Titelthema 20 Burgen – Schlösser – Herrenhäuser Die Zeit um 1500 gilt als Wendepunkt vom Mittelalter zur frühen Neuzeit, die auch für den Adel große Veränderungen mit sich brachte. Burgen, die bis dahin zahlreich in Deutschland Abbild und Grundlage der weltlichen Macht waren, verloren nun an Bedeutung. Mithilfe von Archäologie und Bauforschung ließ sich in den letzten Jahren die Baugeschichte einzelner Adelssitze weitgehend klären. Zusammen mit den geborgenen Alltagsgegenständen gewähren sie einen facettenreichen Einblick in adelige Lebenswelten zu Beginn der Neuzeit. Inhalt AiD 2 2016 8 Kölner Stadtgrabungen Inmitten der Kölner Altstadt fanden 2007 bis 2015 großflächige Ausgrabungen statt. Dort soll in den nächsten Jahren eine mehr als 6500 m² große archäologische Zone mit neuem Museumsbau erschlossen werden. Sie umfasst die Überreste der 2000-jährigen Stadtgeschichte wie etwa den römischen Statthalterpalast, das mittelalterliche jüdische Viertel oder Zeugnisse der Zerstörungen 1942/1943. 14 Zerstörung von Kulturgut Die schrecklichen Auswirkungen der Kriege im Jemen, Irak und in Syrien sind längst auch in Europa zu spüren. Neben all den menschlichen Tragödien gefährden die Kampfhandlungen, systematischen Plünderungen und bewussten Zerstörungen durch terroristische radikalislamische Gruppen die reichen Kulturschätze der betroffenen Länder in höchstem Maße. 66 Digitaler Wandel in Museen 68 Fünf Jahre »Keltenwelt am Glauberg« Auch in Museen gewinnt das »Digital Storytelling« zunehmend an Bedeutung. Neben klassischen Formen der Wissensvermittlung nutzen viele Museen die neuen Social-Media-Plattformen, aber auch mobile Ausstellungs-Guides, um mit ihrem Publikum einen kontinuierlichen Kontakt und Dialog zu pflegen. Knapp 25 Jahre nach Entdeckung keltischer Grabhügel am Glauberg und 15 Jahre nach Bergung des berühmten steinernen Fürsten wurde das Museum eröffnet. In seiner umfangreichen Präsentation hat der streng blickende Herrscher seinen Platz gefunden, ebenso wie zahlreiche weitere inzwischen restaurierte Objekte. | 1 Editorial 4 Spektrum Archäologie 26 Adelssitz Haus Horst im Wandel der Zeit 64 Reportage: Puzzle aus 2500 Teilen 30 Von der Burg zur Festung Senftenberg Wie man sich bettet, so liegt man: 32 Umzug vom Burgturm ins Schloss 8 Forschung: Grabungen auf dem Kölner Rathausplatz Unser Titelbild zeigt Burg Vischering bei Lüdinghausen. Archäologie im Herzen der Stadt Zerstörung kulturellen Erbes Für alle Fragen zum Bezug der »AiD« gibt es folgende Service-Nummern: Tel. 01805 002511*, Fax 01805 002513* Wie immer erreichen Sie Redaktion und Leserservice auch elektronisch unter [email protected] und [email protected]. 20 Titelthema: Burgen – Schlösser – * 14 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz, abweichende Preise aus dem Mobilfunk 22 Rittersitz Haus Pesch »auf den Grund gegangen« Archäologie in Deutschland 2 | 2016 66 Reportage: Neue Formen der Wissensvermittlung 38 Aktuelles aus der Landesarchäologie Herrenhäuser 20 Wohnsitze des Adels zwischen Mittelalter und Renaissance www.aid-magazin.de 78 Ausstellungen Petra-StreetView Jetzt kann man sich mithilfe von Googles StreetView auch auf die Spuren des Wüstenvolks der Nabatäer begeben und deren einstige Hauptstadt Petra im Süden Jordaniens am Bildschirm erkunden. Wer mag, kann sich die einzelnen Stationen vom (englischen) Audioguide