Europäisches Parlament 2014–2019 Petitionsausschuss 27.6.2016 MITTEILUNG AN DIE MITGLIEDER Betrifft: 1. Petition Nr. 0709/2015, eingereicht von Hannes Wilhelm-Kell, deutscher Staatsangehörigkeit, zum Schutz der kulturellen Identität und zum Überleben der sorbischen Gemeinschaft Zusammenfassung der Petition Der Petent fordert rechtlichen und politischen Schutz der Sorben, einer slawischen Minderheit, die in der Lausitz im Nord-Osten Deutschlands, in den Bundesländern Sachsen und Brandenburg lebe. 2014 seien ihre Bräuche und Traditionen als Teil unseres immateriellen Kulturerbes offiziell anerkannt worden. Das Gebiet, in dem sie lebten, sei jedoch stark vom Bergbau und von Kohlekraftwerken geprägt. Sie seien daher durch Landverluste, Bodenerosion, Verschmutzung von Oberflächenwasser und Grundwasser sowie Luftverschmutzung durch Mikropartikel und Schwermetalle gefährdet. Ein großer Teil der Bevölkerung leide infolgedessen an ernsthaften Erkrankungen. Der Petent sei beunruhigt angesichts der Weigerung der Bundesländer Sachsen und Brandenburg, die Nutzung von Kohle als Energieträger einzustellen, obwohl das für sie sehr wohl möglich wäre, ohne nennenswerten wirtschaftlichen Schaden zu erleiden. Ein schwedisches Bergbauunternehmen plane zudem, in diesem Gebiet die Förderung auszuweiten, und das ungeachtet der Umweltauswirkungen. Das Unternehmen nehme dabei billigend in Kauf, dass die Bewohner der Region, wenn es später seinen Standort aufgebe, für die Umweltsanierung aufkommen müssten. Der Petent fordert das Europäische Parlament auf, sicherzustellen, dass die beiden deutschen Bundesländer den Schutz dieser Minderheit garantieren und die notwendigen Entscheidungen über die Zukunft des Bergbaus in der Region treffen, und ferner, dass sie für den Erhalt der sorbischen Sprache und Kultur eintreten. Er ruft das Parlament auf, die beiden Bundesländer zum Umstieg von Kohlekraftwerken auf erneuerbare Energien aufzufordern und das schwedische Bergbauunternehmen für die von ihm verursachte Umweltverschmutzung zur Verantwortung zu ziehen, damit letztlich nicht die Bewohner der Region dafür bezahlen müssten. Zudem fordert er, den fairen Wettbewerb im Energiesektor des betreffenden Gebiets sicherzustellen und Bewusstsein für die Probleme zu schaffen, denen die sorbische Gemeinschaft gegenüberstehe und die ihre Existenz gefährdeten. CM\1099079DE.doc DE PE585.538v01-00 In Vielfalt geeint DE 2. Zulässigkeit Für zulässig erklärt am 19. Februar 2016. Die Kommission wurde um Auskünfte gebeten (Artikel 216 Absatz 6 der Geschäftsordnung). 3. Antwort der Kommission, eingegangen am 27. Juni 2016 Petition Nr. 0709/2015 Die Petition betrifft den Braunkohlenbergbau in Sachsen und Brandenburg. In der Petition wird die Einleitung rechtlicher und politischer Maßnahmen gefordert, durch welche die von Sorben/Wenden bewohnten Gebiete geschützt, ehemaligen Bergbaugebiete saniert und finanzielle Mittel zur Wiederbelebung der Sprache und Kultur der Wenden/Sorben bereitgestellt würden. Ebenso wird gefordert, dass Pläne zur Schließung von Kohlekraftwerken in Sachsen und Brandenburg vorgelegt werden, die europäische Energiepolitik auf die schrittweise Einstellung der Kohleförderung ausgerichtet wird und die Errichtung neuer Stätten für den Braunkohlentagebau verboten wird. Abschließend wird in der Petition dazu aufgefordert, dass die Einhaltung der EU-Richtlinien über Wasser- und Luftqualität durchgesetzt wird, dass die indirekten Subventionen für Kohle eingestellt werden und dass Deutschland das IAO-Übereinkommen Nr. 169 ratifiziert. Anmerkungen der Kommission Nutzung und Abbau von Kohle Nach Artikel 194 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)1 ist es das Recht jedes Mitgliedstaats, „die Bedingungen