SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Musikstunde
Das Große Tor von Kiew - Musik und
Sport (2)
Gepflegtes Grün und weiße Weste
Von Jörg Lengersdorf
Sendung:
Redaktion:
Dienstag, 05. Juli 2016
(Wiederholung von 2012)
9.05 – 10.00 Uhr
Ulla Zierau
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere
Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
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„Musikstunde“ mit Jörg Lengersdorf
Das Große Tor von Kiew - Musik und Sport (2)
Gepflegtes Grün und weiße Weste
Von Jörg Lengersdorf
SWR 2, 04. Juli – 08. Juli 2016, 9h05 – 10h00
Signet: SWR2 Musikstunde
Herzlich willkommen dazu, diese Stunde führt uns unter anderem auf jene Plätze
der Körperertüchtigung, die man, früher jedenfalls, am besten mit guten Sitten
und in feinem Zwirn betreten hat .
Beginnen wir unsere Reise in Schottland, Heimat einer Sportart und einer
tragischen Königin namens Mary, Maria Stuart.
1587 wurde die schottische Königin in England enthauptet und in ihrem Fall kann
man getrost behaupten, das es letztlich auch ihre Leidenschaft für Sport war, die
sie in jungen Jahren schon mitunter kopflos erscheinen ließ.
Dabei war es eine der gesündesten Sportarten überhaupt, welche Mary
leidenschaftlich betrieb. Welche? Das nächste Stück mag schon mal zum
spekulieren anregen. So könnte es geklungen haben, als Maria Stuart noch nicht
zum Schafott, sondern mit steifer Oberlippe und geradem Rücken zum Sportplatz
schritt.
Musik 1, 3.46 min
Iceland Symphony Orchestra, Bjarte Engeset
Rikard Nordrak, Bühnenmusik zu „Mary i Skotland“
Purpose, arr. J. Halvorsen
CD “Norwegian Classical Favourites”
LC 05537 Naxos 8.557017
Das Iceland Symphony Orchestra unter Bjarte Engeset mit dem festlichen Einzug
aus der Suite „Maria, Königin von Schottland“ von Rikard Nordrak.
Maria Stuart hat nicht nur Weltgeschichte geschrieben, sondern auch ein kleines,
aber bemerkenswertes Stück Sporthistorie.
Maria Stuart soll häufig in den 1560er Jahren mit einem Schläger bewaffnet
einem kleinen Ball nachgejagt sein, den sie querfeldein über brachliegende
Felder schlug und in Löcher versenkte. Schottland gilt als Mutterland des Golfs
und Maria Stuart als eine leidenschaftliche Golfspielerin.
Sicher ist: problematisch wurde die Sportleidenschaft der Königin an einem
Wintertage des Jahres 1567. Zwei Wochen vorher war der zweite Ehemann der
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Königin, Lord Darnley, bei einem Brand ums Leben gekommen. Mary und ihr
Liebhaber gerieten danach unter Mordverdacht.
Und damals schon kostete es Mary eine Menge Sympathiepunkte, dass sie nur
wenige Tage nach dem vermeintlichen Mord, eben in jenem Winter 1567, wieder
Golfen ging. Wenig Liebe zum Gatten, viel Liebe zum Sport eben. Sportfanatiker
haben oft Schwierigkeiten, Verständnis zu finden.
Das speziell Golfspieler von Nichtgolfspielern bis weit ins 20. Jhd kritisch beäugt
wurden, zeigt auch das nächste Stück.
Musik 2, 0.42 min
Constanze Brüning, Rezitation, Johannes Cernota, Klavier
Erik Satie, Das Golfspiel, aus „Sport et Divertissements“
CD „Sport und Vergnügen – das Hör und Bilderbuch“
LC 08648 Jaro 4239-2
Constanze Brüning und Johannes Cernota mit Erik Saties Persiflage auf den
siegesgewissen Herrn Oberst, der einen derart robusten Golfstil pflegt, dass ihm
dabei der Schläger um die Ohren fliegt.