erläutern lassen – die Texte werden von niemand geringerem als der jordanischen Königin Rania gesprochen. Wem eine Reise in den Nahen Osten aufgrund der angespannten Weltlage derzeit zu heikel ist, dem ermöglicht diese Seite zumindest einen virtuellen Rundgang durch die geheimnisvolle Felsenstadt, die seit 1985 zum UNESCO-Weltkulturerbe zählt. http://goo.gl/ixZRa9 81 Rätsel 75 Autoren dieses Heftes Der digitale Wandel erreicht die Museen 80 Bildnachweis 14 International: Irak, Syrien und Jemen Service für unsere Abonnenten 2 34 Aristokraten und Antiken »Auferstehung« einer römischen Kline 76 Bücher 54 Fenster Europa: Estland 68 Museum: Keltenwelt am Glauberg Fundreicher Nordosten Ein Jubiläum für den Keltenfürsten 58 Fenster Europa: Österreich Salzburg – Römerstadt am Alpenrand 70 Denkmal: Westfalen Archäologen wecken Großsteingrab aus Dornröschenschlaf 62 Fenster Europa: Erhaltung der Domus Aurea Neros goldener Palast muss gerettet werden 72 Nachrichten Archäologie in Deutschland 2 | 2016 3 Spektrum | Archäologie Im Blickpunkt Bissingen an der Teck Frühmittelalterliches Kriegergrab mit Goldblattkreuz Schmalkalden. Tauchbad mit zwei Treppenstufen als Einstiegshilfe, links daneben das Grobfilterbecken. In einer früh- bis hochmittelalterlichen Siedlung bei Bissingen an der Teck wurde im Sommer 2015 überraschend ein unberaubtes einzelnes Kriegergrab entdeckt. Die etwa 2,7 m x 1,3 m große Grabgrube barg eine hölzerne Grabkammer; darin lag in einem Sarg ein ungefähr 30 bis 40 Jahre alter, ca. 1,78 m großer Mann. Ihm war eine vollständige Waffenausrüstung mitgegeben worden, bestehend aus Spatha, Sax, Schild und Lanze. Lang- und Kurzschwert lagen mit im Sarg; Schild und Lanze waren rechts daneben deponiert. Zudem fanden sich ein Bronzegefäß, Pferdegeschirr, Fleischbeigaben und ein kleines Keramikgefäß. Noch nicht zu deuten sind Kellermikwe in Schmalkalden Jüdisches Leben des späten Mittelalters Bei einer Rettungsgrabung in der Altstadt von Schmalkalden wurde 2015 überraschend eine Kellermikwe entdeckt. Das jüdische Tauchbad zur rituellen Reinigung der Gläubigen fand sich am Fuße der Wilhelmsburg, die von den hessischen Landgrafen als Sommerresidenz genutzt wurde. Im Gewölbekeller eines Fachwerkhauses eingebaut, lag die Mikwe unweit zur 1622 in der Judengasse errichteten Synagoge. Die komplex und durchdacht konstruierte Mikwe ist außergewöhnlich gut erhalten. Qualität und Verarbeitung der verwendeten Sandsteine sowie vereinzelter Spolien sind beeindruckend. Sie bestand aus verschiedenen architektonischen Einheiten, drei in enger räumlicher Nachbarschaft. Eine weitere war über eine hölzerne Wasserleitung mit den anderen verbunden, sodass alle Bestandteile wohl gleichzeitig und in funktionalem Zusammenhang bestanden. Auffälligstes architektonisches Element ist ein Tauchbecken mit zwei Treppenstufen als Einstiegshilfe. Aus der Kubatur ergibt sich ein Fassungsvermögen von mindestens 1 m³, sodass Gemeindemitglieder gemäß religiöser Vorschriften vollständig untergetaucht werden konnten. Der Anlage zuzuordnen sind zwei weitere Schächte zur Filterung und Haltung des eintretenden Schichtwassers vor dessen Einleitung ins Tauchbecken. Über eine Holzleitung war der zum Tauchbecken gehörende Überlauf mit einem vierten Schacht verbunden, der aufgrund seines Fassungsvermögens von 0,4 m³ dem Kaschern, also