Beiträge Risikoanalyse und -identifikation Wybitul/Böhm, Das neue EU-Datenschutzrecht: Folgen für Compliance und interne Ermittlungen (Update vom 14.4.2016) 1 CB-Beitrag Tim Wybitul, RA/FAArbR, und Dr. Wolf-Tassilo Böhm, RA* Das neue EU-Datenschutzrecht: Folgen für Compliance und interne Ermittlungen (Update vom 14.4.2016) Das EU-Parlament hat am 14.4.2016 die EU-Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) verabschiedet. Der Umgang mit personenbezogenen Daten wird damit europaweit einheitlich geregelt. Bei Verstößen müssen beteiligte natürliche Personen mit Bußgeldern von bis zu 20 Mio. Euro rechnen. Unternehmen drohen darüber hinaus sogar Geldbußen von bis zu vier Prozent des weltweiten Umsatzes. Die möglichen Risiken bei Compliance-Verstößen aus dem Bereich Datenschutz vervielfältigen sich durch diese Entwicklung. Compliance-Verantwortliche müssen dies im Rahmen entsprechender Gefährdungsanalysen berücksichtigen. Damit erhält der Datenschutz in vielen Unternehmen einen völlig neuen Stellenwert. Auch im Hinblick auf die Überwachung von Arbeitnehmern im Rahmen von Compliance-Kontrollen und arbeitsrechtliche Maßnahmen nach Pflichtverstößen hat die DSGVO erhebliche Folgen für Unternehmen. Dies betrifft auch die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats bei vielen Compliance-Maßnahmen. Der vorliegende Beitrag beschreibt die Folgen des neuen Datenschutzrechts für die Compliance-Funktion. Der Überblick zeigt zudem Lösungsansätze zu den für die Praxis wichtigsten Fragen. I.EU-weite Neuregelung des Datenschutzrechts Im Jahr 2012 stellte die EU-Kommission einen ersten Entwurf für die DSGVO vor.1 Am 15.12.2015 wurde nach knapp drei Jahren zäher Verhandlungen2 eine Einigung verkündet.3 Das EU-Parlament hat die DSGVO4 nun am 14.4.2016 verabschiedet. Die Neuregelung tritt 20 Tage nach ihrer Verkündung in Kraft und gilt dann nach einer Übergangszeit von zwei Jahren ab 2018. Sie soll die Rechte der von Datenverarbeitungen betroffenen Personen besser und europaweit einheitlicher als bislang schützen. Das neue Datenschutzrecht hat erhebliche Folgen für die Tätigkeit der Compliance-Funktion im Unternehmen. 1. Bußgelder bei Datenschutzverstößen: Bisherige Rechts lage Nach dem bislang geltenden Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) können Aufsichtsbehörden Bußgelder von bis zu 300 000 Euro pro Verstoß verhängen. Die Bußgeldpraxis der Datenschutzbehörden war in der Vergangenheit eher moderat. Die höchsten bekannt gewordenen Gesamtbußgelder zur Sanktionierung von Datenschutzverstößen durch Unternehmen lagen sämtlich unter der Grenze von zwei * II.Neue Bedeutung des Datenschutzrechts für die Compliance-Funktion Die gesetzlichen Vorschriften zum Datenschutz werden künftig bei der Ausgestaltung von Compliance-Management-Systemen eine deutlich zentralere Rolle als bislang einnehmen. Zum einen werden die rechtlichen Anforderungen deutlich komplexer und umfassender. Zum anderen steigen die Bußgeldrisiken bei Verstößen ganz erheblich. Im Rahmen einer Gefährdungsanalyse sind die Risiken bei Datenschutzverstößen ab 2018 deutlich zu bewerten. 1 2 3 4 Dieser Beitrag ist eine aktualisierte Version des in CB 2016, 101 ff. erschienenen Beitrags von Wybitul und berücksichtigt die vom EU-Parlament am 14.4.2016 verabschiedete deutsche Fassung der EU-DSGVO vom 6.4.2016. Die Autoren danken Frau Dr. Sabrina Gäbeler und Frau Marlien Telöken, beide Rechtsanwältinnen bei Hogan Lovells, für die wertvolle Unterstützung bei der Erstellung dieses Beitrags. Der „Vorschlag der EU-Kommission zur Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (Datenschutz-Grundverordnung) (Entwurf)“ vom 25.1.2012 ist etwa abgedruckt in der Textsammlung Datenschutzrecht, Beck-Texte im dtv, 7. Aufl. 2015 unter der Ordnungsnummer 28 ab S. 324. Diese Fassung ist nachstehend zitiert als „DSGVO-E 2012.“ Die Fassung ist abrufbar unter: www.hl.datenschutz.de. PM abrufbar unter http://europa.eu/rapid/press-release_IP-15-6321_ en.htm (Abruf: 13.4.2016). Vom EU-Ministerrat am 8.4.2016 verabschiedete Fassung vom 6.4.2016, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/?uri=consil: ST_5419_2016_INIT (Abruf: 13.4.2016). Compliance-Berater, Online Update 2 Beiträge Risikoanalyse und -identifikation Millionen Euro.5 Diese Rahmenbedingungen werden sich nun grundlegend ändern. 2.Künftiger Bußgeldrahmen: bis zu vier Prozent des globalen (Konzern-)Umsatzes Ab 2018 werden die Bußgelder drastisch erhöht. Je nach Art des Verstoßes sieht Art. 83 DSGVO Bußgelder von bis zu 20 Mio. Euro pro Verstoß vor. Für Unternehmen drohen allerdings noch deutlich höhere Bußgelder. Hier sehen die neuen Datenschutzvorschriften Bußgelder von bis zu vier Prozent des weltweiten Umsatzes der Unternehmensgruppe des vorherigen Geschäftsjahres vor. Praxistipp: Über die Höhe der Bußgelder war während der Verhandlungen über die Endfassung der DSGVO bis zuletzt gestritten worden. In die letzte Fassung von Erwägungsgrund 150 ist noch eine Klarstellung hierzu aufgenommen worden, dass der Begriff des Unternehmens i. S. d. Bußgeldvorschriften der DSGVO nach Art. 101 und 102 AEUV zu bestimmen ist. Und diese Vorschriften betreffen Unternehmensvereinigungen, also insbesondere Konzerne. Es spricht daher viel dafür, dass die Aufsichtsbehörden Bußgelder gegen Unternehmensgruppen auf der Grundlage des gruppenweiten Umsatzes festsetzen werden. 