für die Nutzung seiner Energieressourcen, seine Wahl zwischen verschiedenen Energiequellen und die allgemeine Struktur seiner Energieversorgung zu bestimmen“. Daher ist die Kommission nicht befugt, den Kohleabbau oder die Kohlenutzung zu verbieten, und zwar weder auf Ebene der Mitgliedstaaten noch auf EU-Ebene. Subventionen Was die Frage der Subventionen betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass die EUBeihilfevorschriften für die Kohleindustrie durch den Beschluss des Rates 2010/787/EU2 geregelt werden, in dem klar festgelegt ist, dass Beihilfen für Kohlebergwerke der Erleichterung ihrer Stilllegung vorbehalten sind. Was die Frage der indirekten Subventionen durch die Übergangsregelungen nach der deutschen Wiedervereinigung betrifft, ist die Kommission aufgrund der begrenzten Informationen, die der Petent zur Verfügung gestellt hat, nicht in der Lage festzustellen, ob die betreffenden Maßnahmen staatliche Beihilfen im Sinne von Artikel 107 AEUV darstellen und ob sie mit dem EU-Recht vereinbar sind. Ebenfalls ist darauf hinzuweisen, dass für staatliche Beihilfen eine Verjährungsfrist von 10 Jahren gilt, nach deren Ablauf es der Kommission nicht mehr möglich ist, gegen rechtswidrige Beihilfemaßnahmen vorzugehen 1 http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:12008E194:DE:HTML Beschluss des Rates 2010/787/EU vom 10. Dezember 2010 über staatliche Beihilfen zur Erleichterung der Stilllegung nicht wettbewerbsfähiger Steinkohlebergwerke. 2 PE585.538v01-00 DE 2/6 CM\1099079DE.doc und ihre Rückzahlung anzuordnen. Minderheitenrechte Die Kommission besitzt im Hinblick auf den Schutz von Gemeinschaften, die Regional- oder Minderheitssprachen sprechen, keine Befugnisse. Die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen des Europarats ist diesbezüglich das einzige rechtsverbindliche Instrument und kann in Staaten geltend gemacht werden, die sie unterzeichnet und ratifiziert haben, wie es in Deutschland für das Obersorbische und Niedersorbische der Fall ist. Allerdings kann die Kommission die Gemeinschaften, die Regional- oder Minderheitssprachen sprechen, durch Erasmus+, dem EU-Programm für allgemeine und berufliche Bildung, Jugend und Sport, sowie durch das Forschungsrahmenprogramm oder durch Regional- und Strukturfonds unterstützen. Luftqualität und Emissionen von Schadstoffen Die Luftqualität in der EU wird durch die Luftqualitätsrichtlinie (2008/50/EG)1 geregelt, in der Grenzwerte oder Zielwerte für die wichtigsten Schadstoffe wie Schwefeldioxid, Stickstoffdioxid und Stickstoffoxide, Feinstaub, Blei, Benzol, Kohlenmonoxid, Ozon, Arsen, Kadmium, Nickel und Benzo(a)pyren (BaP) festgelegt sind.2 Im Kalenderjahr 2014 meldete Deutschland Überschreitungen der Grenz- und Zielwerte für Stickstoffdioxid (NO2), Feinstaub mit einem Durchmesser unterhalb von 10 Mikrometer (PM10) und Ozon (O3). Der Stand der Einhaltung der Werte für Sachsen und Brandenburg im Jahr 2014 wird für diese Schadstoffe in der Tabelle in Anhang 1 zusammengefasst. Nach Informationen, die der Kommission vorliegen, werden die Grenz- und Zielwerte für PM10, NO2 und Ozon in mehreren Luftqualitätsgebieten in Brandenburg und Sachsen überschritten. Die Kommission hat folgende Schritte eingeleitet, um gegen die Nichteinhaltung vorzugehen: - - Im November 2014 übermittelte die Kommission im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens wegen der Nichteinhaltung der PM10-Grenzwerte, die auch das Luftqualitätsgebiet Leipzig betrifft, eine mit Gründen versehene Stellungnahme an Deutschland. Im Juni 2015 richtete die Kommission im Rahmen eines 3 Vertragsverletzungsverfahrens ein Aufforderungsschreiben an Deutschland, da die Luftqualitätsgrenzwerte für NO2 in verschiedenen Luftqualitätsgebieten