der rituellen Reinigung von Geschirr, gedient haben dürfte. Nach Aufgabe der Mikwe wurde der Kellerboden mit einer Tonschicht abgedichtet, um den Keller trocken zu halten und profan nutzen zu können. Keramik aus einer Schachtverfüllung datiert die Mikwe ins ausgehende Mittelalter. Juden waren in Schmalkalden seit dem 13. / 14. Jh. ansässig. Ihre außergewöhnlich gute Erhaltung, qualitätvolle Baumaterialien sowie die komplexe und durchdachte technische Umsetzung machen die Mikwe zu einem herausragenden Zeugnis jüdischen Lebens in Thüringen. Das Ensemble soll erhalten und öffentlich zugänglich gemacht werden. | Mathias Seidel, Martin Seifert 4 Archäologie in Deutschland 2 | 2016 jeweils ein oder zwei Buckel zum Befestigen durchbrochen sind. Bei der Freilegung zeigte sich, dass die hauptsächlich aus oxydiertem Eisen bestehenden Beigaben nicht einzeln geborgen werden konnten. So wurde der größte Teil der Bestattung und der Beigaben in mehreren Blöcken entnommen, und die Reichhaltigkeit der Beigaben lässt sich bislang nur anhand von Röntgenbildern des Computertomografen erschließen. Sowohl die vielteilige Gürtel- als auch die Spathagarnitur waren mit silber-, teils wohl bichromtauschierten Beschlägen besetzt, die mit Tier- und Flechtbandornamentik geschmückt sind. Auch das Pferdegeschirr war reich verziert mit drei Riemenverteilern, einem größeren Rechteckbeschlag und mondförmigem Anhänger. Lesefunde bzw. Objekte aus hochmittelalterlichen Grubenhausverfüllungen wie eine bronzene Riemenzunge des 7. Jh. oder ein bronzener Siegelring lassen vermuten, dass das Kriegergrab Teil einer Hofgrablege war, von der mindestens ein Grab durch die hochmittelalterliche Besiedlung zerstört wurde. | Dorothee Brenner Gefrorene Vergangenheit Gletschereis gibt Artefakte frei Goldblattkreuz mit nach hinten umgeschlagener rechter Seite aus dem reich ausgestatteten Männergrab in Bissingen an der Teck. Als 1991 die Gletschermumie »Ötzi« bekannt wurde, gab dieser Jahrhundertfund den Startschuss für eine ganze Reihe weiterer außergewöhnlicher Entdeckungen mit vergleichbaren Fundumständen. sechs schmale, etwa 1 cm breite und knapp 9 cm lange Bronzelamellen, die auf organischem Material aufgebracht waren. Die Beigaben datieren das Grab in das zweite Drittel des 7. Jh. Auch ein Goldblattkreuz – der erste Fund eines solchen seit ungefähr 10 Jahren in Baden-Württemberg – gehörte zu den Beigaben. Vermutlich war es auf ein Tuch genäht dem Toten über das Gesicht gelegt worden, auch wenn sich die Lage aufgrund taphonomischer Prozesse verschoben hat. Das 6,2 cm große, aus Goldblech geschnittene Kreuz hat einen runden Mittelteil mit Buckel und vier gedrungene weit ausladende Kreuzarme, wobei ein Teil nach hinten umgeknickt ist. Es ist mit einer Punktbuckelverzierung versehen, wobei in den Ecken der Kreuzarme Aus dem abschmelzenden Eis tauchen seither in Nordamerika, den Alpen und Norwegen zahlreiche Artefakte auf. Sie sind bemerkenswert gut erhalten, wirkte das Gletschereis doch wie eine riesige prähistorische Tiefkühlbox – bis die globale Erwärmung nun den Netzstecker zog. In keinem anderen Gebiet sind mehr Objekte entdeckt worden als in der Provinz Oppland in Südnorwegen. Hier kamen in den letzten Jahren etwa 2000 Objekte von 50 ehemals eisüberdeckten Fundstätten zutage. Die meisten stehen mit prähistorischer und mittelalterlicher Rentierjagd in Verbindung. 