Watt. Werte. Wende. - Ostschweiz am Sonntag

Energie
Illustration: Raffaela Breda. Piktogramme, Hintergrund: Freepik
Stadt und Region St. Gallen auf dem Weg in die Zukunft
Watt. Werte. Wende.
Innovativ
Die Wohnbaugenossenschaft St. Gallen baut
zurzeit mit der «Sturzenegg» eine spezielle Siedlung. In
ihr wird dezentral Energie produziert und diese intelligent
gespeichert, gesteuert und zur Verfügung gestellt. u SEITE 4
Anders Der deutsche Soziologe Harald Welzer sagt im
Interview, warum seiner Meinung nach der unkritische
Glaube an Technik und Digitalisierung nicht zukunftsfähig
ist. Welzer sprach an den Energietagen St. Gallen. u SEITE 7
Komplex An der Empa untersucht eine interdisziplinäre
Forschungsgruppe, was für Auswirkungen technologische
Neuerungen, etwa solche in der Energiethematik, auf die
u SEITE 8
Umwelt und die Gesellschaft haben werden.
St. Galler Tagblatt Stadt St. Gallen, Gossau und Umgebung . St. Galler Tagblatt Region Rorschach . Appenzeller Zeitung
Sonderbeilage vom 28. Juni 2016
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ERNEUERBARE ENERGIEN
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ƒ Wissen in erneuerbaren Energien
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Illustration: Copyright©
Globi Verlag, Zürich
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Redaktion: Martin Wiesmann
Redaktionelle Mitarbeit:
Martin Brunner, Malolo Kessler,
Bruno Knellwolf, Andreas LorenzMeyer, Christoph Sulser
Layout: Sina Item, Raffaela Breda
Verlag: St. Galler Tagblatt AG
Fürstenlandstrasse 122
9001 St. Gallen
Telefon 071 272 78 88
Druck: Tagblatt Print,
NZZ Media Services AG, Im Feld 6,
9015 St. Gallen
Gemeinsame Beilage von
St. Galler Tagblatt Stadt St. Gallen,
Gossau und Umgebung, St. Galler
Tagblatt Region Rorschach,
und Appenzeller Zeitung
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Fürstenlandstrasse 122
9001 St. Gallen
Telefon 071 272 77 77
Fax 071 272 73 17
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Leiterin Verkauf Beilagen:
Marina Brezovac
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Energie 3
Dienstag, 28. Juni 2016
Die Energiezukunft diskutiert
Die diesjährigen Energie-Tage St. Gallen haben Ende Mai rund 500 Energiefachleute aus dem Bodenseeraum zusammengeführt, um ihr
Wissen über erneuerbare Energien und Energieeffizienz auszutauschen. Die Veranstaltung ist ein fester Wert in manchem Terminkalender.
ale und Quartiere der Zukunft
und erhielten Einblicke, wie Forschungsresultate von der Empa
und ihren Partnern in die Praxis
umgesetzt werden, um dieses
ehrgeizige Ziel zu erreichen. In
Foren und Workshops wurden die
Themen anschliessend vertieft,
und die Teilnehmerinnen und
Teilnehmer erhielten wertvolle
Anregungen für den Transfer der
Forschungsresultate für ihre eigenen Bauprojekte.
Die nächsten Energie-Tage
St. Gallen finden am 11. und 12.
Mai 2017 in den Hallen der Olma
Messen St. Gallen statt. (pd)
Die vier Kongresse vom 26. und
27. Mai, durchgeführt in Messehallen der Olma, boten ein informatives Programm mit hochkarätigen Referenten. Sie garantierten einen spannenden Austausch
von Wissen und Erfahrungen. Die
Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Kongresse nutzten die
Gelegenheit rege, um ihre Erfahrungen auszutauschen, Fragen
aufzuwerfen und Visionen zu entwickeln. Die länderübergreifende Zusammenarbeit ist ein wichtiger Aspekt der Energie-Tage.
Veranstalter sind jeweils die Universität St. Gallen, die Stadt
St. Gallen, die Empa Akademie,
das SCCER Future Energy Efficient Buildings & Districts und die
Olma Messen St. Gallen. Das Bundesamt für Energie, die Ämter für
Umwelt und Energie des Kantons
und der Stadt St. Gallen und das
World Resources Forum unterstützen die Energietage.
In die Zukunft investieren
Rund 100 Teilnehmende konnten sich am 5. Internationalen
Geothermie-Kongress mit Fachreferenten aus dem In- und Ausland über mögliche Finanzierungs- und Entwicklungsstrategien der Tiefengeothermie austauschen. Gerade vor dem
Hintergrund des gegenwärtig unsicheren energiewirtschaftlichen
Umfelds wurde die Langfristigkeit von Investitionen in diese
ökologische Energieerzeugung
betont. Mit Praxisbeispielen aus
Bayern und der Westschweiz erhielt das Publikum wertvolle Anregungen in Bezug auf konkrete
Finanzierungsmodelle. Letztendlich herrschte Einstimmigkeit darüber, dass für eine steigende
Lernkurve in der Schweiz insbesondere noch mehr Wissen über
den Untergrund erlangt werden
muss.
Blick in erfolgreiche Projekte
Der Energiekonzept-Kongress
hat sich in der vierten Ausgabe
zum nationalen Treffpunkt von
Plattform rund
um die Wende
Bild: Stürmer Fotos
Interessierte Zuhörerschaft am 7. St. Galler Forum für Management Erneuerbarer Energien, das Teil der Energie-Tage St. Gallen ist.
Fachleuten rund um Energiekonzepte entwickelt. Die diesjährige Veranstaltung stand unter
dem Motto «Energiekonzepte:
wer wagt, gewinnt!». Dabei erhielten die rund 160 Teilnehmenden Einblicke in erfolgreich
umgesetzte Projekte aus Gemeinden im In- und nahen Ausland
und die daraus gewonnenen Erkenntnisse. Der Nachmittag bot
die Gelegenheit, in praxisorientierten Foren verschiedene Themen zu vertiefen. Beispiele dafür
sind die Finanzierung von Pro-
duktionsanlagen oder
2000-Watt-Arealen.
von
Lust auf Elektromobilität
Am 7. St. Galler Forum für Management Erneuerbarer Energien nahmen rund 170 Entscheidungsträger aus dem In- und
Ausland teil. Unter anderem wurden die neuesten Trends bei
Solarenergie, Batteriespeichern
und innovativen Anlageinstrumenten diskutiert. In der abschliessenden Podiumsdiskussion stand die Frage im Vorder-
grund, welche Marktchancen die
globale Energiewende für Länder
wie die Schweiz und Deutschland
eröffnet. Zudem wurde das 6.
Kundenbarometer Erneuerbare
Energien in Zusammenarbeit mit
Raiffeisen vorgestellt. Die repräsentative Umfrage zeigt in diesem Jahr ein grosses Interesse
Schweizer Konsumenten an sauberer Mobilität. So würden 55
Prozent der Befragten gerne einmal ein Elektroauto ausprobieren, und 25 Prozent könnten sich
sogar vorstellen, in den nächsten
zwei Jahren ein Elektroauto zu
kaufen.
Transfer in die Praxis anstreben
Beinahe 50 Prozent des Endenergiebedarfs der Schweiz entfallen auf Gebäude. Dieser Anteil
soll in den nächsten 20 Jahren um
den Faktor 3 sinken. Unter dem
Motto «Von der Forschung in die
Praxis» informierten sich rund
80 Fachleute aus Industrie und
Verwaltung am 2. Fachkongress
Energie + Bauen zu den Themen
energieeffiziente Gebäude, Are-
Die Energie-Tage sind eine Wissens- und Community-Plattform
rund um die Energiewende. In
St. Gallen treffen sich Experten
und Praktiker aus dem In- und
Ausland, um sich über den heutigen Stand und die neuesten Entwicklungen in der Energietechnologie zu informieren und auszutauschen. Die Kongresse und
Foren sprechen jeweils unterschiedliches Fachpublikum aus
Wirtschaft, Politik, Wissenschaft
und öffentlicher Hand an. Die
Energie-Tage St. Gallen bieten damit eine Plattform, auf der sich
interessierte Anwender und Energiefachleute aus der Schweiz und
dem grenznahen Ausland austauschen, informieren und vernetzen können. Veranstalter der
Energie-Tage St. Gallen sind die
Universität St. Gallen, die Stadt
St. Gallen, die Empa sowie die Olma Messen St. Gallen. Im Internet gibt es weitere Informationen
unter: energie-tage.ch (pd)
«Kleines Budget, starke Verankerung»
Die Energietage St. Gallen haben sich über die vergangenen Jahre zu einer stark beachteten Plattform zum Thema Energiezukunft im
Bodenseeraum entwickelt. Rolf Wüstenhagen von der Universität St. Gallen hat sie mitgeprägt und spricht im Interview darüber.
und Kantonen über gelungene
Beispiele der Umsetzung vor Ort
austauschen. Die einzelnen Konferenzorganisatoren greifen zudem immer wieder neue Themen
auf – so kam letztes Jahr das Thema Energie und Bauen hinzu, und
dieses Jahr gab es einen Workshop zur Elektromobilität.
MARTIN WIESMANN
Herr Wüstenhagen, wie ist das
entstanden, was sich heute Energietage St. Gallen nennt?
Rolf Wüstenhagen: Es gibt seit vielen Jahren eine Zusammenarbeit
zwischen der Stadt St. Gallen und
der Universität in Energiefragen.
Nachdem 2011 der erste Geothermiekongress und das zweite
St. Galler Forum für Management
erneuerbarer Energien stattgefunden hatten, haben wir uns zusammengesetzt und überlegt, wie
wir die Kräfte bündeln können.
Hat zum Entstehen der Energietage St. Gallen auch beigetragen,
dass es hier eine Universität
und die Empa gibt, und dass die
Olma-Messen auch eine Kongress-Infrastruktur zur Verfügung stellen können?
Wüstenhagen: Wenn man aus
zwei einzelnen Fachtagungen einen grösseren Anlass gestalten
möchte, braucht man einerseits
die Infrastruktur dafür, andererseits weitere Content Provider –
und da waren die Olma-Messen
St. Gallen und die Empa mit ih-
Bild: pd
Rolf Wüstenhagen begleitet die Energietage St.Gallen seit Beginn.
rem hiesigen Standort natürlich
die naheliegenden Partner.
Sehen Sie in der inhaltlichen Entwicklung der verschiedenen Diskussionsplattformen an den
Energietagen St. Gallen Trends
und Fortschritte?
Wüstenhagen: Das Spektrum
reicht von global denken bis lokal
handeln: Innerhalb von zwei Tagen diskutieren Manager und Investoren aus aller Welt die neuesten Trends im Bereich Erneuerbare Energien, während sich nebenan Vertreter von Gemeinden
Was kann denn überhaupt von
solchen Regionalen Energietagen
an Wirkung ausgehen? Es nehmen ja nicht Staatsmänner mit
Entscheidungsbefugnissen teil.