1914 hat Erik Satie unter dem Titel „Sports et Divertissements“ gleich mehrere,
wenige Sekunden lange, Miniaturen aus Wort und Musik verfasst, die diverse
Sportarten aufs Korn nehmen. aber bleiben wir zunächst beim Golf und seinem
Frustrations - Potential. Mancher Golfanfänger mag ein Liedchen davon singen:
Ein ambitionierter Drive kann auf viele Arten und Weisen in die Hose gehen. Der
Klassiker: Dramatisch Ausholen, ganz undramatisch vorbeischlagen, sozusagen
maximale Versagensquote. Viel Ursache und wenig Wirkung. Wir beobachten,
vielmehr hören, anderthalb Minuten einen korpulenten älteren Herrn auf dem
Rasen, der mit dem Golfschläger versucht, einigen Damen zu imponieren. Die
Damen tuscheln, geben gute Ratschläge. Der Herr bringt sich in Position.... und
nach zwanzig Sekunden heisst es erstmals: leider daneben...
Musik 3, 1.36 min
Moscow Symphony Orchestra, William Stromberg
Franz Waxman: The Golf Course, Film Score “Another Dawn”
LC 9158 Marco Polo 8.223871
Und schon wieder ein Schlag missglückt.
Moscow Symphony Orchestra unter William Stromberg mit „Der Golfplatz“ aus
Franz Waxmans Musik zum Film “Another Dawn”.
Im Film sieht man passgenau auf die Glissandi in der Musik natürlich die
Fehlschwünge des Golfers.
Nun besteht ja der Golfsport aus vielen bewegungstechnisch geradezu banalen
Aktionen: Herumlaufen auf dem Platz, und aus wenigen bemerkenswerten
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Aktionen: Ausholen und Schlagen. Das Verhältnis banal zu bemerkenswert fällt
dabei ungefähr 1 zu 99 aus. Man kann aber mit ein wenig Abstraktionsvermögen
sogar den Golfsport grazil in Szene setzen.
Man muss sich nur vorstellen, wie eine Primaballerina Golfspielen würde.
Eine russische noch dazu.
Russisches Ballett hatte Anfang des 20. Jhds in ganz Europa einen Kultstatus
erreicht. Angesteckt vom grassierenden russischen Ballettfieber wurde auch der
englische Dramatiker James Matthew Barrie, den man heutzutage vor allem als
Erfinder des Kinderhelden Peter Pan kennt.
Der schrieb um 1920 ein Theaterstück, in dem er sich vorstellte, wie wohl das
Privatleben einer Ballerina aussähe: „Die Wahrheit über russische Tänzer“, so der
Titel. Im Zentrum der fiktiven Handlung: die unglaublich hübsche Tänzerin
Karissima, die im ganzen Stück kein einziges Wort sagt, sondern selbst das JaWort vor dem Traualtar tänzelt. Und diese Karissima ist leidenschaftliche Golferin.
Natürlich nähert sich eine russische Spitzentänzerin auch einem Golfball so
überzeugend, als wolle sie ihn mit Verführungskünsten zum Wegfliegen
überreden. Der englische Komponist Arnold Bax schrieb die unwiderstehliche
Bühnenmusik zur Szene: Karissima spielt Golf.
Musik 4, 3.02 min
London Philharmonic, Bryden Thomas
“Karissima plays Golf“ aus “The Truth about russian Dancers”
Arnold Bax
CD: Bax, Orchestral Works, Vol. 9
LC 07038 CHANDOS 10457X
... würden jede Golferin oder gar jeder Golfer sich derart anmutig über den Platz
bewegen, würde diese schöne Sportart sehr viel häufiger im Fernsehen
übertragen. London Philharmonic unter Bryden Thomas mit „Karissima spielt Golf“,
aus Arnold Bax Musik zu James Matthew Barries Theaterstück „Die Wahrheit über
russische Tänzer“.
Leidenschaftliche Golfer behaupten, auch ohne optische Anreize auszukommen,
allein das haptische und nicht zuletzt das akustische Vergnügen, einen Golfball
zu treffen, könne schon beim ersten gelungenen Versuch süchtig machen wie
eine Droge.
Dass die Droge Golf ganze Familien, ganze Leben zerstören kann, auch davon
weiß die Musikgeschichte ein Lied zu singen, wenn auch ein ganz kleines.
Die Ballade vom eigentlich treuen Familienvater, den seine Kinder seit Wochen
nicht gesehen haben: Wo ist Papi? – Golfen...
