KUNDENSERVICE 0 8 0 0 / 9 3 5 8 5 3 7 D DONNERSTAG, 14. JULI 2016 ** D 2,50 E URO THEMEN WIRTSCHAFT Viel Pomp: Boeing feiert 100. Geburtstag Seite 12 POLITIK Eine Stadt mit einer engen Beziehung zum Verbrechen Seite 8 SPORT Die Golf-Elite boykottiert Olympia Seite 19 FEUILLETON „Toni Erdmann“: Wendepunkt des Kinos Kaum verändert Seite 15 Dax Schluss Euro EZB-Kurs Dow Jones 17.40 Uhr 9930,71 1,1072 18.333,32 Punkte US-$ Punkte –0,33% ↘ –0,18% ↘ –0,08% ↘ ANZEIGE Die Titanic-Lüge: Warum Schiffe sinken Heute um 20.05 Uhr Wir twittern Diskutieren live aus dem Sie mit uns Newsroom: auf Facebook: twitter.com/welt facebook.com/welt „Die Welt“ digital Lesen Sie „Die Welt“ digital auf allen Kanälen – mit der „Welt“-App auf dem Smartphone oder Tablet. Attraktive Angebote finden Sie auf welt.de/digital oder auch mit den neuesten Tablets auf welt.de/bundle Lösungen, nicht Utopien Ich bin die Neue D REUTERS/NEIL HALL;DPA/HTF Es ist kurz vor 19 Uhr, als die Queen Theresa May zur Premierministerin ernennt. Laut Protokoll müsste die Politikerin jetzt die Hände der Königin küssen. Aber diesen Handkuss gibt es nur noch auf dem Papier. Theresa May macht eine respektvolle Verbeugung. Die neue Regierungschefin übernimmt ein Land mit scheinbar unüberwindlichen Problemen, zerrissen, an sich selbst zweifelnd – so wie einst ihre große Vorgängerin Margaret Thatcher. Die Eiserne Lady schaffte es, das streikgeplagte und wirtschaftlich darbende Land wieder zukunftsfähig zu machen. Nach dem Besuch im Buckingham Palace bezog May den Amtssitz in Downing Street No. 10. „Gemeinsam werden wir ein besseres Britannien bauen“, sagte sie in einer kurzen Rede. Leitartikel Seite 3 und Seite 7 EU will schärfer gegen Asylmissbrauch vorgehen F Vorschlag aus Brüssel: Wer nicht mit Behörden kooperiert, muss mit Ablehnung rechnen. Die Regeln in den Staaten sollen einheitlich sein. Österreichs Innenminister gegen Arbeitserlaubnis für Asylbewerber ür Asylbewerber sollen nach dem Willen der EU-Kommission in Europa künftig härtere Auflagen gelten. Wer nicht mit den Behörden des Aufnahmestaates zusammenarbeitet, müsse mit einer Ablehnung rechnen. Ziel sei ein System, „das sich großzügig zeigt gegenüber den Verletzlichsten, aber streng gegenüber jenen, die es missbrauchen wollen“, sagte EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos. Die Vorschläge benötigen die Zustimmung der EU-Staaten und des Europaparlaments. Die Anträge von Schutzsuchenden, die falsche Angaben machen, sollen künftig in einem beschleunigten Verfahren behandelt werden. Bei Personen, die bleiben dürfen, soll regelmäßig überprüft werden, ob sich die Situation in ihrem Herkunftsland verbessert hat und sie dorthin zurückkehren können. Wer unerlaubt von einem EU-Land in ein anderes wechselt, müsste zur Strafe länger als die eigentlich vorgesehenen fünf Jahre auf eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung warten. Die SPD-Europaabgeordnete Birgit Sippel kritisierte die Pläne Seite 21 DAX Nr. 163 KOMMENTAR Zippert zappt ie Deutschen sind ein Volk von Angsthasen. Das hat die R+V Versicherung herausgefunden, die jedes Jahr überprüft, wovor die Deutschen am meisten Angst haben, damit sie die entsprechenden Produkte anbieten kann. Dank der hervorragenden Medienarbeit des IS haben die Deutschen am meisten Angst vor Terror. Gäbe es eine Terrorversicherung, die auch Glasbruch, Wasserschäden und Fahrraddiebstahl abdeckt, dann würde sie begeistert angenommen, aber bislang gibt es nur Versicherungsterror. Überhaupt keine Angst haben die Deutschen, dass ihnen der Himmel auf den Kopf fallen könnte, dass Thomas Gottschalk wieder mit „Wetten, dass ..?