3.Gefährdungsanalyse Datenschutz Der neue Bußgeldrahmen gibt Anlass, dem Datenschutz bei künftigen Compliance-Gefährdungsanalysen besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Der vorliegende Abschnitt gibt einen Überblick darüber, wie Unternehmen künftig Datenschutzrisiken identifizieren und bewerten können. a) Maximalbußgeld für das eigene Unternehmen bestimmen Bei künftigen Gefährdungsanalysen in Bezug auf mögliche Datenschutzverstöße sollten Unternehmen zunächst das eigene maximale Bußgeldrisiko (pro Verstoß) auf der Grundlage des eigenen globalen Umsatzes bestimmen. Bei großen Unternehmensgruppen kommen dabei Bußgelder in Milliardenhöhe in Betracht. Zu beachten ist, dass bei mehreren Verstößen i. d. R. Gesamtbußgelder festgelegt werden. Aus diesem Grunde verhängten deutsche Datenschutzbehörden bereits in der Vergangenheit trotz eines Maximalbetrags von 300 000 Euro Bußgelder in Millionenhöhe. b)Gewinnabschöpfung Auch nach neuem Recht müssen Unternehmen darüber hinaus das Risiko einer Gewinnabschöpfung im Blick behalten. § 17 Abs. 4 OWiG sieht vor, dass durch eine Ordnungswidrigkeit erzielte wirtschaftliche Vorteile abgeschöpft werden.6 Diese Regelung wird durch die Bußgeldvorschriften der DSGVO nicht verdrängt.7 c) Weitere Kriterien einer auf den Datenschutz bezogenen Gefährdungsanalyse Zudem sollten Unternehmen auch weitere Umstände berücksichtigen, wie etwa Eintritts- und Aufdeckungswahrscheinlichkeit bei möglichen Verstößen. Mit Inkrafttreten der DSGVO dürfte auch die Wahrscheinlichkeit von Beschwerden über mögliche Datenschutzverstöße steigen. Zudem sieht die DSGVO auch ein koordiniertes Vorgehen der Aufsichtsbehörden vor, was die Aufdeckungswahrscheinlichkeit möglicher Verstöße gerade bei grenzüberschreitend tätigen Unternehmen erhöhen dürfte. Compliance-Berater, Online Update Wybitul/Böhm, Das neue EU-Datenschutzrecht: Folgen für Compliance und interne Ermittlungen (Update vom 14.4.2016) Praxistipp: Der wichtigste Faktor im Rahmen einer auf den Datenschutz bezogenen Gefährdungsanalyse ist das eigene Geschäftsfeld. Je mehr und je intensivere Datenverarbeitung zur Erzielung der eigenen Geschäftszwecke erforderlich ist, desto wichtiger ist die Rolle der Datenschutz-Compliance zur Risikovermeidung. Ein weiterer entscheidender Faktor ist der Reifegrad des bereits im Unternehmen etablierten Datenschutz-ManagementSystems. Hier dürfte auch entscheidend sein, inwiefern das eigene Unternehmen die umfassenden Vorgaben der DSGVO ab 2018 umsetzt. III.Compliance-relevante Änderungen des EU-Datenschutzrechts Der nachstehende Überblick fasst die wichtigsten allgemeinen Änderungen durch die DSGVO knapp zusammen. 1.Einheitliches Datenschutzrecht in der EU Bislang war das Datenschutzrecht der EU in Form der EU-Datenschutz-Richtlinie vom 24.10.19958 geregelt. Die allgemeinen Vorgaben dieser RL wurden von den 28 Mitgliedstaaten der EU teilweise recht unterschiedlich umgesetzt. In Deutschland macht bislang das BDSG wesentliche Vorgaben zum Umgang mit personenbezogenen Daten. Ähnlich wie z. B. in Frankreich oder den Niederlanden gelten bei uns hohe Datenschutzstandards. Andere EU-Länder, wie etwa Irland, sehen deutlich weniger Einschränkungen vor, insbesondere beim grenzüberschreitenden Datenverkehr. Auch beim Vorgehen der jeweiligen nationalen Datenschutzbehörden gibt es stellenweise gravierende Unterschiede. a) Unmittelbare Geltung der DSGVO Der bisherige „Flickenteppich“ wird nun einem weitgehend einheitlichen Rechtsrahmen weichen. Künftig wird der Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung ihrer Daten durch die DSGVO in Form einer EU-Verordnung gewährleistet. Nach Art. 288 Abs. 2 AEUV haben Verordnungen und damit auch die DSGVO allgemeine Geltung. Die DSGVO ist in all ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat der EU.9 Anders als die EU-Richtlinie von 1995 muss die DSGVO damit nicht mehr durch nationale Gesetze in einzelstaatliches Recht umgesetzt werden. b) Nationale Ausnahmen weiterhin möglich Die DSGVO soll ein einheitliches Datenschutzniveau für die gesamte EU schaffen. Allerdings enthält sich auch eine Reihe von Ausnahmen, 5 Vgl. hierzu etwa die PM des Landesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit Rheinland-Pfalz vom 29.12.2014, abrufbar unter www.datenschutz.rlp.de/de/presseartikel.php?pm=pm2014122901 (Abruf: 13.4.2016). 6 § 17 Abs. 4 OWiG: „Die Geldbuße soll den wirtschaftlichen Vorteil, den der Täter aus der Ordnungswidrigkeit gezogen hat, übersteigen. Reicht das gesetzliche Höchstmaß hierzu nicht aus, so kann es überschritten werden.“ 7 § 43 Abs. 3 S. 2 BDSG, der eine vergleichbare Regelung wie § 17 Abs. 4 OWiG enthält, dürfte hingegen durch Art. 83 DSGVO verdrängt werden. 8 RL 95/46/EG. 9 Vgl. EuGH – Simmenthal SPA/Amministrazione delle Finanze dello Stato, Rs. 106/77, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/ TXT/?uri=CELEX%3A61977CJ0106 (Abruf: 13.4.2016). Wybitul/Böhm, Das neue EU-Datenschutzrecht: Folgen für Compliance und interne Ermittlungen (Update vom 14.4.2016) die es den einzelnen Mitgliedstaaten ermöglichen, speziellere Regelungen auf nationaler Ebene zu treffen.10 2. Compliance-Verantwortlichkeit des Datenverarbeiters („Accountability“) Die neuen Vorschriften rücken die Verantwortlichkeit datenverarbeitender Unternehmen in den Mittelpunkt. Diese sind zunächst für die Einhaltung der in Art. 5 Abs. 1 DSGVO genannten Datenschutzgrundsätze verantwortlich. Sie müssen zudem nachweisen können, dass sie diese Vorgaben erfüllen, Art. 5 Abs. 2 DSGVO. Auch aus Art. 24 DSGVO ergeben sich Pflichten des datenverarbeitenden Unternehmens. Nach dieser Vorschrift müssen Unternehmen zunächst durch geeignete Strategien und Maßnahmen sicherstellen, dass sie den Vorgaben der DSGVO entsprechen. Diese Anforderung lässt sich durch die Einführung eines effektiven Datenschutz-Management-Systems zur Erfüllung der Vorgaben der DSGVO umsetzen. Unternehmen müssen auch nachweisen können, dass sie geeignete Strategien und Maßnahmen zur Sicherstellung der Einhaltung der DSGVO umsetzen. Art. 30 DSGVO sieht darüber hinaus umfassende Dokumentationspflichten vor. Praxistipp: Gerichte können bei Rechtsstreitigkeiten mit Datenschutzbezügen Beweisverwertungsverbote annehmen, wenn Unternehmen ihren Pflichten nach Art. 5 Abs. 2, Art. 24 und Art. 30 DSGVO nicht nachkommen (können). Dies kann sich insbesondere auf Kündigungsschutzverfahren nach Compliance-Kündigungen ganz erheblich auswirken. 