Video-Thema Begleitmaterialien DIE SCHÖNHEIT VERLASSENER ORTE In vielen Städten stehen Gebäude, die nicht mehr genutzt werden und langsam verfallen. Die besondere Schönheit der verlassenen Gebäude zeigen sogenannte „Urban Explorer“ wie Arno Specht auf ihren Fotos in Büchern oder im Internet. In und um Berlin werden Führungen durch leer stehende Gebäude angeboten. Das Interesse daran ist groß. MANUSKRIPT SPRECHER: Stillgelegte Fabriken, ausgediente Bunker, verlassene Orte: Für die einen sind es Schandflecke, doch für immer mehr Menschen sind es vor allem faszinierende Fotomotive. Sie bezeichnen sich auch als „Urban Explorer“, also urbane Entdecker. Der deutsche Fotograf und Journalist Arno Specht erkundet solche verlassenen Orte seit Jahren. Seine Kamera hat er immer dabei. ARNO SPECHT (Urban Explorer): Eine gewisse Faszination fürs Morbide oder für außergewöhnliche Orte war schon immer vorhanden. So die Initialzündung war eigentlich ein Zufall. Vor einigen Jahren hat mein Sohn mal im Netz Bilder von den Heilstätten in Beelitz entdeckt. Und das war für mich dann so die Faszination: auf einmal zu sehen, dass es ganze Orte, ganze relativ große Komplexe gibt, die am Stück sich selbst überlassen sind, verlassen sind, ihre eigene Ästhetik entwickeln. SPRECHER: Seit 2007 erforscht Arno Specht vor allem die ostdeutschen Bundesländer, dokumentiert leer stehende Gebäude und deren Geschichte. Er ist fasziniert von der Ästhetik des Verfalls. Mittlerweile hat er vier Bildbände veröffentlicht: über Berlin, Leipzig, Dresden und Mecklenburg-Vorpommern. ARNO SPECHT: Urban-Exploration ist natürlich ’n gewisser Gegenpol zu einer Welt, die immer durchgeplanter, inszenierter … ja, gestylter auch wird, ja? Wenn ich jetzt hier in so ’n Raum reinkomme, hier ist nichts geplant, hier ist nichts aufbereitet, hier ist eigentlich alles mehr oder weniger ein Zufallsprodukt. Wenn man sich die Pflanzen anschaut, die halt eben irgendwo gewachsen sind im Laufe der Zeit … oder der Putz, der nach irgendwelchen Naturgesetzen runterbröselt – an manchen Stellen hebt er, an manchen fällt er runter –, eigene Kunstwerke schafft, ’ne eigene Ästhetik, wo aber kein Mensch dahintersteckt, sondern die einfach nur entstehen, wenn man ein Gebäude jetzt über 20, 30 Jahre sich und der Natur und dem Wetter überlässt. Seite 1/6 Deutsch zum Mitnehmen www.dw.com/videothema Deutsche Welle Video-Thema Begleitmaterialien SPRECHER: In den vergangenen Jahren sind zahlreiche Fotobildbände dieser Art auf dem Buchmarkt erschienen. Auch im Netz hat sich das Phänomen schnell verbreitet: Zahlreiche Blogs widmen sich dem Thema Urban Exploration. Auf Social-Media-Plattformen wie Instagram oder Facebook wächst die Community stetig. Der Boom ist neu, die Bewegung aber nicht: Vor gut 25 Jahren hat sich mit dem Fall der Mauer gerade in der ehemaligen DDR ein neues Feld für Urban Explorer eröffnet. ARNO SPECHT: Ein System verschwindet, und mit dem System verschwinden auch bestimmte Aufgaben, bestimmte Institutionen, bestimmte Einrichtungen. Natürlich ganze Wirtschaftseinheiten sind aufgelöst worden, abgewickelt worden. Es war auf einen Schlag ’n riesen Umbruch da, der Leerstand verursacht. SPRECHER: Die Bewegung hat ihre Wurzeln in den USA: Der industrielle Niedergang in Städten wie Detroit führte ab den 1950er-Jahren zum Verfall ganzer Stadtviertel, die zum Spielplatz für Kreative wurden. Ähnliche Entwicklungen gab es auch in anderen Ländern. Eine Immobilien-Krise in den 1980er-Jahren tritt in Japan die UrbanExploration-Bewegung los, die dort „Haikyo“ genannt wird. Auf das mittlerweile große Interesse in Europa hat auch die Firma „go2know“ reagiert. In und um Berlin bietet sie spezielle Touren an, bei denen man leer stehende Gebäude legal besichtigen und fotografieren kann: Urban Exploration ohne Risiko. Eine der beliebtesten Touren: das Haus der Offiziere in Wünsdorf, rund anderthalb Stunden von Berlin entfernt. Auf dem Gelände wohnten im Kalten Krieg bis zu 60.000 sowjetische Soldaten. 