7/2016 DE 9,00 EUR WIRTSCHAFT AUS ERSTER HAND Siemens Katar Das erstaunliche Comeback des Industriedinos Die schrägen Geldgeber aus dem Morgenland Peek & Cloppenburg Die gescheiterte Erbfolge DAS AUTO Projekt Titan – wie Konzernchef Tim Cook den Angriff auf Audi, BMW und Mercedes plant Österreich EUR 9,80 | Schweiz sfr 14,70 Benelux EUR 10,00 | Frankreich, Italien, Portugal, Spanien EUR 10,80 | Spanien Kanaren EUR 11,00 APPLE FOTOS: [M] ANDREAS PEIN / LAIF, [M], URBAN ZINTEL FÜR MM, [M] KAI NEDDEN / LAIF, YOUTUBE.COM/WATCH?V=VAK97PTIJJ0, ALWAYS.COM/EN-US/ABOUT-US/OUR-EPIC-BATTLE-LIKE-A-GIRL TRENDS WERBUNG reingespielt, die ich cool finde und die für mich relevant sind. Irgendwann schalte ich dann den Adblocker auch wieder aus. Nur: Da sind wir noch nicht, deshalb ist die Ablehnung redundanter Werbung, die einen „stalkt“, jetzt verständlicherweise groß. Hinter vielen neuen Werbeansätzen steht die Idee des partizipativen Verbrauchers. Der will aber auf Facebook mit seinen Freunden quatschen und nicht mit Edeka. Die Engagement-Rate selbst unter Markenfans auf Facebook liegt laut Studien bei unter einem Prozent. Bringt der viel beschworene Kundendialog überhaupt etwas? SCHILL Wir haben mit unserer belgischen Agentur einen Film für Coca-Cola gemacht, da geht einer in die U-Bahn, fängt an zu lachen und dann lacht die ganze Bahn mit, unheimlich nett. Der Film wurde im Netz mehr als 100 Millionen Mal angeschaut. Gehen die jetzt sofort in den Laden und kaufen alle eine Flasche Coca-Cola? Quatsch. Aber wir schaffen damit Sympathie für die Marke. Hätten Sie das Gleiche nicht mit einem originellen TV-Spot erreicht? SCHILL Vielleicht, aber der wäre eine Million Mal teurer gewesen ... SCHNEIDER ... und hätte 90 Millionen Menschen weniger erreicht. Für solche Sätze werden die Controller in den Konzernen Sie lieben. SCHILL Unsere Vorgänger sind noch eine Woche lang mit dem Helikopter von Strand zu Strand geflogen, um die Farbe des Sandes zu vergleichen, auf dem dann irgendwann eine Flasche gefilmt werden sollte. Man war mit 60, 70 Leuten am Set. Das wurde inzwischen alles komprimiert, nicht immer freiwillig. SCHNEIDER Aber wenn ein Film, der mit zwei Leuten für Youtube gedreht wurde, genau- Haupt sache, laut: Reklame als PersonalityShow 106 M A R L B O R O - M A N N (Leo Burnett, für Marlboro) Mann, Pferd, Kippe: Die Cowboyspots wurden zum Reklameklassiker. Sie gelten Werbern heute als eindimensional und veraltet. so gut funktioniert: warum nicht? Das neue Mantra lautet: „Cheap, fast, good“. Wir müssen für unsere Kunden immer mehr Inhalte in kürzeren Intervallen, mit kleineren Budgets und auf hohem Niveau produzieren. ULMER Wir können dadurch auch experimenteller sein. Der Kunde traut sich dann vielleicht nicht, eine solche Produktion als Spot um 20.15 Uhr bei der ARD zu zeigen – als Versuchsballon im Netz taugt sie schon. Nicht zuletzt haben sich auch die Sehgewohnheiten gewandelt. Die GoPro-Kamera J E A N -R E M Y V O N M ATT ANDRÉ KEMPER AMIR KASSAEI Startete als Texter bei BMZ. Als Kreativlegende wacht der Mitgründer über die Qualität bei JvM, der Generationswechsel zieht sich. Springer-&-JacobySchule, Mitgründer von Kempertrautmann. Impulsiv und gern provokant, arbeitet Kemper mit Antoni für Mercedes. Mit 13 Flucht aus dem Iran, Texter bei S&J, seit 2011 internationaler DDB-Kreativchef. 