3.Grundsätze der DSGVO Das neue Datenschutzrecht beruht auf einigen zentralen Grundsätzen. Gerade für die Compliance-Funktion kann das Verständnis dieser Prinzipien teilweise entscheidender sein, als die genaue Kenntnis jeder einzelnen Vorschrift der DSGVO. Die maßgeblichen Leitlinien des neuen EU-Datenschutzrechts sind in Art. 5 DSGVO geregelt. Die wesentlichen Eckpunkte der DSGVO entsprechen im Wesentlichen den Prinzipien des BDSG.11 Insbesondere bleibt der Umgang mit personenbezogenen Daten auch weiter verboten, wenn er nicht durch eine gesetzliche Vorschrift der DSGVO oder einer sonstigen Rechtsvorschrift erlaubt ist. Der bereits im BDSG verankerte Zweckbindungsgrundsatz gewinnt im kommenden Datenschutzrecht an Bedeutung. Die DSGVO stärkt auch den bereits aus dem BDSG bekannten Transparenzgrundsatz. Künftig müssen Unternehmen die von der Verarbeitung ihrer Daten betroffenen Datensubjekte umfassender über die Verwendung ihrer personenbezogenen Daten informieren. Praxistipp: Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bleibt auch im künftigen Datenschutzrecht eine zentrale Anforderung. Eine Abwägung zwischen den Interessen des für die Datenverarbeitung Verantwortlichen und den Interessen des hiervon betroffenen Datensubjekts entscheidet darüber, ob der jeweilige Umgang mit personenbezogenen Daten zulässig ist. Um Bußgelder zu vermeiden, müssen Unternehmen Strukturen schaffen, die sicherstellen, dass die vorgeschriebenen Interessenabwägungen hinreichend in den internen Prozessen zur Datenverarbeitung verankert sind. a) Rechtmäßigkeit der Verarbeitung (Verbot mit Erlaubnis vorbehalt), Art. 5 Abs. 1 lit. (a) und 6 Abs. 1 DSGVO Nach Art. 5 Abs. 1 lit. (a) DSGVO dürfen personenbezogene Daten nur auf rechtmäßige Weise verarbeitet werden. Der für die Beiträge Risikoanalyse und -identifikation 3 Compliance-Praxis wohl wichtigste Grundsatz des künftigen EUDatenschutzrechts bezieht sich auf das in Art. 6 Abs. 1 DSGVO geregelte Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Danach ist die Verarbeitung personenbezogener Daten nur rechtmäßig, wenn mindestens eine der in dieser Vorschrift genannten Bedingungen erfüllt ist. Die Datenverarbeitung ist etwa dann rechtmäßig, wenn die betroffene Person eine Einwilligung abgegeben hat.12 Die Datenverarbeitung ist ebenfalls zulässig, wenn sie erforderlich ist, um einen Vertrag13 oder eine gesetzliche Verpflichtung14 zu erfüllen. Der für die Verarbeitung Verantwortliche darf Daten auch verarbeiten, um seine berechtigten Interessen zu wahren.15 Dies ist jedoch nur dann zulässig, sofern nicht die Interessen, Grundrechte oder Grundfreiheiten der betroffenen Personen, die den Schutz personenbezogener Daten erfordern, überwiegen. b) Treu und Glauben („Fairness“), Art. 5 Abs. 1 lit. (a) DSGVO Der Grundsatz von Treu und Glauben ist ein zentrales Prinzip der DSGVO. Er entspricht im Wesentlichen dem bereits aus dem BDSG bekannten und von der Rechtsprechung ausgestalteten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Dies zeigt ein Blick in Erwägungsgrund 39 recht klar: „Die personenbezogenen Daten sollten für die Zwecke, zu denen sie verarbeitet werden, angemessen, und erheblich sowie auf das für die Zwecke ihrer Verarbeitung notwendige Maß beschränkt sein.“ Dies entspricht weitgehend den von der deutschen Rechtsprechung zum BDSG herausgearbeiteten Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Danach müssen Datenverarbeitungen zunächst zur Verwirklichung des mit der Datenverarbeitung verfolgten Zwecks geeignet („erheblich“) sein. Der für die Datenverarbeitung Verantwortliche muss bei der Datenverarbeitung jeweils das mildeste aller gleich effektiven Mittel wählen, sog. Erforderlichkeit („auf das für die Zwecke ihrer Verarbeitung notwendige Maß beschränkt “). Zudem ist die Datenverarbeitung nur zulässig, wenn das verantwortliche Unternehmen seine eigenen Interessen in angemessener Weise mit denen des betroffenen Datensubjekts abgewogen hat. Die Interessen des Datensubjekts dürfen die des verantwortlichen Unternehmens nicht überwiegen, sog. Angemessenheit („angemessen“). Noch deutlicher werden die zentrale Stellung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und die damit umfasste Interessenabwägung zwischen Unternehmen und Datensubjekt in Erwägungsgrund 4 beschrieben: „Das Recht auf Schutz der personenbezogenen Daten ist kein uneingeschränktes Recht; es muss im Hinblick auf seine gesellschaftliche Funktion gesehen und unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsprinzips gegen andere Grundrechte abgewogen werden.“ Dabei ergibt sich aus Erwägungsgrund 4 ausdrücklich, dass auch Unternehmensinteressen („unternehmerische Freiheit“) berücksichtigt werden können. Praxistipp: Bei der Auslegung der Erlaubnistatbestände der Verordnung wird man die in Art. 5 Abs. 1 DSGVO geforderten Prinzipien in die Prüfung der Zulässigkeit einer Datenverarbeitung „hineinlesen“ müssen. Zur Bestimmung, ob eine Verwendung von Daten für Compliance-Zwecke z. B. „erforderlich“ i. S. v. Art. 6 Abs. 1 lit. 10 Kraska, ZD-Aktuell 2016, 04173 VI mit einer ausführlichen Auflistung der Ausnahmen. 11 Kraska, ZD-Aktuell 2016, 04173 V. 12 Art. 6 Abs. 1 lit. a) DSGVO. 13 Art. 6 Abs. 1 lit. b) DSGVO. 14 Art. 6 Abs. 1 lit. c) DSGVO. 15 Art. 6 Abs. 1 lit. f) DSGVO. Compliance-Berater, Online Update 4 Beiträge Risikoanalyse und -identifikation (f) DSGVO ist, muss man sich v. a. an den in Art. 5 Abs. 1 DSGVO vorausgesetzten Prinzipien orientieren. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bleibt damit eines der wichtigsten Prinzipien des Datenschutzes. Insofern ändert sich für Unternehmen erst einmal nicht viel. Sie können sich in Bezug auf Verhältnismäßigkeit und Interessenabwägung weiter an den bereits von deutschen Gerichten entwickelten Vorgaben orientieren. Dabei sollten sie allerdings auch die weitere Rechtsprechung und Positionen der Aufsichtsbehörden für den Datenschutz im Blick behalten. c) Zweckbindung, Art. 5 Abs. 1 lit. (b) DSGVO Der Zweck des Umgangs mit personenbezogenen Daten entscheidet über dessen Zulässigkeit. Nach Art. 5 Abs. 1 lit. (b) DSGVO dürfen personenbezogene Daten nur für zuvor bestimmte und festgelegte Zwecke erhoben werden – und die erhobenen personenbezogenen Daten dürfen später nicht für Zwecke verwendet werden, die mit den bei der Erhebung festgelegten Zwecken unvereinbar sind. Art. 6 Abs. 4 DSGVO regelt, unter welchen Voraussetzungen sog. Zweckänderungen zulässig sind. Damit entscheiden die Zwecke, für die personenbezogene Daten erhoben werden, ganz maßgeblich darüber, welche weiteren Verarbeitungen zulässig sind. Ein Beispiel