150 hölzerne Pfeile, die zwischen 4000 v. Chr. und 1500 n. Chr. datie- Kriegergrab des 7. Jh. nach Chr. aus Bissingen an der Teck mit Spatha, Sax, Schildbuckel und Bronzebecken. ren, sind bisher bekannt, hinzu kommen so genannte Scaring Sticks, die dazu dienten, Rentiere in Richtung der Jäger zu treiben. Hingegen ist das außergewöhnliche Fundspektrum am südnorwegischen Lendbreen-Gletscher auf die günstige verkehrsgeografische Lage zurückzuführen: Das Areal liegt an einem Gebirgspass, der in der Eisenzeit und im Mittelalter genutzt wurde, um über einen Bergrücken zu gelangen. Wie etwa das Schnidejoch in den Berner Alpen bietet dieser Fundort ein großes Spektrum an Objekten, das weit über dasjenige eines reinen Jagdplatzes hinausreicht. Die Funde zeugen von recht unter- Die Wiege der Menschheit Spektakuläre Landschaften, sagenhafte Kulturen und schillernde Vielfalt: Äthiopien ist ein Land der Gegensätze. Seine bewegte Geschichte reicht bis zu den Ursprüngen der Menschheit zurück. Der promovierte Archäologe Klaus Dornisch präsentiert in diesem reich bebilderten Band archäologische und kulturelle Highlights eines eindrucksvollen Landes. Klaus Dornisch Sagenhaftes Äthiopien Archäologie, Geschichte, Religion Mit einem Vorwort von Assfa-Wossen Asserate. 176 S. mit etwa 120 Abb., geb. mit SU. Einführungspreis bis 30.6.2016 49,95 € Ab 1.7.2016 69,95 € ISBN 978-3-8053-4867-6 Bestellen Sie hier: Internet: www.zabern.de E-Mail: [email protected] Telefon: 0 61 51/ 33 08-330 Fax: 0 61 51/ 33 08-277 Archäologie in Deutschland 2 | 2016 5 Das Standardwerk als edle Sonderausgabe! Hubert Cancik/Helmuth Schneide/ Manfred Landfester (Hrsg.) Der Neue Pauly | Enzyklopädie der Antike Sonderausgabe 2015. 18 Bände u. 1 Registerband (nur geschlossen beziehbar). Zus. 11.957 S. mit 1640 s/w Abb., geb. Inkl. Zusatzband ›Historischer Atlas der antiken Welt‹. Hrsg. von Anne-Maria Wittke/Eckart Olshausen/ Richard Szydlak. Sonderausgabe 2015. 327 S. mit 168 farb. und 48 s/w Abb., 168 farb. u. 77 s/w Karten und Tabellen, geb. 699,- € statt 3.380,10 € | ISBN: 9783534267644 BESTELLEN SIE im Internet: www.wbg-verlage.de per E-Mail: [email protected] per Telefon: 06151-3308-330 per Fax: 06151-3308-277 Nur 699,- € statt bisher 3.380,10 € • 19 Bände mit 12.000 Seiten und 1.600 Abbildungen • 3.000 Jahre abendländischer Geschichte von 2000 v. Chr. Bis 1000 n. Chr. • Inklusive Zusatzband »Historischer Atlas der antiken Welt« »Ein vorzügliches Werk, in dem das klassische Altertum, seine Voraussetzungen und seine Wirkungsgeschichte wie nirgends sonst erschlossen werden.« Bayerisches Fernsehen Alles über das Altertum in 19 Bänden! 2000 Wissenschaftler aus 50 Ländern vermitteln in 30.000 Einträgen das Wissen über drei Jahrtausende abendländischer Geschichte von A bis Z. Die klassische Antike ist das Herzstück, das Spektrum ist jedoch weit größer: der Alte Orient und Ägypten als die Grundlagen der griechischrömischen Kultur, der Austausch mit den benachbarten Kulturen und das Fortleben der Antike in Byzanz. Neben der politischen Geschichte spielen Religions-, Kultur-, Wirtschafts-, Sozial- und Alltagsgeschichte, aber auch die Ideengeschichte eine herausragende Rolle. Hinzu kommt als Besonderheit: die Darstellung der Rezeptionsgeschichte der Antike. Der Registerband erschließt sämtliche Einträge und Karten. Der ›Historische Atlas der antiken Welt‹ ist ein Novum in der Antike-Literatur. All das zusammen macht den ›Neuen Pauly‹ zu einem einzigartigen Nachschlagewerk und zu dem Standardwerk über die Antike überhaupt. Für Mitglieder der WBG nur 499,- € ! Informationen zur WBG auf www.wbg-wissenverbindet.de schiedlichen Aktivitäten an dieser verkehrstechnisch günstigen Engstelle. So stammen unter anderem ein wikingerzeitlicher Fäustling, Bestandteile von Transportausrüstungen, Überreste von Packpferden und sogar eine Tunika der Eisenzeit von hier. Das Kleidungsstück wurde als Bündel zusammengeschnürt entdeckt, sodass nicht gleich erkennbar war, um was es sich handelte. Erst bei der anschließenden Untersuchung im Museum of Cultural History in Oslo erwies sich der Fund als zwar stark abgetragene und mehrmals geflickte, aber komplette Tunika in gewebtem Diamantköper. Radiokarbonmessungen datieren sie in die Zeit um 300 n. Chr. Die Tunika von Lendbreen findet ihre nächste Parallele im Thorsberger Moor in Schleswig-Holstein. Sie zählt damit zu nur einer Handvoll erhaltener gleichartiger Funde nördlich des Limes. | Lars Pilø, Espen Finstad/AiD Plastische Wandmalerei Die vom abgetauten Gletscher freigelegte eisenzeitliche Tunika in situ an der Fundstelle Lendbreen und nach der Restaurierung. Bilderfries der Jungsteinzeit rekonstruiert Wissenschaftler des Landesamts für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart präsentierten Ende Januar im Dienstsitz Hemmenhofen ein sensationelles Ergebnis ihrer Arbeit: Sie haben ein großes Wandbild, das vor nahezu 6000 Jahren im Bodensee untergegangen war, aus zahlreichen Fragmenten zusammengefügt. Die spektakulären Funde, darunter auch plastisch geformte, fast lebensgroße weibliche Brüste, waren bereits 1990 bis 1994 von Taucharchäologen des Landesamts in einer Pfahlbausiedlung bei Bodman-Ludwigshafen geborgen worden. Es handelt sich um die ältesten figuralen Wandmalereien nördlich der Alpen und – mit Ausnahme einiger weiterer Funde aus Sipplingen – um die einzigen bekannten Wandmalereien aus den zirkum- Unten: Der rekonstruierte jungsteinzeitliche Bilderfries ist rund 7 m lang. Teile des Wandbildes waren auch plastisch geformte wie diese nahezu lebensgroßen weiblichen Brüste. alpinen Pfahlbauten. Zu steinernen Stelen und Felsbildern des Alpenraums, die allerdings mehr als 1000 Jahre jünger sind, lassen sich Verbindungen aufzeigen. Die Auswertung der mehr als 2000 Einzelfragmente war diffizil, doch nun kann die Innenwand eines Pfahlbauhauses rekonstruiert werden, auf der mindestens sieben weibliche Gestalten mit erhobenen Händen dargestellt waren. Sie gehörten zu einem Gebäude, das für besondere rituelle Zwecke genutzt wurde. Die Malereifragmente ergänzen sich zu einem 7 m langen Bilderfries. Auf der Großen Landesausstellung Baden-Württemberg »4000 Jahre Pfahlbauten« wird dieser 2016 der Öffentlichkeit vorgestellt. | RPS, AiD Archäologie in Deutschland 2 | 2016 7 Titelthema | Burgen – Schlösser – Herrenhäuser Wohnsitze des Adels zwischen Mittelalter und Renaissance Die Zeit um 1500 gilt als Wendepunkt vom Mittelalter zur frühen Neuzeit. Die Entdeckung Amerikas 1492 und Luthers Thesenanschlag 1517 sind nur zwei welthistorische Ereignisse, die den Beginn einer neuen Epoche markieren. Auch für den Adel ist es eine Epoche großer Veränderungen, die wie immer in Zeiten