2009 Kür zum weltbesten CCO. Ganz große Klappe. Jung von Matt (JvM) manager magazin J U L I 2 0 1 6 Antoni DDB etwa hat die Bildsprache komplett verändert. Darauf muss sich Werbung, die Teil der Popkultur sein will, einstellen. Mit billig und schnell können Sie vielleicht akribisch die Datenpunkte auf der Customer-Journey abarbeiten, Teil der Popkultur werden Sie so nicht. SCHILL Da widerspreche ich entschieden. #LikeAGirl ging in der Presse einmal um die Welt. Der Marlboro-Cowboy ritt vor allem durch seine Anzeigenmotive. Wir haben heute in der Kommunikation viel mehr Macht als vor 20 Jahren. Wirklich? Früher wollten Werber verführen, heute gelten sie als schlau, aber harmlos. SCHNEIDER Popkultur spiegelt den Nerv der Zeit. Und moderne Konsumenten suchen sich aus der Werbung zunehmend raus, was für sie interessant ist. Verführt wird heute eben anders: über Unterhaltung und Relevanz. SCHILL Red Bull zum Beispiel ist Popkultur, die haben mit ihrer Kommunikation einen neuen Markt geschaffen. Nicht nach dem Marlboro-Prinzip, sondern in ihrer ganz eigenen Nische, die aber immer größer wird. Selbst ich hatte im letzten Skiurlaub eine GoPro am Helm und habe abends mit meiner Tochter die Filme geguckt. Und schon bin ich drin in der Welt von Red Bull. ULMER Wir arbeiten mit Vodafone, da ist die GoPro oder das Smartphone das Gerät der Zeit. Wenn ich bei einem Autorennen live aus der Karre sende und das Netz bricht nicht zusammen, ist das mindestens so gut, wie einen „Geiz ist geil“-Spruch rauszuhauen. Im Übrigen ist die Gesellschaft viel zu fragmentiert, als dass Kampagnen noch ein Gefühl für alle abbilden können. „Wetten, dass..?“ gibt’s ja schließlich auch nicht mehr. Seit Neuestem machen Ihnen die Datenkraken Google und Facebook sogar mit eigenen Kreativ-Units wie The Zoo Konkurrenz. Bricht da gerade der nächste Teil Ihrer Wertschöpfungskette weg? SCHNEIDER Ich glaube schon, dass sie an den Rändern mehr kreatives Know-how ansammeln werden. Aber das Geschäftsmodell von Google und Facebook ist die Vermarktung von Plattformen. Dazu bedarf es eines Ökosystems von Unternehmen, Marken und Agenturen. Markenführung und Kreation wird unsere Kernkompetenz bleiben. Wenn wir uns nicht blöd anstellen. ULMER Deren Problem ist ja auch, dass sie nicht wirklich unabhängig beraten können: Eine Facebook-Agenturtochter wird immer eher eine Facebook-Lösung empfehlen. WERB UNG TRENDS Verstehen Sie sich inzwischen auch als Unternehmensberater? Wir dachten immer, Kreative sind Regelbrecher. SCHNEIDER Das schließt einander doch nicht aus. Als „kreative Unternehmensberater“ sollte man Regeln kennen und auch brechen, wenn es sinnvoll ist. ULMER Der Regelbruch ist für mich nach wie vor unsere Kernkompetenz. Wirklich Kreative lassen sich nicht züchten. Das sind ganz spezielle Menschen mit einem ganz besonderen Blick auf die Dinge. Man gewinnt den Eindruck, dass Sie da von Ihren Kunden längst eingeholt werden. Einen Typen wie den Uber-Gründer Travis Kalanick können Sie doch werblich gar nicht mehr überhöhen. Der bricht selbst schon alle Regeln. ULMER Da ist was dran. Wenn alle so common-Sense-mäßig drauf sind, nach dem Motto „Hab ich verstanden, leuchtet mir ein“, geht das Magische verloren. Deshalb brauchen wir die Verrückten. Und wo sind die? André Kemper, der angeblich schon mal mit Büromaterial um sich wirft, aber für seine unkonventionellen Ideen bekannt ist, steht inzwischen ziemlich allein auf weiter Flur. (Lang anhaltendes Lachen) # L I K E A G I R L (Leo Burnett, für Always (P&G)) Die Kampagne prangert den negativen Unterton der Phrase „wie ein Mädchen“ an. Hintersinnig, humorvoll, vielfach preisgekrönt. „Noch hat Big Data nicht die Veredelung zu Smart Data geschafft.