AKTUELLES STEUERRECHT 2016 Mit Prof. Dr. Herbert Grögler | Steuerberater TEIL II – ERGÄNZUNG Aus dem Inhalt Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz: Die Hängepartie geht weiter! Seminarreihe AKTUELLES STEUERRECHT 2016 TEIL II Verfasser: Prof. Dr. Herbert Grögler | Steuerberater Alle Rechte vorbehalten. Alle Angaben ohne Gewähr. Diese Unterlagen einschließlich aller Teile sind urheberrechtlich geschützt. Die Weitergabe an Dritte sowie die Vervielfältigung, Übersetzung, Mikroverfilmung und elektronische Verarbeitung -gleich welcher Art- ist nicht gestattet. © 2016 AWS oHG und Prof. Dr. Grögler AWS ARBEITSKREIS FÜR WIRTSCHAFTS- UND STEUERRECHT OHG | ADENAUERALLEE 32 | 61440 OBERURSEL TELEFON: 06171-69960 | TELEFAX: 06171-699610 | [email protected] | WWW.AWS-ONLINE.DE AWS A. ARBEITSKREIS FÜR WIRTSCHAFTS- UND STEUERRECHT Seite E - 1 Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz: Die Hängepartie geht weiter! 1. Vorgeschichte Schon unmittelbar nachdem sich die an der gegenwärtigen Bundesregierung beteiligten Parteien auf einen Kompromiss zur Neuregelung der Erbschaft- und Schenkungsteuer geeinigt hatten, war es bereits fraglich, ob der Bundesrat, in welchem die sog. Große Koalition über keine eigene Mehrheit verfügt, der vom Bundestag am 24.06.2016 beschlossenen Fassung des Gesetzes überhaupt zustimmen wird. Dies galt zunächst vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Partei „Die Grünen“ an immerhin 10 von 16 Landesregierungen beteiligt ist. Hinzu kommt, dass auch aus der SPD sehr bald kritische Stimmen zu hören waren. Demgemäß kam die Entscheidung des Bundesrats vom 08.07.2016256 nicht wirklich überraschend: Dieser hat nämlich beschlossen, zu dem vom Deutschen Bundestag am 24.06.2016 verabschiedeten Gesetz gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes die Einberufung des Vermittlungsausschusses mit dem Ziel einer „grundlegenden Überarbeitung“ zu verlangen. 2. 2.1 Die Konsequenzen der Überweisung des Gesetzes in den Vermittlungsausschuss Aufgrund des Beschlusses des Bundesrats vom 08.07.2016 steht fest, dass es vor der sog. „parlamentarischen Sommerpause“ zu keinem In-Kraft-Treten des „reformierten“ Erbschaftund Schenkungsteuergesetzes mehr kommen kann. Hierdurch wird es in jedem Fall zu einer (erheblichen) Überschreitung der vom Bundesverfassungsgericht mit seiner Entscheidung vom 17.12.2014257 gesetzten Frist „30.06.2016“ kommen. Zwar weist die Bundesregierung im Zusammenhang mit der vom Bundestag beschlossenen Fassung des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes (wohl durchaus zu Recht) darauf hin, dass eine rückwirkende In-Kraft-Setzung der beabsichtigten Neuregelungen per 01.07.2016 insoweit verfassungsrechtlich unbedenklich sein dürfte, als es die im 24.06.2016 erteilte Zustimmung des Bundestages verhindert hat, dass ein schützenwertes Vertrauen in den Fortbestand der bisherigen Regelungen entstehen konnte. Dies ist aber doch gar nicht die wirklich bedeutsame Frage: Diese lautet vielmehr, ob ein Gesetz, für welches das Bundesverfassungsgericht eine zeitlich klar begrenzte Weiteranwendung gestattet hat, nach Ablauf dieser Frist und vor der Zustimmung aller hieran beteiligten Verfassungsorgane überhaupt noch angewendet werden darf. 256 257 BR-Drucksache 344/16 1 BvL 21/12 vom 17.12.2014, Tz. 5 in Aktuelles