“ anfängt oder dass Jogi Löw nach 2018 immer noch Bundestrainer ist, weil diese Ängste im Angstkatalog der R+V Versicherung nicht vorkommen. 54 Prozent haben dagegen Angst vor einem Krieg mit deutscher Beteiligung, wahrscheinlich, weil wir die letzten beiden, an denen wir beteiligt waren, verloren haben. Kriege ohne deutsche Beteiligung verursachen dagegen keine besonderen Ängste, obwohl sie oft den Zuzug von Ausländern begünstigen, vor dem sich 67 Prozent der Deutschen fürchten. B K als unnötig harsch. Den Wechsel von einem EU-Land ins andere zu bestrafen helfe nicht. „Wir riskieren, Schutzbedürftige ihrer Grundrechte zu berauben“, so Sippel. Die Grünen-Parlamentarierin Ska Keller sagte: „Abschreckung und Sanktionen sollen zur Leitlinie des gemeinsamen europäischen Asylsystems werden.“ Insgesamt will die EU-Kommission die Regeln in Europa stärker angleichen. Derzeit etabliere die EU lediglich Mindeststandards für den Umgang mit Schutzsuchenden, was starke Abweichungen von Land zu Land schaffe. „Das führt nicht nur zu einer ungleichen Behandlung von Asylsuchenden, sondern verschafft ihnen auch Anreize, irregulär von einem Mitgliedstaat in den anderen zu wechseln“, erklärte Avramopoulos. Er plädierte zudem für eine Straffung der Verfahren und dafür, dass Migranten unkompliziert abgeschoben werden können, wenn sie aus einem Land kommen, das auf einer europäischen Liste sicherer Herkunftsstaaten steht. Die EU erarbeitet derzeit solch eine Liste. An einigen Stellen will die EU-Kommission die Rechte Schutzsuchender auch stärken. Sie sollen etwa einen Anspruch auf kostenlosen rechtlichen Beistand bekommen. Wer sich um Asyl beworben hat, soll in der Regel spätestens binnen sechs Monaten eine Arbeitserlaubnis bekommen. Fakten auf dem Bierdeckel gegen Vorurteile Per Bierdeckel will Sachsen über das Thema Asyl aufklären. In verständlicher und knapper Form sollen dort Fakten vermittelt und Vorurteile ausgeräumt werden, erklärte Integrationsministerin Petra Köpping (SPD). Die beidseitig bedruckten Bierdeckel gibt es in sechs Varianten. Sie sollen über Netzwerke wie Gaststättenverbände verteilt werden. In Sachsen ist es in den vergangenen Monaten immer wieder zu fremdenfeindlichen Vorfällen gekommen. Davon will Österreichs Innenminister Wolfgang Sobotka nichts wissen. „Ich halte es für absolut undenkbar, Asylbewerbern eine Arbeitserlaubnis zu erteilen“, sagte er der „Welt“. „Das wäre ein Aufruf an die Menschen in den Krisenstaaten, nach Österreich zu kommen.“ Das Land fährt eine harte Linie in der Flüchtlingsfrage. So will Österreich dem Nachbarn Ungarn laut Sobotka „mit der Unterstützung von Polizei und Militär“ dabei helfen, die serbisch-ungarische Grenze zu sichern. EU-Kommissar Avramopoulos möchte, dass die Mitgliedstaaten sich jedes Jahr absprechen, wie viele Flüchtlinge sie freiwillig aufnehmen. Gefährliche und illegale Fluchtrouten müssten ersetzt werden durch „sichere und legale Wege nach Europa für Menschen, die wirklich Schutz benötigen“. Avramopoulos lobte den Flüchtlingspakt mit der Türkei. Seit die Zusammenarbeit vereinbart wurde, sind deutlich weniger Migranten aus der Türkei nach Europa