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leitartikel
Der Spaß, Opposition zu spielen
Die SVP sagt, „für den Erhalt der Geburtenabteilung kämpfen“ zu wollen. Eine Regierungspartei, die nicht mehr den Mut hat, den Bürgern die Wahrheit zu sagen, könnte sich bald in
der Opposition wiederfinden.
von Norbert Dall’Ò
Die SVP befindet
sich auf dem Weg,
eine richtig gute
Oppositionspartei
zu werden.
F
ast hätte ich einen Unfall gebaut heute
früh auf der A-22. Schuld waren die Frühnachrichten auf Rai Südtirol. Um 6:30
Uhr tönte es aus dem Radio: „Die Parteileitung
der SVP hat gestern beschlossen, alles zu tun, um
die Geburtenabteilung in Sterzing zu retten.“ Ich
musste dermaßen lachen, dass ich einen Hustenanfall bekam.
Alle wissen (alle, außer einige Wipptaler), dass
die Geburtenabteilung im Krankenhaus Sterzing
geschlossen wird. Sie wird geschlossen, weil sie
einen Luxus darstellt, den wir uns lange geleistet haben, den wir uns jetzt aber nicht mehr leisten können. Schuld daran ist weder Bozen noch
Rom noch Brüssel, schuld sind auch nicht die
Ärzte, die fehlen. Schuld an der Schließung ist
einzig die Vernunft.
Während die SVP-Parteileitung am Montag
tagte, hatte ich Gelegenheit, mit einigen Parteiexponenten zu reden, die gerade Zigarettenpause machten. Sie sagten mir genau das, was ich im
obigen Absatz zusammengefasst habe – mit einem
kleinen Zusatz. Sie fügten hinzu: „ ... aber die eigenen Leute werden uns dafür abwatschen.“
Deshalb also dieser komische Beschluss, der
mir einen Hustenanfall bescherte.
Warum verspricht die SVP etwas, an das sie
selbst nicht glaubt? Sie tut es in der Hoffnung,
aufgebrachte Wipptaler zu besänftigen. Sie tut es,
um das Gesicht zu wahren und die Schuld an der
Schließung anderen (Rom) in die Schuhe schieben zu können. Sie tut es, weil sie jeden Schneid,
jedes Profil, jede Geradlinigkeit verloren hat, die
eine Regierungspartei eben ausmacht.
Vor zwei Wochen habe ich hier die These aufgestellt, dass es „die SVP“ nicht mehr gibt, dass
diese Partei nunmehr einem Haufen Hühner
gleicht, die dorthin rennen, wo sie glauben, ein
Körnchen zu finden.
Ich habe untertrieben. Wie dieser Montagsbeschluss beweist, ist die SVP inzwischen zum
Spielball der Populisten geworden, die in- und
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schießen. Populisten haben die Fähigkeit, schwierige, unbequeme Zusammenhänge zu ignorieren
und stattdessen Lösungen vorzuschlagen, die natürlich keine sind, die aber das Bauchgefühl der
Menschen befriedigen.
„Retten wir die Geburtenabteilung in Sterzing“ klingt eben besser als „Schließen wir die
Geburtenabteilung Sterzing“.
Was unterscheidet eine Regierungspartei von
einer Oppositionspartei? Diese kann kritisieren,
nörgeln und das Blaue vom Himmel versprechen, jene muss regieren, indem sie Beschlüsse
fasst, die dem Gemeinwohl dienen.
Viele Indizien sprechen dafür, dass in der SVP
nicht mehr zwischen diesen Funktionen unterschieden wird. In der Regierungspartei gibt es
viele, die geradezu Spaß daran haben, Opposition zu spielen. Maulen und Dinge versprechen,
die schön klingen, aber nicht eingehalten werden
können, ist eben leichter, als Verantwortung zu
übernehmen und für Entscheidungen einzustehen, die unbequem sind, aber eben sinnvoll.
Eine Regierungspartei entscheidet, was sie
für richtig hält – und lässt sich nicht erpressen.
„Dann gebe ich mein Parteikartl zurück“: Bittesehr!, würde ein starker Obmann auf solcherlei Drohungen antworten. Stattdessen rudert die
SVP im Kreis und flüchtet sich in Beschlüsse, die
niemandem nützen.
Mein Lachhusten hatte noch nicht aufgehört, da hörte ich im Radio die nächste Meldung:
„Durnwalder für Abschaffung der Region.“ Hoppala, dachte ich mir, warum spricht der Altlandeshauptmann plötzlich wie Eva Klotz?
Wenn jetzt sogar Oberpragmatiker und Obersachpolitiker Durnwalder der Versuchung verfallen ist, Dinge zu fordern, nur um den Applaus
gewisser Leute zu erhalten, dann befindet sich die
SVP auf gutem Weg. Auf dem Weg, eine richtig
n
gute Oppositionspartei zu werden.
No. 27 / 2016