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20 B ILDUNG & K ARRIERE
BILD: SN/JOACHIM B. ALBERS - FOTOLIA
SAM ST AG, 2. JUL I 20 16
Land der Berge, Land der Titel
Nirgendwo anders
wird dermaßen viel Wert
auf die Anrede gelegt
wie in Österreich.
Der Hang zur
Titel-Hascherei hat einen
historischen Hintergrund.
Und er hat auch
negative Folgen.
RALF HILLEBRAND
Ein offizieller Termin in
einer Salzburger Behörde
vor wenigen Wochen. Die
Sekretärin empfängt den Journalisten. Nachdem sie den
Gast begrüßt hat, kündigt sie
ihn bei ihrem Chef an:
„Herr Hofrat, der Herr Magister ist da. Und ach ja, der
Herr Doktor kommt nach.“
Österreich ist ein Land der Titel. Rund
1500 Titel und Berufsbezeichnungen sind
hierzulande offiziell per Gesetz geregelt.
Und somit wohl so viele wie in kaum einem
anderen Winkel der Welt – zumindest in
Relation zur Staatsgröße. „Ja, in Österreich
gibt es überproportional viele Titel“, sagt
Heinz Kasparovsky, Leiter der Abteilung Internationales Hochschulrecht und Anerkennungsfragen im Wissenschaftsministerium.
Kasparovsky und sein Team bilden die zentrale Anlaufstelle, wenn es um die Anerkennung von beruflichen oder akademischen
Titeln in Österreich geht. „Die Menschen in
diesem Land brauchen offenbar Titel. Wenn
sie keinen haben, haben sie das Gefühl,
dass sie nicht weiterkommen.“
Doch woher kommt diese Sucht nach Titeln? Kasparovsky ortet vor allem einen historischen Hintergrund. Zu Habsburger Zeiten sei das Land derart groß gewesen, dass
es sachbezogene Hierarchien gebraucht habe. Und eben diese Hierarchien hätten in
Österreich, aber auch in den östlichen
Nachbarländern, bis heute überlebt. Der Titel Hofrat sei ein gutes Beispiel: „Er wird
nach wie vor vergeben. Obwohl Österreich
schon lang nicht mehr so groß ist wie zur
K.-u.-k.-Zeit. Und obwohl es schon lang keinen Hof mehr gibt.“ Als Hofrat dürfen sich
höhere Bundesbeamte bezeichnen, die eine
bestimmte Verwendungsgruppe erreicht haben (Amtstitel). Zudem kann der Titel ehrenhalber vergeben werden (Berufstitel).
Der Titel-Wahn treibt noch wildere Blüten. Es gibt ebenso einen Militärerzdekan
wie einen Bergrat honoris causa. Ein „Bergrat h.c.“ ist für all jene Absolventen bestimmt, die ein Studium an einer Hochschule für Berg- und Hüttenwesen abgeschlossen haben, etwa an der Montanuniversität in Leoben. Noch kurioser sind für
Heinz Kasparovsky jene Titel, die die Bundesländer eigenständig vergeben. In St. Pölten gebe es einen offiziellen „Oberbrückenbaumeister der niederösterreichischen Lan-
desregierung“. Und den darf es auch geben.
Denn während akademische Titel nur nach
klaren rechtlichen Grundlagen erteilt werden dürfen, kann der Gesetzgeber, also
Bund oder Land, Titel frei einführen. Und
sogar in der Privatwirtschaft können Titel
erfunden werden. Jedoch nur, solange sie
nicht mit offiziellen Bezeichnungen verwechselt werden können.
Doch selbst hierzulande darf nicht jeder
Titel einfach so geführt werden. Die Anrede
Univ.-Doz. steht etwa nur habilitierten Wissenschaftern an Universitäten zu – und
nicht jedem Lehrbeauftragten. Wer sich mit
einer Bezeichnung schmückt, die ihm nicht
zusteht, muss mit rechtlichen Folgen rechnen. Bußgelder bis zu 15.000 Euro könne
die Bezirkshauptmannschaft verhängen, erklärt Kasparovsky. Und wenn jemand mit
„Die Titel-Affinität
in Österreich muss
zurückgehen.“
Heinz Kasparovsky, Titel-Experte
BILD: SN/WISSENSCHAFTSMINISTERIUM
seinem falschen Titel noch Geschäfte abgewickelt habe, könne er sogar wegen Betrugs
belangt werden.