gekommen. Die Vereinbarung sieht vor, dass die meisten Migranten zurückgeschickt werden. Siehe Kommentar und Seite 6 JACQUES SCHUSTER ie Europäische Union hat viele Gesichter und Körper. Unter anderem ist sie ein Zustand der Integration, zu dem niemals die Zustimmung der Unionsbürger eingeholt wurde, den sie aber auch nicht ändern können, selbst wenn sie ihn mehrheitlich ablehnen. Darin liegt eine der Hauptursachen für den Verdruss an der EU. Er ist mittlerweile so beherrschend, dass viele vergessen, was die EU Europas Bürgern geschenkt hat: Frieden und Stabilität, Wohlstand, Freizügigkeit und Sicherheit. Den Sinn für die Vorteile wieder zu wecken, die die EU bringt, ist nur dann möglich, wenn sich die Brüsseler Kommission von allen hochtrabenden Plänen verabschiedet und sich der Probleme annimmt, mit denen sich der Kontinent herumschlagen muss. Und das ohne Hintergedanken und die Absicht, am Ende alle Regierungen ausgebootet zu haben und nicht Hüter der europäischen Verträge zu sein, sondern selbst die europäische Regierung zu werden. Der Vorschlag der Kommission, nun eine gesamteuropäische Asylregelung einzuführen, geht in die richtige Richtung. Er zeigt: Brüssel hat verstanden, dass der europäische Gedanke nur dann überzeugend wirkt, wenn die Menschen begreifen, dass Europa ihnen etwas bringt. Mit einer gemeinsamen Asylregel ist dies der Fall. Sie schafft einheitliche Richtlinien, wer aufgenommen wird, wer bleiben darf und wer gehen muss. Sie trägt der Forderung Rechnung, Leistungen für Flüchtlinge zwischen Deutschland und Dänemark, Portugal und Polen anzugleichen und notfalls auch zu kürzen, sollten sich die Dazugekommenen weigern, sich zu integrieren. Es ist Zeit, sich in Europa klar zu werden, welcher Staat auf der Welt ein „sicheres Herkunftsland“ ist. Die EUKommission ist auch dazu bereit. Endlich zeichnet sich eine wirklich europäische Lösung für die aktuelle Flüchtlingskrise ab. Vieles wie die Verteilung der Flüchtlinge innerhalb der EU ist nach wie vor nicht geklärt. Dafür aber ist nicht die Brüsseler Behörde verantwortlich. Es liegt an den Regierungen, tätig zu werden. Sie werden eher dazu bereit sein, wenn sie sehen: Ein europäisches Asylrecht ist möglich, ein Recht, das nicht nur auf ein blindes Willkommen setzt, sondern gegenüber denjenigen abschreckend wirkt, die keinen Asylgrund besitzen. Ist es verabschiedet, mag ein gemeinsames Zuwanderungsrecht folgen. Die EU sollte künftig mit der täglichen Lösung von Problemen verbunden werden. Nicht die Utopie, Pragmatismus wird den europäischen Gedanken retten. [email protected] Faule Ausreden sind nicht vorgesehen Gestressten Eltern, Teenies und Zeitverschwendern bietet Google eine Planungs-App für ein erfülltes Leben. Aber sie hat Schwächen ampfesmüde Eltern, die sich in Gefechten gegen ihre Teenager um schimmelnde Joghurtbecher und Altkleidersammlungen auf Zimmerböden aufreiben, haben einen mächtigen Verbündeten gewonnen: Google Goals, eine neue Funktion im Kalender des Unternehmens, kann stündlich und täglich selbst gesetzte Ziele anmahnen. Ermahnungen, das Zimmer aufzuräumen („Mein Leben organisieren“), das Vokabellernen („Neues Lernen“), Sport und „Zeit für mich“ nicht zu vergessen, sorgen mit Slots für einen rundum optimierten Tag. Eltern können die Tagesplanung ihrer Kinder einer höheren Instanz übergeben und durch Verweis auf die Strenge der übermächtigen Autorität