DIE WELT - Die Onleihe

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DONNERSTAG, 14. JULI 2016
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THEMEN
WIRTSCHAFT
Viel Pomp: Boeing
feiert 100. Geburtstag
Seite 12
POLITIK
Eine Stadt mit
einer engen Beziehung
zum Verbrechen
Seite 8
SPORT
Die Golf-Elite
boykottiert Olympia
Seite 19
FEUILLETON
„Toni Erdmann“:
Wendepunkt des Kinos
Kaum verändert
Seite 15
Dax
Schluss
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Lösungen,
nicht Utopien
Ich bin
die Neue
D
REUTERS/NEIL HALL;DPA/HTF
Es ist kurz vor 19 Uhr, als die
Queen Theresa May zur Premierministerin ernennt. Laut Protokoll
müsste die Politikerin jetzt die
Hände der Königin küssen. Aber
diesen Handkuss gibt es nur noch
auf dem Papier. Theresa May
macht eine respektvolle Verbeugung. Die neue Regierungschefin
übernimmt ein Land mit scheinbar
unüberwindlichen Problemen, zerrissen, an sich selbst zweifelnd – so
wie einst ihre große Vorgängerin
Margaret Thatcher. Die Eiserne
Lady schaffte es, das streikgeplagte
und wirtschaftlich darbende Land
wieder zukunftsfähig zu machen.
Nach dem Besuch im Buckingham
Palace bezog May den Amtssitz in
Downing Street No. 10. „Gemeinsam werden wir ein besseres Britannien bauen“, sagte sie in einer
kurzen Rede.
Leitartikel Seite 3 und Seite 7
EU will schärfer gegen
Asylmissbrauch vorgehen
F
Vorschlag aus Brüssel: Wer nicht mit Behörden kooperiert, muss mit Ablehnung rechnen. Die Regeln in
den Staaten sollen einheitlich sein. Österreichs Innenminister gegen Arbeitserlaubnis für Asylbewerber
ür Asylbewerber sollen nach
dem Willen der EU-Kommission in Europa künftig härtere Auflagen gelten. Wer nicht
mit den Behörden des Aufnahmestaates zusammenarbeitet, müsse
mit einer Ablehnung rechnen. Ziel sei ein
System, „das sich großzügig zeigt gegenüber den Verletzlichsten, aber streng gegenüber jenen, die es missbrauchen wollen“, sagte EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos. Die Vorschläge benötigen die Zustimmung der EU-Staaten
und des Europaparlaments.
Die Anträge von Schutzsuchenden, die
falsche Angaben machen, sollen künftig
in einem beschleunigten Verfahren behandelt werden. Bei Personen, die bleiben dürfen, soll regelmäßig überprüft
werden, ob sich die Situation in ihrem
Herkunftsland verbessert hat und sie
dorthin zurückkehren können. Wer unerlaubt von einem EU-Land in ein anderes wechselt, müsste zur Strafe länger als
die eigentlich vorgesehenen fünf Jahre
auf eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung warten. Die SPD-Europaabgeordnete Birgit Sippel kritisierte die Pläne
Seite 21
DAX
Nr. 163
KOMMENTAR
Zippert zappt
ie Deutschen sind ein
Volk von Angsthasen.
Das hat die R+V Versicherung herausgefunden, die
jedes Jahr überprüft, wovor die
Deutschen am meisten Angst
haben, damit sie die entsprechenden Produkte anbieten
kann. Dank der hervorragenden
Medienarbeit des IS haben die
Deutschen am meisten Angst
vor Terror. Gäbe es eine Terrorversicherung, die auch Glasbruch, Wasserschäden und
Fahrraddiebstahl abdeckt, dann
würde sie begeistert angenommen, aber bislang gibt es nur
Versicherungsterror. Überhaupt
keine Angst haben die Deutschen, dass ihnen der Himmel
auf den Kopf fallen könnte,
dass Thomas Gottschalk wieder
mit „Wetten, dass ..?“ anfängt
oder dass Jogi Löw nach 2018
immer noch Bundestrainer ist,
weil diese Ängste im Angstkatalog der R+V Versicherung
nicht vorkommen. 54 Prozent
haben dagegen Angst vor einem
Krieg mit deutscher Beteiligung, wahrscheinlich, weil wir
die letzten beiden, an denen
wir beteiligt waren, verloren
haben. Kriege ohne deutsche
Beteiligung verursachen dagegen keine besonderen Ängste, obwohl sie oft den Zuzug
von Ausländern begünstigen,
vor dem sich 67 Prozent der
Deutschen fürchten.
B
K
als unnötig harsch. Den Wechsel von einem EU-Land ins andere zu bestrafen
helfe nicht. „Wir riskieren, Schutzbedürftige ihrer Grundrechte zu berauben“, so Sippel. Die Grünen-Parlamentarierin Ska Keller sagte: „Abschreckung
und Sanktionen sollen zur Leitlinie des
gemeinsamen europäischen Asylsystems
werden.“
Insgesamt will die EU-Kommission
die Regeln in Europa stärker angleichen.