in mehreren aufeinander folgenden Jahren nicht eingehalten wurden. In Bezug auf Ozon, für das in der Luftqualitätsrichtlinie Zielwerte anstatt von Grenzwerten festgelegt sind, wurden keine Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Mehrere 1 http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2008:152:0001:0044:de:PDF Die Grenz- und Zielwerte sind in englischer Sprache hier zu finden: http://ec.europa.eu/environment/air/quality/standards.htm 3 Beim Aufforderungsschreiben und der mit Gründen versehenen Stellungnahme handelt es sich um rechtliche Schritte im Vertragsverletzungsverfahren, das für alle EU-Richtlinien gilt. Weitere Informationen unter http://ec.europa.eu/atwork/applying-eu-law/infringements-proceedings/index_de.htm. 2 CM\1099079DE.doc 3/6 PE585.538v01-00 DE Luftqualitätsgebiete1 profitierten von einer Fristverlängerung bis 1.1.2015. Sollte es dort jedoch weiterhin zu Überschreitungen kommen, könnte in Zukunft ein Vertragsverletzungsverfahren gegen sie eingeleitet werden. Auf Grundlage der im Anhang enthaltenen Informationen konnte die Kommission in den Luftqualitätsgebieten in der Lausitz keine Überschreitungen für Feinstaub oder Arsen feststellen. In der Petition wird angegeben, dass die europäischen Luftqualitätsstandards weniger streng seien als die betreffenden Leitlinien der WHO. Obwohl dies derzeit im Hinblick auf PM 2.5, PM10, O3, BaP, SO2 und Benzol tatsächlich der Fall ist, könnten die europäischen Standards durch zukünftige Überarbeitungen der Luftqualitätsrichtlinie verschärft werden. Zwischenzeitlich werden die Aktualisierungen der WHO-Leitlinien von der Kommission mitfinanziert. Bezüglich der Überwachung der Luftqualität ist gemäß Anhang III Abschnitt B Nummer 1 Buchstabe a der Luftqualitätsrichtlinie vorgesehen, dass der Ort von Probenahmestellen, an denen Messungen zum Schutz der menschlichen Gesundheit vorgenommen werden, so zu wählen ist, dass folgende Daten gewonnen werden: - - Daten über Bereiche innerhalb von Gebieten und Ballungsräumen, in denen die höchsten Konzentrationen auftreten, denen die Bevölkerung wahrscheinlich direkt oder indirekt über einen Zeitraum ausgesetzt sein wird, der im Vergleich zum Mittelungszeitraum der betreffenden Grenzwerte signifikant ist, Daten zu Konzentrationen in anderen Bereichen innerhalb von Gebieten und Ballungsräumen, die für die Exposition der Bevölkerung allgemein repräsentativ sind. Der Petent kann der Kommission die Nichteinhaltung dieser Vorschriften mitteilen und rechtliche Schritte können eingeleitet werden. Emissionen, die aus der Energieerzeugung in Kohlekraftwerken stammen, werden durch die Industrieemissionsrichtlinie geregelt, die für Kraftwerksanlagen mit einer Leistung über 50 MW sowie für das Raffinieren von Mineralöl und Gas, die Erzeugung von Koks und die Vergasung oder Verflüssigung von Kohle und anderen Brennstoffen in Anlagen mit einer Leistung von 20 MW oder mehr gilt. Diese Anlagen dürfen nur mit einer Genehmigung betrieben werden, welche die Verwendung der besten verfügbaren Techniken voraussetzt, einschließlich Emissionsgrenzwerte für Schadstoffe. Im Hinblick auf Großfeuerungsanlagen sind in der Industrieemissionsrichtlinie auch Emissionsgrenzwerte für bestimmte Luftschadstoffe festgelegt und jährliche Berichte über die Emissionswerte vorgesehen. Zudem ist gemäß der Richtlinie in bestimmten Fällen die Erteilung vorübergehender Ausnahmeregelungen möglich. Deutschland hat die Ausnahmeregelungen in Anspruch genommen, die in den Artikeln 33 und 35 festgelegt sind und für einige bestehende Großfeuerungsanlagen Abweichungen von den betreffenden Emissionsgrenzwerte 1 Betroffen sind Potsdam, Dresden, Magdeburg und Leipzig. PE585.538v01-00 DE 4/6 CM\1099079DE.doc zugelassen, sofern