beschleunigten Wandels Gewinner und Verlierer kennt. Nicht allein deshalb lohnt ein genauerer Blick auf die Herrenhäuser. Von Guido von Büren und Alfred Schuler D ie Wohnsitze des Adels bildeten den Mittelpunkt von dessen weltlicher Grundherrschaft inmitten eines agrarisch geprägten Umfelds. Der Adel übernahm politische, soziale, wirtschaftliche, religiöse und kulturelle Aufgaben, die in den verschiedenen Bauten, die zu einer Burg gehörten, ihren Niederschlag fanden. Die Burg war Abbild und Grundlage der weltlichen Macht, hatte zu Beginn der Neuzeit jedoch mitunter an Bedeutung verloren. Ursache hierfür waren vor allem neue Kriegstechniken. So war ein niederadliger Rittersitz nur bedingt an die Erfordernisse der Kriegsführung mit Feuerwaffen anzupassen. Zum einen fehlte es dem Adel 20 Archäologie in Deutschland 2 | 2016 an Geld für die Anlage kostspieliger Wälle und Rondelle bzw. Bastionen, zum anderen war der Festungsbau ein Privileg der Landesherren, und der Bau und Ausbau der Rittersitze bedurfte deren Zustimmung. Adel in der »Zwickmühle« Am Übergang vom späten Mittelalter zur frühen Neuzeit sah sich der Niederadel einer harten Konkurrenz ausgesetzt. Die Revolution des Kriegswesens im ausgehenden 15. Jh. durch neue Kampftechniken sowie die Einführung von Feuerwaffen und Söldnertruppen hatten ihn eines wichtigen Betätigungsfeldes beraubt, und es dauerte eine gewisse Ein letztes Foto: Haus Palant in ErkelenzBorschemich Ende Oktober 2015. Das ehemalige Rittergut wurde kurze Zeit später für den rheinischen Braunkohlentagebau abgebrochen. Bis zum großflächigen Geländeabtrag erfolgen nun noch archäologische Untersuchungen. Burg – Schloss – Festung Den Wandel in der Herrschaftsarchitektur von der überwiegend verteidigungstechnischen Funktion zur ausschließlich repräsentativen Wirkung versucht man im deutschsprachigen Raum mit den Wörtern »Burg« und »Schloss« zu fassen. Der unterstellte Gegensatz verschleiert, dass die beiden Begriffe im Mittelalter gleichbedeutend verwendet wurden, und auch im 16. Jh. ein Schloss nicht selten als Burg bzw. die Burg als Schloss bezeichnet wurde. Die Burg bot Schutz, sie hatte einen bergenden Charakter. Das Schloss war ein Wehrbau, den man abschließen konnte. Als Festung bezeichnet man eine Verteidigungsanlage der frühen Neuzeit, wobei der Begriff selbst im Mittelalter ganz allgemein verwendet wurde, wenn man etwas bekräftigen oder bestärken wollte. Zeit, bis er sich das Kriegshandwerk als Söldnerführer zurückeroberte. Ein gutes Beispiel ist Graf Reinhard zu Solms (1491–1562), der als kaiserlicher Heerführer tätig war und Schriften zum Belagerungswesen sowie zum Festungsbau verfasste. Er beschäftigte sich zudem eingehend mit seinem Stand und dessen erkennbarem Niedergang. Aus ständischer Sicht »von unten« wurde die Herrschaft des Adels durch aufbegehrende Bauernschaften (Bauernkrieg) in Frage gestellt. Parallel setzten die Fürsten in der Phase sich intensivierender Landesherrschaft weniger auf den Adel als auf humanistisch gebildete bürgerliche Räte, die mit dem römischen Recht vertraut waren. Die alten adeligen Hofämter verloren dadurch an Einfluss und Bedeutung. Auch arbeiteten die Landesherren daran, alte Rechte zurückzugewinnen, die sie häufig an Niederadelige verpfändet hatten. Nicht zu Unrecht fühlte sich der Niederadel, dessen Mitglieder in diesem Zusammenhang