Gutmann Investment Mail – Juli 2016 Konsumgüterhersteller vs. Einzelhändler – Ein Match mit eindeutigem Ausgang Eine Entwicklung der letzten Jahre im Konsumgütersektor ist bemerkenswert: Hersteller von Konsumgütern konnten an der Börse deutlich besser reüssieren als Einzelhändler, welche ihre Produkte an den Konsumenten verkaufen. Welche Gründe zu dieser Entwicklung geführt haben und was dies für unsere Anlagestrategien bedeutet, wird in diesem Investment Mail näher erläutert. Performanceunterschiede Nun ist einmal festzuhalten, dass sich Aktien von Unternehmen, die Lebensmittel und Haushaltsgüter produzieren, wesentlich besser entwickelt haben als Retail-Aktien. Die nachstehende Abbildung zeigt den deutlichen Performanceunterschied zwischen den Sektoren Personal & Household Goods, Food & Beverage und Retail des europäischen Stoxx Europe 600 Index im Zeitraum Ende Mai 2000 bis Ende Mai 2016. Während der Retail-Sektor nahezu unverändert geblieben ist, konnten die Aktien von Lebensmittelherstellern um mehr als 200 Prozent zulegen. Die Hersteller von Haushaltswaren brachten es immerhin auf ein Plus von etwa 176 Prozent. Abb. 1: Performancevergleich ausgewählter Stoxx Europe 600 Sektoren 200% 150% 100% 50% 0% -50% Personal & Household Goods Food & Beverage Retail Quelle: Bloomberg Die Wertentwicklung in der Vergangenheit lässt keine Rückschlüsse auf die künftige Entwicklung zu. Für diese höchst unterschiedliche Entwicklung über die letzten Jahre kommen mehrere Gründe in Frage. Seite 1 Niedrige Gewinnmargen Die operativen Gewinnmargen – gemessen am EBIT/Umsatz – liegen bei vielen Einzelhandelsketten nur im niedrigen einstelligen Bereich. Konsumgüterhersteller hingegen können oftmals Margen von 15 Prozent oder mehr erzielen. Für diesen deutlichen Unterschied sind mehrere Faktoren verantwortlich. Erstens, ein Einzelhändler erbringt im Gegensatz zu den Produzenten nur eine minimale Wertschöpfung, für die Gewinne lukriert werden können. Sie vermarkten die Produkte nur an den Konsumenten. Zweitens verfügen Einzelhändler über wenig Preismacht. Wenn ein Wettbewerber die Preise senkt, bleibt wenig anderes übrig als mitzuziehen. Denn schließlich findet der Konsument seine Lieblingsmarke auch im Geschäft des Mitbewerbs. Als dritten Punkt lässt sich feststellen, dass Retailer bedingt durch das große Netz an Geschäften auch hohe Fixkosten haben. Senkt ein Wettbewerber die Preise, müssen die Ketten reagieren, indem sie ebenfalls die Preise senken um Kunden in ihren Geschäften zu halten, da sie sonst die Fixkosten nicht mehr abdecken können. Wenn man hingegen die Gewinnmargen von großen Konsumgüterherstellern wie zum Beispiel Nestle, Unilever, Reckitt Benckiser, Beiersdorf oder Henkel analysiert, dann stellt man fest, dass diese Unternehmen die Gewinnmargen nicht nur halten, sondern teilweise sogar deutlich steigern konnten. Diskonter machen den etablierten Einzelhändlern das Leben schwer Eine andere Entwicklung, die den Unterschied zwischen Produzenten und Einzelhändlern erklärt, ist das immer stärkere Aufkommen von Diskontern. Diese setzen die etablierten Supermarktketten mit ihren niedrigen Preisen gehörig unter Druck. In Deutschland haben Diskonter bereits eine sehr große Marktdurchdringung von etwa 40 Prozent erreicht. In den meisten anderen Ländern liegt diese aber noch deutlich unter dem Niveau von Deutschland. So zum Beispiel in Großbritannien. Hier haben vor kurzem Aldi und Lidl gemeinsam einen Marktanteil von mehr als 10 Prozent verzeichnen können. Die vier großen Ketten Tesco, Sainsbury, Morrison und Asda spürten dies deutlich in der Umsatzentwicklung. So sah sich zum Beispiel der Marktführer