“ Wolfgang Schneider, BBDO Deutschland DIGITAL GEWINNT Nettowerbeeinnahmen in Europa, in Milliarden Euro1 120 Online 100 80 Kino, Radio, Außenwerbung 60 Print 40 20 TV 0 2005 2010 2015 1 | Ab 2016 Prognose. Quelle: IHS Grafik: manager magazin ULMER Sehr lustig! SCHILL Dass ich als Werber in der Öffent- lichkeit stehe, dass ich bunt sein muss, dass ich auf dem Opernball jemandem eine knallen muss, damit ich Presse bekomme, das ist total überholt. Unsere Branche hat sich professionalisiert. Wir sind keine Werbefuzzis mehr, sondern machen ein ernstes Geschäft und bewegen richtig viel Geld. Das gebe ich doch als Kunde niemandem, der mit Büromaterial schmeißt. Hallo! Der Mann hat sich im Auftrag von Mercedes gerade seine eigene Agentur aufgebaut. ULMER Also: Das Fehlen von Typen wird ja gemeinhin bedauert. Keiner sagt mehr in die Kamera, dass der Trainer scheiße ist. Ich glaube aber, dass es solche Typen bei uns noch gibt. Und die sind sogar so gut, dass sie nicht mit Büromaterial um sich werfen müssen. Trotzdem klagte Jean-Remy von Matt zuletzt, es sei in den vergangenen Jahren ein bisschen zu ruhig geworden in der Agentur. Ihm fehlen offenbar die Cowboys. ULMER Deswegen bin ich ja jetzt da. (Gelächter) Ihr Vorstandskollege Thomas Strerath pöbelt draußen aber mehr rum. SCHILL Götz, ich darf mal, ja? Jung von Matt ist aus der Historie heraus sehr klar als Kreativagentur Nummer eins am Markt positioniert. Dem gerecht zu werden ist nicht immer einfach. Wenn die nicht nackt und rot angemalt zur Tür reinkommen, ist der Kunde schnell enttäuscht. ULMER Ich finde: Die Arbeit muss verrückt sein, nicht der Mensch dahinter. SCHNEIDER Ich glaube, Kunden sind zunehmend kritisch, was die Klischeetypen, Allüren und Neurosen unserer Branche angeht. Wir sind als Branche erwachsener und sachlicher geworden. Und das ist auch gut so. Thomas Strerath findet Adblocker gut, soll beim Effie manipuliert haben, postet seine Laufstrecken. Jean-Remy von Matt ist happy: „Immerhin reden jetzt wieder alle über uns.“ Sachlich klingt anders. SCHNEIDER Jetzt sag doch mal was, Götz! (Gelächter) ULMER Irgendeiner hat behauptet, er hätte Aufmerksamkeitstourette. Das fand ich schön. Aber im Ernst: Wir haben Thomas nicht geholt, weil er verhaltensauffällig ist. Sondern? ULMER Weil er einer der Besten unseres Fachs ist. Und ein – wie eben besprochener – Typ. Punkt. Amir Kassaei, der Werbecowboy, der wohl am schwersten an seinen Sporen trägt, sagte mal, Agenturen hätten so viel kreative Power, dass sie alles rund um Marken könnten, auch Services und Produkte. Wann also kommen endlich das Serviceplan-Flugzeug und der BBDO-Lieferdienst? SCHNEIDER Die Agenturen haben einst 15 Prozent von den Mediamillionen verdient, das war wie im Schlaraffenland. Heute werden wir zunehmend nach Manntagen und Projektgeschäft bezahlt. Da ist es natürlich hochinteressant, mit unseren Kunden früher in die Problemstellungen einzusteigen und auch über Produkt- und Serviceinnovationen nachzudenken. ULMER Zugleich sollten wir aber auch unsere Grenzen kennen. Services denken wir immer mit, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand aus der Werbung den nächsten iPod erfindet. 1 Das Gespräch führten die mm-Redakteure Steffen Klusmann und Klaus Werle. J U L I 2 0 1 6 manager magazin 107
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