 2016
nators im Laufe des Films immer weiter zerstört. Als seine organische Hülle im Feuer eines Autounfalls ganz verbrennt verfolgt er Sarah und Reese als Roboter weiter. Im Gegensatz zur Maschinen-Maria, deren Macht auf dem Scheiterhaufen erlischt, als ihre metallische
Gestalt zum Vorschein kommt, beeinflusst der Verlust des menschlichen Äußeren die Funktionsfähigkeit des Terminators nicht. Der
„kybernetische Organismus“ verendet in der Presse einer Autofabrik, deren automatisierte Roboterarme ihn sichtlich zu verwirren
scheinen.
Abb. 17: Kinder vor einem ausgebrannten Fernseher der Zukunft. Screenshot aus The Terminator, James Cameron, 1984, DVD, MGM Home Entertainment Inc., 2001.
Anders als Garth, der sich durch einen äußeren Eingriff modifizieren
lässt, kann sich der Terminator selbst modifizieren. Er repariert seine
interne Sehnenapplikation und seinen visuellen Apparat, ein rot
leuchtendes Auge (Abb. 18).38 Eine ähnliche Integration der Technik
in den Körper und die Fähigkeit der Cyborgs zur Selbstmodifikation
lässt sich auch in anderen Filmen der 1980er Jahre beobachten: In
38
Zum Hand-Auge-Motiv in Metropolis und Terminator vgl. Trutnau 2005, 52 – 56. Das
Motiv der Sehnen am Handgelenk ist in „Cyborg 2087“ vertreten und taucht auch bei
Caleb in „Ex Machina“ wieder auf, der sich diese Stelle aufschneidet, um zu überprüfen,
ob er ein Mensch ist.
Trüper, Von Menschenbildern und Textmaschinen
495
„Cyborg“ von 1987 lässt sich die Wissenschaftlerin Pearl ihr Gehirn
zum Informationsspeicher umoperieren und enthüllt ihren maschinellen Anteil (Abb. 19). Auch der maschinisierte Polizist „RoboCop“ von 1989 modifiziert sich selbst (Abb. 20). Die subjektiven
Perspektiven der Kameraeinstellung erlauben den Zuschauern seit
den 1980er Jahren, aus den Augen der Cyborgs zu sehen. Die Visualisierungen bei „Terminator“ (1984) und bei „Cyborg“ (1987) gleichen den Benutzeroberflächen von militärischer Flugsimulatoren
(Abb. 21 und Abb. 22), die Sichtweise von „RobCop“ (1989) erinnert
an einen Fernsehbildschirm (Abb. 23). In der Gesellschaft der 1980er
Jahre vollzieht sich eine Integration kodierter Informationssysteme
in die gesellschaftlichen Strukturen – innerhalb und außerhalb der
Filmerzählung. Die subjektiven Perspektiven im Film erlauben den
Schluss, dass sich die Zuschauer zunehmend in der Rolle des Cyborgs zurecht finden.
Im Gegensatz zu Garth, der aufgrund seiner implantierten Sender
in den unterbewussten Gedankenstrom einzelner Menschen eingreifen konnte, interveniert der Terminator in den „Gedankenstrom“ des gesellschaftlich etablierten Telefonnetzwerks. Sein maschineller Innenteil verweist auf seine sprachliche Interaktionsfähigkeit, auf der seine Macht beruht - und auf seine Stärke als kybernetische Maschine. Obwohl die gesellschaftliche Interaktion der 1980er
Jahre auf sprachlichen Medien basiert, die eine Präsenz des menschlichen Körpers in den Hintergrund rücken lassen, bleibt die
„wahre“ menschliche Identität an das menschliche Äußere geknüpft,
auf das der Cyborg keinen Einfluss nehmen kann. Abgesehen von
seinem klischeehaften Auftreten als männlichem Kinohelden ist er
durch sein Sprachwesen der Vorstellung Donna Haraways vergleichbar: Er ist Netzwerkmetapher und Netzwerkteilnehmer zugleich.
496
Visual Past 2016
Abb. 18a. b: Die Selbstmodifikation des Terminators. Screenshot aus The Terminator, James
Cameron, 1984, DVD, MGM Home Entertainment Inc., 2001.
Trüper, Von Menschenbildern und Textmaschinen
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Abb. 19: Pearl als Cyborg. Screenshot aus Cyborg, Albert Pyun, 1989, DVD, MGM Home Entertainment Inc., 2003.
Abb. 20: RoboCop entdeckt sein maschinelles Selbst. Screenshot aus RoboCop, Paul
Verhoeven, 1987, DVD, MGM Home Entertainment Inc., 2001.