Steuerrecht I/2015 Aktuelles Steuerrecht 2016 Teil II mit Prof. Dr. Herbert Grögler Seite E - 2 ARBEITSKREIS FÜR WIRTSCHAFTS- UND STEUERRECHT AWS 2.2 Dies wäre schon dann fraglich gewesen, wenn der Bundesrat dem Gesetz am 08.07.2016 seine Zustimmung erteilt hätte. Da er dies aber gerade nicht getan hat und weil die nächste (reguläre) Plenarsitzung des Bundesrats erst für den 23.09.2016 terminiert ist, wird dies den „gesetzlosen“ Zeitraum erheblich verlängern und die Zweifel daran vergrößern, ob nach dem 30.06.2016 und vor der Zustimmung des Bundesrats zu einem neuen Gesetz in Deutschland Erbschaft- und Schenkungsteuer überhaupt erhoben werden darf. Hierauf hatte ich schon unter der Tz. 42.2 im Manuskript zu den Veranstaltungen des II. Quartals 2016 hingewiesen. Dies gilt nunmehr deshalb umso mehr, als wegen der Überweisung des Gesetzes an den Vermittlungsausschuss mit dem Ziel einer „grundlegenden Überarbeitung“ zudem auch noch mit inhaltlichen Änderungen des vom Bundestag am 24.06.2016 beschlossenen Gesetzes zu rechnen ist. 2.3 Hieraus wird die Beratungspraxis ihre Konsequenzen zu ziehen haben. Insbesondere wird es unumgänglich sein, zumindest hinsichtlich solcher Erbfälle, die nach dem 30.06.2016, aber vor der Zustimmung des Bundesrats zu einem „reformierten“ Gesetz stattgefunden haben oder nach stattfinden werden, den Einwand der fehlenden Rechtsgrundlage für die Festsetzung von Erbschaft- und Schenkungsteuer zu erheben. 2.4 Auf einem ganz anderen Blatt steht allerdings die Frage, ob das Bundesverfassungsgericht nicht bereit und auch berechtigt sein könnte, die in seiner Entscheidung vom 17.12.2014258 enthaltene Weitergeltungsanordnung auch der verfassungswidrigen Teile des Erbschaftund Schenkungsteuergesetzes über den 30.06.2016 hinaus zu verlängern. Hierzu hat das Gericht am 14.07.2016 erstmals Stellung genommen: Per Pressemitteilung259 weist das Bundesverfassungsgericht zunächst darauf hin, dass die ja von ihm selbst eingeforderte Gesetzesänderung „bis heute“ nicht erfolgt ist. Weiter wird in dieser Mitteilung ausgeführt, dass der Vorsitzende des zuständigen Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts die Bundesregierung, den Bundestag und den Bundesrat mit Schreiben vom 12.07.2016 darüber informiert hat, dass sich das Gericht nach der Sommerpause Ende September mit dem weiteren Vorgehen im Normenkontrollverfahren um das Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz „befassen“ wird. Welches Ergebnis diese erneute „Befassung“ haben wird, ist gegenwärtig nicht absehbar, auch wenn eine dem Gesetzgeber gewährte Fristverlängerung insbesondere mit Rücksicht auf die Staatsfinanzen durchaus vorstellbar ist. Dies kann aber an der oben skizzierten Geltendmachung der fehlenden gesetzlichen Grundlage durch die Beratungspraxis zunächst nichts ändern. 258 259 1 BvL 21/12 vom 17.12.2014, Tz. 5 in Aktuelles Steuerrecht I/2015 Nr. 41/2016 Aktuelles Steuerrecht 2016 Teil II mit Prof. Dr. Herbert Grögler AWS ARBEITSKREIS FÜR WIRTSCHAFTS- UND STEUERRECHT 3. 