für die zulässige Zweckänderung ist die Weitergabe von beim Unternehmen gespeicherten Daten über Straftaten an Staatsanwaltschaften oder an andere Behörden.16 Praxistipp: Auf Unternehmen kommen in Bezug auf die vorgeschriebene Transparenz bei der Datenverarbeitung einige zusätzliche Anforderungen zu, insbesondere im Hinblick auf die Unterrichtung von Betroffenen über den Umgang mit ihren Daten in klarer und verständlicher Sprache oder die Dokumentation der Zweckbestimmung erhobener personenbezogener Daten. Auch hier sollten Unternehmen sicherstellen, dass sie zeitnah die erforderlichen Prozesse einführen, um die vorgeschriebenen Anforderungen einzuhalten. d) Transparenz, Art. 5 Abs. 1 lit. (a) DSGVO Das von der Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten betroffene Datensubjekt soll grundsätzlich wissen, was mit seinen Daten geschieht. Dementsprechend sehen Art. 12 bis Art. 14 DSGVO umfassende Informationspflichten für Unternehmen vor. Hinzu kommen weitreichende Auskunftsrechte von Datensubjekten über die Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten. Praxistipp: Im Ergebnis sind die Transparenzpflichten von Unternehmen nach der DSGVO deutlich umfassender als nach dem BDSG. Für Unternehmen empfiehlt es sich, die künftigen Pflichten nach dem neuen Datenschutzrecht zeitnah zu analysieren und entsprechende Prozesse aufzusetzen. Gerade bei der Beschreibung und Dokumentation von Datenverarbeitungen und den internen Datenschutzstrukturen müssen sich Unternehmen auf neue Anforderungen einstellen und diese umsetzen. e) Weitere Grundsätze Neben den vorstehend beschriebenen Prinzipien legt Art. 5 Abs. 1 DSGVO noch eine Reihe weiterer Grundsätze fest, die Unternehmen befolgen müssen. –– Datenminimierung, Art. 5 Abs. 1 lit. (c) DSGVO17 –– Richtigkeit, Art. 5 Abs. 1 lit. (d) DSGVO18 –– Speicherungsbegrenzung, Art. 5 Abs. 1 lit. (e) DSGVO Compliance-Berater, Online Update Wybitul/Böhm, Das neue EU-Datenschutzrecht: Folgen für Compliance und interne Ermittlungen (Update vom 14.4.2016) –– Integrität und Vertraulichkeit, Art. 5 Abs. 1 lit. (f) DSGVO19 –– Rechenschaftspflicht, Art. 5 Abs. 2 DSGVO. IV.Folgen der DSGVO für Compliance-Kontrollen und interne Ermittlungen Die DSGVO wird sich auf die Arbeit der Compliance-Funktion ganz erheblich auswirken. Zum einen sind in Bezug auf datenschutzrechtliche Risiken durch mögliche Verstöße gänzlich andere Risikobewertungen und Datenschutz-Management-Strukturen nötig. Zum anderen müssen Unternehmen die neuen Anforderungen auch bei Compliance-Kontrollen und Maßnahmen zur Aufklärung verdächtiger Sachverhalte berücksichtigen. 1. Betriebliche Datenschutzbeauftragte Künftig müssen Unternehmen betriebliche Datenschutzbeauftragte EU-weit grundsätzlich nur unter engen Voraussetzungen bestellen. Art. 37 DSGVO erlaubt aber nationale Regelungen, die zusätzliche Voraussetzungen vorsehen können, nach denen ein Datenschutzbeauftragter bestellt werden muss. In Deutschland sind solche zusätzlichen Voraussetzungen etwa in § 4f Abs. 1 BDSG vorgesehen. Art. 37 Abs. 2 DSGVO erlaubt als Neuerung ausdrücklich die Ernennung eines einzelnen Datenschutzbeauftragten für eine Unternehmensgruppe. In Unternehmensgruppen könnten daher in Zukunft mehrere Stellen von Datenschutzbeauftragten wegfallen. Voraussetzung für einen „Konzern-Datenschutzbeauftragten“ ist allerdings, dass er von jeder Gesellschaft der Gruppe aus leicht erreichbar sein muss. Praxistipp: Sofern der deutsche Gesetzgeber § 4f Abs. 1 BDSG nicht abschafft, müssen sich betriebliche Datenschutzbeauftragte in Deutschland keine Sorgen um ihre Funktion machen. Das teilweise durchaus interessante Spannungsfeld zwischen Compliance-Funktion und Datenschutzbeauftragtem bleibt Unternehmen somit wohl vorerst erhalten. 2. Beschäftigtendatenschutz und Compliance Auch beim Beschäftigtendatenschutz gibt es eine wichtige Ausnahme von der grundsätzlichen Vereinheitlichung des Datenschutzrechts. Art. 88 DSGVO erlaubt den Mitgliedstaaten, den Datenschutz am Arbeitsplatz auf nationaler Ebene zu regeln. Damit ist die Grundlage dafür geschaffen, dass § 32 BDSG sowie die dazu ergangene Rechtsprechung auch nach Inkrafttreten der DSGVO fortgelten. Unternehmen in Deutschland werden sich daher voraussichtlich weiterhin auf die von deutschen Gerichten in zahlreichen Einzelfällen ausdifferenzierten Vorgaben hinsichtlich des Beschäftigtendatenschutzes stützen 16 Erwägungsgrund 50 i. d. F. vom 6.4.2016 besagt: „ Der Hinweis des Verantwortlichen auf mögliche Straftaten oder Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit und die Übermittlung der maßgeblichen personenbezogenen Daten in Einzelfällen oder in mehreren Fällen, die im Zusammenhang mit derselben Straftat oder derselben Bedrohung der öffentlichen Sicherheit stehen, an eine zuständige Behörde sollten als berechtigtes Interesse des Verantwortlichen gelten..“ Vermerk vom 11.6.2015, 9565/15 – 2012/0011(COD), abrufbar unter: http://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-9565-2015-INIT/ de/pdf (Abruf: 13.4.2016). 17 S. hierzu Abschn. 4.2 (d). 18 S. hierzu Abschn. 4.2 (d). 19 S. hierzu Abschn. 4.2 (d). Wybitul/Böhm, Das neue EU-Datenschutzrecht: Folgen für Compliance und interne Ermittlungen (Update vom 14.4.2016) können.20 Da die DSGVO weitaus konkretere Vorgaben für die Umsetzung des Datenschutzes macht, können dennoch Anpassungen, insbesondere bei Betriebsvereinbarungen, erforderlich werden. Praxistipp: Gerade bei Compliance-Kontrollen und internen Sachverhaltsermittlungen dürfte es bei erheblichen Unterschieden und einem begrenzten Maß an Vereinheitlichung bleiben. 