die folgenden Bedingungen erfüllt sind: (1) Der Betreiber der Feuerungsanlage verpflichtet sich, die Anlage ab 1. Januar 2016 höchstens 17 500 Betriebsstunden und längstens bis zum 31. Dezember 2023 zu betreiben (2) mindestens 50 % der erzeugten Nutzwärme an ein öffentliches Fernwärmenetz abgegeben wird. Der Kommission sind keine Verstöße gegen diese Bestimmungen bekannt. Wasser Die Mitgliedstaaten sind gemäß der Wasserrahmenrichtlinie1 verpflichtet, die Verschlechterung des Zustands von Wasserkörpern zu verhindern. Daher obliegt es den deutschen Behörden, Maßnahmen zu ergreifen, durch die eine dauerhaftere Verschlechterung des Zustands der betroffenen Wasserkörper und der angrenzenden Schutzgebiete verhindert wird. In der Trinkwasserrichtlinie2, mit der die Sicherheit von Trinkwasser innerhalb der EU sichergestellt werden soll, wird die Qualität von Trinkwasser geregelt. Gemäß dieser Richtlinie haben die Mitgliedstaaten alle Maßnahmen zu ergreifen, damit das Trinkwasser aus den Entnahmestellen der Verbraucher genießbar und rein sowie frei von potenziell gesundheitsgefährdenden Stoffen ist. In der Richtlinie ist die Wasserqualität ungeachtet der Herkunft und der Art der Bereitstellung des Wassers festgelegt. Bergbauabfälle Was die Verpflichtung zur Sanierung des Areals anbelangt, das durch die Bewirtschaftung von mineralischen Abfällen belastet ist, möchte die Kommission auf die geltenden Rechtsvorschriften (Richtlinie 2006/21/EG) verweisen. Darin ist festgelegt, dass die zuständigen Behörden vom Betreiber die Hinterlegung von finanziellen Sicherheitsleistungen oder etwas Gleichwertigem verlangen müssen, damit alle Verpflichtungen, einschließlich der Nachsorge nach der Stilllegung, erfüllt werden und zum gegebenen Zeitpunkt Mittel für die Sanierung des belasteten Areals bereitstehen. Auf Grundlage der vom Petenten zur Verfügung gestellten Informationen ist die Kommission nicht in der Lage festzustellen, ob ein Verstoß gegen diese Bestimmungen vorliegt. Fazit Was die Forderung des Petenten anbelangt, die Nutzung und den Abbau von Kohle in der Lausitz zukünftig zu verbieten, ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission weder auf Ebene der Mitgliedstaaten noch auf EU-Ebene befugt ist, dies zu tun. Aufgrund der begrenzten Informationen, die der Petent zur Verfügung gestellt hat, ist die Kommission nicht in der Lage festzustellen, ob die betreffenden Maßnahmen staatliche Beihilfen im Sinne von Artikel 107 AEUV darstellen und ob sie mit dem EU-Recht vereinbar 1 Richtlinie 2000/60/EG, ABl. L 327, 22.12.2000. Richtlinie 98/83/EG des Rates vom 3. November 1998 über die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch, ABl. L 330, 5.12.1998, S. 32. 2 CM\1099079DE.doc 5/6 PE585.538v01-00 DE sind. Im Hinblick auf die Forderung des Petenten, die Wiederbelebung der Sprache und Kultur der Wenden und Sorben zu unterstützen, ist festzustellen, dass die Kommission keinerlei Befugnisse zum Schutz von Gemeinschaften, die Regional- oder Minderheitssprachen sprechen, besitzt. Allerdings kann die Kommission die Gemeinschaften, die Regional- oder Minderheitssprachen sprechen, durch Erasmus+, dem EU-Programm für allgemeine und berufliche Bildung, Jugend und Sport, sowie durch das Forschungsrahmenprogramm oder durch Regional- und Strukturfonds unterstützen. Die Kommission konnte in den Luftqualitätsgebieten in der Lausitz keine Überschreitungen für Feinstaub oder Arsen feststellen. Bezüglich der Überwachung der Luftqualität kann der Petent der Kommission die Nichteinhaltung der in der Luftqualitätsrichtlinie festgelegten EUVorschriften mitteilen und rechtliche Schritte einleiten. PE585.538v01-00 DE 6/6 CM\1099079DE.doc
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