Prof. Dieter Wagner Zuspruch am Morgen HR 2 11. Juli 2016 Durch den Horizont blicken „Wir öffnen Horizonte“! Noch immer klingt in mir dieser alte Werbeslogan nach. „Wir öffnen Horizonte“! Mit der Rede vom Horizont verbinde ich unter anderem die Vorstellung von Meer, Sonne, Glück, Träumen. Kein anderer als Papst Franziskus hat den Menschen in Havanna gesagt: Zum Leben gehört das Träumen. „Jeder träumt manchmal von Dingen, die nie eintreten; aber das eröffnet Horizonte“. Welche Horizonte sich öffnen, hat der so angenehm geerdete Papst nicht ausgeführt. Ich habe das Wort „Horizont“ gegoogelt und nicht wenig gestaunt, dass mir dazu gleich 16 Millionen Hinweise gegeben wurden. Ganz allgemein gesprochen bezeichnet der Begriff „Horizont“ die Grenzlinie zwischen der sichtbaren Erde und dem Himmel. Eine fast unendliche Weite des Horizontes erlebt man an der Meeresküste; eine geradezu beängstigende Enge in Tälern und Schluchten. Der Horizont markiert also Weite und Grenze zugleich: die Grenze unseres Sichtfeldes und damit auch die Grenze des Sichtbaren. Der Philosoph Imanuel Kant macht schließlich aus dem topographischen Horizont ein Bildwort, eine Metapher. Kant formuliert das sinngemäß so: Der Umkreis, innerhalb dessen unsere Augen etwas sehen können, ist ein Bild für den Umkreis, innerhalb dessen menschliches Denken und Begreifen möglich ist. Anders ausgedrückt bedeutet dies: Wir können nur so weit denken, wie unsere Augen sehen können. Wenn Kant Recht hat, so wird der topographische Horizont zu einem Bildwort für die Grenze menschlichen Verstandes. Mit dem Phänomen „Horizont“ haben sich Menschen zu allen Zeiten auseinandergesetzt. Sie haben sich nie mit den Grenzen des Horizontes abgefunden. Im Filmdrama „Hinter dem Horizont“, in dem Robin Williams die Hauptrolle gespielt hat, wird dieser nur auf den ersten Blick als Grenze zwischen Jenseits und Diesseits, zwischen Leben und Tod dargestellt. Die eigentliche Botschaft des Films lautet: Das Ende ist nur der Anfang! Überschreite die Grenze des Horizontes und du wirst hinter dem Horizontsein. Dort wirst du Möglichkeiten und Unmöglichkeiten, Chancen und Risiken in einem neuen Licht sehen. Eine irre Aussage! Ein afrikanischer Student erzählte mir, in seiner Heimat sage man: Glauben heißt, durch den Horizont blicken. Diese verblüffende Formulierung kann ich gut nachvollziehen. Im Glauben liegt nämlich genau diese Möglichkeit der Grenzüberschreitung. Mein Sehnen, Hoffen, Wünschen, Glauben über den Horizont des physikalisch Möglichen hinaus versetzt mich in die Lage, mich selber und mein Leben in einem anderen Licht zu sehen. Mit dieser Horizonterweiterung kann ich das eigene Leben in vielen verschiedenen Dimensionen betrachten und auch Konsequenzen im Rahmen der Möglichkeiten und darüber hinaus ziehen. Die Sichtweise des Glaubens schaltet nicht die Sichtweise der Vernunft aus, verfremdet sie aber und kann sie dadurch anreichern.
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