Derzeit etabliere die EU lediglich Mindeststandards für den Umgang mit
Schutzsuchenden, was starke Abweichungen von Land zu Land schaffe. „Das
führt nicht nur zu einer ungleichen Behandlung von Asylsuchenden, sondern
verschafft ihnen auch Anreize, irregulär
von einem Mitgliedstaat in den anderen
zu wechseln“, erklärte Avramopoulos. Er
plädierte zudem für eine Straffung der
Verfahren und dafür, dass Migranten unkompliziert abgeschoben werden können, wenn sie aus einem Land kommen,
das auf einer europäischen Liste sicherer
Herkunftsstaaten steht. Die EU erarbeitet derzeit solch eine Liste. An einigen
Stellen will die EU-Kommission die
Rechte Schutzsuchender auch stärken.
Sie sollen etwa einen Anspruch auf kostenlosen rechtlichen Beistand bekommen. Wer sich um Asyl beworben hat,
soll in der Regel spätestens binnen sechs
Monaten eine Arbeitserlaubnis bekommen.
Fakten auf dem Bierdeckel
gegen Vorurteile
Per Bierdeckel will Sachsen über
das Thema Asyl aufklären. In
verständlicher und knapper Form
sollen dort Fakten vermittelt und
Vorurteile ausgeräumt werden,
erklärte Integrationsministerin
Petra Köpping (SPD). Die beidseitig bedruckten Bierdeckel gibt es in
sechs Varianten. Sie sollen über
Netzwerke wie Gaststättenverbände verteilt werden. In Sachsen
ist es in den vergangenen Monaten
immer wieder zu fremdenfeindlichen Vorfällen gekommen.
Davon will Österreichs Innenminister
Wolfgang Sobotka nichts wissen. „Ich
halte es für absolut undenkbar, Asylbewerbern eine Arbeitserlaubnis zu erteilen“, sagte er der „Welt“. „Das wäre ein
Aufruf an die Menschen in den Krisenstaaten, nach Österreich zu kommen.“
Das Land fährt eine harte Linie in der
Flüchtlingsfrage. So will Österreich dem
Nachbarn Ungarn laut Sobotka „mit der
Unterstützung von Polizei und Militär“
dabei helfen, die serbisch-ungarische
Grenze zu sichern.
EU-Kommissar Avramopoulos möchte, dass die Mitgliedstaaten sich jedes
Jahr absprechen, wie viele Flüchtlinge sie
freiwillig aufnehmen. Gefährliche und illegale Fluchtrouten müssten ersetzt werden durch „sichere und legale Wege nach
Europa für Menschen, die wirklich
Schutz benötigen“. Avramopoulos lobte
den Flüchtlingspakt mit der Türkei. Seit
die Zusammenarbeit vereinbart wurde,
sind deutlich weniger Migranten aus der
Türkei nach Europa gekommen. Die Vereinbarung sieht vor, dass die meisten
Migranten zurückgeschickt werden.
Siehe Kommentar und Seite 6
JACQUES SCHUSTER
ie Europäische Union hat
viele Gesichter und Körper.
Unter anderem ist sie ein Zustand der Integration, zu dem niemals die Zustimmung der Unionsbürger eingeholt wurde, den sie aber
auch nicht ändern können, selbst
wenn sie ihn mehrheitlich ablehnen.
Darin liegt eine der Hauptursachen
für den Verdruss an der EU. Er ist
mittlerweile so beherrschend, dass
viele vergessen, was die EU Europas
Bürgern geschenkt hat: Frieden und
Stabilität, Wohlstand, Freizügigkeit
und Sicherheit.
Den Sinn für die Vorteile wieder zu
wecken, die die EU bringt, ist nur
dann möglich, wenn sich die Brüsseler Kommission von allen hochtrabenden Plänen verabschiedet und
sich der Probleme annimmt, mit denen sich der Kontinent herumschlagen muss. Und das ohne Hintergedanken und die Absicht, am Ende alle
Regierungen ausgebootet zu haben
und nicht Hüter der europäischen
Verträge zu sein, sondern selbst die
europäische Regierung zu werden.
Der Vorschlag der Kommission,
nun eine gesamteuropäische Asylregelung einzuführen, geht in die richtige Richtung. Er zeigt: Brüssel hat
verstanden, dass der europäische Gedanke nur dann überzeugend wirkt,
wenn die Menschen begreifen, dass
Europa ihnen etwas bringt. Mit einer
gemeinsamen Asylregel ist dies der
Fall.
Sie schafft einheitliche Richtlinien,
wer aufgenommen wird, wer bleiben
darf und wer gehen muss. Sie trägt
der Forderung Rechnung, Leistungen
für Flüchtlinge zwischen Deutschland und Dänemark, Portugal und Polen anzugleichen und notfalls auch zu
kürzen, sollten sich die Dazugekommenen weigern, sich zu integrieren.
Es ist Zeit, sich in Europa klar zu werden, welcher Staat auf der Welt ein
„sicheres Herkunftsland“ ist. Die EUKommission ist auch dazu bereit.