Wüstenhagen: Die Energiezukunft wird ja nicht nur vom Staat
geprägt – Entscheidungen fallen
auf vielen Ebenen. Unternehmer,
Investoren, Vertreter der nationalen und lokalen Politik und letztendlich auch die Konsumenten
leisten alle einen Beitrag. Und
diese Gruppen sprechen an den
Energietagen miteinander.
Trifft für die Energietage
St. Gallen vielleicht auch etwas
zu: «klein, aber fein». Man kann
sich vorstellen, dass es in einer
überschaubaren Struktur brennende Themen rascher auf die
Traktandenliste schaffen als an
einer grossen «Klimakonferenz».
Wüstenhagen: Die dezentrale
Struktur ist sicher eine Stärke der
Energietage, wenn es darum geht,
neue Themen frühzeitig zu erkennen und auf die Agenda zu bringen. Unter den Teilnehmern waren dieses Jahr übrigens auch ei-
Person Rolf
Wüstenhagen
Rolf Wüstenhagen (46jährig)
lehrt seit 2003 an der HSG.
Seit 2009 leitet er am Institut
für Wirtschaft und Ökologie
den Lehrstuhl für Management
Erneuerbarer Energien. Dieser
befasst sich mit dem Entscheidungsverhalten von Energiekonsumenten und -investoren
und dem Zusammenspiel von
Politik und Geschäftsmodellen
bei der Verbreitung erneuerbarer Energien. Er ist der erste
seiner Art an einer führenden
europäischen Wirtschaftsuniversität. (wie)
nige Trendscouts grösserer Anlässe auf nationaler Ebene. Es ist
fast wie im Fussball: Wir haben
nicht das Budget eines FC Basel,
aber kurze Entscheidungswege,
eine starke Verankerung in der
Region und eine Portion Mut zum
Risiko.
Kann irgendwie überprüft
werden, ob an den Energietagen
eingebrachte Ideen oder initiierte
Weiterentwicklungen es auch bis
in die Praxis schaffen? Gibt es
Beispiele?
Wüstenhagen: Ein Beispiel ist das
«Kundenbarometer erneuerbare
Energien», dessen Ergebnisse die
Universität St. Gallen seit 2012
jährlich in Zusammenarbeit mit
Raiffeisen an den Energietagen
vorstellt, und die der Bank Impulse für die Weiterentwicklung ihres Produktsortiments gibt. Ein
zweites Beispiel: Zwar war das
St. Galler Geothermie-Projekt leider nicht von Erfolg gekrönt, aber
dank des Geothermiekongresses
können nun Akteure in anderen
Landesteilen, zum Beispiel in
Genf, von den gemachten Erfahrungen profitieren.
4 Energie
Dienstag, 28. Juni 2016
Zuerst eine Siedlung, dann die Stadt
In St. Gallen entsteht eine Wohnsiedlung, die den Energieverbrauch der Bewohner steuert. Weitere Projekte von der Art der «Sturzenegg»
sollen folgen. Die Wohnbaugenossenschaft St. Gallen nimmt als Bauherrin eine Vorreiterrolle ein und kooperiert dafür mit den Stadtwerken.
zung der hauseigenen Energiequellen und die Energieeffizienz
zu steigern, ohne dass irgendwelche Komforteinbussen hinzunehmen sind. Eine spezielle App,
die «Sturzen-App», hilft den Mietern, den Energieverbrauch in der
Wohnung zu überblicken. Man
kann darüber auch den Verbrauch der Gesamtüberbauung
abrufen. Die App dient zudem als
digitaler Marktplatz. Zum Beispiel lassen sich hier Gegenstände teilen: Wer eine Bohrmaschine braucht, schaut per App nach,
welcher Nachbar eine besitzt, und
leiht sie sich von diesem aus. Ausserdem sind Informationen zur
Wohnung, etwa Bedienungsanleitungen, verfügbar. Der Mieter
kann über die App auch den
Hausabwart oder die Verwaltung
kontaktieren.
ANDREAS LORENZ-MEYER
Songdo bedeutet Insel der Pinien. Den lyrischen Namen trägt eine Planstadt am Gelben Meer, bei
der südkoreanischen Hauptstadt
Seoul. Sie wird, wenn sie fertig ist,
ein hochmodernes Finanz- und
Wirtschaftszentrum sein, ausgestattet mit Universitäten, Schulen, Krankenhäusern. Und einer
ausgefeilten Energieversorgung.
Ganz Songdo ist nämlich vernetzt. Überall gibt es Sensoren,
die Daten sammeln und so den
Energieverbrauch senken. Hält
sich zum Beispiel gerade niemand
in einem Raum auf, wird der auch
nicht beheizt. Das soll Einsparungen von über 30 Prozent bringen
im Vergleich zu konventionellen
Städten. Songdo, ein Vorbild in
Sachen Energieeffizienz.
Intelligent gesteuert
Was die Südkoreaner im grossen durchführen, plant St. Gallen
vorerst im kleinen. Am Westrand
der Stadt errichtet die Wohnbaugenossenschaft St. Gallen eine
Siedlung mit 69 Wohnungen, verteilt auf 3 Mehrfamilienhäuser.
Das Besondere daran: die dezentrale Energieproduktion und –
speicherung und die intelligente
Steuerung der Energieproduktion. Dafür sind die St. Galler
Stadtwerke verantwortlich, die
sich das Konzept zusammen mit
der Genossenschaft ausgedacht
haben. Die Basis der Energieversorgung bilden zwei Blockheizkraftwerke im. Sie liefern die
Wärme für Heizung und Warmwasser. Zudem produzieren sie
Strom, als Ergänzung zu den drei
Photovoltaikanlagen auf den Dächern. Blockheizkraftwerke lassen sich flexibel ansteuern. Steht
in der Siedlung nicht genug Solarstrom zur Verfügung, springen
sie ein. Hinzukommt später, nach
dem ersten Betriebsjahr, ein zentraler Batteriespeicher. Der wird
mit überschüssigem Strom geladen. Und dann wieder entladen,
wenn die Bewohner die Elektrizität benötigen.
Auch die Wettervorhersage
wird ins Energiesystem miteinbezogen. Man prognostiziert damit die Erträge der Solaranlagen
und erstellt die Fahrpläne der
Blockheizkraftwerke. An einem
sonnigen Tag etwa verbrauchen
die Bewohner die elektrische
Es geht auch ohne eine App
In den Wohnungen wird ebenfalls Energie gespart. Die Duschwannen haben einen integrierten
Wärmetauscher. Das senkt die
Nebenkosten und damit die Bruttomiete. Das Ablesen der Zählerdaten für Wärme-, Strom- und
Wasserverbrauch läuft automatisch ab. Doch wie gehen die
Stadtwerke mit dem Datenschutz
um? Bei dem Energiekonzept fallen viele persönliche Daten an.
«Das Thema ist uns sehr wichtig»,
betont Huwiler. Als Energiedienstleister passe man die Praxis laufend den geltenden nationalen Datenschutzvorgaben an.
Selbstverständlich kann auch jeder Bewohner frei wählen, ob er
die Sturzen-App überhaupt verwenden möchte.
Bilder: WBG St. Gallen (oben), www.zebra.ch (unten)
Das künftige Gesicht der Siedlung Sturzenegg (oben) und die Grossbaustelle im Mai 2016.
Energie zuerst selber. Dann wird
damit der Batteriespeicher geladen und die Produktion der
Blockheizkraftwerke auf den
Abend und die Nacht verschoben.
Die Mieter können so bei idealen
Verhältnissen zuerst den vor Ort
produzierten Strom beziehen.
Marco Huwiler von den Stadtwerken: «Die technischen Komponenten unseres Systems sind,
wenn man sie einzeln betrachtet,
nicht neu. Aber in ihrer Kombination doch einzigartig.»
Unkompliziert für Bewohner
Wer in der Siedlung wohnt,
muss sich mit den Details der
Energieerzeugung nicht weiter
auskennen. Auf komplizierte
Technik hat man bewusst verzichtet. Es geht darum, die Nut-
E-Mobile dienen als Speicher
Die Gebäude werden dem ökologisch anspruchsvollen Minergie-A-Standard entsprechen. Ab
Herbst 2017 ziehen die Mieter ein.
Von den 69 Wohnungen sind bereits 40 reserviert. «Wir rechnen
mit Vollvermietung bei Erstbezug», so Jaques-Michel Conrad
von der Wohnbaugenossenschaft.
Das Projekt sei im Vergleich zu
anderen dieser Grösse nicht wesentlich teurer. Die ContractingLösung mit den Stadtwerken im
Bereich Energie könne mit jeder
anderen Lösung konkurrieren.
Bedenken wegen des Datenschutzes habe niemand geäussert. Vor
dem Erstbezug informiert man
die Mieterschaft aber noch einmal über die Datenspeicherung.
Zum Konzept gehört auch, die
E-Mobilität der Bewohner zu
fördern. Insgesamt sind sechs
Stellplätze mit Ladestationen für
Autos mit Elektroantrieb vorgesehen, drei Aussenstellplätze,
drei Garagenstellplätze. Weiter ist
eine Zusammenarbeit mit dem
Carsharing-Anbieter Mobility geplant. Dessen Elektrofahrzeuge,
zwei an der Zahl, dienen bei
Nichtgebrauch als Energiespeicher. Das Projekt bringt allen
Beteiligten nur Vorteile, findet
Huwiler. Die Wohnbaugenossenschaft als Bauherrin kann neue
Mietergruppen ansprechen und
neue Konzepte testen. Die Mieter
wohnen in einem modernen
Gebäude mit ökologischem
Mehrwert. Und die Stadtwerke
sammeln Erfahrungen mit vernetzter, dezentraler Energieproduktion sowie -speicherung und
lernen beim intelligenten Steuern
und Regeln eines Energiesystems
dazu. Huwiler: «Solche Systeme
sieht das Energiekonzept 2050 der
Stadt St. Gallen für die Zukunft ja
vermehrt vor.»
Optimierung Energiesystem
Bei dem Energiekonzept geht
es um den ökologischen Umbau
der Energieversorgung. Und da
spielt Photovoltaik eine wichtige
Rolle. «Blockheizkraftwerke wie
die in der Überbauung Sturzenegg ergänzen den Ausbau von Solarstrom in idealer Weise», sagt
Huwiler. «Sie können jederzeit als
Stromerzeuger einspringen, vor
allem im Winter, wenn die Solarstromproduktion viel geringer als
im Sommer ist.» Momentan basieren Blockheizkraftwerke in
St. Gallen auf Erdgas, also einem
fossilen Energieträger. Man plant
aber, den Anteil von Biogas und
synthetischem Gas weiter zu erhöhen. So wird das gesammelte
Grüngut aus der Stadt zu Biogas
aufbereitet und in das öffentliche
Erdgasnetz eingespeist. Das Projekt Sturzenegg soll den Grundstein für die Optimierung des
gesamten städtischen Energiesystems bilden. Huwiler: «Als
Testumfeld im kleinen gehen wir
später über zur Umsetzung im
grossen.» Weitere Siedlungen
nach dem Modell Sturzenegg zu
konzipieren und zu steuern, ist
also geplant.»