3.1 Seite E - 3 „Nachrichtlich“: Die Inhalte des vom Bundestag verabschiedeten Gesetzes Vorbemerkung Festzuhalten bleibt es somit, dass es momentan einerseits in Deutschland kein verfassungskonformes Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz gibt und dass sich andererseits ein vom Vermittlungsausschuss verabschiedetes Gesetz inhaltlich von demjenigen Gesetz unterscheiden wird, das der Bundestag am 24.06.2016 verabschiedet hat. Die diesbezügliche Vorlage des Finanzausschusses des Bundesrats vom 30.06.2016260 lässt die wesentlichen Forderungen derjenigen Parteien erkennen, die die Länderkammer gegenwärtig dominieren: Die vorgesehene Privilegierung der Übertragungsmöglichkeiten bei Familienunternehmen ist zu prüfen. Jedenfalls die Erweiterung auf Mitgesellschafter ist zu streichen. Die Gewährung der Optionsverschonung soll weiterhin an die Voraussetzung von max. 10 v.H. Verwaltungsvermögen zu knüpfen sein. Die vorgesehene Begünstigung bei Beteiligungen an gewerblich geprägten Personengesellschaften (sowie Kapitalgesellschaften analog) wird abgelehnt. Eine Überdotierung des Altersvorsorgevermögens wird abgelehnt. Eine Wiederbelebung der sog. „Bargeld-GmbH“ wird abgelehnt. Die Abschmelzzone für den Verschonungsabschlag soll bei einem geringeren Betrag als 90 Mio. auslaufen und „stufenlos“ – also ohne die 750.000 -Stufen – ausgestaltet werden. Die Möglichkeit einer zinslosen Stundung der Steuer bis zu 10 Jahren wird als „nicht akzeptabel“ abgelehnt. Die Änderung des Bewertungsgesetzes wird abgelehnt. Aus diesem Grund habe ich nachfolgend die in dem vom Bundestag am 24.06.2016 beschlossenen Gesetz enthaltenen Lösungen des Gesetzgebers lediglich „nachrichtlich“ und mit dem ausdrücklichen Hinweis dargestellt, dass diese allenfalls die Grundlage der kommenden Verhandlungen im Vermittlungsausschuss darstellen. 260 BR-Drucksache 344/1/16 Aktuelles Steuerrecht 2016 Teil II mit Prof. Dr. Herbert Grögler Seite E - 4 ARBEITSKREIS FÜR WIRTSCHAFTS- UND STEUERRECHT 3.2 Problembereich „Erhalt der Arbeitsplätze“ 3.2.1 Der Befund des Bundesverfassungsgerichts AWS Wie das Bundesverfassungsgericht261 unmissverständlich herausgestellt hat, sind besondere Begünstigungen für den Erwerb speziell betrieblichen Vermögens durch Erbschaft oder Schenkung zwar nicht per se verfassungswidrig, sie müssen aber den Interessen des Gemeinwohls dienen. Mit Blick hierauf muss sichergestellt sein, dass nach einem insoweit begünstigten Erwerb die betrieblichen Arbeitsplätze erhalten bleiben. Dem genügt das Gesetz (Lohnsummenregelung gem. § 13a Abs. 1, § 13a Abs. 8 Ziff. 1, § 13a Abs. 1 Satz 4 ErbStG) in seiner bisherigen Fassung aber nicht. Die Regelung, wonach bei Betrieben mit bis zu 20 Mitarbeitern der an der Lohnsumme gemessene Erhalt der Arbeitsplätze nicht überprüft wird, ist verfassungswidrig; Ausnahmen von dieser Nachweis- und Prüfungspflicht sind nach Auffassung des Gerichts nur bei Betrieben mit „ganz wenigen“ Mitarbeitern zulässig. Mit Blick auf eine mögliche Nachbesserung hat es das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber überlassen, ob dieser an der Lohnsummenregelung festhält und ob auch zukünftig (alleine) die Anzahl der Mitarbeiter für die Steuerbefreiung maßgebend ist. 3.2.2 Die Lösung des Gesetzgebers Nach langem Hin und Her hat sich die gegenwärtige Bundesregierung insoweit darauf geeinigt, dass die Lohnsummenkontrolle (§ 13a Abs. 3 ErbStG-E) unter Geltung des geänderten Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes nur noch dann komplett entfällt, wenn der Betrieb nicht mehr als fünf Beschäftigte hat. Daneben soll es für Betriebe mit mehr als