Leichterer Zugang, neue Elemente

POLITIK
AMBULANTE VERSORGUNG PSYCHISCH KRANKER
Leichterer Zugang, neue Elemente
Der Gemeinsame Bundesausschuss hat eine umfassende Strukturreform der
ambulanten Psychotherapie beschlossen. Dazu gehören eine psychotherapeutische
Sprechstunde und die Möglichkeit zur Akutbehandlung. Kritik bleibt indes nicht aus.
ine Sprechstunde soll Patienten künftig auch von ärztlichen und Psychologischen Psychotherapeuten sowie Kinder- und
Jugendlichenpsychotherapeuten angeboten werden können. Damit sollen vor allem die langen Wartezeiten auf ein erstes Gespräch reduziert
werden. Die psychotherapeutische
Sprechstunde ist das Kernstück der
Strukturreform der ambulanten Psychotherapie, die der Gemeinsame
Bundesausschuss (G-BA) am 16. Juni
mit der Änderung der Psychotherapierichtlinie auf den Weg gebracht
hat. Mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz war das Gremium
beauftragt worden, bis zum 30. Juni Regelungen zur Flexibilisierung
des Therapieangebots, zur Einrichtung von Sprechstunden, zur Akutbehandlung, zur Förderung von
Gruppentherapien und der Rezidivprophylaxe sowie zur Vereinfachung
des Antrags- und Gutachterverfahrens zu beschließen.
E
Sprechstunde freiwillig
Die Sprechstunde dient der zeitnahen Abklärung, ob eine krankheitswertige Störung vorliegt oder nicht.
Dazu kann eine orientierende diagnostische Abklärung erfolgen. Der
Hilfesuchende soll dann über das
für ihn beste Versorgungsangebot
beraten werden. Die Patientenvertreter im G-BA bemängelten in der
öffentlichen Sitzung am 16. Juni indes, dass die Sprechstunde nicht
verpflichtend eingeführt wird. Psychotherapeuten können selbst entscheiden, ob sie künftig mindestens
zwei Stunden pro Woche zu festen
Zeiten für eine Sprechstunde anbieten. „Für die Patienten sind die
Sprechstunden verpflichtend, für
die Therapeuten nicht – das wird
ein Nadelöhr in der Versorgung“,
sagte Patientenvertreter Jürgen
Matzat. „Das wird ein neuer Korri-
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dor in der Versorgung“, betonte hingegen Timo Harfst von der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK),
die im G-BA Anhörungsrecht hat.
„Hier werden sehr starke Anreize
gesetzt, so dass die allermeisten die
Sprechstunde anbieten werden –
das ist motivationspsychologisch
ein kluger Weg.“ Die Kassenärztliche Bundesvereinigung und der
GKV-Spitzenverband stimmten eindeutig für die Freiwilligkeit.
Unmittelbar nach der Sprechstunde kann künftig für Patienten in
akuten psychischen Krisen- und
Ausnahmezuständen eine psychotherapeutische Akutbehandlung beginnen. Diese kurzfristige Intervention zur Vermeidung von Fixierungen
und Chronifizierungen psychischer
Symptomatik besteht aus bis zu 24
Gesprächseinheiten à 25 Minuten,
die nicht bei der Krankenkasse beantragt werden müssen. Diese
Neuerung bezeichnen der Bundesverband der Vertragspsychotherapeuten (bvvp), die Deutsche Psychotherapeutenvereinigung (DPtV)
und die Vereinigung Analytischer
Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (VAKJP) gemeinsam
als wichtige Ergänzung des bisherigen Leistungsangebotes.
Darüber hinaus soll künftig die
Kurzzeittherapie (KZT) in zwei
Abschnitte à zwölf Stunden unterteilt werden, statt wie bisher bis zu
25 Stunden am Stück zu umfassen.
Jeder Abschnitt ist antrags- aber
nicht gutachterpflichtig. Warum
diese Zweiteilung notwendig ist,
erschließt sich der BPtK nicht:
Schon jetzt seien 70 Prozent der
Psychotherapie kurze Behandlungen unter 25 Stunden. Zudem sei
auch die sogenannte Genehmigungsfiktion nach jedem Abschnitt
„ein sinnfreier Vorgang“, sagte
BPtK-Vertreter Harfst. Danach haben die Krankenkassen drei Wo-
chen Zeit, einen Antrag auf KZT
zu genehmigen. Wenn sie diese
Frist verstreichen lassen, gilt der
Antrag auch als genehmigt. Die
drei Verbände (bvvp, DPtV,
VAKJP) bezeichnen die künftige
Zweiteilung der KZT darüber hinaus als „willkürlichen Eingriff in
die Behandlungsplanung von Psychotherapeuten“ und „unnötigen
bürokratischen Aufwand“.
Rezidivprophylaxe verfehlt
Nach Beendigung einer Langzeittherapie (LZT) kann künftig innerhalb
eines Zeitraums von zwei Jahren eine Rezidivprophylaxe durchgeführt
werden: eine niederfrequente therapeutische Arbeit, die zur Stabilisierung der Patienten beiträgt. Die dafür vorgesehenen Stunden sind Teil
des Gesamtkontingents. Nach Ansicht der BPtK hatte der G-BA den
Auftrag, für die Rezidivprophylaxe
einen eigenen Leistungsbereich zu
schaffen, um chronisch und schwer
psychisch Kranken ein flexibles
Behandlungsangebot nach Abschluss einer Psychotherapie zu
bieten. „Diesen Auftrag hat das
Gremium nicht erfüllt“, kritisiert
BPtK-Präsident Dietrich Munz.
„Nicht nachvollziehbar“ sei zudem
die Beschränkung auf LZT als Voraussetzung für eine Rezidivprophylaxe. Die drei Berufsverbände
kritisieren diesen Teil des Beschlusses als „Mogelpackung“: Das letzte Therapiekontingent einer LZT
auf bis zu zwei Jahre zu strecken,
sei auch bisher schon möglich gewesen.
Wenn keine Beanstandung durch
das Bundesgesundheitsministerium
erfolgt, tritt die geänderte Psychotherapierichtlinie am 1. April
2017 in Kraft. Der Beschluss wird
in Kürze auf der Seite des G-BA
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eingestellt: www.g-ba.de
Petra Bühring
Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 25 | 24. Juni 2016