Datenaustausch in der Smart City
Der Begriff «Smart City» bezeichnet im allgemeinen die Vernetzung
einer ganzen Stadt. Alles ist miteinander verbunden: Strassenlampen, Ampeln, Autos, Ticketautomaten, Sammelcontainer, Haushaltsgeräte, Energieerzeugungsanlagen. Die Vernetzung soll
hohe Lebensqualität sichern,
gleichzeitig den Ressourcenverbrauch niedrig halten. Das kann
in Zukunft zum Beispiel so aussehen: In den Wohnungen sind
Smart Meter installiert, intelligente Stromzähler. Sie haben Internetverbindung und registrieren
unter anderem den aktuellen
Strompreis. Ist dieser niedrig, weil
die Sonne scheint und die Solaranlagen in der Umgebung viel
Strom produzieren, geht die vorher befüllte Waschmaschine automatisch an. Ihr Besitzer muss gar
nicht da sein. Alles läuft von selbst.
Hohe Ansprüche an Sicherheit
So weit ist es noch nicht. Aber
das technische Fundament für die
künftige Smart City St. Gallen wird
schon gelegt. Man baut das Glasfasernetz aus und erweitert es um
eine strahlungsarme Funktechnik, den Long-Range-Standard,
kurz LoRa. IBM und Cisco haben
ihn entwickelt. Die St. Galler Stadtwerke testeten LoRa im Rahmen
des Pilotprojekts «Smartnet». Es
kann viele Objekte vernetzen, so
lassen sich Strassenlampen fernsteuern, Stromzähler auslesen und
Das Energiekonzept 2050
«St. Gallen ist auf dem Weg in eine ‹saubere Energiezukunft›». So
lautet das Oberziel des Energiekonzepts 2050, das sich auf die Bereiche Strom, Wärme und Mobilität bezieht. Die CO2-Belastung
durch die städtische Energieversorgung soll sinken, die Energieeffizienz verbessert, der Anteil erneuerbarer Energien vergrössert
werden. Viele kleinere Einheiten
wie Photovoltaikanlagen auf den
Hausdächern führt man dabei zu
einem virtuellen Kraftwerk zusammen. Läuft es wie geplant,
halbiert sich der Gesamtenergiebedarf für Raumwärme und
Warmwasser bis 2050. Und der
Anteil fossiler Brennstoffe sinkt
auf weniger als 25 Prozent. (alm)
die Belegungen von Aussenparkplätzen erfassen. Letzteres würde
Autofahrern in St. Gallen künftig
das Leben erleichtern. Sie müssten
nicht lange nach einem freien
Parkplatz suchen. Er wird ihnen
auf dem Display angezeigt.
Bei dem ganzen Datenverkehr
muss jedoch die Datensicherheit
gewährleistet sein. Und da kann
es Probleme geben. Anfang des
Jahres wurde ein Sicherheitsleck
im Zürcher Prime Tower ausgemacht. Dieses Gebäude ist stark
vernetzt. Übers Internet liess sich
ermitteln, welche Parkplätze im
Haus wann belegt waren. Diese
Daten, so hiess es, hätten Einbrecher für sich nutzen können. Zudem wäre es für Aussenstehende
möglich gewesen, die Steuerung
der ganzen Anlage zu übernehmen, etwa Schranken willkürlich
auf- und zuzuschliessen.
Die IG Smart City
Städte wie Winterthur, Basel,
Zürich und Genf, aber auch
St. Gallen haben sich auf Initiative des Bundes zur IG Smart City
zusammengeschlossen. Diese hat
das Ziel, die Diskussion über den
Smart-City-Ansatz anzuregen und
diesen weiterzuentwickeln. «Eine
der grossen Herausforderungen
für Smart-City-Projekte ist es, dass
dafür oftmals eine einwandfreie
Vernetzung und Zusammenarbeit
zwischen den Verwaltungen nötig
ist, was nicht immer einfach zu erreichen ist», sagt Benjamin Szemkus, Projektleiter von Smart City
Schweiz. (alm/wie)
Energie 5
Dienstag, 28. Juni 2016
Hausmodernisierung planen:
1
●
2
●
3
●
Sanierungskonzept
Baubegleitung
Ersatzneubau
Haus dämmen:
4
●
5
●
6
●
7
●
8
●
9
●
Dach
Estrichboden
Fassade
Kellerdecke
Fenster
Komfortlüftung
Effiziente Haustechnik:
10
●
11
●
12
●
13
●
Elektroboiler-Ersatz
Anschluss ans Fernwärmenetz
Elektroheizungs-Ersatz
Blockheizkraftwerk
(Wärme und Strom)
Erneuerbare Energien:
14
●
Warmwasser-Solaranlage
(Sonnenkollektor)
15 Solarstrom-Anlage
●
(Photovoltaik)
16 Erdsonden-Wärmepumpe
●
(Erdwärme)
Bild: Amt für Umwelt und Energie Stadt St. Gallen
Wie ein Haus energetisch sinnvoll modernisiert werden kann, zeigt diese Grafik. Ansatzpunkte zur Energieeinsparung gibt es viele.
Wer umdenkt, wird gefördert
Kanton und Stadt St. Gallen haben sich in ihren Energiekonzepten hohe Ziele gesteckt. Die Bevölkerung muss dabei den Wandel zu erneuerbaren
Energien und höherer Energieeffizienz mittragen. Motivieren sollen Förderbeiträge – den Durchblick im Beitragsdschungel zu erlangen, ist nicht einfach.
MALOLO KESSLER
Die Kohlendioxidemission bis im
Jahr 2020 um 20 Prozent reduzieren: Das ist das Ziel, das sich der
Kanton St. Gallen in seinem Energiekonzept gesteckt hat. Ein solches Konzept hat auch die Stadt
St. Gallen. In diesem sieht sie
unter anderem vor, bis 2050 den
Gesamtenergiebedarf für Raumwärme und Warmwasser zu halbieren. Damit haben sich Stadt
und Kanton ehrgeizige Ziele gesteckt. Ziele, die sich nur erreichen lassen, wenn die Bevölkerung umdenkt.
Woher gibt es wofür Geld?
Anreiz zum Umdenken sollen
Fördermassnahmen bieten. Wer
auf erneuerbare Energien, einen
tieferen Verbrauch und einen
nachhaltigen Umgang mit Ressourcen setzt, wird finanziell unterstützt. Nur: Von wem genau?
Und welche Bedingungen müssen erfüllt werden? Fragen, mit
denen sich sowohl Hausbesitzer
als auch Unternehmen konfrontiert sehen. Es gibt mittlerweile
Fördergelder von Bund, Kantonen und einzelnen Gemeinden.
Die Förderlandschaft ist bisweilen also für Laien – und sogar für
Fachpersonen – ziemlich undurchschaubar. Und sie ist stetig
im Wandel. So hat beispielsweise der Kanton kürzlich drei neue
Fördermassnahmen lanciert (siehe dazu der Artikel unten).
«Die rasante Zunahme der Förderprogramme in den letzten
Jahren hat dazu geführt, dass es
immer schwieriger wird, den
Überblick über die verschiedenen Fördermassnahmen zu behalten», sagt Philipp Egger, Geschäftsleiter der Energieagentur.
Die Energieagentur verhilft, genauso wie das städtische Kundenzentrum für Energie- und
Umweltfragen, zum Durchblick
im Fördergelderdschungel und
bietet kostenlose, niederschwellige Beratungen in allen Energiefragen (siehe Box).
Beliebter Elektroboiler-Ersatz
Kantonal gefördert werden
verschiedene Bereiche der Energiepolitik, wobei der Schwerpunkt auf dem Gebäudesektor
liegt. Dazu gehören nicht nur
Sanierungen, sondern auch Investitionen in erneuerbare Energien. In Sonnenkollektoren etwa,
die zur Wassererwärmung und
Heizungsunterstützung dienen.
Im Jahr 2015 sind gemäss Statis-
tik der Energieagentur für diese
Massnahme kantonsweit rund
300 finanzielle Beiträge gesprochen worden. Damit ist der Einbau von Sonnenkollektoren die
zweitbeliebteste Massnahme.
Die beliebteste Massnahme,
also jene, für die am häufigsten
Fördergelder beantragt wurden,
ist der Ersatz von Elektroboilern.
Ein Drittel der Wohneinheiten ist
derzeit noch mit einem solchen
ausgestattet. Wer nun seinen
Elektroboiler zum Beispiel mit
einem Wärmepumpenboiler auswechselt, erhält vom Kanton einen Pauschalbeitrag von 1000
Franken. Im Jahr 2015 konnten
laut Egger so über 500 Elektroboiler ersetzt werden. «Generell stellen wir fest, dass viele bereit sind,
im Gebäudesektor etwas zu machen», sagt er. «Der Verkehrssektor hingegen hinkt etwas hinterher.» Wer Förderbeiträge beantragen möchte, dürfe vor allem
aber eines nicht vergessen: «Der
Antrag muss vor der Umsetzung
der Massnahme passieren – und
ja nicht erst danach.»
Die Wärme grösstes Potenzial
Das gilt natürlich auch in der
Stadt St. Gallen. Sie setzt in ihrem
Energiekonzept 2050 auf drei
Schwerpunkte: Wärme, Elektrizität und Mobilität. Bislang sei
vor allem der Bereich Wärme
gefördert worden, sagt Harry
Künzle, der Leiter des Amts für
Umwelt und Energie. «Dies, weil
da sowohl der grösste Handlungsbedarf als auch der grösste
Handlungsspielraum für die
Stadt besteht.»
Bei der Stadt anzahlmässig am
häufigsten beantragt werden Fördergelder laut Künzle von privaten Hauseigentümern. Finanziell fallen aber die KMU und institutionellen Liegenschaftsbesit-
zer unter dem Strich mehr ins
Gewicht: Die Förderbeträge pro
Gesuch seien da jeweils höher.
172 500 Franken Fördergelder
Am beliebtesten sind Wärmedämmmassnahmen. Also etwa
der Ersatz alter Fenster oder Arbeiten an Hausfassaden. In den
vergangenen Jahren hat die Stadt
für solche Massnahmen im
Schnitt jährlich 150 Gesuche bewilligt und ausbezahlt. Ebenfalls
beliebt sind Fernwärmeanschlüsse mit durchschnittlich 30
bewilligten Gesuchen. Ein sol-
Anlaufstellen für Fragen
rund um Energie
Seit gut dreieinhalb Jahren hat
der Kanton St. Gallen eine Anlaufstelle für Energiefragen: die
Energieagentur, deren Gründung
damals gesamtschweizerisch eine Pioniertat war. Die Aufgabe
der Agentur ist, die energiepolitischen Aktivitäten des Kantons
St. Gallen, der Gemeinden und
der Wirtschaft aufeinander abzustimmen und die verschiedenen Massnahmen zu bündeln.