fünf, aber mit nicht mehr als zehn Beschäftigten eine Reduzierung der einzuhaltenden Lohnsumme geben; für diese soll die für den Zugang zur Regelverschonung von 85 v.H. gem. § 13a Abs. 1 ErbStG-E einzuhaltende und nachzuweisende Lohnsumme nicht bei 400 v.H. der Ausgangslohnsumme, sondern bei lediglich 250 v.H. dieser Summe innerhalb von fünf Jahren nach dem Erwerb liegen. Zur Ermittlung der Zahl der Arbeitnehmer enthält der nunmehr von der Regierungskoalition vorgelegte Gesetzestext Klarstellungen. Hierbei sollen nämlich ausdrücklich solche Arbeitnehmer unberücksichtigt bleiben, die sich im Mutterschutz oder in einem Ausbildungsverhältnis befinden, die Kranken- oder Elterngeld beziehen oder die nicht ausschließlich oder überwiegend in dem betreffenden Betrieb tätig sind (Saisonarbeiter). 261 1 BvL 21/12 vom 17.12.2014, Tz. 5 in Aktuelles Steuerrecht I/2015 Aktuelles Steuerrecht 2016 Teil II mit Prof. Dr. Herbert Grögler AWS ARBEITSKREIS FÜR WIRTSCHAFTS- UND STEUERRECHT 3.3 Problembereich „Begünstigung nur des produktiven Vermögens“ 3.3.1 Befund des Bundesverfassungsgerichts Seite E - 5 Grundgesetzwidrig sind nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts262 auch die bisherigen Regelungen zum Umfang des zulässigen Verwaltungsvermögens gem. § 13b Abs. 2, § 13a Abs. 8 Ziff. 3 ErbStG insoweit, wie ein Verwaltungsvermögensanteil von bis zu 50 v.H. grundsätzlich unschädlich ist. Diese Sichtweise hat das Gericht damit begründet, dass es sich hierbei ja quasi um eine Aufforderung an die Betroffenen handelt, vor einer geplanten Übertragung dem Betrieb zunächst privates Vermögen bis zur jeweils geltenden Unschädlichkeitsgrenze als Verwaltungsvermögen zuzuführen und dieses in der Folge unter Ausnutzung der Begünstigungen an die nachfolgende Generation weiterzugeben. Hieran ändert aus Sicht des Gerichts weder die Tatsache etwas, dass sog. junges Verwaltungsvermögen, also Vermögen, das dem Betrieb innerhalb der letzten beiden Jahre vor der Übertragung zugeführt wurde, gem. § 13b Abs. 2 Satz 3 ErbStG schon heute nicht begünstigungsfähig ist, noch dass dem simplen Gestaltungsmodell der sog. „Bargeld-GmbH263“ bereits mit Wirkung vom 07.06.2013 das Wasser abgegraben wurde. 262 263 3.3.2 Lösung des Gesetzgebers 3.3.2.1 Erfreulicherweise hat sich die Regierungskoalition zunächst darauf geeinigt, von ihrem ursprünglichen Projekt einer sog. „Hauptzweckprüfung“ Abstand zu nehmen. Hiernach sollte für die Bestimmung des zu begünstigenden „betriebsnotwendigen Vermögens“ der Hauptzweck der unternehmerischen Tätigkeit maßgeblich sein. Nur solche Wirtschaftsgüter, die zu mehr als 50 v.H. diesem Hauptzweck dienen, sollten zum begünstigten Vermögen zählen; dienen sie hingegen nur bis zu 50 v.H. diesem Hauptzweck oder – losgelöst vom Betrieb – der Vermögensverwaltung, sollten sie der Besteuerung unterliegen. Dieser Vorschlag, der eine kaum zu bewältigende Mehrarbeit sowohl für die Beratungspraxis wie auch für die Dienststellen der Finanzverwaltung mit sich gebracht hätte, wurde im Ergebnis aber nicht umgesetzt; vielmehr soll es bei der bisherigen Abgrenzung zwischen begünstigungsfähigem Produktivvermögen und grundsätzlich nicht begünstigtem Verwaltungsvermögen bleiben. 