21 Auch Betriebsvereinbarungen zum Datenschutz im Arbeitsverhältnis bleiben zulässig und werden sich weiterhin auf die Arbeit von Compliance-Verantwortlichen auswirken. a) Öffnungsklausel: Art. 88 DSGVO Die Mitgliedstaaten dürfen nach Art. 88 Abs. 1 DSGVO eigene Regelungen für die Verarbeitung personenbezogener Daten von Arbeitnehmern für Zwecke des Arbeitsverhältnisses erlassen.22 Sonderregelungen zum Beschäftigtendatenschutz müssen nach Art. 88 Abs. 2 DSGVO jedoch angemessene und spezifische Maßgaben zum Schutz der Menschenwürde, der berechtigten Interessen und der Grundrechte der betroffenen Arbeitnehmer enthalten. Trifft ein Mitgliedstaat Sonderregelungen, muss er dies der EU-Kommission mitteilen, Art. 88 Abs. 3 DSGVO. Die einzelnen Mitgliedstaaten können zudem Bedingungen vorgeben, unter denen Arbeitgeber im Rahmen des Arbeitsverhältnisses Daten auf der Grundlage von Einwilligungen von Arbeitnehmern verwenden dürfen.23 b) Fortgeltung von § 32 BDSG § 32 BDSG wird als Sonderregelung i. S. v. Art. 88 DSGVO fortgelten, sofern der deutsche Gesetzgeber diese Regelung nicht aktiv außer Kraft setzt bzw. durch eine andere Norm ersetzt. § 32 BDSG wird dann nicht durch die DSGVO verdrängt.24 § 32 BDSG kann als geeignete Sonderregelung i. S. d. DSGVO angesehen werden, da die Vorschrift den in Art. 88 Abs. 2 DSGVO festgelegten Anforderungen hinreichend entspricht. Dass § 32 BDSG nicht ausdrücklich die Transparenz des Datenverkehrs im Unternehmen oder der Überwachung am Arbeitsplatz erwähnt, ist kein Verstoß gegen die Vorgaben des Art. 88 Abs. 2 DSGVO. Denn § 32 BDSG ist im Zusammenhang mit den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen zum Beschäftigtendatenschutz zu sehen, die ein hohes Maß an Datenschutz für Beschäftigte vorsehen. Die Verknüpfung der Rechtsprechung mit § 32 BDSG entspricht dem Willen des Gesetzgebers, der die nähere Ausprägung des Beschäftigtendatenschutzes der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte überlassen hat.25 aa)Warten auf das deutsche Ausführungsgesetz Der deutsche Gesetzgeber darf ein Ausführungsgesetz zur DSGVO erlassen. Darin wird er die Umsetzung der DSGVO in deutsches Recht regeln. Dem deutschen Gesetzgeber bleibt es im Hinblick auf Art. 88 DSGVO unbenommen, § 32 BDSG als nationale Norm aufzuheben. In diesem Fall würden die Regelungen der DSGVO zum Beschäftigtendatenschutz gelten. Der Gesetzgeber darf auch eine neue Regelung für den Beschäftigtendatenschutz erlassen, sofern diese neue Reglung den Anforderungen der DSGVO entspräche. bb)Bewertung Es ist indes weder sinnvoll, § 32 BDSG aufzuheben, noch eine neue nationale Regelung zum Beschäftigtendatenschutz zu schaffen. Beide Fälle würden vorhersehbar zu nicht unerheblichen rechtlichen Unsicherheiten führen. Die deutschen Arbeitsgerichte haben in der Vergangenheit recht klare und sachgerechte Kriterien zum Umgang Beiträge Risikoanalyse und -identifikation 5 mit personenbezogenen Daten von Arbeitnehmern entwickelt. Diese Rechtssicherheit wird der Gesetzgeber kaum aufgeben wollen. Zumal das Schutzniveau nach § 32 BDSG im Vergleich zur DSGVO sogar als höher angesehen werden kann. Der nach § 32 BDSG erforderlichen umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung26 entsprechen die in Art. 5 DSGVO genannten Grundsätze nur teilweise.27 Es darf bezweifelt werden, dass der deutsche Gesetzgeber es sich politisch leisten kann, § 32 BDSG außer Kraft zu setzten, um den Beschäftigtendatenschutz auf die DSGVO bzw. einen gesamteuropäischen Durchschnitt zurückzuführen. Art. 88 DSGVO erlaubt nationale Spezialvorschriften zum Beschäftigtendatenschutz im Übrigen unabhängig davon, ob diese Spezialvorschriften vor der Verabschiedung der DSGVO bereits bestehen oder erst danach erlassen werden. Daher gilt nach derzeitiger Rechtslage auch nach dem Inkrafttreten der DSGVO, dass Arbeitgeber, Arbeitsgerichte und Beschäftigte sich weiterhin an § 32 BDSG und der hierzu entwickelten Rechtsprechung orientieren können. c) (Compliance-)Betriebsvereinbarung als Erlaubnistatbestand Für Unternehmen ist zudem besonders wichtig, dass der Umgang mit Arbeitnehmerdaten nach derzeitiger Rechtslage gem. Art. 88 DSGVO weiterhin über Betriebsvereinbarungen geregelt werden kann. Demnach darf das Unternehmen den Umgang mit Beschäftigtendaten durch „Rechtsvorschriften oder durch Kollektivvereinbarungen“ regeln.28 aa)Betriebsvereinbarung als „Kollektivvereinbarung“ Die Betriebsvereinbarung kann dabei wohl als eine Kollektivvereinbarung i. S. d. DSGVO verstanden werden. Betriebsvereinbarungen, die den Umgang mit Beschäftigtendaten bspw. zu Compliance-Zwecken erlauben, etwa für E-Mail-Kontrollen, müssen indes den Vorgaben der DSGVO entsprechen. Für Unternehmen bedeutet dies teilweise, dass sie an bestehenden oder geplanten (Compliance-)Betriebsvereinbarungen erhebliche Anpassungen vornehmen müssen. Die zweijährige Übergangsfrist bei einer Geltung der DSGVO ist für die Umsetzung der nötigen Änderungen recht knapp bemessen. bb)Erwägungsgrund 155 der DSGVO Neben Art. 88 DSGVO spricht Erwägungsgrund 155 i. d. F. vom 6.4.2016 weitaus deutlicher dafür, dass die Betriebsvereinbarung als Erlaubnistatbestand i. S. d. europäischen Datenschutzrechts angesehen wird. Diese Fassung erwähnt – dankenswerterweise – ausdrücklich, dass 20 Vgl. BAG, 20.6.2013 – 2 AZR 546/12, BB 2014, 890 m. BB-Komm. Ihle, ZD 2014, 260, ZD 2014, 426. 21 Vgl. hierzu der nachstehende Abschnitt. 22 Nach der konsolidierten Fassung der DSGVO vom 6.4.2016 lautet Art. 88 Abs. 1 DSGVO nunmehr wie folgt: „1. Die Mitgliedstaaten können durch Rechtsvorschriften oder durch Kollektivvereinbarungen spezifischere Vorschriften zur Gewährleistung des Schutzes der Rechte und Freiheiten hinsichtlich der Verarbeitung personenbezogener Beschäftigtendaten im Beschäftigungskontext, insbesondere […] vorsehen.“ 23 Vgl. hierzu Erwägungsgrund 155, der Einwilligungen in diesem Zusammenhang ausdrücklich nennt. 24 Vgl. bereits Wybitul/Sörup/Pötters, ZD 2015, 559, 561. 25 BT-Drs. 16/13657, 35. 26 BAG, 20.6.2013 – 2 AZR 546/12, BB 2014, 890 m. BB-Komm. Ihle, ZD 2014, 260. 27 Vgl. bereits Wybitul/Sörup/Pötters, ZD 2015, 559, 561. 