Der Reiz, sich mit einem (erfundenen) Titel größere Berufschancen zu erarbeiten,
scheint aber dennoch gegeben. Zumindest
belohnt die österreichische Berufspraxis offenbar immer noch all jene, die Titel führen.
Bei einer Befragung des Marktforschungsinstituts Marketagent gab jeder zweite Teilnehmer an, dass akademische Titel im Berufsleben wichtig seien. Eine gewisse Ehrfurcht ist ebenso erkennbar: 53 Prozent begegnen Titelträgern anders. Und zwei
Drittel all jener, die keinen Hochschulabschluss haben, fühlen sich gegenüber Titelträgern zumindest teilweise benachteiligt.
„Freilich kommt es auf die jeweilige Position und das jeweilige Unternehmen an.
Aber grundsätzlich tut man sich in Österreich bei der Jobsuche leichter, wenn man
einen Titel hat“, sagt Cornelia Steiner. Steiner arbeitet in Salzburg und Graz als Geschäftsstellenleiterin für das Personalbera-
tungsunternehmen Hill International. Vor
allem die klassischen Universitätstitel wie
Mag. oder Dr. brächten nach wie vor einen
Wettbewerbsvorteil: „Es hilft, dass die Titel
vor dem Namen geführt werden und somit
die Anrede erleichtern.“ Seit der Umstellung auf das Bachelor-Master-System sei
die Titel-Hascherei aber etwas abgeklungen. Es klinge schlicht nicht mehr so gut,
jemanden mit „Frau Master“ anzureden.
Auch der Salzburger Personalvermittler
Wilfried Perner glaubt, dass die Bedeutung
akademischer und beruflicher Titel abnehmen wird. Vor allem die Internationalisierung spiele dabei eine große Rolle: „Es gibt
Länder, wo es sogar peinlich ist, wenn man
seine Titel angibt.“ In Asien, den USA und
selbst in Deutschland würden Titel eine völlig untergeordnete Rolle spielen. Perner
geht davon aus, dass auch in Österreich
über kurz oder lang weniger der Titel, sondern vielmehr die Ausbildung dahinter eine
Rolle spielen werde. Und Cornelia Steiner
geht noch einen Schritt weiter. In anderen
Ländern gehe der Trend sogar weg von der
Ausbildung: „Wissen verändert sich schnell,
Kompetenz bleibt. Deshalb braucht man
Mitarbeiter, die kompetent sind.“
Selbst Hochschulrechtsexperte Kasparovsky kämpft dafür, „dass die Titel-Affinität zurückgeht“ – obwohl er damit seinen
eigenen Arbeitsbereich beschneidet. Allein
die Pflege der Titel im Gesetzesblatt nehme
unnötig viel Zeit und Mühe in Anspruch.
Zudem setzt sich Kasparovsky seit Jahren
dafür ein, dass akademische Titel nicht in
öffentliche Urkunden eingetragen werden
sollen, etwa in einen Reisepass. Allein
schon um den „riesigen Verwaltungsaufwand“ im Hintergrund abzubauen. „Wir haben das immer wieder vorgeschlagen“, beschreibt der Leiter des Anerkennungszentrums im Wissenschaftsministerium. „Doch
das kann nur per Gesetz geändert werden.
Und noch ist es nicht so weit gekommen.“
Kasparovsky lebt seine Vorgaben auch
selbst. Der Abteilungsleiter ist Doktor der
Rechtswissenschaften. In seiner E-Mail-Signatur fehlt der Titel jedoch. „Es würde mir
irgendwie komisch vorkommen, wenn ich
den Doktor angebe – vor allem, wenn ich
mit internationalen Kontakten zu tun habe.“ Und Kasparovsky ergänzt: „Ein Titel ist
beileibe nichts Schlechtes. Aber er wird
dann problematisch, wenn man ihn nur
führt, um sich von anderen abzusetzen.“