3.3.2.2 Flankiert werden soll die grundsätzliche Einteilung des betrieblichen Vermögens in zwei Kategorien durch folgende Regelungen: 1 BvL 21/12 vom 17.12.2014, Tz. 5 in Aktuelles Steuerrecht I/2015 vgl. hierzu § 13b Absatz 2 ErbStG in dessen Fassung nach dem sog. „Gesetz zur Umsetzung der Amtshilferichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften“, BGBl I 2013 S. 1809, Tz. 67.5 in AktStR III/2013 Aktuelles Steuerrecht 2016 Teil II mit Prof. Dr. Herbert Grögler Seite E - 6 ARBEITSKREIS FÜR WIRTSCHAFTS- UND STEUERRECHT AWS Die verfassungsrechtlich beanstandete unschädliche Verwaltungsvermögensquote von 50 v.H. bei der Regelverschonung (sog. Alles-oder-Nichts-Prinzip) wird ersatzlos gestrichen. Künftig soll der nach anteiligem Abzug von Schulden und dem pauschalem Abzug von sog. „unschädlichem Verwaltungsvermögen“ verbleibende Nettowert des Verwaltungsvermögens (Nettoverwaltungsvermögen) besteuert werden (§ 13b ErbStG-E). Als „unschädlich“ soll hierbei jedoch ein Anteil von bis zu 10 v.H. an „allgemeinem“ Verwaltungsvermögen gelten (§ 13b Abs. 7 ErbStG-E). Für betriebliche Einheiten mit einem Verwaltungsvermögensanteil von 90 v.H. oder mehr soll es keinerlei Begünstigung geben (§ 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG-E). Als zu begünstigendes Produktivvermögen gelten bis zu 15 v.H. Barmittel; „junge“ Finanzmittel sind allerdings Verwaltungsvermögen und sollen stets der Besteuerung unterliegen (vgl. § 13b Absatz 8 ErbStG-E). Als zu begünstigendes Produktivvermögen gelten daneben „betriebsfördernd“ oder für Zwecke der Land- und Forstwirtschaft verpachtete Grundstücke, Vermögenswerte zur betrieblichen Altersvorsorge und bestimmte Drittlandsbeteiligungen. Verwaltungsvermögen, das noch der Erblasser zur Investition in Produktivvermögen bestimmt hat und das auch tatsächlich innerhalb von 2 Jahren nach dem Erbfall zu diesem Zweck verwendet wird, soll „zur Vermeidung von Härtefällen wegen des Stichtagsprinzips“ rückwirkend auf den Erbfall dem Produktivvermögen zugerechnet (§ 13b Abs. 5 ErbStG-E) werden. Da derartige Härtefälle nach Auffassung der Bundesregierung bei Schenkungen unter Lebenden deshalb ausgeschlossen sind, weil Schenkungen und deren Vollzug planbar sind, soll diese Investitionsklausel nur bei Erwerben von Todes wegen anwendbar sein. 3.4 Problembereich „Bedürftigkeit des Erwerbers“ 3.4.1 Befund des Gerichts Verfassungswidrig ist nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts264 auch die bisherige Gewährung der Verschonungen für den Erwerb betrieblichen Vermögens ohne Bedürfnisprüfung (§§ 13a, 13b ErbStG). Zumindest beim Erwerb „größeren unternehmerischen Vermögens“ muss künftig geprüft werden, ob die Verschonung erforderlich ist, um die Arbeitsplätze und/oder das Unternehmen zu erhalten. Hierbei hat es das Bundesverfassungsgericht allerdings sowohl offen gelassen, was ein „großes Unternehmen“ sein soll, als auch wie eine „Bedürftigkeitsprüfung“ auszusehen hat. 264 1 BvL 21/12 vom 17.12.2014, Tz. 5 in Aktuelles Steuerrecht I/2015 Aktuelles Steuerrecht 2016 Teil II mit Prof. Dr. Herbert Grögler AWS ARBEITSKREIS FÜR WIRTSCHAFTS- UND STEUERRECHT 3.4.2 Seite E - 7 Lösung des Gesetzgebers Die gegenwärtige Bundesregierung hat sich insoweit auf folgende Regelungen verständigt: Die „Prüfschwelle“ für größeres unternehmerisches Vermögen soll künftig bei 26 Mio. Wert des Erwerbs je Erwerber (§ 28a Abs. 1 ErbStG-E) liegen. Für Erwerbe unterhalb