28 Vgl. Fn. 23. Compliance-Berater, Online Update 6 Beiträge Risikoanalyse und -identifikation Kollektivvereinbarungen „einschließlich Betriebsvereinbarungen“ die Verarbeitung von Beschäftigtendaten regeln dürfen.29 d) Anpassung von Betriebsvereinbarungen an die DSGVO Im Ergebnis werden Betriebsvereinbarungen weiterhin als Erlaubnistatbestände in Betracht kommen. Eine Betriebsvereinbarung zur Regelung des Beschäftigtendatenschutzes muss allerdings die Voraussetzungen der DSGVO erfüllen. Darüber hinaus sollten Unternehmen gerade bei Betriebsvereinbarungen zu Compliance-Zwecken oder internen Ermittlungen die weitgehenden Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates insbesondere nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) nicht aus den Augen verlieren. Der Betriebsrat sollte möglichst frühzeitig bei Einführung und Durchführung entsprechender Maßnahmen beteiligt werden. Praxistipp: Betriebsvereinbarungen können weiterhin ein probates Mittel sein, um den Umgang mit Beschäftigtendaten im Rahmen von Compliance-Kontrollen oder internen Ermittlungen zu regeln, nicht zuletzt um den Mitbestimmungsrechten des Betriebsrates gerecht zu werden.30 Unternehmen sollten dabei darauf achten, bestehende oder geplante Betriebsvereinbarungen an die Anforderungen der DSGVO anzupassen. Andernfalls droht ihnen u. U. das durch die DSGVO erhöhte Bußgeld bei datenschutzrechtlichen Verstößen. Im Hinblick auf die DSGVO sollten Unternehmen bei der Verhandlung von Betriebsvereinbarungen insbesondere Folgendes beachten: Hinweis auf Betroffenenrechte: Die DSGVO bezweckt, u. a., eine wesentliche Verbesserung der Betroffenenrechte. Im Grunde sind die Rechte der Betroffenen nach der DSGVO bereits im BDSG enthalten. Im Vergleich zum BDSG enthält die DSGVO allerdings detailliertere Regelungen. Die Rechte der Betroffenen nach der DSGVO sind nicht gänzlich systematisch abgestimmt, was die Umsetzung in einer Betriebsvereinbarung erschwert. Die folgenden „üblichen“ Betroffenenrechte finden sich in der DSGVO: –– Auskunft (Art. 15 DSGVO), –– Berichtigung (Art. 16 DSGVO), –– Löschung (Art. 17 DSGVO), –– Recht auf Herausgabe von personenbezogenen Daten („Datenübertragbarkeit“) (Art. 20 DSGVO), –– Widerspruch (Art. 21 DSGVO). Eine Neuerung, auf die auch innerhalb einer Betriebsvereinbarung hingewiesen werden sollte, ist das Recht auf Herausgabe von personenbezogenen Daten nach Art. 20 DSGVO. Dieser Anspruch besteht, wenn die Daten vom Betroffenen selbst zur Verfügung gestellt und elektronisch verarbeitet wurden. Dieses Recht dürfte gerade im Arbeitsverhältnis von Bedeutung sein. Ein Herausgabeanspruch käme bspw. in Frage, wenn bei der Einstellung Angaben zur Person gemacht werden oder im Rahmen von internen Ermittlungen Beschäftigte Antworten auf Mitarbeiterbefragungen geben, die nicht Teil eines Auskunftsanspruchs des Arbeitgebers sind. Aufklärungs- und Informationspflichten: Art. 12 DSGVO erlegt es den Unternehmen auf, ihren Mitarbeitern alle Informationen und Mitteilungen zur Verarbeitung personenbezogener Daten in verständlicher Form unter Verwendung einer klaren und einfachen Sprache zur Verfügung zu stellen. Jedes Unternehmen sollte daher bereits mit der Anpassung oder Einführung einer Betriebsvereinbarung zu Compliance-Kontrollen oder internen Ermittlungen Verfahren vorsehen, die sicherstellen, dass die Betroffenen ihre Rechte effektiv ausüben Compliance-Berater, Online Update Wybitul/Böhm, Das neue EU-Datenschutzrecht: Folgen für Compliance und interne Ermittlungen (Update vom 14.4.2016) können. Die Art. 12 bis 14 DSGVO sehen hierzu detaillierte Vorgaben vor. Das Unternehmen soll die Informationen grundsätzlich schriftlich und ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber einen Monat nach der Anfrage des Betroffenen, erteilen, Art 12 Abs. 1, 2 DSGVO. Hinzu kommen die umfangreichen Unterrichtungspflichten nach Art. 13, 14 DSGVO, die in folgenden Punkten bestehen, um nur einige zu nennen: –– Angaben zur verantwortlichen Stelle und zum Datenschutzbeauftragten, –– Kontaktdaten des Datenschutzbeauftragten, –– Angaben zum Zweck der Datenverarbeitung, –– Angabe zur Speicherdauer bzw. zu den Kriterien zur Festlegung der Speicherdauer, –– Hinweise auf Betroffenenrechte (Auskunft, Herausgabe, Berichtigung, Löschung), –– Hinweis auf Beschwerderecht, –– Hinweis auf Empfänger von Daten oder Kategorien von Datenempfängern, –– Hinweis auf eine Datenverarbeitung in Drittländern unter Verweis auf Maßnahmen zur Sicherung eines angemessenen Datenschutzniveaus, –– Informationen über die Logik einer automatisierten Datenverarbeitung, –– Ergebnis der Datenschutz-Folgenabschätzung und der Risikoeinschätzung. Datensicherheit: Über Art. 32 bis 34 DSGVO erfährt der Grundsatz der Datensicherheit eine Aufwertung. Nach diesem Grundsatz sind personenbezogene Daten so zu verarbeiten, dass sie vor unbefugter oder unrechtmäßiger Verarbeitung, vor zufälligem Verlust, zufälliger Zerstörung oder Schädigung geschützt sind. Die Rahmenvorgaben zur Datensicherheit können vom EU-Datenschutzausschuss konkretisiert werden. Zentrales Element ist eine sog. Datenschutz-Folgenabschätzung (Art. 35 DSGVO). Bei veränderter Risikolage muss überprüft werden, ob die Datenverarbeitung nach der DatenschutzFolgeeinschätzung durchgeführt wird. Schließlich bestehen Meldeund Informationspflichten bei Sicherheits- und Datenschutzverstößen (Art. 33 und 34 DSGVO). Praxistipp: Unternehmen sollten zeitnah eine Datenschutz-Folgenabschätzung nach Art. 35 DSGVO durchführen und Maßnahmenkataloge festlegen. Darauf kann in Betriebsvereinbarungen Bezug genommen werden, was den Regelungs- und Dokumentationsaufwand in Betriebsvereinbarungen erheblich reduziert. Übereinstimmung mit den Grundsätzen des Art. 5 DSGVO: Betriebsvereinbarungen sollten v. a. die zentralen Grundsätze der DSGVO für den Umgang mit Daten abbilden. Diese finden sich in Art. 5 DSGVO. Rechtmäßigkeit, Verarbeitung nach Treu und Glauben, Transparenz: Gem. Art. 5 lit. a, b DSGVO wird besonderen Wert auf transparente und für die Betroffenen nachvollziehbare Regelungen zum 29 Erwägungsgrund 155 nach der Fassung vom 6.4.2016 besagt: „Im Recht der Mitgliedsstaaten oder in Kollektivvereinbarungen (einschließlich ‘Betriebsvereinbarungen’) können spezifische Vorschriften für die Verarbeitung personenbezogener Beschäftigtendaten im Beschäftigungskontext vorgesehen werden, und zwar insbesondere […].“. 30 So bereits eingehend zur Einbindung des Betriebsrats bei Compliance-Maßnahmen Wybitul, CB 2015, 77, 82. Wybitul/Böhm, Das neue EU-Datenschutzrecht: Folgen für Compliance und interne Ermittlungen (Update vom 14.4.2016) Umgang mit personenbezogenen Daten gelegt. 