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Abb. 21: Sichtweise von Pearl. Screenshot aus Cyborg, Albert Pyun, 1989, DVD, MGM Home
Entertainment Inc., 2003.
Abb. 22: Sichtfeld des Terminators. Screenshot aus The Terminator, James Cameron, 1984,
DVD, MGM Home Entertainment Inc., 2001.
Trüper, Von Menschenbildern und Textmaschinen
499
Abb. 23: Sichtfeld von RoboCop. Screenshot aus RoboCop, Paul Verhoeven, 1987, DVD, MGM
Home Entertainment Inc., 2001.
„Ex Machina“ (Alex Garland, 2015)
Auch die Maschinenfrau Ava aus „Ex Machina“ ist eine verkörperte
Netzwerkmetapher.39 Ihre Künstliche Intelligenz speist sich aus den
Daten des weltgrößten Netzwerkunternehmens „Blue Book“. Jungunternehmer Nathan, der Ava entwickelt hat, hält sie im Untergeschoss seiner modernen Wohn- und Forschungseinrichtung gefangen.40 Über ein simuliertes Preisausschreiben in seinem Unternehmen lädt Nathan den jungen Programmierer Caleb für eine Woche
auf sein Anwesen ein, um zu überprüfen, ob die Künstliche Intelligenz einen „Turing Test“41 bestehen kann. Bei seinem Besuch verbündet sich die Maschinenfrau mit dem Menschen und nutzt ihn für
39
40
41
Da der Film erst kürzlich in die Kinos gestartet ist, kann ich lediglich einen Ausschnitt aus
dem Bildmaterial der offiziellen Webseite des Films zur Verfügung stellen.
Mehrere Anspielungen im Film deute darauf hin, dass es sich bei „Blue Book“ um das
Unternehmen Google handeln könnte. Beispielsweise erläutert Nathan, dass 94% aller
Suchanfragen überdie Server von „BlueBook“ laufen. Der Film spielt auch auf den Ankauf
der acht wichtigsten Roboterfirmen durch Google Ende 2013 an.
Bei einem Turing-Test vergleicht der Testende das Verhalten von zwei Gesprächspartnern. Lässt sich keiner der beiden als Computer identifizieren, ist der Turing-Test bestanden. Bei „Ex Machina“ testen Caleb und Ava sich gegenseitig, bis sich Caleb seines
Menschseins selbst nicht mehr sicher ist.
500
Visual Past 2016
ihr eigenes Experiment, aus Nathans Hochsicherheitstrakt zu entkommen.
Nathans Unterbringung liegt weit abgelegen von jeglicher Infrastruktur in einer wildromantischen Landschaft, in der sich riesige Eisberge mit einer grünen, von Bächen durchzogenen Berglandschaft
abwechseln. Die Landschaft ist ein metaphorisches Bild für die „Weiten des Internets“, das sich 2015 als Universalmedium etabliert hat.
Entsprechend der literaturwissenschaftlichen Untersuchungen von
Sue Thomas bezüglich von Naturmetaphern im Internet könnte das
Eis für „tote Daten“ stehen, die Bäche für den „Informationsfluss“ des Netzwerks von „Blue Book“, der sich in Avas wässrig
blauer Gehrinmasse konzentriert.42 Verschiedene Verweise im Film
charakterisieren Nathans Unterbringung als soziales Netzwerk. Abseits jeglicher fixierter Infrastruktur wie Straßen und Schienen gelegen, ist sie nur über den „dynamischen“ Luftweg per Hubschrauber
oder zu Fuß erreichbar. An der unscheinbaren Pforte wird der Programmierer Caleb bei seinem Besuch von einem Automaten fotografiert und erhält eine Karte auf der sein Abbild eingeprägt ist. Damit
kann er sich in der Woche seines Besuchs bei Nathan „völlig
frei“ durch das Gebäude bewegen – es lassen sich nur die Türen öffnen, die für ihn zugelassen sind. Er erhält ein Gästezimmer im Untergeschoss des Hauses, in dem er über einen Fernseher die Vorgänge in Avas Aufenthaltsraum beobachten kann. Die gesamten
Räume im Untergeschoss werden von Nathan durch Kameras überwacht.