Endlich zeichnet sich eine wirklich
europäische Lösung für die aktuelle
Flüchtlingskrise ab.
Vieles wie die Verteilung der
Flüchtlinge innerhalb der EU ist nach
wie vor nicht geklärt. Dafür aber ist
nicht die Brüsseler Behörde verantwortlich. Es liegt an den Regierungen, tätig zu werden. Sie werden eher
dazu bereit sein, wenn sie sehen: Ein
europäisches Asylrecht ist möglich,
ein Recht, das nicht nur auf ein blindes Willkommen setzt, sondern gegenüber denjenigen abschreckend
wirkt, die keinen Asylgrund besitzen.
Ist es verabschiedet, mag ein gemeinsames Zuwanderungsrecht folgen.
Die EU sollte künftig mit der täglichen Lösung von Problemen verbunden werden. Nicht die Utopie, Pragmatismus wird den europäischen Gedanken retten.
[email protected]
Faule Ausreden sind nicht vorgesehen
Gestressten Eltern, Teenies und Zeitverschwendern bietet Google eine Planungs-App für ein erfülltes Leben. Aber sie hat Schwächen
ampfesmüde Eltern, die sich in Gefechten gegen ihre Teenager
um schimmelnde Joghurtbecher und Altkleidersammlungen
auf Zimmerböden aufreiben, haben einen mächtigen Verbündeten gewonnen: Google Goals, eine neue Funktion im Kalender des
Unternehmens, kann stündlich und täglich selbst gesetzte Ziele anmahnen. Ermahnungen, das Zimmer aufzuräumen („Mein Leben
organisieren“), das Vokabellernen („Neues Lernen“), Sport und „Zeit
für mich“ nicht zu vergessen, sorgen mit Slots für einen rundum
optimierten Tag. Eltern können die Tagesplanung ihrer Kinder einer
höheren Instanz übergeben und durch Verweis auf die Strenge der
übermächtigen Autorität jede Zuständigkeit von sich weisen. Für sie
wäre es die App der Weisen. Noch besser freilich wäre es, wenn Google noch den Handyentzug bei Goals-Verweigerung und die Ausbildungskosten für die Nachkommen übernähme.
Das geht Google offenbar zu weit. Dort hat man weniger Lebenshilfe als den Ausbau der globalen Datensammlung von Abermillionen
Konsumenten im Sinn. Gestresste Erwachsene, die nach der verlorenen Zeit suchen, sind die eigentliche Zielgruppe für Goals, wie
Google erklärt. Ihnen soll dazu verholfen werden, ihr Leben als
Checkliste zu begreifen und es abzuarbeiten. Zeitverschwendung und
Müßiggang sind abgeschafft, es sei denn, sie sind eingeplant. Nun soll
es Menschen geben, die in Goals die Aufseherin für einen gehobenen
Gefängnisalltag erkennen. Manche fühlen sich bei den ständigen
Ermahnungen eher an Altenpfleger erinnert, die bei beginnender
Demenz helfen. Teenager könnten sich als ungeeignete Kunden von
Goals erweisen: Keine Lust sticht bei ihnen keine Zeit, Pflichtgefühle
quälen die meisten in erträglicher Weise.
Eine Amerikanerin, die über ihren Selbstversuch mit Google Goals
berichtet, schildert zufrieden, dass die Planungs-App sie dazu brachte, mit ihrer Familie am Esstisch das Dinner einzunehmen statt vor
dem Fernseher. Das ist zweifellos ein Fortschritt, zumal sie, eine
entnervte Mutter, glaubwürdig angibt, nun auch mehr an ausreichen-
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de Wasserzufuhr, Toilettenpausen, Meditation und Schlaf zu denken.
Goals dient ihr als (schlechtes) Gewissen und gute Fee, die ihr hilft,
ihr Leben nicht durch Planlosigkeit zu vergeuden. Zu den Schwächen
der App zählt, dass sie Ganztagstermine nicht begreift: Nichts getan,
Ziel verfehlt. Ermüdung und geistige Frische sind keine Kategorien,
wenn die App wegen Verschiebungen neu planen muss. Das Leben
bleibt irgendwie lästig. Und Google Goals lässt nicht mit sich handeln. Es mahnt und erinnert, Ausreden sind nicht vorgesehen. Menschen, die keinen geregelten Tagesablauf mit Arbeit, sozialen Pflichten und Hobbys haben, sind der Regulierungskunst von Google Goals
entzogen. Nichtstuer werden nicht erfasst, weil ihnen Google nichts
zu bieten hat. Sie können und wissen alles schon besser. Es kommt
die Zeit, in der Google-Goals-Optimierte heimlich die Versager beneiden, mindestens die glücklichen, um die höchste Freiheit: nach
Lust und Laune ohne Rechtfertigung Zeit zu verschwenden. So viel
Zeit zu haben, dass man davon etwas geben kann.
UWE SCHMITT
ISSN 0173-8437
163-28
ZKZ 7109