31 Betriebsvereinbarungen sollten Datenverarbeitungen daher möglichst genau und nachvollziehbar beschreiben. Unternehmen sollten im eigenen Interesse den Regelungscharakter der Betriebsvereinbarung als datenschutzrechtlichen Erlaubnistatbestand ausdrücklich festlegen. Daneben sollte in der Betriebsvereinbarung verdeutlicht werden, dass das Unternehmen auch auf andere gesetzliche Erlaubnistatbestände zurückgreifen kann. Dies fördert die Verständlichkeit der Vereinbarung und verringert Unsicherheiten. Praxistipp: Eine Betriebsvereinbarung sollte bspw. durch aussagekräftige Anlagen und/oder eine begleitende interne offene Kommunikation Transparenz schaffen und zur Verständlichkeit der Regelungen zum Beschäftigtendatenschutz beitragen. Hilfestellungen für das Verständnis der Mitarbeiter können u. a. FAQs (Frequently Asked Questions) oder Q&As (Questions & Answers) bieten. Zweckbindung: Dass ein Unternehmen den Zweck jeder Maßnahme und jedes gespeicherten Datensatzes klar belegen können muss, gilt bereits unter dem BDSG. Die ausdrückliche Normierung der Zweckbindung richtet allerdings die Aufmerksamkeit der Arbeitsgerichte, Arbeitgeber und Kontrollstellen auf die Einhaltung dieses Grundsatzes. Praxistipp: Die Betriebsparteien müssen dem Zweckbindungsgrundsatz bei der Gestaltung von Betriebsvereinbarungen zukünftig mehr Beachtung schenken, indem sie die Zwecke der Datenverarbeitung detailliert beschreiben. Die Beschreibung kann je nach Umfang in einer Anlage sinnvoll umgesetzt werden. Dies dient wiederum auch der Verständlichkeit und Transparenz. Datenvermeidung: Der Grundsatz der Datenvermeidung besagt v. a., dass die Datenerhebung und -verarbeitung auf das für die Zwecke der Datenverarbeitung notwendige Mindestmaß beschränkt werden muss, Art. 5 lit. c DSGVO.32 Erwägungsgrund 78 der DSGVO-Fassung vom 6.4.2016 verweist auf Modelle, mit welchen ein Unternehmen den möglichst datensparsamen und datenvermeidenden Umgang mit personenbezogenen Daten umsetzen kann. Genannt werden insbesondere Datenschutze durch Technik („data protection by default“) und durch datenschutzfreundliche Voreinstellungen („data protection by design”) sowie die möglichst zügige Pseudonymisierung der Daten. Praxistipp: Unternehmen sollten die Verarbeitung personenbezogener Daten unterlassen, sofern der jeweilige Verarbeitungszweck im Rahmen der Compliance-Kontrollen oder internen Ermittlungen auch ohne die Verarbeitung personenbezogener Daten erreicht werden kann. Ansonsten verstößt das Unternehmen gegen die DSGVO und sieht sich der Gefahr hoher Geldbußen ausgesetzt. Datenrichtigkeit, Datenaktualität: Der Grundsatz der Datenrichtigkeit nach Art. 5 lit. d DSGVO ist mit § 35 Abs. 1 S. 1 BDSG vergleichbar. Große Neuerungen finden sich hier nicht. Es bleibt dabei, dass personenbezogene Daten sachlich richtig und auf dem neuesten Stand sein müssen. Daten, die im Hinblick auf die Zwecke ihrer Verarbeitung unzutreffend sind, muss der Arbeitgeber unverzüglich löschen oder berichtigen. Das Unternehmen trifft allerdings erst eine Prüfungs- und Handlungspflicht, wenn es positive Kenntnis von den Fehlern erlangt, etwa durch Mitarbeiter oder anderweitig. Beiträge Risikoanalyse und -identifikation 7 Praxistipp: Die Betriebsvereinbarung sollte eine Regelung zu Korrekturprozessen enthalten, die eingreift, sobald das Unternehmen positive Kenntnis von der Unrichtigkeit von Daten erlangt. Beschränkung der Speicherdauer: Der Grundsatz der Beschränkung der Speicherdauer (Art. 5 lit. e DSGVO) hängt von dem mit der Verarbeitung verfolgten Zweck ab. Daten dürfen nur so lange gespeichert werden, wie dies zur Erreichung der mit der Datenverarbeitung verfolgten Zwecke erforderlich ist. Eine längere Speicherung ist nur in engen Grenzen zulässig, bspw. zu historischen oder statistischen Zwecken, zu wissenschaftlichen Forschungszwecken oder zu Archivierungszwecken, die einem öffentlichen Interesse dienen. Einbindung des Datenschutzbeauftragten: Unternehmen müssen vor der Verarbeitung personenbezogener Daten die zuständige Aufsichtsbehörde einbeziehen, wenn das Unternehmen keine Maßnahmen trifft, um ein hohes Risiko einzudämmen (sog. Konsultationspflicht, Art. 36 DSGVO). Die Einbindungspflicht ist grundsätzlich auch bei Datenverarbeitungen auf Grund von Betriebsvereinbarungen zu beachten. Es liegt daher im Unternehmensinteresse, bereits im Vorfeld die Risikolage zu bestimmen und geeignete Maßnahmen zur Risikobegrenzung festzulegen. e) Einwilligung als Erlaubnistatbestand Nach jetzigem Stand sollen auch Einwilligungen von Arbeitnehmern den Umgang mit deren persönlichen Daten erlauben können, Art. 6 Abs. 1, 88 Abs. 3 DSGVO. Art. 7 DSGVO legt die Voraussetzungen einer wirksamen Einwilligung fest. Im Vergleich zur Datenschutzrichtlinie und zu den Vorgaben des BDSG werden die Anforderungen an eine wirksame Einwilligung im Wesentlichen beibehalten.33 Solche Einwilligungserklärungen müssen stets auf informierter und freiwilliger Entscheidung erfolgen und sind widerruflich. Zudem müssen sie „für einen oder mehrere genau festgelegte Zwecke“ erfolgen, Art. 6 Abs. 1 DSGVO. Die Einwilligung müsste also bereits zu Beginn der Compliance-Kontrollen oder internen Ermittlungen genau beschreiben, welche Datenverarbeitungen sie später legitimieren soll. Da der genau zu ermittelnde Sachverhalt zu Beginn von Compliance-Kontrollen oder internen Ermittlungen sowie die Nutzung der Beschäftigtendaten zu diesen Zwecken bei Vorlage der Einwilligung oftmals noch nicht klar benannt werden kann, sind Einwilligungen auch nach neuem Recht nur selten die geeignete Rechtfertigung für Complianceund Ermittlungsmaßnahmen. f) Verarbeitung von Daten über Straftaten Nach Art. 10 DSGVO dürfen personenbezogene Daten über strafrechtliche Verurteilungen und Straftaten oder damit zusammenhängende Sicherungsmaßregeln grundsätzlich nur unter behördlicher Aufsicht verarbeitet werden oder wenn dies nach dem Recht der Mitgliedstaaten zulässig ist. Damit stellt Art. 10 DSGVO diese Kategorie von Daten und die Betroffenen unter einen besonderen Schutz. Umgekehrt erkennen die Verordnungsgeber auch an, dass Unternehmen prinzipiell ein berechtigtes Interesse an der Verhinderung und Aufklärung von Straftaten wie bspw. Betrug haben.34 Richtigerweise wird man davon 31 Vgl. Art. 12 DSGVO. 