Tesco gezwungen zu reagieren, indem Preise gesenkt und teilweise Geschäfte geschlossen wurden. Dennoch ist der Kampf gegen die Diskonter, die eine schlanke Kostenstruktur haben, ein schwieriger. Zwar versuchen Einzelhändler gegen Diskonter anzukämpfen, indem sie ihre Eigenmarken immer stärker etablieren und auf ein besseres Einkaufserlebnis setzen. Dennoch ist es auch mit diesen Maßnahmen nur schwer vorstellbar, dass sie ihre operativen Margen ausbauen werden können. Seite 2 Onlinehandel setzt sich mehr und mehr durch Auch die sich abzeichnende Fortsetzung der Entwicklung des Onlinehandels wird eher den Einzelhändlern zu schaffen machen als den Produzenten. Reine Onlinehändler haben gegenüber den Filialbetreibern naturgemäß den Vorteil, dass sie kein Filialnetz benötigen, welches Fixkosten verursacht. Der führende Onlinehändler Amazon etwa verzeichnet enorme Steigerungsraten. Traditionelle Retailer versuchen mit eigenen Onlineshops dagegen zu halten, die Profitabilität dürfte dabei allerdings eher gering sein. Derzeit ist der Marktanteil des Online-Lebensmittelhandels in den meisten Ländern noch sehr gering. Er liegt zwischen 1-2 Prozent. Sollte dieser in Zukunft steigen, werden die Konsumenten auch weiterhin die gewohnten Produkte der Produzenten kaufen wollen, sodass diese Entwicklung für die Produzenten weniger schwierig sein dürfte als für Einzelhändler. Amazon hat bewiesen, dass sich Bücher und Elektronik gut über das Internet verkaufen lassen. Doch auch im Geschäft mit frischen Lebensmitteln versucht der Internetriese Fuß zu fassen. Schon 2007 wurde in den USA der Lebensmittel-Lieferdienst Amazon Fresh gestartet, der frische und tiefgekühlte Lebensmittel zu den Konsumenten bringt. Die Produzenten von Markenartikeln werden sich über den zusätzlichen Absatzkanal freuen, zumal die Einzelhändler immer mehr Platz für ihre Eigenmarken zur Verfügung stellen, weil sie damit eine bessere Handelsspanne erzielen können. Gemäß einer Studie von Goldman Sachs könnte eine interessante Entwicklung aber auch die Situation der Hersteller verändern.1 In einem traditionellen Supermarkt ist der Platz für Produkte begrenzt. Da gewisse Standardprodukte immer verfügbar sein müssen, kann nur eine limitierte Anzahl von Nischenprodukten angeboten werden. Ein Onlinehändler kann hingegen beliebig viele Produkte anbieten (Infinite Shelf). Dies reduziert die Eintrittsbarrieren für neue Produktanbieter deutlich. Traditionelle Anbieter von Konsumgütern könnten sich gezwungen sehen, eine breitere Produktpalette anzubieten. Dieser Effekt würde dann eventuell zu einer niedrigeren Marge führen. Das heißt, auch für die Hersteller sind gewisse Unsicherheiten vorhanden, jedoch ist deren Situation immer noch völlig anders als die der Einzelhändler. Implikationen auf unsere Portfolios Wir haben im Rahmen unserer Dividendenstrategie nur sehr wenig Exposure zum Retail-Sektor aufgebaut. Der Großteil unserer Investments im Basiskonsumbereich wurde in Hersteller von Konsumgütern getätigt. Wir werden auch weiterhin an dieser Strategie festhalten, da wir aktuell nicht davon ausgehen, dass sich das Blatt zugunsten der Retailer ändert. 1 Collett et al., The Infinite Shelf, Goldman Sachs, August 2015 Seite 3 Autor Klaus Kumper Tel.: +43-1-502 20-432 [email protected] Klaus Kumper studierte Betriebswirtschaft und Finanzwirtschaft & Rechnungswesen an der Wirtschaftsuniversität Wien. Nach Absolvierung des Masterstudiums begann er als Assistent in der Investmentfondsprüfung bei Ernst & Young in Wien. Seit März 2014 unterstützt er das Aktienfondsmanagement-Team der Gutmann KAG. 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