dieser Schwelle soll es somit auch künftig keine Prüfung dahingehend geben, ob eine Verschonung zum Zwecke des Erhalts des Betriebes bzw. der dort vorhandenen Arbeitsplätze erforderlich ist. Wenn und soweit die Prüfschwelle überschritten ist, ist eine Offenlegung des Vermögens des Erwerbers verbunden mit einem Steuererlass bei „Nicht-Zahlen-Können“ aus dem sog. „verfügbaren Vermögen“ vorgesehen. Dieses sog. verfügbare Vermögen soll nach § 28a Abs. 2 ErbStG-E 50 v.H. der Summe der gemeinen Werte des mit der Erbschaft oder Schenkung zugleich übergegangenen Vermögens, das nicht zum begünstigten Vermögen im Sinne des § 13b Absatz 2 ErbStG gehört, sowie des dem Erwerber im Zeitpunkt der Entstehung der Steuer (§ 9 ErbStG) bereits gehörenden Vermögens, das nicht zum begünstigten Vermögen im Sinne des § 13b Absatz 2 ErbStG zählen würde, umfassen. Kommt es demgegenüber zu einer Zahlung von Steuern, soll der Erwerber im Erbfall Anspruch auf eine zinslose Stundung für einen Zeitraum von bis zu zehn Jahren haben (§ 28 Abs. 2 ErbStG-E). Ohne Vermögensoffenlegung soll der Erwerber betrieblichen Vermögens demgegenüber nur Anspruch auf eine abschmelzende Begünstigung haben. Der Abschmelzverlauf des Verschonungsabschlags von 85 v.H. bei der Regelverschonung (§ 13a Absatz 1 ErbStG) beziehungsweise von 100 v.H. bei der Optionsverschonung (§ 13a Absatz 10 ErbStG) soll gem. § 13c Abs. 1 Satz 1 ErbStG-E so geregelt werden, dass der Verschonungsabschlag künftig um einen Prozentpunkt je 750.000 sinkt, die der Wert des begünstigt erworbenen Vermögens die Wertgrenze von 26 Millionen übersteigt. Allerdings soll bei der Optionsverschonung ab einem Wert des erworbenen begünstigten Vermögens von 90 Millionen kein Verschonungsabschlag mehr gewährt werden (§ 13c Abs. 1 Satz 2 ErbStG-E). Der Faktor für das vereinfachte Ertragswertverfahren, der gegenwärtig ja bei 17,86 liegt, soll gem. § 203 Abs. 2 Satz 2 BewG-E in Abhängigkeit von dem jeweils geltenden Basiszins auf höchstens 12,5 gedeckelt werden. Aktuelles Steuerrecht 2016 Teil II mit Prof. Dr. Herbert Grögler Seite E - 8 ARBEITSKREIS FÜR WIRTSCHAFTS- UND STEUERRECHT AWS Gem. § 13a Abs. 9 ErbStG-E ist ein Wertabschlag von bis zu 30 v.H. für „Familienunternehmen“ vorgesehen. Für eine Zuordnung zu dieser Kategorie sollen kumulativ folgende Beschränkungen vorliegen müssen: Die Entnahme oder Ausschüttung der Gewinne ist begrenzt Verfügungen über die Beteiligung an einer Personengesellschaft oder den Anteil an einer Kapitalgesellschaft sind nur zugunsten von Mitgesellschaftern, von Angehörigen im Sinne des § 15 AO oder einer Familienstiftung zulässig. Für den Fall des Ausscheidens aus der Gesellschaft ist eine Abfindung vorgesehen, die unter dem gemeinen Wert der Beteiligung an der Personengesellschaft oder des Anteils an der Kapitalgesellschaft liegt. Hierbei soll die Höhe des Abschlags der im Gesellschaftsvertrag oder in der Satzung tatsächlich bestimmten prozentualen Minderung der Abfindung gegenüber dem gemeinen Wert entsprechen und darf 30 v.H. nicht übersteigen. Die diesbezüglichen Beschränkungen müssen in einem Zeitraum von zwei Jahren vor und von 20 Jahren nach dem Zeitpunkt der Steuerentstehung (§ 9 ErbStG) gelten. Aktuelles Steuerrecht 2016 Teil II mit Prof. Dr. Herbert Grögler
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