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Musik 5, 2.28 min
Frank Crumit, “And then he took up Golf”
CD Frank Crumit Returns (1920-1938)
LC 05537 Naxos Nostalgia 8.120620
Sand in den Schuhen, das Konto leer, das Eheleben quasi brachliegend, die
Kinder erkennen Vati nicht wieder - ein Mann sieht Grün, und das in jeder Freien
Minute: And then he took up Golf, ein musikalisch moralischer Versuch über
jenen unglücklichen Golffreund, der durch seine Leidenschaft auf Abwege gerät,
gesungen von Frank Crumit.
Die Passion Sport ist übrigens auch ganz wissenschaftlich zu definieren. Der
deutsche Sportwissenschaftler Professor Klaus Wiemann schrieb schon 1972, Sport
sei, Zitat, „eine notwendige Ventilsitte zur Befriedigung elementarer
Verhaltensantriebe, gesteuert durch Spiel und Exploration“, Ein
Professorenkollege von der Universität Berkeley fasste 1988 dazu noch den
kultischen Aspekt in Worte: Sport sei „das rituelle Opfer überschüssiger Energie.“
Mhm. Ventilsitte... Energieüberschuss...Als wenn das alles wäre, mag der
Sportsfreund denken. Weiß die Kunst vielleicht erhellenderes zu sagen,
Sportfaszination zu erklären mit Argumenten jenseits des unschön Banalen?
Das nächste Stück zeigt Sport jenseits von Triebabfuhr und Kraftmeierei und damit
gänzlich unsportlich im wissenschaftlichen Sinne:
Schöne Menschen tun schöne Dinge in schönen Kleidern, dazu ein laues
Lüftchen, Sonnenschein, reines Glück...“Rasentennis“, aus der skandinavischen
Romantik.
Musik 6, 2.27
Noriko Ogawa, Klavier
Wilhelm Peterson Berger: aus Frösöblomster op. 16, “Lawn Tennis“
CD: Wilhelm Peterson Berger, Frösö Flowers
BIS CD 925
Noriko Ogawa mit einem wunderschön atmosphärischen Stück vom
schwedischen Spätromantiker Wilhelm Peterson Berger aus dessen Zyklus „die
Blumen von Frösö“.
Fast klang das nach Robert Schumanns Kinderszenen, und tatsächlich beschrieb
die kleine Miniatur ja auch etwas dezidiert spielerisches: Rasentennis.
Die Ursprünge des heutigen Tennisspiels reichen vermutlich bis ins 13. Jhd zurück,
als in französischen Klöstern in den Innenhöfen der Kreuzgänge die Mönche mit
bloßen Handballen Korkbälle hin und her schlugen, Jeu de Paume, hieß das
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damals, die Dachflächen der Kreuzgänge wurden teilweise als Bande eingesetzt.
Später wird das jeu de Paume auch in Adelsschlössern und Residenzen gespielt,
König Franz der Erste lässt gar einen Tennisplatz auf ein Prunkschiff bauen. Und
noch im frühen 20. Jhd. erinnert der finnische Komponist Jean Sibelius an die
französischen Wurzeln des Tennis und an die etwas dekadenten Partien des
Adels, der sich ausschließlich um sich selbst und seine Vergnügungen kümmert.
Ballspiel im Pariser Vorort Trianon, von Jean Sibelius...
Musik 7, 1.20 min
Anne Sofie von Otter, Bengt Forsberg
Jean Sibelius „Tennis in Trianon” aus: 6 Lieder op. 36
CD Jean Sibelius, Songs, vol. 1
BIS CD 457
„Lacht es und schwatzt unter Baum und Blüten im grünen Parke Trianon,
Vornehme Dämchen in Schäferhütchen, sie trällern lächelnd Lonlaridon...“
Anne Sofie von Otter und Bengt Forsberg.
Tennis in Trianon von Jean Sibelius auf ein verstörendes Gedicht von Gustav
Fröding beschreibt eine französische Adelsgesellschaft kurz vor der Revolution,
die sich beim Ballspiel auf einem Gartenfest vergnügt.
Der düstere Schluss des Liedes verweist auf das hässliche Gesicht eines Bettlers,
der dem Spiel heimlich zuschaut. „Wer ist dieses Vieh?“ Ruft der Vicomte, und
verfehlt wegen des Schrecks seinen Tennisball.
