DIE WELT - Die Onleihe

SAMSTAG, 9. JULI 2016
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B
Nr. 159
Zippert zappt
KOMMENTAR
Deutschland ist raus. Wir dürfen nicht mehr mitspielen. Eine
Unverschämtheit. Das Spiel
gegen die Franzosen war doch
nur ein Spaß. Es war doch jedem klar, dass wir die Besseren
waren, ja, immer noch sind. Wir
hätten uns auf dieses Spiel gar
nicht einlassen müssen, sondern gleich ins Finale vordringen können. Aus reiner Höflichkeit gegenüber dem Gastgeber
haben wir bei einem Halbfinale
mitgemacht, das es so gar nicht
geben durfte. Ein halbes Finale
widerspricht jeglicher Logik, da
spielt dann Deutschland gegen
sich selbst oder was? Wir sind
in gutem Glauben nach Marseille gefahren, um dieses halbe
Finale halbwegs anständig hinter uns zu bringen. In diesem
halb fertigen Stadion mit dem
total fertigen Rasen. Und dann
war es wie immer in der EU, wir
buttern ständig rein, wir legen
uns ins Zeug, wir bringen Bewegung in verfahrene Prozesse,
und andere räumen ab. Am
Ende stehen die Franzosen und
lassen sich die Tore wie gebratene Hühnchen servieren. Es
kommt aber in einer Solidargemeinschaft nicht darauf an,
wer sich die meisten Tore unter
den Nagel reißt, sondern wer
sie bezahlt hat.
Das ist erst
der Anfang
THEMEN
EM 2016
„Die Mannschaft“
nach der verpassten
Krönung
Seiten 25 bis 27
MOTOR
Unterwegs auf
einer der härtesten
Teststrecken der Welt
ULF POSCHARDT
AP PHOTO/LM OTERO/MONTAGE: T.UECKER;DPA/OLIVER WEIKEN
E
Ende des amerikanischen Traums?
Die Erwartungen an den ersten schwarzen US-Präsidenten Barack Obama waren hoch. Doch nach den neuen Fällen von Polizeigewalt gegen Schwarze und der
Erschießung von fünf Polizisten in Dallas (Texas)
In der ersten Jahreshälfte ist die Zahl der Migranten, die nach Deutschland kamen, gesunken.
Noch immer wurden nicht alle Flüchtlinge von den Behörden erkennungsdienstlich vollständig erfasst
D
ie Zahl der Asylsuchenden,
die nach Deutschland
kommen, ist im Vergleich
zum
Höhepunkt
der
Flüchtlingskrise stark zurückgegangen. Nach Informationen der
„Welt“ wurden im bundesweiten Registrierungssystem Easy bis zum Freitag
insgesamt 226.058 Migranten gezählt,
die im Jahr 2016 hierzulande einen
Schutzstatus beantragen wollten.
VON MANUEL BEWARDER
WELT
Welche Bücher
die Redaktion für
den Strand empfiehlt
Beilage
REISE
Thailands unbekannter
Norden lässt Reisende
zur Ruhe kommen
Trump ein Mann ins Weiße Haus, der statt auf Versöhnung auf Spaltung setzt. Resignation auch unter
schwarzen Musikstars – Rapper Jay Z schrieb: „Wir
sollten weiter sein.“ Kommentar Seite 3 und Seite 6
Weniger, aber immer noch viele:
Bisher 226.000 Asylsuchende
Seite 16
LITERARISCHE
scheint der Graben zwischen den Rassen in den USA
noch tiefer zu werden. Blinder Hass kommt zum Vorschein. Manche Bürgerrechtler sehen einen Rückfall in
die 50er- und 60er-Jahre. Gleichzeitig will mit Donald
Hochrechnungen auf das Gesamtjahr
sind schwierig, denn 2015 waren die Zahlen erst im Herbst steil in die Höhe gegangen. Mittlerweile kommen viel weniger Flüchtlinge und Migranten in die
Bundesrepublik, weil Österreich und die
Balkanstaaten ihre Grenzen wieder
schützen und die EU mit der Türkei
übereinkam, den Zustrom nach Griechenland zu minimieren. Aber selbst
wenn sich die Zuwanderung in der zweiten Jahreshälfte etwa so entwickeln sollte wie in der ersten, wäre die Zahl von einer halben Million Asylsuchenden 2016
immer noch eine der höchsten in der Geschichte der Bundesrepublik.