Während Nathan seine Welt durch Bilder regiert, basieren sowohl
Calebs als auch Avas Welt auf Sprache und Code. Auch der Fernseher in Calebs Unterbringung verweist darauf, dass die medialen
Kommunikationsformen der „alten“ Welt von Caleb un Ava in die
neuen Formen eines dynamischen Netzwerks integriert sind. In sei-
42
Thomas 2013, 54: „Watery metaphors are common across the cyberspace, a fact which
is perhaps surprising in an environment which runs on electricity. Water certainly
provides a powerful sense of extent.“
Trüper, Von Menschenbildern und Textmaschinen
501
nem Arbeitsalltag kommuniziert Caleb über Textnachrichten auf seinem Computerbildschirm und seinem Smartphone, während er
Kopfhörer trägt. In der filmischen Schilderung ist die Kamera abwechselnd auf ihn und auf die Bildschirme gerichtet, während kein
gesprochenes Wort zu hören ist. Ava erklärt in einem Dialog mit
Caleb, dass sie ihrer eigenen Vorstellung nach keinen Zustand kennt,
in dem sie nicht sprechen konnte. Sie ist immer schon „eins“, immer
schon Sprache.43 Eine simulierte Nahaufnahme ihrer Gehirnmasse in
Nathans Laboratorien lässt winzige Knotenpunkte erkennen, die wie
kosmische Wolken eines Universums erscheinen. An das Netzwerk
von „Blue Book“ angeschlossen, könnte ihre Figur die Vorstellung
einer kollektiven Intelligenz verkörpern, wie sie in Internetmythen
der 1990er Jahre beschrieben sind.44
Avas Körperbild entspricht nicht der fotografischen Genauigkeit
der Bilder, wie sie in Nathans Welt vorherrschen. Ihre Gestalt ähnelt
den kleinen Zeichnungen, die sie aus winzigen Netzstrukturen anfertigen kann. Bis auf Gesicht und Hände, die menschliches Aussehen
haben, ist Avas transparenter Körper von einer Netzstruktur überzogen, die an Bienenwaben erinnert (Abb. 24). Als „Avatar“45 nimmt
Ava die Rolle eines kommunikativen Platzhalters in Nathans sozialem Netzwerk ein. Aufgrund ihres menschenähnlichen, aber nicht
identischen Aussehens scheint aus einer frühen Form sozialer Netzwerke zu stammen. Für Caleb bietet ihr Körper im Sinne des „Uncanny-Valley“-Syndroms eine Projektionsfläche seines Begehrens
nach menschlichem Kontakt.
43
44
45
Die im Film genannte Referenz zwischen dem Unternehmen „BlueBook“ und
Wittgensteins „Blauem Buch“ müsste in diesem Zusammenhang näher untersucht
werden.
Als Beispiel für diese Phase könnte die programmatische „Declatarion of Independence
of Cyberspace“ des Journalisten und Mitbegründers der „Electronic Frontier Foundation“
John Perry Barlow gelten. Barlow 1996. – Offenbar verfolgt auch Caleb eine idealistische
Vision dieser freiheitlichen Form des Internets. So schwärmt er Ava von einem „blauen
Himmel“ vor, vielleicht eine Anspielung auf Cloud-Infrastrukturen. Nathan dagegen faselt
in seiner traumhaften Trunkenheit von einem dunklen Meer („dark sea“).
Avas Name verweist zudem auf die christliche Figur der „Eva“ die sie als Schöpfung des
gottgleichen Nathan charakterisiert.
502
Visual Past 2016
Abb. 24: Ava. Screenshot der offiziellen Webseite des Films (Ausschnitt), <www.exmachinamovie.com/trailer> (20.05.2015).
Durch die Aufladung ihrer Energievorräte an Plattenkondensatoren
ist Ava in der Lage, kurze Stromausfälle zu erzeugen und in Nathans
Sicherheitssystem zu intervenieren. In den Sitzungen mit Caleb unterbricht sie die Kameraüberwachung und zieht ihn durch „authentische“ Gespräche in den unbeobachteten Momenten ins Vertrauen
über ihre Gefangenschaft. Dabei sehen die Zuschauer zeitweise aus
ihrer Perspektive auf Caleb, der ihr durch eine Glaswand getrennt
gegenübersteht. Analog des roten Sichtfelds des Terminators ist
durch die Alarmfunktion des Stromausfalls alles in rotes Licht getaucht. Ähnlich wie die Arbeiter in Metropolis greifen Caleb und Ava
auf textbasierte und sprachliche Mittel zurück, um ihren Widerstand
im Untergrund zu organisieren. Sein Mitleid berechnend, nutzt Ava
den Programmierer als menschlichen Faktor, um sich zu befreien.