Unverhohlene Sozialkritik im Gewand eines Tennis- Liedes, das Gesicht des Bettlers
wird zur Fratze des Leidens an einer ungerechten Welt, schön für die Reichen,
hässlich für die Armen.
Sport als Statussymbol einer selbstbewussten Klasse – das ist auch das Thema von
Erik Satie in seinen Sports et Divertissements von 1914, in denen er die
Zerstreuungen des neuen Bürgertums aufs Korn nimmt. Worum geht’s noch mal
im Tennis? Ihre Analyse bitte, Monsieur Satie...
Musik 8, 1.07 min
Constanze Brüning, Rezitation, Johannes Cernota, Klavier
Erik Satie, Das Tennis, aus „Sport et Divertissements“
CD „Sport und Vergnügen – das Hör und Bilderbuch“
LC 08648 Jaro 4239-2
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...und die Moral von der Geschicht: wer anderen auf die Beine starrt, gewinnt im
Tennis nicht...
Das Tennis, Musik und Text erdacht von Erik Satie 1914 für ein Luxus Album mit
Musik, Text und Illustrationen, betitelt „Sport et Divertissements“
Das Tennis wurde im Laufe seiner Geschichte nicht nur vertont, Tennis hatte auch
Auswirkungen auf die Rezeptionsgeschichte eines ganzen Werkes von Arnold
Schönberg.
Arnold Schönberg ließ 1936 den Erstdruck seines vierten Streichquartetts
finanzieren von seinem Tennispartner: George Gershwin.
Hier kam bei einem Musikprojekt zusammen, was vor allem sportlich zusammen
gehörte: Gershwin und Schönberg schätzten sich nicht nur als Komponisten
sondern vor allem als Sportler.
Unglücklicherweise gibt es weder von Schönberg noch von Gershwin Stücke, die
explizit auf ihr Tennis Bezug nehmen. Es gibt jedoch vom amerikanischen
Gegenwartskünstler Scott Benzel ein Werk, das auf die Sportsfreunde anspielt:
Music from the trip. Der Untertitel: Im Stil eines Schönberg/Gershwin
Tennismatches. Wir hören den zweiten Satz
Musik 9, 1.39 min
Scott Benzel: II, aus
Music from the Trip in the Style of a Schoenberg-Gershwin Tennis Match observed
in Passing by Dr. Oscar Janiger,
Label Ood Press, Numero Deux
Internet Ressource, Bezug über Amazon.de, Download Portal
ASIN: B004U4EBZ2
Kurz zusammengefasst: ein Psychiater und Spezialist für bewusstseinserweiternde
Drogen, LSD Papst Doktor Oscar Janiger, beobachtet im Vorbeigehen ein
Tennismatch zwischen Arnold Schönberg und dessen gutem Freund George
Gershwin.
Music from the Trip in the Style of a Schoenberg-Gershwin Tennis Match observed
in Passing by Dr. Oscar Janiger, vom Komponisten Scott Benzel.
Die unzähligen Anspielungen dieses komplizierten Titels ignorierend noch einige
Worte zum Tennis Fanatiker Arnold Schoenberg.
Arnold Schoenberg liebte es, seiner Tochter Gute Nacht Geschichten von einer
Tennis Prinzessin zu erzählen und Schoenberg hatte sogar analog zum
musikalischen Notationssystem eine eigene Kurzschrift entworfen, um Spielzüge
im Tennis aufs Papier zu bringen. Tatsächlich experimentierte Schönberg mit den
Möglichkeiten, diese Tennis Stenographie für ein musikalisches Notationssystem
fruchtbar zu machen.
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Es kann natürlich auch ganz unwissenschaftlich klingen, wenn man zwei
Schlägern und einem federleichten Ball im Wechselspiel zuhört. Ball kommt,
hinlaufen, und Schlag...
Musik 10, 1.20 min
Georges Bizet
Federball aus: Jeux d enfants
Taschenphilharmonie, Peter Stangl
Federball aus Georges Bizets Kinderstücken Jeux d enfants.