Im Juni dieses Jahres wurden weniger
als 20.000 neue Asylsuchende regis-
triert. Im Mai und April waren es jeweils
16.000 Personen und im März 21.000.
Zum Vergleich: Vor der Schließung der
Balkanroute lag die Zugangszahl noch
deutlich höher – im Februar wurden
61.000 Personen registriert, im Januar
waren es sogar noch 92.000. „Wir sehen
daran, dass die Maßnahmen auf deutscher und europäischer Ebene greifen“,
sagte Bundesinnenminister Thomas de
Maizière (CDU). Die größte Gruppe der
neu registrierten Asylsuchenden – fast
75.000 – kam auch im ersten Halbjahr
aus dem Bürgerkriegsland Syrien. Andere Hauptherkunftsländer waren Afghanistan und der Irak. Nach Angaben des
Innenministers verließen bis Ende Mai
25.000 Flüchtlinge Deutschland freiwillig. Zudem habe es 12.000 Abschiebungen
gegeben.
Die Halbjahreszahl von 400.000 Asylanträgen beim Bundesamt für Migration
und Flüchtlinge (BAMF) wirkt auf den
ersten Blick hoch. Darunter sind aber
viele Schutzsuchende, die schon vor Monaten einreisten, wegen der Überforderung der Behörden jedoch erst nach und
nach einen Antrag stellen konnten. Entschieden wurde in den ersten sechs Monaten über die Anträge von rund 283.000
Flüchtlingen. Mehr als die Hälfte erhielten die Rechtsstellung eines Flüchtlings
nach der Genfer Konvention, 23.300
Flüchtlinge erhielten subsidiären Schutz
(siehe Kasten).
Gleichzeitig hat die stagnierende Zuwanderungszahl im ersten Halbjahr in
Deutschland dafür gesorgt, dass die Zahl
der eingereisten Personen, die noch keinen förmlichen Asylantrag gestellt haben, deutlich zurückgegangen ist. Auf
Subsidiärer Schutz
Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention erhält ein Migrant, „wenn sein Leben oder seine
Freiheit in seinem Herkunftsland
wegen seiner Rasse, Religion,
Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten
sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist“. Einen eingeschränkten,
also subsidiären Schutz erhält,
wer weder unter die Genfer
Flüchtlingskonvention noch unter
das deutsche Grundrecht auf Asyl
fällt. Die Aufenthaltserlaubnis gilt
dann vorerst für ein Jahr, kann
aber verlängert werden.
Anfrage der „Welt“ erklärte das BAMF
kürzlich, dass sich die Zahl „inzwischen
bereits stark verringert hat und mittlerweile bei deutlich unter 300.000 liegen
dürfte“. Lediglich 150.000 Personen sind
nach Schätzungen des BAMF noch nicht
vollständig erkennungsdienstlich erfasst.
Dies bedeute jedoch nicht, dass diese
Personen den deutschen Behörden insgesamt völlig unbekannt wären, erklärte
das BAMF. „Sie sind zum allergrößten
Teil bereits polizeilich überprüft und in
Ländersystemen erfasst worden“, so eine
Sprecherin.
Der Leistungsschub der Behörde liegt
auch an der Hilfe durch die Bundeswehr.
Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit hat sich die Flüchtlingskrise zum
längsten Inlandseinsatz ihrer Geschichte
entwickelt. Nachdem sich die Asylzuwanderung seit 2012 jährlich verdoppelt
hatte und im Jahr 2015 ein nie gekanntes
Niveau erreichte, mussten im Juni des
Vorjahres die Soldaten helfen – vor allem
bei der Registrierung. Inzwischen bearbeiten die Soldaten und Mitarbeiter
hauptsächlich Asylanträge. In Spitzenzeiten versorgten, betreuten und transportierten 9000 Bundeswehrangehörige
ankommende Migranten. Noch heute
helfen 1450 Männer und Frauen aus.
Siehe Kommentar und Seite 4
BLICK AUS BRÜSSEL
DAX
Andrea wer?
Im Plus
Seite 19
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Beilage
Dax
Schluss
s braucht keine pulsierende patriotische Ader, um ein wenig
dankbar auf dieses Land zu blicken. Nach dem Brexit ist es wie nach
dem Halbfinal-Aus bei der EM. Statt
Wut und Verbitterung dominieren
Pragmatismus und Zuversicht. Der
Brexit hat die Deutschen europäischer gemacht, anstatt mit Anti-Brüssel-Ressentiments zu flirten (und es
gäbe jeden Grund dazu). Laut aktuellen Umfragen entscheiden sich die
Deutschen für noch mehr Zuneigung
zum Kontinent. Gleichzeitig wächst
das Misstrauen gegenüber einfachen
Lösungen und jenen, die sie anbieten.