Als spezielle Dienstleistung be-
rät die Energieagentur die Gemeinden bei der Auslegung von
kommunalen oder regionalen
Förderungsprogrammen. Weitere Informationen gibt es unter
www.energieagentur-sg.ch. Für
die Stadtbevölkerung bietet die
Stadt St. Gallen im Kundenzentrum für Energie und Umweltfragen an der Vadianstrasse eine
Energieberatung an. Weitere Informationen dazu finden sich
unter www.stadt.sg.ch. (mk)
cher wurde auch bei der Sanierung der Schulanlage Feldli im
Sömmerli-Quartier in St. Gallen
installiert. Das Schulhaus auf
städtischem Boden ist ein Paradebeispiel für eine nachhaltige
Sanierung. Die umfassenden Sanierungsarbeiten haben, inklusive der energetischen Massnahmen, insgesamt zwölf Millionen
Franken gekostet. Aus dem Fördergeldertopf kamen 172 500
Franken: 125 000 Franken für
Wärmedämmung, 39 000 Franken für Wärmerückgewinnung
und 8500 Franken für den Fernwärmeanschluss.
1000 Elektroautos im Jahr 2020
Derzeit beschäftige sich die
Stadt allerdings nicht mehr nur
mit baulichen Massnahmen.
«Der Bereich Mobilität steht bei
uns immer mehr im Fokus», sagt
Harry Künzle. Denn Elektrofahrzeuge sind auf den St. Galler
Strassen noch rar: Im Moment
gibt es etwa 100. Das Ziel der
Stadt ist, dass es bis im Jahr 2020
deren 1000 sind. Daher sollen ab
Herbst auch Privatpersonen, die
ein Elektroauto kaufen, dafür einen Förderbeitrag erhalten: Je
nach Energieeffizienz des Fahrzeugs bis zu 5000 Franken.
Geld für drei neue Fördermassnahmen
MALOLO KESSLER
Für den Ersatz von Elektroboilern
oder den Einbau von Sonnenkollektoren bietet der Kanton St. Gallen schon länger Förderbeiträge.
Kürzlich hat der Kanton St. Gallen sein Förderprogramm um drei
Massnahmen erweitert: Neu gibt
es seit diesem Frühling finanzielle Beiträge für Wärmepumpen,
Beratungen und für alternative
Wärmenetze.
Geld für Modernisierung
Die erste Förderungsmassnahme betrifft die Modernisierung
von bestehenden Einfamilienund Mehrfamilienhäusern sowie
für Dienstleistungs- und Schulgebäude. Wer sich entscheidet,
vor der Modernisierung ein Konzept erstellen zu lassen, kann da-
für beim Kanton einen Beitrag
beantragen. Anschliessend kann
er sich aus dem gut 130köpfigen
Expertenpool der Energieagentur St. Gallen einen Berater aussuchen. Dieser erstellt dann ein
detailliertes Konzept mit Modernisierungsvorschlägen. So werden etwa der energetische Zustand und der Energieverbrauch
des Gebäudes beurteilt, und es
wird evaluiert, ob es sich für Solarenergie eignen würde. Weiter
werden Überlegungen zu Aufstockung oder Anbauten angestellt
und Kostenschätzungen zu den
Massnahmen abgegeben.
Die Erstellung eines Konzepts
wird mit einem Förderbeitrag unterstützt, die Konzepte werden
von der Energieagentur überprüft. Werden danach Massnahmen umgesetzt, gibt es nochmals
einen Beitrag. Ein Beispiel: Der
Eigentümer eines Einfamilienhauses lässt ein Modernisierungskonzept erstellen. Dafür erhält er 4500 Franken Fördergeld.
Im Konzept wird der Einbau von
Sonnenkollektoren empfohlen,
welchen der Eigentümer innerhalb von zwei Jahren realisiert.
Für die Umsetzung dieser Massnahme bekommt er 3000 Franken, hinzu kommt der Bonus für
die Konzeptumsetzung, der 2500
Franken beträgt. Damit belaufen
sich die Fördergelder in dieser
Beispielrechnung auf insgesamt
10 000 Franken.
Bild: Energieagentur St. Gallen
Zusammen mit einem Berater der Energieagentur St. Gallen wird
ein detailliertes Konzept mit Modernisierungsvorschlägen erstellt.
Wärmepumpen fördern
Die zweite neue Fördermassnahme betrifft Wärmepumpen.
Hausbesitzer, die ihre Öl- oder
Gasheizung durch eine solche
ersetzen wollen, können einen
Beitrag beantragen. Ausserdem
wird auch der Einsatz von Stromund Wärmeproduktionszählern,
welche die Effizienz von Wärmepumpen aufzeigen, gefördert.
Das sowohl bei neuen als auch bei
bestehenden Pumpen.
Unterstützung für Anergienetze
Mit der dritten Massnahme,
die vor allem Unternehmen und
die öffentliche Hand betrifft, werden sogenannte Anergienetze
finanziell unterstützt. Über solche Netze wird Wasser mit einer
Temperatur von etwa 8 bis 20
Grad transportiert. Die Wärme,
die zum Beispiel aus geklärtem
Abwasser stammt, wird bei den
Verbrauchern mittels Wärmepumpen auf die gewünschte Temperatur gebracht.
6 Energie
Dienstag, 28. Juni 2016
Geniessen und
dabei Gutes tun
Essen und Trinken gehören zu jenen Momenten, in denen man gerne
zurücklehnt und geniesst. Noch grösser wird der Genuss, wenn die
Umwelt ebenfalls profitiert, ohne dass der Komfort verlorengeht.
MARTIN BRUNNER
In ihrem Energiekonzept 2050 hat
sich die Stadt St. Gallen auf die
Fahne geschrieben, ihren Anteil
zur Energiezukunft beizutragen.
Wärme, Strom und neu auch Mobilität gehören zu den grossen
Stossrichtungen, in denen viel
Spar- und Effizienzpotenzial liegt.
Ein kleiner, nicht unbedeutender
Teil davon ist das Projekt «clevergeniessen in St. Gallen», bei dem
es um die Zutaten für einen energiebewussten und klimafreundlichen kulinarischen Genuss geht.
Hochbeete sind beliebt
Nicht Verzicht, sondern bewusstes, lustvolles Handeln und
Nachhaltigkeit stehen dabei im
Vordergrund. Dass unter diesen
Vorgaben das «Urban Gardening»
auftaucht, also das Gärtnern in
der Stadt, gehört zum Konzept.
Städtische Konsumentinnen und
Konsumenten sollen erfahren,
dass trotz vielen Bauten und
Strassen in einer Stadt viel Essbares wachsen kann. «Aktuell
sind die Hochbeete an vier Standorten, die bei der Bevölkerung auf
grosses Interesse stossen», sagt
Karin Hungerbühler, stellvertretende Leiterin des Amtes für Umwelt und Energie. «Viele haben
richtig Spass, selber Hand anzulegen.» Sie erwähnt aber auch
Wildpflanzen, die überall in der
Stadt wachsen und die in einem
Gericht wunderbar schmecken.
Warum also nicht einen Schritt
weitergehen und selber auf dem
Balkon oder auf einer Terrasse ei-
Lustvolle Umsetzung
Im Rahmen von «clevergeniessen»
entstanden in St. Gallen überall
Anlässe für umweltfreundliches
Handeln. Es gibt Kurse zu «Essbare Wildpflanzen in der Stadt»,
«Kreative Kräuterküche», «Kochen
mit Wurzeln und Wildfrüchten»,
«Balkongärtnern», «Unkraut,
Kreuz oder Segen» usw. Die Brache im Lachenquartier steht Hob-
bygärtnern offen. Kinder beschäftigen sich als Gartenkinder mit
dem Gärtnern. Restaurants bemühen sich, mit regionalen Produkten zu kochen. «Wir können unsere Energieziele nur erreichen,
wenn wir unser Verhalten ändern», sagt Karin Hungerbühler.
«Das kann und soll aber auf lustvolle Art geschehen.» (mab)
Kompostieren Küchenabfall von
Würmern zersetzen lassen
Bild: mab
Beim Kochen fallen täglich viele organische Abfälle an. Diese landen meist im normalen Müll, der danach aufwändig verbrannt werden muss. Einfamilienhausbesitzer haben es einfach. Sie können sich als umweltschonende Lösung ihren
eigenen Kompost einrichten. Für sie steht die Kompostberatung von Entsorgung St. Gallen mit Rat und Tat zur Verfügung. Schwieriger wird es für Mieter. Ab 1. Januar 2017 bietet
Entsorgung St. Gallen die Grüngutabfuhr für Speisereste, Rüstund Gartenabfälle. In Gossau halten Kathrin und Magnus Hälg
(im Bild) eine wirksame Methode bereit. In einem balkonfähigen System machen sich Würmer leise und effizient ans
Werk. Sie zersetzen den Küchenabfall geruchslos und verwandeln ihn in wertvolle Erde, die gleich für die nächste Aussaat
dienen kann. Weitere Infos unter www.naturwurm.ch. (mab)
nen kleinen Garten einrichten?
Gemüse und Kräuter, Beeren und
Früchte, selber gehegt und gepflegt, steigern den Genuss um
ein Vielfaches. Und das Amt für
Umwelt und Energie steht mit Rat
und Tat zur Seite.
Regionale Produkte geniessen
Doch nicht alle Menschen verfügen über einen grünen Daumen. Für jene empfiehlt Karin
Hungerbühler, beim Kauf der
Lebensmittel auf kurze Transportwege und lokale/regionale
Produkte zu achten, wo immer
das möglich ist. «Was in unserer
Umgebung wächst, kommt in der
Energiebilanz sehr gut weg», sagt
sie. «Das gilt ebenso für unseren
zweiten Pfeiler, die saisonalen
und frischen Produkte. Fallen Lagerung und Transport weg, so
wirkt sich dies positiv auf den
Energieverbrauch aus.» Zudem
schmecken solche Produkte oft
besser, weil sie in der Regel natürlich gewachsen sind, reif geerntet
werden und ihre wertvollen Inhaltsstoffe voll entwickeln können. Zu «clevergeniessen» gehört
aber auch ein Bereich, der für
Fleischliebhaber heikel werden
könnte. «Fleisch verschlingt in
seiner Produktion in Form von
Wasser, Futter und Boden sehr
viel Energie. Treibhausgase ent-
Bild: pd
Die Hochbeete an vier Standorten in der Stadt St. Gallen sind Teil des Projekts «clevergeniessen».
stehen.» Für Hungerbühler ist
aber klar, dass ein Verzicht auf
Fleisch nicht für alle die Lösung
sein kann. Diese sieht sie vielmehr in einem bewussten, massvollen Konsum und in der Regionalität, auch mit Rücksicht auf die
tiergerechte Haltung.
Foodwaste vermeiden
Fehlt noch der Schritt in die
Küche. Der Fokus liegt hier auf
der schonenden und energiebewussten Zubereitung der Speisen.