Die konsequenteste Umsetzung eines sportlichen Geschehens in Musik hat bis
dato vermutlich Komponist Mauricio Kagel vorgenommen. In Kagels im Ganzen
knapp 16minütigen Stück „Match“ für drei Spieler wird die Konzertbühne zum
Spielfeld im Sinne des Wortes. In der Inszenierung eines als Tennismatch
deutbaren Sportwettkampfes auf der Bühne lässt Kagel zwei Cellisten
gegeneinander antreten, die sich gegenübersitzen. Die Cellisten benutzen dabei
ihre Instrumente und Bögen im Sinne des Matches als „Spielgeräte“, um sich
gegenseitig sozusagen die musikalischen Bälle zuzuspielen.
Koordiniert wird das Ganze von einem Schlagzeuger, der im Hintergrund stehend
die Funktion des Schiedsrichters übernimmt.
Die ersten Momente klingen nicht von ungefähr nach einem Tennisspieler vorm
Aufschlag
Musik 11, 0.58 min
Mauricio Kagel
Auszug aus: „Match für drei Spieler“
Siegfried Palm, Klaus Storck, Christoph Caskel
CD Reihe Musik in Deutschland 1950-2000
Instrumentales Theater 1964-1981
LC 00316 RCA Red Seal, BMG 74321 73649 2
Ball im Aus. Der erste Spielzug aus Mauricio Kagels „Match für drei Spieler“
Siegfried Palm und Klaus Storck waren die Spieler an den Celli, Christoph Caskel
der Schiedsrichter am Schlagzeug.
Im Verlaufe des Stücks geraten die Cellisten immer mehr außer Kontrolle, wobei
Kagel die Musik bewusst aus den immer heftigeren Bewegungen der Musiker
entstehen lässt, die theatralische Geste ist sozusagen genauso wichtig wie das
Ergebnis – großes Tennis eben.
Ein vergleichsweise dazu idyllisches Tennis-Werk von Claude Debussy entführt uns
jetzt auf einen Rasenplatz zur beginnenden Dämmerung.
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Zwei Mädchen, stilecht zum Sport in weißen Gewändern, suchen einen
verlorenen Ball. Hinzu kommt ein männlicher Tennisspieler, ebenfalls in bestem
Zwirn, Garant für erotische Neckereien, Verwirrung und Verführung...aber all das
wird abrupt in Luft aufgelöst durch einen Tennisball, der zwischen die Spieler
fliegt. Jeux, Ballett von Claude Debussy, wir klinken uns ein nach rund 10
Minuten... die Damen suchen immer noch nach dem verlorenen Ball....ja wo is er
denn?
Musik 12, ca. 6.20 Minuten eingeblendet vor Schluss,
Jeux, Claude Debussy
Cleveland Orchestra, Pierre Boulez
CD : Debussy, la mer etc
LC 00173 Deutsche Grammophon 439 896 2
Ein Tennisball beendet den erotischen Reigen auf dem Rasenplatz.
Im August 1912 schrieb Claude Debussy diese gerade vom Cleveland Orchestra
unter Pierre Boulez musizierte Ballettmusik „Jeux“ für die Balletttruppe „Les Ballets
Russes“ des großen Impresarios Sergey Diaghilew. Die Uraufführung von Jeux im
Theatre des Champs Elysees 1913 geriet rasch in relative Vergessenheit, weil zwei
Wochen später im selben Rahmen der größte Ballettskandal aller Zeiten
stattfinden sollte: Stravinskys Sacre du Printemps, ebenfalls getanzt von
Diaghilews Ballets Russes.
Und damit lassen wir in dieser Musikstunde den musikalischen Tennisball in der
Gesäßtasche verschwinden und wenden uns einer hierzulande vergleichsweise
unbekannten Sportart zu: Cricket. Gutgekleidete Gentlemen werfen mit Anlauf
Bälle auf andere gutgekleidete Gentlemen, die diese Bälle mit einem
Schwertähnlichen Schäger in die Gegend dreschen. Der wahre Brite stirbt für
diesen Sport, vielleicht würde er sogar dafür töten, zumindest soll es englische
Fans geben, die Cricket geradezu religiös radikalisieren, wetten?
Musik 13, 2.34 min
H.W. Havergal/The London Quartet
The rules of Cricket, A Psalm Chant,
The London Quartet
CD Songs of Cricket, Signum Classics
LC 15723 SIG CD 217
Wie heisst es sinngemäß im Text: Vor über hundert Jahren haben wir kultivierten
Briten Cricket nach Amerika gebracht, und die Amerikaner könnens immer noch
nicht, spielen stattdessen Baseball im Pyjama.
