Manuskript Beitrag: Libanesische Erpresserbande – Polizei machtlos Sendung vom 12. Juli 2016 von Andreas Halbach Anmoderation: Immer mehr Deutsche haben Angst, Opfer von Kriminellen zu werden. Laut Statistik ist die Gesamtzahl der Straftaten auch gestiegen, vor allem die Einbrüche haben zugenommen, um zehn Prozent. Soweit die verunsichernden Fakten. Dazu kommt das Gefühl, von der Polizei nicht ausreichend geschützt zu werden. Dabei hat die 2015 mehr Straftaten aufgeklärt als im Jahr zuvor. Es gibt aber tatsächlich Fälle, da könnte die Polizei die Täter ermitteln, darf aber nicht, weil die im Ausland sitzen und ihnen dort hohe Strafen drohen. Andreas Halbach über eine libanesische Erpresserbande und die machtlose deutsche Polizei. Text: Florian Weinbach macht sein Wohnmobil startklar. Das alte hat er über im Internet über „eBay“ verkauft und erlebte eine böse Überraschung. Denn kurz nachdem das Fahrzeug abgeholt und bar bezahlt worden war, meldete sich am Telefon ein Mann. Der behauptete, er sei Käufer des Wohnmobils und reingelegt worden. O-Ton Florian Weinbach, Auto-Verkäufer: Der Mann hat gesagt, es wär ein Zylinderkopfschaden und der Schaden wäre 3.000 Euro, den soll ich begleichen. Wenn ich das nicht tun würde, würde ich es bereuen. Und er würd‘ heute Abend noch vorbeikommen, würd‘ meine Familie umbringen, würd‘ mich umbringen. Auf den Drohanruf ist Weinbach nicht eingegangen, die 3.000 Euro hat er nicht bezahlt. Seine Frau aber hatte große Angst um die drei kleinen Kinder, deshalb hat er Anzeige erstattet. Doch von der Polizei bekam Weinbach keine Hilfe. So recherchierte er selbst im Internet: Ihm wurde schnell klar, dass es deutschlandweit Tausende Opfer gibt. In Chat-Foren beschreiben andere Kfz-Verkäufer das Vorgehen der Erpresser: „Der Anrufer war derart aggressiv am Telefon das ich richtig Angst bekam. … Du bist tot, Meine Brüder holen das Geld, Wir zerstören dein Leben…“ „hat die masche bei uns auch gemacht. leider mit erfolg, da mein mann, sehr gutglaeubig. uns halt nicht in eine schlechte situation bringen wollte.“ Und immer waren es wohl dieselben Täter, in allen Fällen melden sich die Erpresser mit der Ländervorwahl des Libanon: „0961“. Er hat sich erpressen lassen und gezahlt: Das ist dem Arzt peinlich, deshalb möchte er unerkannt bleiben. Sein altes Motorrad hatte er ebenfalls über „eBay“ verkauft. Danach meldete sich ein Erpresser: O-Ton Thomas L., Motorrad-Verkäufer: Ich hab den Fehler gemacht, dass ich meine Telefonnummer in der eBay-Anzeige angegeben hatte. Der Erpresser sagte, sein Bruder sei bei den Hells Angels. Der wäre mächtig böse und würde schon in den Startlöchern stehen. Ich hatte in dem Moment Angst um Leib und Leben. Dutzende Mal habe sich der Erpresser an dem Tag gemeldet. Weil Thomas L. glaubte, es handele sich tatsächlich um den Käufer, erklärte er sich bereit, Kaufpreis plus Abschleppkosten zu erstatten. Eines der letzten Telefonate hat er mit seinem Diktiergerät aufgenommen. Täter: „Haben wir uns jetzt 1.000-prozentig geeinigt?“ Opfer: „Ja, wenn ich‘s Moped zurückkrieg.“ Täter: „Okay, also, ich hab dir gesagt, beim Leben meiner Mutter kriegst du das Moped zurück, beim Leben meiner Mutter hab ich gesagt. Heute um 18.30 Uhr.“ Opfer: „Okay!“ Der Arzt überwies noch am selben Tag fast 8.000 Euro in den Libanon. Die Erpresser verstehen es, Angst zu verbreiten. Im Internet ist die Rede von „morddrohung“, „ich mach dich einen Kopf kürzer“ oder „Nerven blank“. Alles Zeugenaussagen über den libanesischen „Telefonterror“. Hunderte Chat-Beiträge seit 2008 – und bis heute Enttäuschung über die Polizei: Die „Polizei“ sagt, es gebe „keine Chance“, an die Täter heranzukommen. Kann das sein, eine Bande aus dem Libanon versetzt Menschen in Deutschland seit acht Jahren ungestraft in Angst und Schrecken? Wir rufen Polizeistationen in ganz Deutschland an. Schnell wird klar, die Betrugsmasche ist überall bekannt. Doch kein Polizist will offen darüber reden. Später erhalten wir eine E-Mail. Ein Kripobeamter beklagt „polizeiliches Ermittlungsverbot“. Wir treffen den Ermittler. Er will anonym bleiben, fürchtet Repressalien. Denn er übergibt uns ein brisantes polizeiinternes Dokument: Einen „Vermerk“ des LKA Rheinland-Pfalz. Der hat es in sich: hunderte Fälle mit Aktenzeichen, Schadenssummen, sogar ein Dutzend Hauptverdächtige sind hier mit Namen aufgelistet. O-Ton Kriminalbeamter: Seit acht Jahren sind die Erpresser aktiv. Wir gehen von mehreren 10.000 Fällen aus. Der Schaden geht in die Hunderttausende, weil viele Opfer zahlen. Aber leider sind uns die Hände gebunden, denn wir dürfen gar nicht in den Libanon hinein ermitteln. Der Grund steht auch im vertraulichen Polizeipapier: „Mit Datum vom 7.10.2013 hat das BfJ [Bundesamt für Justiz] entschieden, dass entsprechende Ersuchen durch das BKA nur dann ins Ausland weitergeleitet werden dürfen, wenn bei der Erledigung strafprozessuale Maßnahmen ausgeschlossen sind.