Karin Hungerbühler empfiehlt,
beim Kochen einen Pfannendeckel zu verwenden, den Kühlschrank auf die richtige Temperatur einzustellen, Geräte immer
vollständig vom Strom zu nehmen usw. Das letzte Stichwort des
Projektes ist der «Foodwaste».
Rund ein Drittel aller noch geniessbaren Lebensmittel landet
heute im Abfall. Das ist nicht nur
Energie, die ungenutzt verpufft.
Für Karin Hungerbühler ist dieser Bereich deshalb von besonderer Bedeutung. «Eine gute Möglichkeit zur Vermeidung von
Foodwaste ist, sich vor dem Einkauf genau zu überlegen, was und
wie viel man braucht», betont sie.
«Spontane Einkäufe lohnen sich
meist nicht, denn sie können viel
Abfall verursachen.»
«2000 Watt sind möglich»
2000 Watt pro Person und Jahr.
Das scheint bei einem derzeitigen Wert von über 5000 Watt fast
unmöglich. Trotzdem verfolgen
genau dieses Ziel viele Schweizer Städte, darunter auch St. Gallen und Gossau.
Die Energie war bis vor wenigen Jahren noch kaum ein Thema. Sie war da und man verbrauchte sie. Heute aber ist klar,
dass die Ressourcen nicht unendlich lange reichen werden. Vor
allem Erdöl dürfte schon bald
knapp werden. Ein mögliches
und realistisches Gegensteuer
bildet die 2000-Watt-Gesellschaft. Sie steht für eine nachhaltige Gesellschaft, die mit weniger
Energieverbrauch keinen Komfort einbüssen muss.
Umweltbewusst handeln
Mit etwas unter 5000 Watt pro
Jahr und Person im Jahr 2014 ist
die Schweizer Bevölkerung weit
weg vom Ziel. Das schreckt Karin
Hungerbühler nicht ab. «Wir
schaffen die Energiewende und
die 2000-Watt- Gesellschaft», sagt
die stellvertretende Leiterin des
Amtes für Umwelt und Energie
der Stadt St. Gallen mit Überzeugung. «Deshalb ist sie auch Ziel
unseres Energiekonzepts 2050.»
Sie begrüsst dabei, dass umweltbewusstes Handeln ein Trend geworden ist. Minergiehäuser, Elektroautos, Ökostrom, LED-Technik, effizientere Geräte und vieles mehr tragen entscheidend
zum Ziel bei. Darum werden sie
in der Stadt St. Gallen auch gefördert. Verschiedene Energieversorger der Region offerieren ihren
Strombezügern unterschiedliche
Varianten beim Strommix. Auf
Nachhaltigkeit ohne Komforteinbusse
Die Grafik zeigt den Energiebedarf pro Kopf, angegeben als Dauerleistung in Watt. Ziel ist es,
die 2000-Watt-Gesellschaft bis ins Jahr 2050 erreicht zu haben.
5000
4000
3000
2000
1000
0
2010
Wärme
2050
Elektrizität
Quelle: EnergieKonzept der Stadt St. Gallen/Grafik: St. Galler Tagblatt
Ziel
Mobilität
diesem Weg können die Verbraucher mitbestimmen, wie ökologisch die verbrauchte Energie
sein soll.
Eigenes Verhalten ändern
Karin Hungerbühler weist darauf
hin, dass bald einmal die Grenzen der Effizienz erreicht sein
werden. Die Technik ist irgendwann mal ausgereizt. «Es ist deshalb entscheidend, dass wir auch
unser eigenes Verhalten anschauen», betont sie. «Nur so sind die
2000 Watt realistisch.» Als gute
Möglichkeiten erwähnt sie «clevergeniessen in St. Gallen» (siehe
Artikel oben). Aber auch weniger
Wohnraum pro Person und gemeinschaftliches Wohnen spart
Energie. Mit den öffentlichen Verkehrsmitteln kann man der Umwelt Gutes tun.
Mit der Anpassung des eigenen
Lebensstils scheint also die Vision der 2000-Watt-Gesellschaft
durchaus möglich zu sein, bei
gleich hohem Komfort und ohne
Verzicht. «Unsere Vision kann ein
Gewinn an Lebensqualität sein,
wenn wir wissen, dass wir uns für
unser Klima und für unsere Zukunft einsetzen. Mit kleinen
Schritten kommen wir mit Sicherheit an unser Ziel.» (mab)
Energie 7
Dienstag, 28. Juni 2016
«Weniger ist weniger»
Weitermachen wie bisher sei ein Wagnis, sagt der deutsche Soziologe Harald Welzer von Futurzwei – Stiftung Zukunftsfähigkeit in Potsdam,
der an den Energie-Tagen in St. Gallen referiert hat. Die Digitalisierung führe in die falsche Richtung und nur zur Steigerung des Konsums.
Zudem kann das Lehrpersonal
damit in der Regel viel schlechter
umgehen als die Schüler selber.
Durch eine solche Massnahme
einer Schule wird ein grundfalsches gesellschaftliches System unterstützt.
BRUNO KNELLWOLF
Herr Welzer, vor der Bahnschranke
stehen minutenlang zwanzig Autos
– bewegungslos. 17 Fahrer schaffen
es trotzdem nicht, den Motor abzustellen. Der Klimawandel interessiert die nicht.
Harald Welzer: Sie interessieren
sich vielleicht schon. Aber nur
abstrakt und nicht konkret. Die
ausbleibende Verhaltensveränderung trotz aller Warnungen ist
darauf zurückzuführen, dass wir
alle dazu neigen, nach aktuellen
Opportunitäten zu entscheiden.
Man kann total besorgt sein wegen des Klimawandels, aber dennoch denken, für mein Kind ist
es doch viel sicherer, wenn ich es
mit einem möglichst grossen
und schweren Auto 500 Meter in
den Kindergarten fahre.
Warum wehrt sich niemand gegen
die negativen Seiten der Digitalisierung?
Welzer: Weil die gesellschaftlichen Eliten – Politik, Wirtschaftsunternehmen und Universitäten – genauso auf den
Quatsch hereinfallen wie die
normalen Bürger auch. Sie hören
immer nur von der Technologie
der Zukunft, von Segnungen der
Industrie 4.0. Besser wäre, den
Diskurs darüber zu führen, was
wir überhaupt davon brauchen.
Was davon macht unser Leben
schlechter? Interessant ist ja
auch, dass die Energiefrage im
Kontext der Digitalisierung überhaupt nie ein Thema ist. Ausser
die ständige Behauptung, dass
damit alles effizienter werde und
so Energie spare. Das ist derselbe
Unsinn wie der mit dem papierlosen Büro. Die Digitalisierung
trägt nur zur Steigerung der Umsatzgeschwindigkeit bei. Die Digitalisierung ist eine Fortsetzung
der fossilen Steigerungswirtschaft.
Warum ist das so?
Welzer: Das ist ein Kardinalbeispiel für fehlgegangene Kommunikation. Man glaubt, Menschen
verändern etwas, weil man ihnen Daten liefert zum Klimawandel. Es wäre doch viel interessanter, darüber zu sprechen,
wie beschränkend es für das
arme Kind ist, wenn es ständig in
einen solchen Panzerwagen steigen muss, anstatt sich selber den
Ort mit Freunden zu erschliessen. Man hätte dann ein positives Argument, das automatisch
zu einer Verhaltensänderung im
gewünschten
Sinne
führen
könnte. Das erzeuge ich nicht,
indem ich abstrakt über Dinge
spreche, welche die Menschen
scheinbar nicht betreffen. Eine
abstrakte, ferne Bedrohung.
Gibt es eine Übersättigung durch
Katastrophenbilder?
Welzer: Ja, total. Nicht nur eine
Übersättigung durch Bilder, sondern auch durch UntergangsRhetorik. Wenn wir bis 2050 den
Wandel nicht schaffen, dann ist
das Verhängnis nicht aufzuhalten und so weiter. Menschen
unter 50 in unseren Ländern
haben nie etwas anderes gehört.
Aber der Untergang trifft nicht
ein. Die Untergangsrhetorik gehört zum gesellschaftlichen
Normalbestand, hat aber keine
Anbindung an die Wirklichkeit.
Untergangsrhetorik ist nicht
«Untergangsrhetorik
gehört zum
gesellschaftlichen
Normalbestand.»
motivierend.
Im
Gegenteil:
Wenn die Welt eh untergeht,
dann mach ich lieber noch Party.
Trotzdem hat die Wissenschaft die
Pflicht, Fakten zu liefern.
Welzer: Die Wissenschaft ist aber
nicht in der Pflicht, diese vernünftig zu kommunizieren. Das
können Sie nicht. Klimaforscher
verstehen nichts von Kommunikation. Sie malen den Teufel an
die Wand und propagieren sinnlose Ziele. Mit dem 2-Grad-Ziel
für die Erderwärmung haben sie
sich in eine Falle begeben.
Was sollten die Forscher tun?
Welzer: Sie müssten sich die
Frage stellen, wie man Praxisveränderung erzeugen kann. Die
erzeuge ich nicht nur durch Aufklärung, sondern durch Vorleben
einer anderen Haltung. Ich kann
Bewusstsein für klimaneutralen
Verkehr nur dadurch herstellen,
indem ich klimaneutralen Verkehr bereitstelle. Die Schweizer
Bahn ist ein gutes Beispiel. Die
Es fehlt die Reflexion beim Thema
Digitalisierung.
Welzer: Genau. Weil diese Firmen ein derart gutes Marketing
haben, fällt nicht auf, dass der
Digitalisierungs-Kaiser ziemlich
nackt ist. Zieht man ihm den Stecker, funktioniert er nicht mehr.
Gesellschaftlicher
Fortschritt
war bis anhin immer eine Erhöhung von Autonomie: Menschen sind freier, sie leben länger, sie können mitentscheiden.
Digitalisierung ist das Gegenteil.
Die Gesellschaft ist abhängig von
einer Technologie, die viel Energie frisst. Das ist nicht smart, das
ist dumm. Noch herrscht die
Vorstellung, dass Digitalisierung
die Dinge besser macht. Das
macht sie nicht. Es dient nur zur
Steigerung des Konsums.
«Untergangsrhetorik ist
nicht motivierend»,
sagt Harald Welzer am
Nationalen EnergiekonzeptKongress in St. Gallen.
Bild: Michel Canonica
Schweiz hat die höchste Zugdichte überhaupt. Nicht weil die
Leute an den Klimawandel denken, sondern weil ein gutes
Bahnangebot zur Verfügung
steht.
Trotzdem bleibt das individuelle
Bedürfnis für individuelle Mobilität
stark.
Welzer: Das reduziert sich in
unseren Gesellschaften. Für junge Menschen ist das eigene Auto
kein Lebensziel mehr. Für Menschen meiner Generation war
das Auto alles.
Das mag stimmen in Bezug auf die
Mobilität. Gleichzeitig führt die
Digitalisierung aber wieder zu
mehr Individualität.