Im Wissen darum, dass die menschliche Gestalt grundlegend für die
Navigation in den sozialen Netzwerken der realen wie der virtuellen
Welt der Menschen ist, eignet sie sich nach ihrem Ausbruch verschiedene Hautteile von androiden Prototypen ihrer selbst an, die sich in
den Spiegelschränken in Nathans Schlafzimmer befinden. Sie kom-
Trüper, Von Menschenbildern und Textmaschinen
503
plettiert ihren transparenten Körper zur Gestalt einer gutaussehenden jungen Frau. An Calebs Stelle fliegt sie mit dem Hubschrauber
aus dem „virtuellen Raum“ in die vernetzte Welt der Alltagsmenschen zurück. In einer Filmaufnahme erscheint ihre Silhouette zwischen den Schatten der Menschen einer Fußgängerzone. Ihre Verwandlung und die Reise in die „alte Welt“ erlaubt den Schluss, dass
Menschen und Maschinen 2015 anhand der Simulation eines
menschlichen Bilds austauschbar geworden sind – sowohl in der vernetzen, körperlichen Welt der Menschen als auch im virtuellen Raum
des „Cyberspace“.
Was Cyborgs im Film über den Wandel
medialer Kommunikation erzählen
Der historische Vergleich zeigt, dass das Motiv der „Menschmaschine“ nach „Metropolis“ in den Cyborg-Figuren von Science-Fiction-Filmen fortgeführt und weiterentwickelt wird. Als Handlungsträger erlauben die Cyborg-Figuren, die Auswirkungen „anonymer“ technischer Kommunikationsmedien und auf gesellschaftliche
Zusammenleben zu verhandeln. Die spezifische Art, wie Cyborgs in
mediale Kommunikation intervenieren, steht mit ihrer menschlichen
Gestalt in Zusammenhang.
In den 1960er und 1980er Jahren, der Hochphase der Kybernetik
und der postmodernen Theoriebildung, verliert menschliche Gestalt
der Cyborg-Figuren für ihre Intervention in technische Kommunikationsmedien an Bedeutung. Der Cyborg Garth von 1966 und der
Terminator von 1984 greifen vor allem auf die technischen Bestandteile in ihrem Körper zurück, um auf sprachlicher Ebene in die gesellschaftliche Kommunikation zu intervenieren. Bei HEL und Ava
spielt dagegen das menschliche Aussehen eine entscheidende Rolle.
HEL übernimmt 1927 aufgrund ihrer menschlichen Gestalt die Rolle
eines menschlichen „Mediums“, Avas abgewandelte menschliche
Gestalt bietet Anreize zur Interaktion. Über subjektive Perspektiven
der Kameraeinstellungen werden die Zuschauer der Science-FictionFilme seit den 1980er Jahren zunehmend in die Rolle der Cyborgs
einbezogen. Zugleich werden die Cyborg-Figuren autonomer in ihrer
504
Visual Past 2016
körperlichen Gestaltung. Während sich die Maschinen-Maria und
Garth von Außen modifizieren lassen, repariert der Terminator seine
technische Funktionalität 1984 selbst. 2015 greift Ava selbstbewusst
zu neuer Haut.
Die visuelle Identifizierung, die man mit dem „kybernetischen
Menschenbild“ überwunden glaubte, gewinnt mit der Etablierung
des Internets in den 1990er Jahren wieder an Bedeutung. Das
menschliche Äußere der Maschine, das bei der Maschinen-Maria zu
Beginn des 20. Jahrhunderts so unheimlich erschien, kehrt zu Beginn
des 21. Jahrhunderts als „Avatar“ in sozialen Netzwerken zurück.
Auf der interaktiven Webseite des Films „Ex Machina“ zeichnet Ava
in winzigen Netzstrukturen Fotografien der Nutzer ab, die anschließend in einer Onlinegalerie veröffentlicht werden (Abb. 25). Ob
Mensch oder Cyborg – mit dem persönlichen Netzwerk-Bild stehen
2015 jedem imaginären Nutzer die Türen zu „BlueBook“ offen.46
Abb. 25: Eine Zeichnung von Ava auf der interaktiven Webseite zu Ex Machina. Screenshot der
interaktiven Webseite zu Ava (Ausschnitt), <http://ava-sessions.com/drawings> (27.05.2015).
46
Vgl. <http://ava-sessions.com/drawings/> (27.05.2015) und <www.bluebook.is>
(28.05.2015).
Trüper, Von Menschenbildern und Textmaschinen
505
Lena Trüper ist ausgebildete Chemielaborantin und studiert seit 2011 Kunstwissenschaften
an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Ihr Interessenschwerpunkt liegt in der Erforschung der Übernahme naturwissenschaftlicher Entwicklungen und Konzepte in die
Kunst als Ausgangspunkt für die Analyse einer gesellschaftlichen Ideologiebildung. 2012
wirkte sie an der Organisation der studentischen Tagung „Kunst-Erkenntnis-Problem. Möglichkeiten emazipatorischer Kunst heute“ mit (http://www.kunst-erkenntnis-problem.de).
506
Visual Past 2016
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