1994 zog die Armee ab, seitdem steht das Gebäude leer. Arnas Diemann ist Tourleiter bei „go2know“ ARNAS DIEMANN (Tourleiter bei „go2know“): Wir haben im Grunde meistens mehr Nachfrage, als wir anbieten können. Man kann nicht zu viele Leute auf die Orte nehmen, das halten die Orte nicht auf … aus. Wir gehen ja auch respektvoll mit den Orten um. Also, sprich: Wenn wir da zweimal Touren machen mit 500 Leuten, dann ist der Ort so hinüber, dass da nie wieder einer ’ne Tour machen kann. Und darum versuchen wir im Grunde, mit kleinen Grüppchen und aber dafür gehäuft die Touren anzubieten. SPRECHER: Heute haben sich 18 Teilnehmer angemeldet. Für 40 Euro können sie das Objekt in Ruhe erforschen. Viele von ihnen sind Hobby-Fotografen. BESUCHER 1: Die Faszination, dass diese Orte hier mal irgendwann eine Nutzung hatten, die man auch noch ahnen oder ’n bisschen spüren kann. BESUCHER 2: Die Ruhe, Motive, die man sonst nicht sieht, Orte, wo man nicht hinkommt. Das ist sehr spannend. Seite 2/6 Deutsch zum Mitnehmen www.dw.com/videothema Deutsche Welle Video-Thema Begleitmaterialien BESUCHERIN 1: Ich wollt’s sehen und ich fotografiere es dann ganz nett, dass man ’n paar Erinnerungsbilder hat. Ich bin kein Profi-Fotograf, ich knips hier nur rum. SPRECHER: Urban Exploration hat sich zu einer weltweiten Bewegung entwickelt. Arno Specht glaubt, dass dieser Boom noch eine Weile anhalten wird. Seite 3/6 Deutsch zum Mitnehmen www.dw.com/videothema Deutsche Welle Video-Thema Begleitmaterialien GLOSSAR etwas still|legen – etwas (z. B. eine Fabrik) nicht mehr nutzen; einen Betrieb schließen ausgedient – hier: so, dass etwas nicht mehr benutzt wird Bunker, - (m.) – ein Gebäude oder ein Zimmer unter der Erde, das so gebaut ist, dass es bei Bombenangriffen nicht kaputt geht Schandfleck, -e (m.) – hier: ein hässlicher, unschöner Ort faszinierend – spannend; sehr interessant; beeindruckend (Substantiv: die Faszination) Fotomotiv, -e (n.) – etwas (z. B. eine Landschaft), das von jemandem fotografiert wird urban – städtisch gewiss - hier: nicht genauer bestimmt morbid – hier: in sehr schlechtem Zustand; kaputt Initialzündung, -en (f.) - hier: ein Ereignis, das dafür sorgt, dass viele Änderungen gemacht werden; der Grund, weshalb etwas (Neues) begonnen wird Netz (n., nur Singular) – hier: das Internet Heilstätte, -n (f.) – alter Ausdruck für: ein Ort, an dem Kranke mit bestimmten Krankheiten gesund werden können Komplex, -e (m.) – hier: mehrere Gebäude, die zusammengehören und oft miteinander verbunden sind sich selbst überlassen – so, dass sich niemand um jemanden/etwas kümmert Ästhetik, -en (f.) – hier: die Schönheit; der Stil Verfall (m., nur Singular) – der immer schlechter werdende Zustand von jemandem oder etwas Gegenpol, -e (m.) – hier: etwas, das völlig verschieden ist von etwas anderem etwas durch|planen – den Ablauf/die Reihenfolge von etwas sehr gut organisieren etwas inszenieren – hier: etwas nur darstellen; etwas nur spielen; etwas aufführen etwas stylen (aus dem Englischen) – hier: etwas schön machen Seite 4/6 