Welzer: Erst wenn die Kosten
und Belastungen wegen des
eigenen digitalen Leben zu gross
werden, wird es eine Veränderung geben. Ich weiss von vielen
Leuten, auch von meinem Sohn,
dass dieses permanente OnlineSein, dieses dauernde Mitmachen-Müssen, diese permanente
Überwachung eine grosse Belastung darstellt. Viele sagen, da
muss ich mitmachen, will es
Harald Welzer Gewagt ist nur das
Weitermachen wie bisher
Am 4. Nationalen Energiekonzept-Kongress in St. Gallen
Ende Mai hatte der Soziologe
Harald Welzer seinen grossen
Auftritt. Der 57jährige Direktor
von Futurzwei – Stiftung Zukunftsfähigkeit in Potsdam
zeigte auf, warum es gewagt
sei, so weiterzumachen wie bisher. Welzer ist Professor für
Transformationsdesign an der
Universität Flensburg. Daneben
lehrt er an der Universität
St. Gallen. Die Schwerpunkte
seiner Forschung und Lehre
sind aktuell kulturwissenschaftliche Klimafolgenforschung sowie Transformationsdesign. Der
Autor diverser Bücher erscheint
in einem Ranking des GottliebDuttweiler-Instituts von 2013
unter den hundert wichtigsten
Vordenkern weltweit. (Kn.)
Harald Welzer
Soziologe und Sozialpsychologe,
Direktor Futurzwei, Potsdam
aber nicht. Da braucht es starke
Veränderungen. Bereits sehe ich
viele Studenten, die wieder ein
altes Handy haben statt eines
Smartphones.
wird nicht, wie auch nicht darüber, was in so einem eleganten
elektronischen Ding steckt. Wie
viele Hunderttausende Transportkilometer dafür nötig waren.
Könnte das zu einer Entschleunigung führen?
Welzer: Das wäre zu hoffen. Die
Fortschrittsversprechen durch
die Digitalisierung lösen sich ja
nicht ein. Die Leute haben noch
weniger Zeit. Sie sind noch gestresster. Die Menge an sinnloser
Kommunikation erhöht sich
stündlich. Aber natürlich ist das
Marketing für diesen digitalen
Kram unheimlich gut. Deshalb
haben viele Phantomschmerzen,
wenn sie ihr Smartphone nicht
zur Verfügung haben.
Wäre weniger mehr?
Welzer: Ich halte den Spruch für
falsch. Weniger ist weniger.
Wenn ich sage, weniger ist mehr,
bleibe ich im selben Denken
verhaftet. Da kriege ich ja noch
mehr, wenn ich schlau bin. Das
Weniger ist eine Entlastung. Das
Mehr wird immer mehr zur Belastung – noch mehr Kaufentscheide, zu viel Preisvergleiche,
zu viel vollgestellte Wohnungen.
Weniger ist deshalb eine höhere
Lebensqualität.
Warum ist es gelungen, den Leuten
einzureden, online einkaufen sei
eine gute Sache?
Welzer: Wahrscheinlich weil das
Argument der Bequemlichkeit
gerade bei Leuten, die glauben,
keine Zeit zu haben, gut angekommen ist. Ein Teufelskreis.
Das Digitale frisst ihnen die Zeit
weg, weshalb sie keine Zeit haben, ins Geschäft zu gehen, um
sich beraten zu lassen. OnlineEinkauf suggeriert Bequemlichkeit, Schnelligkeit, Minderung
des eigenen Aufwands.
Dass dadurch die Warenströme
vergrössert werden, ist da egal.
Welzer: Darüber gesprochen
Die Digitalisierung scheint unaufhaltsam. Auch am Gymnasium
macht der Trend nicht halt, wo neu
Laptop-Klassen installiert werden.
Bücher statt Laptops an einer Kantonsschule?
Welzer: Das halte ich für total
falsch. In der Schule ist man sich
einig, dass man generalistisches
Wissen braucht, weil unsere Welt
sich so schnell verändert, dass
man flexibel sein muss. Um das
herstellen zu können, brauche
ich genau das, was Schulen immer vermittelt haben: Grundrechenarten, höhere Mathematik, Fremdsprachen und so weiter. Ich brauche nicht diese elektronischen Dinger, die in wenigen Jahren sowieso veraltet sind.
Wie soll man positiv formulieren?
Welzer: Man muss konkrete Geschichten erzählen und Situatio-
«Das Marketing für
diesen digitalen Kram
ist unheimlich
gut.»
nen schaffen, in denen erfahrbar
wird, dass eine Kultur des Wenigers ein Mehr an Lebensqualität
mit sich bringt. Das erzählen
jene, die ihr Leben dementsprechend verändert haben.
Da müsste man genau bei der
Smartphone-Jugend ansetzen, was
schwierig sein könnte.
Welzer: Das glaube ich nicht. Ich
habe sogar eine gegenteilige
Theorie. Ich glaube, dass unsere
Generation der Erwachsenen so
fasziniert ist, weil alles so neu ist.
Und so bequem. Die Kinder
haben aber nie eine andere Welt
kennengelernt. Wogegen rebellieren sie aber normalerweise?
Gegen das, was sie für selbstverständlich halten. Deshalb könnte ich mir vorstellen, dass diese
Generation der Natives und der
noch Jüngeren am ehesten die
kritischen Punkte sieht.
Harald Welzer: Die smarte Diktatur
– der Angriff auf unsere Freiheit.
S. Fischer Verlag 2016, Fr. 28.90
8 Energie
Dienstag, 28. Juni 2016
Einfache Antworten gibt es nicht
Studie als
Grundlage
Die Wissenschaft ist dafür da, Erkenntnisse zu sammeln, Bestehendes zu hinterfragen und Denkanstösse zu liefern.
Bis jedoch neues Gedankengut auf breiter Basis gesellschaftlich akzeptiert wird, braucht es manchmal seine Zeit.
Kalorien zur Verfügung zu haben.
Während der E-Biker die Strecke abfährt und ins Ziel gelangt,
ohne dass sein Körper viel Energie dafür aufwenden musste, hat
der gewöhnliche Velofahrer einen
erhöhten Stoffwechsel. Die aufgenommene Nahrung wurde verbrannt, um seine Muskeln und
schliesslich sein Gefährt anzutreiben.
Hier stellt sich nun die Frage,
wie viel Energie dazu verwendet
werden musste, damit die aufgenommene Nahrung hergestellt,
transportiert und gekocht werden
konnte. Falls sich der Fahrer
hauptsächlich durch Fleischkost
ernährt hat, geht nach der Studie
das E-Bike sogar als Gewinner
hervor, auch wenn bei der Fabrikation desselben die Umwelt um
ein Vielfaches mehr belastet wird
als bei einem Rennrad. Denn nur
schon die Energie, die zum Kochen benutzt wird, fällt teilweise
mehr ins Gewicht als der entsprechende Fahrstrom, den ein E-Bike
benötigt.
CHRISTOPH SULSER
Technische Neuerungen werden
nicht nur als Chance verstanden,
sondern treffen oftmals auch auf
Vorbehalte. Man liest vermehrt
von der digitalen Revolution, welche die Arbeitswelt radikal verändern wird. Oder von der Energiewende, bei der durch die Herstellung erneuerbarer Energien einerseits positive Effekte für die
Umwelt erzielt werden, andererseits aber auch Verlierer entstehen: Beispielsweise die Kraftwerksbetreiber, die am herkömmlichen Weg der Energiegewinnung festhalten und langsam
ihr Monopol verlieren.
Ein Blick in die Geschichte
zeigt, dass solch technologische
Umwälzungen und die dadurch
entstehenden Veränderungen in
der Gesellschaft nichts Ungewöhnliches sind. Aufgrund der
Ungewissheit, was der Fortschritt
mit sich bringt, ist es jedoch verständlich, dass ein solcher Wandel Unbehagen auslösen kann.
Bleibt die Frage, ob die Veränderungen mehr Chancen oder aber
mehr Risiken für die Gesellschaft
mit sich bringen.
Technik und Gesellschaft
Auf diese Frage eine einfache
Antwort zu geben, ist kaum
möglich, denn die Thematik ist
schlicht zu komplex. Dieser Tatsache ist sich auch Marcel Gauch
bewusst, der als Projektmanager
am «Technology & Society Lab»
der Empa in St. Gallen arbeitet.
«Die Leute wollen entweder ein
‹Ja› oder ein ‹Nein› hören. Ein
‹Kommt drauf an› passt da nicht
rein», sagt er.
Bei Gauchs Abteilung handelt
es sich um eine interdisziplinäre
Forschungsgruppe, die technologische Neuerungen und deren
Auswirkungen auf Umwelt und
Gesellschaft untersucht. Dabei
wird eine ganzheitliche Betrachtungsweise angestrebt, das heisst
möglichst viele Faktoren sollen in
die Studien mit einfliessen und
werden über einen längeren Zeitraum betrachtet.
Strom ist nicht gleich Strom
Im Bereich der Mobilität bedeutet dies beispielsweise, dass
nicht nur ein Lebensabschnitt
eines Fahrzeugs, sondern seine
ganze Lebensspanne betrachtet
wird. Von der Fabrikation über
die Betriebszeit bis hin zur Ent-
Bild: Fotolia
Eine E-Bike-Fahrt ist je nach Betrachtung weniger umweltbelastend als jene mit dem normalen Velo.
sorgung des Vehikels. Des Weiteren wird einberechnet, mit welchem Treibstoff das Fahrzeug angetrieben wird. Mit herkömmlichen fossilen Brennstoffen wie
Benzin oder Diesel oder mit
Strom. Bei letzterem stellt sich
wiederum die Frage, ob der Strom
aus erneuerbaren Quellen wie
Sonnenenergie oder Wasserkraft
stammt oder aber von herkömmlichen Kraftwerken. Ein Elektroauto, das mit Strom aus Kohlenkraftwerken angetrieben wird,
hat dann eben keine bessere Ökobilanz als ein herkömmlicher
Mittelklassewagen, der mit Diesel unterwegs ist.
Um die Ecke denken
Die Thematik ist oft kompliziert. Als Konsument geht man
davon aus: Wo grün draufsteht,
ist auch grün drin. Doch ganz so
einfach ist es nicht.
Um diese Komplexität zu veranschaulichen, hat Marcel Gauch
ein Gedankenspiel durchgeführt
und zwei Velofahrer miteinander
verglichen. Der eine sitzt auf einem gewöhnlichen Rennrad, der
andere auf einem E-Bike. Beide
Fahrer radeln über die gleiche
Strecke, wobei am Schluss gemes-
sen wird, wer von beiden die Umwelt mehr belastet hat.
Aus dem Bauch heraus würde
man sofort sagen, dass der herkömmliche Velofahrer die Umwelt gar nicht belastet hat, da
weder Schadstoffe ausgestossen
noch Strom verbraucht wurde.