jede Zuständigkeit von sich weisen. Für sie wäre es die App der Weisen. Noch besser freilich wäre es, wenn Google noch den Handyentzug bei Goals-Verweigerung und die Ausbildungskosten für die Nachkommen übernähme. Das geht Google offenbar zu weit. Dort hat man weniger Lebenshilfe als den Ausbau der globalen Datensammlung von Abermillionen Konsumenten im Sinn. Gestresste Erwachsene, die nach der verlorenen Zeit suchen, sind die eigentliche Zielgruppe für Goals, wie Google erklärt. Ihnen soll dazu verholfen werden, ihr Leben als Checkliste zu begreifen und es abzuarbeiten. Zeitverschwendung und Müßiggang sind abgeschafft, es sei denn, sie sind eingeplant. Nun soll es Menschen geben, die in Goals die Aufseherin für einen gehobenen Gefängnisalltag erkennen. Manche fühlen sich bei den ständigen Ermahnungen eher an Altenpfleger erinnert, die bei beginnender Demenz helfen. Teenager könnten sich als ungeeignete Kunden von Goals erweisen: Keine Lust sticht bei ihnen keine Zeit, Pflichtgefühle quälen die meisten in erträglicher Weise. Eine Amerikanerin, die über ihren Selbstversuch mit Google Goals berichtet, schildert zufrieden, dass die Planungs-App sie dazu brachte, mit ihrer Familie am Esstisch das Dinner einzunehmen statt vor dem Fernseher. Das ist zweifellos ein Fortschritt, zumal sie, eine entnervte Mutter, glaubwürdig angibt, nun auch mehr an ausreichen- DIE WELT, Axel-Springer-Straße 65, 10888 Berlin, Redaktion: Brieffach 2410 Täglich weltweit in über 130 Ländern verbreitet. Pflichtblatt an allen deutschen Wertpapierbörsen. Telefon 030 / 25 91 0 Fax 030 / 25 91 71 606 E-Mail [email protected] Anzeigen 030 / 58 58 90 Fax 030 / 58 58 91 E-Mail [email protected] Kundenservice DIE WELT, Brieffach 2440, 10867 Berlin Telefon 0800 / 93 58 537 Fax 0800 / 93 58 737 E-Mail [email protected] A 3,40 & / B 3,40 & / CH 5,00 CHF / CZ 96 CZK / CY 3,40 & / DK 26 DKR / E 3,40 & / I.C. 3,40 & / F 3,40 & / GB 3,20 GBP / GR 3,50 & / I 3,40 & / IRL 3,20 & / L 3,40 & / MLT 3,20 & / NL 3,40 & / P 3,40 & (Cont.) / PL 15 PLN / SK 3,40 € + © Alle Rechte vorbehalten - Axel Springer SE, Berlin - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.axelspringer-syndication.de/lizenzierung DW-2016-07-14-zgb-ekz- b4893f0c8f71ae7106626e47e01948fd de Wasserzufuhr, Toilettenpausen, Meditation und Schlaf zu denken. Goals dient ihr als (schlechtes) Gewissen und gute Fee, die ihr hilft, ihr Leben nicht durch Planlosigkeit zu vergeuden. Zu den Schwächen der App zählt, dass sie Ganztagstermine nicht begreift: Nichts getan, Ziel verfehlt. Ermüdung und geistige Frische sind keine Kategorien, wenn die App wegen Verschiebungen neu planen muss. Das Leben bleibt irgendwie lästig. Und Google Goals lässt nicht mit sich handeln. Es mahnt und erinnert, Ausreden sind nicht vorgesehen. Menschen, die keinen geregelten Tagesablauf mit Arbeit, sozialen Pflichten und Hobbys haben, sind der Regulierungskunst von Google Goals entzogen. Nichtstuer werden nicht erfasst, weil ihnen Google nichts zu bieten hat. Sie können und wissen alles schon besser. Es kommt die Zeit, in der Google-Goals-Optimierte heimlich die Versager beneiden, mindestens die glücklichen, um die höchste Freiheit: nach Lust und Laune ohne Rechtfertigung Zeit zu verschwenden. So viel Zeit zu haben, dass man davon etwas geben kann. UWE SCHMITT ISSN 0173-8437 163-28 ZKZ 7109
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