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Die Briten haben die Deutungshoheit über Cricket, in Sieg und Niederlage.
Das war The London Quartet mit dem Lied, welches diese Tatsache allen
anderen Nationen begreiflich macht, Die Cricketregeln, The rules of Cricket, ein
Psalmengesang nach H W Havergal.
Bei den letzten Cricket Weltmeisterschaften schied England übrigens im
Viertelfinale aus gegen den späteren Vizeweltmeister Sri Lanka.
Englands Trainer war der ehemalige Cricket Spieler Andy Flower.
Und tatsächlich gibt es ein Lied darüber, wie mies Andy Flower sich dabei fühlt,
wenn er einem schlechten Spiel seiner Mannschaft zusieht, stundenlang.
Armer Andy Flower, Poor Andy Flower.
Musik 14, 2.04 min
Richard Stilgoe
Poor Andy Flower zur Musik von Leo Delibes Blumenduett
Richard Bryan/Eliza Lumley, Chris Hatt, piano
CD Songs of Cricket, Signum Classics
LC 15723 SIG CD 217
Armer Andy Flower, Das Flower Duett, sinnfällig gesungen zur Musik von Leo
Delibes Blumenduett, ein Mitleidsgesang für den Crickettrainer des englischen
Nationalteams, interpretiert von Counter Richard Bryan, Sopran Elizabeth Lumley
und Chris Hatt am Klavier.
Der Cricketschläger soll übrigens auf das zweihändig geführte Schwert von
mittelalterlichen Rittern zurückgehen. Genauso gefährlich ist er wohl auch, 2007
wurde ein Cricketball in Australien derart wuchtig vom Schläger getroffen, dass
er über das Stadiondach hinwegflog und den Besitzer einer Würstchenbude vor
den Toren der Sportarena sozusagen fällte.
Auch sonst braucht man Stehvermögen als Cricketfreund. Kaum jemand versteht
die Regeln, selbst Experten haben Schwierigkeiten, und es kann im Stadion schon
mal spät werden. Cricket Matches können bis zu 5 Tagen dauern, und man sagt,
in den Anfangstagen des Spieles im Süden Englands hätten nur die Schafe ein
ganzes Spiel durchgehalten, jene allerdings, die sowieso auf dem Rasen
herumstanden. Cricket sei so ähnlich wie Baseball unter Valiumeinfluss,
behaupten Spötter.
Und damit fragen wir uns jetzt, ob es auch musikalisch tatsächlich aufregender
zugeht beim Baseball. Hören wir einfach mal...
Ein kurzer Baseballspielzug von Charles Ives..
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Musik 15, 1.05 min
Charles Ives
All the way around and back
Ensemble Modern
CD: American Classics
LC 00542 EMI 2066312
Baseball in Tönen. Im vom Ensemble Modern gespielten Stück All the way around
and back von Charles Ives ging es um einen sogenannten Foul Ball und den
armen Baserunner, der daraufhin den ganzen Weg vom dritten Base bis zum
ersten wieder zurück muss, Baseball Freunde werden wissen, was gemeint ist, den
Musikfreunden sei gesagt, dass das Stück in der Mitte sozusagen den Rückweg
antritt und musikalisch spiegelbildlich zum Anfang auf dem Rückzug in einen
donnernden Schlussakkord mündet, den man durchaus als Jubel der Gegner
verstehen kann.
Die Sportleidenschaft des Komponisten Charles Ives wird uns unter vielem
Anderen morgen noch beschäftigen. Für heute hören wir uns noch an, warum
Baseball eine Berufung ist, für die man auf vieles verzichten muss, kein Alkohol,
keine Liebschaften, kein Kuchen von Mami - für den wahren Sportsfreund zählt
nur eins: the Game, aus dem Baseball Musical „Damn Yankees“...
Musik 16, 4.32min
Richard Adler/Jerry Ross
The Game aus Filmmusik zu “Damn Yankees”
Gesungen vom Baseball Team
CD Original Cast Recording “Damn Yankees”
LC 00316 RCA Victor
Import, Bezug über Amazon
ASIN: B000002W65