Deutsch zum Mitnehmen www.dw.com/videothema Deutsche Welle Video-Thema Begleitmaterialien etwas auf|bereiten – hier: etwas so verändern, dass es besser oder schöner wird Zufallsprodukt, -e (n.) – etwas, das entstanden ist, ohne dass es so geplant war Putz (m., nur Singular) – eine Schicht aus einem besonderen Material, das auf Wände von Gebäuden aufgetragen wird, um sie zu schützen runter|bröseln – umgangssprachlich für: in kleinen Stücken von etwas herunterfallen (z. B. von Farbe auf einer Wand) dahinter|stecken – der Grund für etwas sein Phänomen, -e (n.) – hier: etwas eigentlich Ungewöhnliches, das aber immer häufiger zu beobachten ist Blog, -s (m., aus dem Englischen) – ein Online-Tagebuch; eine Website, auf der jemand regelmäßig neue Beiträge zu einem Thema veröffentlicht sich etwas widmen – sich mit etwas beschäftigen; sich auf etwas konzentrieren Social-Media-Plattform, -en (f., Social Media = aus dem Englischen) – eine Internetseite, auf der Menschen miteinander kommunizieren Community, -s (f., aus dem Englischen) – eine Gruppe von Personen, die im Internet miteinander kommunizieren Boom, -s (m., aus dem Englischen) – die Tatsache, dass etwas in kurzer Zeit sehr beliebt wurde; der plötzliche große Erfolg von etwas Bewegung, -en (f.) – hier: eine Gruppe von Menschen, die ein gemeinsames Ziel verfolgen oder ein gemeinsames Interesse haben Feld, -er (n.) – hier: das Gebiet Wirtschaftseinheit, -en (f.) – gemeint ist: der Betrieb etwas auf|lösen – hier: etwas (z. B. eine Firma) schließen etwas ab|wickeln – hier: etwas in ordentlicher Art und Weise zu Ende bringen; einen Wirtschaftsbetrieb aufgeben und schließen auf einen Schlag – auf einmal; plötzlich Umbruch, -brüche (m.) – hier: der Wechsel von einem alten zu einem neuen System; die große Änderung Leerstand, -stände (m.) – die Tatsache, dass Häuser oder Wohnungen nicht genutzt oder bewohnt werden Seite 5/6 Deutsch zum Mitnehmen www.dw.com/videothema Deutsche Welle Video-Thema Begleitmaterialien seine Wurzeln haben – seinen Ursprung haben Niedergang (m.) – die negative Entwicklung, bei der etwas an Bedeutung verliert Stadtviertel, - (n.) – der Stadtteil Spielplatz, plätze (m.) – hier: ein Ort, an dem neue Dinge ausprobiert werden können und der Platz für neue Ideen lässt Kreative, -n (m./f.) - jemand, der sich neue Dinge ausdenkt; jemand, der künstlerisch tätig ist Immobilien-Krise, -n (f.) – eine Zeit, in der der Wert von Gebäuden plötzlich stark sinkt etwas los|treten – hier: zu etwas führen; etwas bewirken; der Anfang von etwas sein anderthalb – umgangssprachlich für: eineinhalb Kalter Krieg (m., nur Singular) – der Konflikt zwischen den USA und anderen westlichen Staaten auf der einen und Russland und Osteuropa auf der anderen Seite (etwa 1947–1989) sowjetisch – so, dass sich etwas auf die Sowjetunion/auf das kommunistische Russland und die zugehörigen Länder bezieht (1922–1991) ab|ziehen – hier: so sein, dass eine Armee ein Gebiet verlässt Tour, -en (f., aus dem Englischen) – hier: eine Führung; eine Rundfahrt im Grunde – generell; allgemein sprich – hier: anders gesagt; das heißt hinüber sein – umgangssprachlich für: nicht mehr funktionieren; kaputt sein; tot sein gehäuft – oft Objekt, -e (n.) – hier: das Gebäude rum|knipsen – umgangssprachlich für: viele Fotos machen an|halten – hier: bleiben; sich nicht verändern Autoren: Nicholas Potter/Stephanie Schmaus Redaktion: Ingo Pickel Seite 6/6 Deutsch zum Mitnehmen www.dw.com/videothema Deutsche Welle
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