32 Der Grundsatz der Datenminimierung ist als sog. Datensparsamkeit bereits aus dem BDSG bekannt, vgl. § 3a BDSG. 33 Wybitul/Pötters, RDV 2016, 10, 12. 34 Erwägungsgrund 47 der Fassung vom 6.4.2016 nennt hier zwar wörtlich nur von der Verhinderung von „Betrug“. Demgegenüber ist der in der englischen Compliance-Berater, Online Update 8 Beiträge Risikoanalyse und -identifikation ausgehen müssen, dass Art. 10 DSGVO nur die systematische Verarbeitung bereits gerichtlich oder in ähnlicher Weise festgestellter Straftaten erfasst, wie sie in Deutschland etwa das Bundeszentralregistergesetz (BZRG) regelt. Compliance-Kontrollen und interne Ermittlungen zur Aufdeckung von Straftaten im Unternehmen werden dagegen nicht generell unter behördliche Aufsicht gestellt. Hier ist vielmehr entscheidend, ob das berechtigte Aufklärungsinteresse des Unternehmens im Rahmen eines Erlaubnistatbestandes wie etwa Art. 6 Abs. 1 lit. (f) DSGVO die entsprechende Datenverarbeitung rechtfertigt. g) Die federführende Aufsichtsbehörde Die DSGVO regelt mit Art. 55 ff. DSGVO die Zuständigkeit der Aufsichtsbehörden neu. Neben die nationalen Aufsichtsbehörden kann eine weitere, die federführende Behörde treten (Art. 52 DSGVO). Für Unternehmensgruppen, die in mehreren Mitgliedstaaten tätig sind sowie für deren Tochtergesellschaften und Niederlassung, soll grundsätzlich diejenige Aufsichtsbehörde federführend zuständig sein, die für den Hauptsitz des Unternehmens zuständig ist („One-StopShop“). Zweck des One-Stop-Shop-Prinzips ist es, die von nationalen Aufsichtsbehörden oftmals unterschiedlichen Interpretationen der Datenschutzrichtlinie für die DSGVO zu verhindern. Wybitul/Böhm, Das neue EU-Datenschutzrecht: Folgen für Compliance und interne Ermittlungen (Update vom 14.4.2016) federführende Aufsichtsbehörde umgehend zu unterrichten und mit letzterer zu kooperieren. Nach Art. 56 Abs. 4 S. 3 DSGVO hat die nationale Aufsichtsbehörde die Möglichkeit, einen Beschlussentwurf vorzulegen, dem die federführende Kontrollbehörde bei ihrer Entscheidung weitestgehend Rechnung tragen muss. Um die Unabhängigkeit der Datenschutzbehörden zu sichern, soll bei Meinungsverschiedenheiten der Aufsichtsbehörden nicht die EUKommission entscheiden, sondern der neu gegründete Europäische Datenschutzausschuss, Art. 65 Abs. 1 DSGVO. Der Datenschutzausschuss besteht aus den Präsidenten der nationalen und europäischen Aufsichtsbehörden, Art. 68 Abs. 3 DSGVO. Praxistipp: Auch dies spricht dafür, dass Unternehmen den Kontakt zu den nationalen Aufsichtsbehörden nicht verlieren sollten. Diese haben die Möglichkeit, die federführende Kontrollbehörde durch die Vorlage eines Entscheidungsentwurfs zu beeinflussen. Ein Unternehmen, das bereits häufiger in Kontakt mit seiner „Stamm-Aufsichtsbehörde“ stand, kann deren datenschutzrechtliche Bewertungen zumindest grob vorhersehen. Autoren aa) Abgeschwächtes One-Stop-Shop-Prinzip Im Gegensatz zum Entwurf der EU-Kommission enthält die endgültige Fassung der DSGVO allerdings nur eine abgeschwächte Variante des One-Stop-Shop-Prinzips.35 Das bedeutet für Arbeitgeber in Deutschland, die mittlerweile in guter Abstimmung mit ihrer zuständigen Aufsichtsbehörde zusammenarbeiten, dass sie sich u. U. mit einer neuen Aufsichtsbehörde auseinanderzusetzen haben. Es gibt Ausnahmen vom One-Stop-Shop-Prinzip, die im Rahmen von internen Ermittlungen oder Compliance-Kontrollen relevant werden können. So darf der Betroffene bzw. der Arbeitnehmer unabhängig von dem Hauptsitz des verantwortlichen Unternehmens seine Beschwerden weiterhin an die Aufsichtsbehörde in seinem Mitgliedstaat richten.36 Zudem bleiben die nationalen Aufsichtsbehörden für Sachverhalte zuständig, die ausschließlich eine Niederlassung in ihrem Staat betreffen oder sich im Wesentlichen auf einen Betroffenen in ihrem Mitgliedstaat auswirken.37 Bei einem ausschließlich lokalen Bezug bleibt also die bekannte „Stamm-Aufsichtsbehörde“ zuständig. Tim Wybitul, RA/FAArbR, ist Partner im Frankfurter Büro von Hogan Lovells. Wybitul ist im Beirat des Betriebs-Berater und des Compliance-Berater (CB) und Autor des ebenfalls in der dfv Mediengruppe, Fachbereich Recht und Wirtschaft in 2. Auflage erscheinenden Praxishandbuchs „Datenschutz im Unternehmen“ in der Schriftenreihe des Betriebs-Beraters. Dr. Wolf-Tassilo Böhm, RA, ist als Senior Associate und Mitglied der Praxisgruppe Arbeitsrecht am Frankfurter Standort von Hogan Lovells tätig. Er berät nationale und internationale Unternehmen in allen Fragen des Individual- und Kollektivarbeitsrechts sowie zu Compliance, internen Ermittlungen und Beschäftigtendatenschutz. Praxistipp: Der u. U. bereits bestehende konstruktive Abstimmungsprozess mit der nationalen „Stamm-Aufsichtsbehörde“ sollte weiterhin aufrechterhalten werden. bb) Grenzüberschreitende Sachverhalte Nach Art. 56 Abs. 1 DSGVO wird die federführende Behörde auch für grenzüberschreitende Sachverhalte („cross-border processing“) zuständig sein.38 Der Datenschutz bei der Grenzüberschreitung personenbezogener Daten gewinnt im Rahmen von internen Ermittlungen oder Compliance-Kontrollen und im Zeitalter global agierender Konzerne zunehmend an Bedeutung. Gleichwohl bleibt es auch hier bei der oben beschriebenen Zuständigkeit der nationalen Aufsichtsbehörde für Sachverhalte, die ausschließlich eine Niederlassung oder einen Betroffenen in ihrem Mitgliedstaat betreffen. h) Zusammenarbeit der nationalen und federführenden Aufsichtsbehörden Bei paralleler Zuständigkeit von nationaler und federführender Aufsichtsbehörde ist die nationale Kontrollstelle verpflichtet, die Compliance-Berater, Online Update 35 36 37 38 Fassung verwendete Begriff „fraud“ deutlich weiter zu verstehen als ein Betrug nach § 263 StGB. „Fraud“ fasst allgemein verschiedene Delikte aus dem Bereich der Wirtschaftskriminalität zusammen. Wybitul/Pötters, RDV 2016, 10, 15. Vgl. Art. 77 Abs. 1 DSGVO. Art. 56 Abs. 2 DSGVO. Eingehend zu grenzüberschreitenden Ermittlungen Wybitul, BB 2009, 606.
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