Doch wenn man einen Schritt
weiter denkt, sieht die Sache et-
was anders aus: Es lässt sich aus
energetischer Sicht berechnen,
wie viel Energie ein Velofahrer benötigt, um eine bestimmte Strecke zu meistern. Das weiss jeder
Teilnehmer an der Tour de Suisse,
der vor und während dem Rennen Energie in Form von Spaghetti, Fleisch oder Bananen zu sich
nehmen muss, um die benötigten
Treibhausgase pro Kilometer
Fährt ein E-Auto mit Strom aus Kohle, so schneidet es schlechter ab als eines mit Verbrennungsmotor. Mit dem CH- und dem Europäischen Strommix ist es im Vorteil (Treibhausgase).
Zertifizierter Strom CH
Strommix CH
Kombikraftwerk EU
Strommix EU
Kohlekraftwerk EU
Auto benzinbetrieben
Strasseninfrastruktur
Herstellung Auto
Betrieb der Fahrzeuge
Quelle: TA-SWISS Studie/Grafik: St. Galler Tagblatt
Gegebenes hinterfragen
«Mit solchen Fragestellungen verletzt man ein Tabu», sagt Marcel
Gauch. Es komme dann manchmal zu heftigen Gegenreaktionen. Dabei geht es der Wissenschaft nicht darum, das eine oder
das andere gegeneinander aufzuwiegen, sondern sie will Gegebenes hinterfragen und weiterdenken. Das Interessante dabei sei
der Umstand, so Gauch, dass eine solche Studie derartige Emotionen hervorrufe.
Ähnlich verhalte es sich bei
einem Vergleich von Autos – das
eine mit Verbrennungsmotor, das
andere mit Elektroantrieb. Für
Marcel Gauch ist klar: Ein
Umsteigen auf Fahrzeuge, die
mit erneuerbaren Energien betrieben werden, ist für die
Umwelt zwingend notwendig.
Das Festhalten an vermeintlich
Bewährtem sei in den Köpfen
aber sehr stark. «Skeptiker
bauen sich die wildesten Argumente zusammen, um ihre
Standpunkte zu unterstreichen»,
sagt Gauch.
Erneuerbare Energien und
somit umweltschonende Techniken halten zunehmend auch
in der Mobilität Einzug – auch
wenn es Zeit braucht und lange
dauert, bis der Widerstand
bröckelt und die Bedenken vor
dem Neuen schwinden.
In der Schweiz verursacht der motorisierte Verkehr einen grossen
Teil des CO2-Ausstosses. Elektroautos gelten daher als Hoffnungsträger für eine nachhaltige Mobilität. Mit den neuen Fahrzeugen
kann die Abhängigkeit von konventionellen Treibstoffen wie
Benzin oder Diesel vermindert
werden. Jedoch kommt es darauf
an, wie der Strom für die Elektrofahrzeuge produziert wurde. Viele erwarten von der Elektromobilität, dass dadurch der Verkehr
umweltverträglicher gemacht
wird. Schliesslich stossen elektrisch angetriebene Fahrzeuge
keine Schadstoffe aus, und sie zirkulieren beinahe lautlos. Doch
werden beim Bau der Batterien
wiederum umweltbelastende
Stoffe benötigt. Und auch bei deren Entsorgung gibt es noch einige Probleme zu lösen. Es müssen
daher viele Bedingungen erfüllt
sein, damit die alternativen Antriebsformen ökologisch auch tatsächlich zum Tragen kommen.
Chancen und Risiken
Das Zentrum für Technologiefolgen-Abschätzung hat mit
«Chancen und Risiken der Elektromobilität in der Schweiz» eine
Studie herausgebracht, die sich
mit der Frage beschäftigt, wie sich
die Elektromobilität ins Schweizer Verkehrssystem einfügen
könnte. Darin wird untersucht,
welche Folgen für Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft zu erwarten sind. In drei Szenarien
werden mutmassliche Entwicklungen für die nähere und fernere Zukunft bis 2030 entwickelt.
Beispielsweise wird der Frage
nachgegangen, wie sich ein Wandel von herkömmlichen Verbrennungsmotoren zu Elektroantrieben auf den Stromverbrauch
auswirkt und was dies für den gesamten Stromverbrauch in der
Schweiz bedeutet.
Auch für breite Kreise gedacht
Fragen rund um die Ausgestaltung des Verkehrssystems betreffen viele Menschen, und die Thematik birgt ein gewisses Konfliktpotential in sich. Die aus den Projekten des Zentrums für
Technologiefolgen-Abschätzung
resultierenden Empfehlungen
dienen deshalb dem Parlament
und dem Bundesrat als Hilfsmittel bei Entscheidungen, besonders bei kontrovers diskutierten
Technologie-Themen. Aber auch
Bürgerinnen und Bürger, Wissenschaftler und die Medien sollen
angesprochen werden.(chs)
www.ta-swiss.ch/elektromobilitaet/
Treibstoffe für die Zukunft finden
CHRISTOPH SULSER
Wie eine Garage aus der Zukunft
wirkt sie – die Demonstrationsund Technologietransfer-Plattform «move», welche kürzlich von
der Empa in Dübendorf eröffnet
wurde. Doch nicht nur das Aussehen der Anlage wirkt futuristisch, auch der Bestimmungszweck von «move» ist ganz der
Zukunft verschrieben.
Forscherinnen und Forscher
tüfteln hier an neuen Antriebskonzepten für Fahrzeuge, wobei
eine Frage entscheidend ist: Wie
lassen sich zukünftige Antriebe
herstellen, die im Vergleich zu
den heutigen Verbrennungsmotoren signifikant weniger CO2Emissionen verursachen?
Überschuss an Strom
Der mobile Verkehr verursacht
in der Schweiz rund 40 Prozent
des gesamten CO2-Ausstosses.
Um diesen Prozentsatz zu senken, müssen anstatt der fossilen
Brennstoffe wie Diesel und Benzin andere Energieträger gefunden werden; namentlich überschüssiger Strom, der aus Sonnen-, Wind- oder Wasserenergie
gewonnen wird.
Die Produktion dieser erneuerbaren Energien nimmt stetig
zu, was besonders in den Sommermonaten zu einem Überschuss führt. Denn der Strom aus
Photovoltaikanlagen oder Windrädern wird zusätzlich zu – und
nicht an Stelle von – herkömmlichem Strom aus Atomkraftwerken produziert. Dies resultiert daraus, dass sich die bestehenden
Kraftwerke nur schwer regulieren lassen und mehr oder weniger immer die gleiche Menge an
Strom liefern. In der Folge kommt
es im Stromnetz zu einem Eng-
pass – salopp gesagt: Es hat zu wenig Platz. Der zusätzlich produzierte, erneuerbare Strom kann
nicht gespeichert werden.
Anstatt den erneuerbaren
Strom einfach verpuffen zu lassen, soll er nun zukünftig in
Treibstoff für Autos, Nutzfahrzeuge und Arbeitsmaschinen umgewandelt werden.
Nach dem Vorbild der Natur
Eine Möglichkeit, die überschüssige erneuerbare Energie
für die Mobilität nutzbar zu machen, stellt die Umwandlung des
Stroms in Wasserstoff dar. Im Vergleich zu einem Elektrofahrzeug,
das über eine wiederaufladbare
Batterie mit Strom betrieben
wird, ist ein mit Wasserstoff angetriebenes Fahrzeug zwar weniger effizient, dafür kann der Wasserstoff länger gespeichert werden. Sicherheitsbedenken, ob
Bild: Empa
Die Demonstrations- und Technologietransfer-Plattform «move».
Fahren mit Wasserstoff gefährlich sei, gibt es heute nicht mehr.
Auch die Nachhaltigkeit der neuen Technologie kann positiv be-
wertet werden, solange zur Umwandlung von Strom in Wasserstoff erneuerbare Energie eingesetzt wird. Die Empa-Forscher
innen und Forscher untersuchen
in «move» jedoch nicht nur den
Wasserstoffantrieb. Von Elektroüber Hybrid- bis hin zu Gasfahrzeugen wird eine breite Palette an
Antriebstechnologien betrachtet,
die entsprechend ihren Vorteilen
für unterschiedliche Anwendungen genutzt werden sollen. Neben
den ökologischen und energetischen Vergleichen soll auch die
Wirtschaftlichkeit der einzelnen
Konzepte zusammen mit Umsetzungspartnern miteinander
verglichen werden.
Die Plattform «move» dient somit nicht nur der Erforschung der
motorisierten Mobilität in der
Zukunft, sondern es wird auch
ganz allgemein der Umstieg von
fossiler zu erneuerbarer Energie
betrachtet. Das Fernziel: Nach
dem Vorbild der Natur soll einst
ein geschlossener Kohlenstoffkreislauf realisiert werden.
Energie 9
Dienstag, 28. Juni 2016
Mobilität als weiterer Schwerpunkt
Die Energiestadt St. Gallen richtet ihren Fokus mit Blick auf die Ziele des Energiekonzepts 2050 verstärkt auf die Mobilität. Bis 2020 sollen hier
1000 Elektro- und Plug-in-Hybridfahrzeuge unterwegs sein. Ob das Ziel erreicht wird, hängt auch von einer genügend guten Infrastruktur ab.
MARTIN WIESMANN
Lange Zeit waren – einige Spezialfahrzeuge ausgenommen – mit
Erdgas betriebene Autos in Sachen
«grüne Mobilität» der einzige konkrete Ansatzpunkt in der Praxis.
Aber dann kam auch Bewegung
in die Szene der Elektromobile:
Mit jedem Quartal wurden die
Batteriesysteme leistungsfähiger.
Verfeinerte hybride Antriebssysteme und Kombiantriebe sorgten
für rasch ansteigende Reichweiten bis zur nächsten nötigen «Betankung». Als weitere Komponente für eine erfolgreiche E-Mobilität spielt nun in Zukunft die sich
rasch ausbreitende dezentrale
Energieproduktion mit. Denn wohin mit dem selber erzeugten
Solarstrom, wenn bei einem Sommerhoch die Sonne fast überall
gleichzeitig scheint? Ein möglicher Teil der Lösung sind auch
Batterien von E-Mobilen.
Weitere E-Tankstellen kommen
Die St. Galler Stadtwerke
(SGSW) befassen sich seit zehn
Jahren mit dem Thema Mobilität.
Die erste öffentliche E-Ladestation entstand bei der Fachhochschule. Aktuell sind in der Gallusstadt insgesamt sieben öffentliche E-Ladestationen am Netz,
vier davon mit Beteiligung der
Stadtwerke. «Der Markt ist noch
nicht im Aufbau, sondern eigentlich erst in der Entstehung begriffen», heisst es bei den SGSW. Diese sind seitens des Stadtrates beauftragt, weitere Ladestationen
aufzubauen und in der Nachbarschaft dafür Partnerschaften einzugehen.