Die AfD rutscht ab und macht sich
operettenhaft zum Gespött.
In dieses Klima staunenswerter
Stabilität verkündet Innenminister
Thomas de Maizière die FlüchtlingsHalbjahreszahlen. Es sind deutlich
weniger als 2015, aber eben noch immer knapp eine Viertelmillion Menschen, die uns das Kompliment machen, hierzulande leben und – hoffentlich! – arbeiten zu wollen. Die Attraktivität Deutschlands kann zum
Fluch werden, wenn die Anzahl der
Flüchtlinge die Möglichkeiten des
Landes zur Integration überfordert.
Am wichtigsten wäre eine stabile,
gute Konjunktur. Nur weil es dem
Land so gut geht, gibt es gerade Toleranz und Großherzigkeit. Zudem
kann Schäuble fast schmerzfrei die
nötigen Mittel für die Versorgung der
Migranten zur Verfügung stellen. Sieben Milliarden sind es jetzt. Wie viel
werden es sein, wenn der Zustrom
aus Syrien, dem Irak oder Afghanistan
weiter anhält? Schließlich gibt es kein
Indiz für eine Entschärfung der Lage
im Nahen Osten.
Deswegen muss sich das Land wandeln, wenn es die Rolle des wohltäterischen sicheren Hafens für die Verfolgten einnehmen will. Im Augenblick wird vor allem über das Ausgeben von Steuermilliarden gesprochen
und nicht über Anreize für Wachstum
und mehr Beschäftigung. Die Erhöhung des Mindestlohns ist absurd,
weil das die Einstiegshürden für die
unqualifizierten Massen Asylsuchender erhöht. Der Arbeitsmarkt ist
überreguliert und die Besteuerung
weiterhin eher leistungsfeindlich. Die
Dax-30-Unternehmen sollten nicht
nur in Interviews von der WelcomeMentalität schwärmen, sondern auch
real Flüchtlinge einstellen. Stand Anfang Juni sind es 54. Die Grünen sollten ihren luxuriösen Widerstand gegen die Abschiebung von Zuwanderern in Maghrebstaaten aufgeben.
Das Land steht vor einem mühsamen, anstrengenden und kostspieligen Prozess. Gute Laune hilft, aber
sie kann nicht vorausgesetzt werden.
An die Migranten müssen klare Anforderungen gestellt und deren Erfüllung scharf eingefordert werden. Alle
sind aufgerufen mitzuhelfen, gerade
jetzt, wo der Glaube an die populistische Fundamentalopposition zu
schwinden scheint.
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V
FLORIAN EDER
on Andrea Leadsom wird man noch hören,
US-Präsident Barack Obama rief sie zu, er solle „sein
denn sie erfüllt alle Voraussetzungen dafür,
Ruder nicht in eine Sache stemmen, die ihn nichts andass die Konservativen sie zur nächsten Parteigeht“, nachdem er gewarnt hatte, Brexit-Briten müsschefin und britischen Premierministerin wählen
ten sich beim Freihandel hintanstellen.
könnten.
Leadsom ist Ministerin ohne Kabinettsrang, wurde
Zum einen warb sie für den Brexit. Die Partei will
2010 erstmals ins Parlament gewählt und hatte kaum
den Austritt, und ihre Mitglieder werden nun befragt.
Gelegenheit, sich groß bekannt zu machen. Erfahrung
Zweitens bringt sie mit, was (britische) Politik ausmacht und was hat Leadsom nicht viel. Aber was macht das schon für einen Unterder von der Fraktion favorisierten Gegenkandidatin Theresa May schied; einen Plan für den Brexit hatten auch die alten Füchse nicht,
fehlt: den absoluten Willen, die Chancen des Augenblicks zu nut- die sich schleunigst aus dem Staub gemacht haben.
zen, sowie einen sorgsam frisierten Lebenslauf, der Wirklichkeit als
multiple Wahrheiten betrachtet. Zudem eine gewisse Exzentrik: T Immer samstags hier: Florian Eder von „Politico“
DIE WELT, Axel-Springer-Straße 65, 10888 Berlin, Redaktion: Brieffach 2410 Täglich weltweit in über 130 Ländern verbreitet.
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ISSN 0173-8437
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