“ Konkret bedeutet das, weil der Libanon auf der Liste der Staaten mit Todesstrafe steht, muss auch auf die Täter Rücksicht genommen werden. So gerät der Rechtsstaat an seine Grenzen mit Konsequenzen für die Ermittler: O-Ton Kriminalbeamter: „Das heißt, dass wir Anfragen nach Telefoninhabern im Libanon gar nicht mehr stellen dürfen. Wir als Polizei rennen vor die Wand. Die Opfer lässt man im Stich, weil die Täter geschützt werden müssen, die munter weitermachen.“ Keine Strafverfolgung aus Sorge um die Täter? Darüber will weder das Bundesjustizministerium noch das Bundesamt für Justiz mit uns reden. Schriftlich verweist man auf die Richtlinien. Demnach sei die Strafverfolgung in Länder mit Todesstrafe quasi verboten, Zitat: „Keinesfalls darf der Staat seine Hand zu Verletzungen der Menschenwürde reichen.“ Erstaunlich, die Menschenwürde dreister Schwerstkrimineller im Libanon ist offenbar wichtiger als der Schutz Tausender verängstigter Familien in Deutschland. Wir fragen noch mal nach. Jetzt heißt es plötzlich aus dem Justizministerium, Zitat: „…dass eine Zusammenarbeit mit dem Libanon in diesen Fällen mittlerweile möglich ist.“ Stimmt das? Wir fragen bundesweit alle Landeskriminalämter. Die meisten wissen nichts davon, gehen nach wie vor davon aus, dass im Libanon nicht ermittelt werden darf. So schreibt das LKA Düsseldorf, Zitat: „Rechtshilfeanfragen von Polizeibehörden (…) zu den beschriebenen Vorgängen werden derzeit vom LKA NRW grundsätzlich (…) zurück gewiesen(...).“ Peter Wilkitzki war Abteilungsleiter „Strafrecht“ im Bundesjustizministerium. Er war verantwortlich für internationale Strafverfolgung und kennt das Problem. Der Libanon mache schon seit Jahren keine Zusagen beim Thema Menschenrechte: O-Ton Prof. Peter Wilkitzki, ehemaliger Ministerialdirektor im Bundesjustizministerium: Ich hab gehört, dass mit Libanon bisher keine befriedigenden Zusicherungen in diesen Fällen gegeben wurde. O-Frontal 21: Jahrelange Verhandlungen auf diplomatischem Wege, die nichts fruchten und die Erpresser machen munter weiter? O-Ton Prof. Peter Wilkitzki, ehemaliger Ministerialdirektor im Bundesjustizministerium: Ja, das ist das traurige Fazit in solchen Fällen. O-Ton Frontal 21: Versteht man da Kritiker, die sagen, die Opfer werden im Stich gelassen, die Täter geschützt? O-Ton Prof. Peter Wilkitzki, ehemaliger Ministerialdirektor im Bundesjustizministerium: Man versteht sie. Es enthebt uns nicht der Pflicht, alles zu versuchen, um diese Kritiker eines Besseren zu belehren. Aber ich verstehe sie. Wir zeigen dem Vorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, die Polizeidokumente und Stellungnahmen des Justizministeriums. Sein Fazit - eindeutig: O-Ton Rainer Wendt, Vorsitzender Deutsche Polizeigewerkschaft: Wenn der Rechtsstaat nicht vernünftig reagiert und die Menschen sehen, dass eigentlich gar nichts passiert, dann hat das zwei Wirkungen: erstens auf die Bevölkerung selber, weil die Kriminalitätsfurcht dann noch weiter aufbaut. Aber es hat auch Auswirkungen auf die Täter. Die fühlen sich nämlich ermuntert. Und machen weiter: Vor wenigen Tagen erreicht Frontal 21 wieder der Hilferuf eines Opfers. Es schreibt uns: „… ich solle ihm das Geld noch heute besorgen, ansonsten kommt er vorbei und schneidet mir den Kopf ab, bringt meine Familie um und brennt das Haus nieder.“ Immer mehr Opfer und keine Hilfe vom Rechtsstaat. Vor vier Jahren hat der betrogene Arzt Strafanzeige erstattet. Bis heute keine Antwort: O-Ton, Thomas L., Motorrad-Verkäufer: Ich bin enttäuscht von Polizei und Justiz. Man hätte doch wenigstens die Öffentlichkeit warnen können. Und so werden wohl weiter Menschen in Angst und Schrecken versetzt und Ermittlungsbehörden lassen sie allein. Abmoderation: Täterschutz vor Opferschutz, meist ein bloßes Vorurteil, aber klar zu benennen, wenn es tatsächlich vorkommt. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. 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