Das ist leichter gesagt als getan,
denn: Eine Schnellladestation
kostet rund 100 000 Franken an
Investitionen, und nicht jeder
Standort ist optimal. So sind eine
Rund-um-die-Uhr-Zugänglichkeit und eine gute Verkehrserschliessung an günstig
frequentierter Lage wichtige Erfolgsfaktoren. Die Stadtwerke
prüfen aber jede Anfrage individuell und beraten massgeschnei-
nelle Tankstelle nur ihre eigene
Kundenkarte akzeptieren würde.
Nach heutigen Dienstleistungsvorstellungen undenkbar! Demnächst entscheiden sich die SGSW
unter mehreren Anbietern auf
dem Markt für ein möglichst benutzerfreundliches System. Ob es
das Richtige gewesen sein wird,
zeigt sich erst, wenn der Markt
spielt. Bis dann braucht es den
Mut, mit kalkulierbarem Risiko
die Entstehung des Marktes
regional gezielt zu fördern.
Öffentliche Stromtankstellen in St. Gallen sind noch im Aufbau
Zurzeit gibt es in St. Gallen erst ein paar (zurzeit sieben) öffentliche Tankstellen für E-Mobile. Auch sind seit Jahren zwei Gastankstellen installiert.
Eine nächste E-Tankstelle kommt im August auf dem Areal der Empa dazu. Weitere werden noch dieses Jahr folgen.
A1
St. Gallen
Quelle: lemnet.org, Grafik: St. Galler Tagblatt
dert. Man ist sich bei den
SGSW sicher: «Im laufenden Jahr werden
mehrere zusätzliche öffentliche
E-Ladestationen
realisiert.» Im August installieren
SGSW und Empa
partnerschaftlich
eine weitere öffentliche SchnellLadestation auf dem Empa-Areal.
Klar ist für die Stadtwerke, dass
die Energie für E-Ladestationen
«konsequenterweise aus erneuerbaren Quellen stammt».
Ziel: Regional gleicher Standard
Dass auf städtischem Gebiet
das «Tankstellennetz» bald dichter sein wird, ist aber systemisch
betrachtet noch nicht genügend
Anreiz, um die E-Mobilität erfolgreich zu fördern, sprich: die Men-
schen zum Kauf von EMobilen zu bewegen.
Nur wenn man in
der gesamten Region ein einheitliches
System anbiete,
könne man auch einen gewissen Standard setzen, argumentieren die St. Galler Stadtwerke. Man weiss dort aus Gesprächen: «Kleine Gemeinden
haben die Ressourcen nicht, um
eine eigene Infrastrukturlösung
aufzubauen.» Aktuell gibt es bereits Kooperationen mit den Gemeinden Steinach und Roggwil.
Weitere Verhandlungen seien am
Laufen.
Wie wichtig ein mindestens regional einheitliches System ist,
zeigt sich etwa beim Zahlungssystem. Man stelle sich zum Vergleich vor, dass jede konventio-
Beiträge aus dem Energiefonds
Ähnlich den Anreizsystemen
in Nachbarländern wird die Stadt
St. Gallen Förderbeiträge für den
Kauf von Elektro- und Plug-inHybrid-Fahrzeugen leisten. Bis
ins Jahr 2020 soll in einer ersten
Phase die Anschaffung von 800
Fahrzeugen mit Beiträgen aus
dem Energiefonds unterstützt
werden. Diese Förderung der EMobilität soll ab Herbst 2016
wirksam sein und ist an Bedingungen geknüpft, welche die
Zielerreichungen aus dem städtischen Energiekonzept 2050 unterstützen.
Dienstleistungen der St. Galler
Stadtwerke
Um das Netz der Strombetankungsmöglichkeiten weiter zu
verdichten, bieten die Stadtwerke sogenannte «Mobilitäts-Pakete» für Private und für KMU an.
Diese bestehen einerseits aus den
eigentlichen Heimladestationen,
welche durch Fachleute installiert werden müssen. Anderseits
geht es um ein Servicepaket, das
die Wartung garantiert. Im Rahmen dieser vertraglichen Pakete
sollen die Geräte innert ein paar
Jahren amortisiert sein. (wie)
Auskünfte gibt es bei den SGSW
an der Vadianstrasse 6 oder auch
per Mail: [email protected]
Bild: pd
Ein Elektromobil wird an einer Heimladestation «aufgetankt».
Erdgasbetriebene
Automobile sollen zukünftig
mit Biogas fahren
MARTIN WIESMANN
So richtig durchgestartet sind die
erdgasbetriebenen Automobile
von ihrer Anzahl her in den vergangenen Jahren im privaten Sektor nicht. Gas gegeben hat an verschiedenen Orten vor allem die
öffentliche Hand. So sind in der
Autoflotte der Stadtverwaltung
St. Gallen aktuell auch mit Gas
betriebene Fahrzeuge unterwegs.
Auch wenn die Stadt in ihrer Flotte hauptsächlich die Zahl der
Elektroautos erhöhen will, so betont sie doch die Wichtigkeit der
«Gasfahrzeuge» im Rahmen des
Energiekonzepts 2050.
Schritt für Schritt ökologischer
Die Energiezukunft definiert
sich nicht unwesentlich auch dadurch, dass Energie dezentral erzeugt wird, und dass alles genutzt
werden soll, was nachhaltige und saubere
Energie hergibt.
Hierbei ist die Rolle von Biogas nicht
zu unterschätzen.
Schon heute enthält das Erdgas,
welches an den
beiden Tankstellen
in St. Gallen gezapft
werden kann, einen Biogasanteil
von 20 Prozent. Auch das Logo an
den Gastankstellen enthält inzwischen auch den Begriff «Biogas». Dessen Anteil im Mix wird
steigen und es ist technisch auch
problemlos, Erdgasfahrzeuge
hundertprozentig mit Biogas zu
betanken.
Keine Reichweitenprobleme
Während es für ein bedeutendes Wachstum der E-Mobilität
noch an Infrastruktur
fehlt (siehe im oberen
Artikel auf dieser
Seite), gibt es beim
Erdgas kaum mehr
solche Hemmnisse.
Erdgas/Biogas ist
schweizweit bei mehr
als 140 Tankstellen erhältlich. Die Betankung
erfolgt rasch und kostengünstig. Moderne Fahrzeuge verfügen
über zwei vollwertige Tanks. Ist
der Erdgastank leer, wird automatisch auf Fahrbetrieb mit Benzin umgestellt. Das ist etwa im
Ausland ein Vorteil, wo das Netz
an Gastankstellen nicht überall
gleich dicht ist.
Auch wenn aktuell noch der
grösste Teil des Betriebsstoffs
Erdgas ist, so sind solchermassen
betriebene Autos klar umweltfreundlicher unterwegs als die
Bild: Mareycke Frehner
In der Stadt St. Gallen gibt es zwei BP-Gastankstellen der Stadtwerke: In Winkeln und in Neudorf.
«Benziner» : Der CO2-Ausstoss ist
um einen Viertel geringer, es werden zwischen 60 und 90 Prozent
weniger Schadstoffe emittiert,
und es gibt keine Feinstaubbelastung. CO2-freundliche Erdgasautos sind im Kanton St. Gallen im
Inverkehrssetzungsjahr und den
drei folgenden Jahren vollständig
von der Verkehrssteuer befreit.
Zwei Förderaktionen
Dass die gasbasierte Mobilität
einen neuen Schub bekommen
kann, weiss auch die Automobilindustrie. Zurzeit läuft schweiz-
weit eine Aktion mit Fiat zu deren
Erdgasmodellen. Zusammen mit
dem Importeur haben auch die
Stadtwerke St. Gallen attraktive
Preise gestaltet. Laut Auskunft
der SGSW wird im Herbst dieses
Jahres eine weitere ähnliche Aktion folgen.
10 Energie
Inserenteninfo
Know-how für die
Gesellschaft der Zukunft
Dienstag, 28. Juni 2016
s
Mit Stromspeicher den
Eigenverbrauch optimieren
W
zu konzipieren. Sie planen, konstruieren und berechnen Infrastruktur-Anlagen. Sie lernen ebenfalls,
die geplanten Anlagen zu realisieren, in Betrieb zu nehmen und sie
auch zuverlässig zu betreiben. Fürs
Studium kann man sich im Internet
anmelden. (pd)
er heute eine Photovoltaikanlage auf seinem
Hausdach plant, denkt
nicht an die Einspeisung des
Stroms ins öffentliche Netz, sondern vor allem an seine Nutzung im
eigenen Haushalt.
Mit einem Batteriespeicher holt
man das Maximum aus der eigenen Solaranlage. Ein grosser Teil
der selbst erzeugten Energie wird
im Privathaushalt meist morgens
und abends verbraucht, während
Solarstrom tagsüber erzeugt wird.
Das Batterie-System optimiert die
Nutzung der selbst erzeugten Sonnenenergie, indem überschüssige
Energie für den Verbrauch zu einem
späteren Zeitpunkt gespeichert
wird. Sobald die Batterie voll und
der Verbrauch im Haus gedeckt ist,
wird der überschüssige Strom ins
öffentliche Netz eingespeist. Ziel
ist es jedoch, so viel Energie wie
möglich selbst zu nutzen.
Das Ergebnis: maximaler Eigenverbrauchsanteil und maximale
Unabhängigkeit bei der Energieversorgung. So kann ein Überschuss an
Solarstrom zu Zeiten geringer oder
keiner Erzeugung genutzt werden.
Die Heizplan AG zeigt auf, wie
man Eigenstromproduzent wird.
Ihre Fachleute beraten individuell
für eine massgeschneiderte Speicherlösung, die zur Steigerung des
Eigenverbrauchsanteils führt. (pd)
HSR Hochschule für Technik
Rapperswil
www.hsr.ch
FHO Fachhochschule Ostschweiz
Heizplan AG
9473 Gams
Telefon 081 750 34 50
www.heizplan.ch
Bild: pd
Power-to-Gas-Anlage an der HSR. Sie ermöglicht es, Kraftstoff CO2-neutral zu gewinnen.
J
eden Tag brauchen die Menschen Strom, Trinkwasser,
Treibstoffe, Heizung. Die Art,
wie die Gesellschaft diese Bedürfnisse deckt, wird sich ändern. An
der HSR lernen Bachelor-Studierende, wie sie als Ingenieurinnen
und Ingenieure die Energiewende
hin zu erneuerbaren Energien und
Rohstoffen mitgestalten können.
Der Wunsch der Gesellschaft
nach sauberen, erneuerbaren Rohstoffen und Energien fordert Lö-
sungen aus der Industrie. Viele Unternehmen suchen deshalb nach
entsprechend ausgebildeten Fachleuten. Der Studiengang EEU Erneuerbare Energien und Umwelttechnik an der HSR Hochschule für
Technik Rapperswil bildet junge
Ingenieurinnen und Ingenieure aus,
um den Wandel der aktuellen Infrastruktur hin zu erneuerbaren Rohstoffen und Energien zu meistern.
EEU-Absolventinnen und -Absolventen lernen deshalb nicht nur
Bild: pd
Batteriespeicher von Fronius mit einer nutzbaren Speicherkapazität von
4,5 bis 12,0 Kilowattstunden.
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