gerne als Raubritter diffamiert wurden, in ihrer Existenz bedrängt. Gleichzeitig galt der Niederadel als Verlierer der ab 1495 einsetzen- den Reichsreformen, waren doch die Territorialherren die Träger des neu strukturierten Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation. Schwere Vorwürfe gegenüber dem Adel erhoben die Humanisten, indem sie ihm Bildungsferne und fehlende Tugendhaftigkeit unterstellten. Letzteres zielte ins Herz adeligen Selbstverständnisses, sah man sich doch durch die Geburt zum Herrschen legitimiert. In der Frage einer fundierten humanistischen Bildung holte der Adel jedoch rasch auf, wie die häufig zu beobachtende Antikenbegeisterung belegt. Adelige Wohnsitze im Spiegel der Archäologie Eine kunsthistorische Datierung der vielen kleinen Herrenhäuser des Niederadels gelingt aufgrund allenfalls spärlich vorhandener Stilelemente nur selten. Auch die Überlieferung von Schriftquellen ist hier meist dürftig. Daher kommt gerade der Archäologie bei der Erforschung von Adelsbauten eine entscheidende Rolle zu, wobei ein interdisziplinär ausgerichteter Forschungsansatz un- Die (verlorene) Burg Kerpen in Kerpen (Rhein-Erft-Kreis) in einer lavierten Federzeichnung von 1589. Im Inneren der spätmittelalterlich ausgebauten Burg steht der romanische Wohnturm, aus dem die Anlage – wie viele andere ihrer Zeit auch – hervorgegangen ist. abdingbar ist: Neben Archäologen, Archäobotanikern, Archäozoologen und Dendrochronologen haben hier auch Historiker, Bauforscher und Geophysiker ein breites Arbeitsfeld. Nur so kann ein möglichst umfassendes Bild vom Leben des Landadels gelingen. Resümiert man die Möglichkeiten der archäologischen Erforschung überlieferter Adelssitze, so liegt im vollständigen Denkmalverlust, wie er vor allem im raumgreifenden Braunkohlentagebau zwangsläufig gegeben ist – bei aller Wehmut – auch die einzigartige Chance, die bauliche Entwicklung gesamter Anlagen nachzuzeichnen und über das Fundmaterial Rückschlüsse auf das Leben der adeligen und nichtadeligen Bewohner zu gewinnen. Zudem können umfassende Ausgrabungen auf Herrschaftssitzen aller Art bezüglich der noch relativ jungen und ausbaufähigen Realienkunde des Mittelalters und der Neuzeit große Fortschritte erbringen. Häufig sind im Fundmaterial auch Sozialindikatoren auszumachen, die eine Differenzierung in verschiedene Wirkungsbereiche der durchaus heteroge- nen Bewohnerschaft erlauben können. Da gerade für die nichtadeligen Personen Schriftarchivalien als Erkenntnisquelle nahezu vollständig ausfallen, ist man hier allein auf die Ergebnisse der Archäologie angewiesen. Info Die wissenschaftlich orientierte Datenbank »Ebidat« versteht sich als »zentrales Melderegister für Burgen«, das fortlaufend aktualisiert wird. Derzeit umfasst der Datenbestand schon mehr als die Burgen an Rhein und Donau im In- und Ausland, wobei Erweiterungen in Planung sind. Auch nicht mehr existierende sowie ausschließlich über Schriftquellen bekannte Burgen finden hier Berücksichtigung. www.ebidat.de Literatur R. Atzbach/S. Lüken/H. Ottomeyer (Hrsg.), Burg und Herrschaft. Ausstellungskatalog Hist. Mus. Berlin (Berlin 2010). G. U. Großmann (Red.), Die Burg zur Zeit der Renaissance. Forschungen zu Burgen und Schlössern 13 (München, Berlin 2010). Archäologie in Deutschland 2 | 2016 21
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