Bayerische Staatskanzlei Rede des Bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer, MdL, anlässlich der 700-Jahr-Feier der Stiftung Bürgerspital zum Hl. Geist am 26. Juni 2016 um 10.00 Uhr in Würzburg Manuskriptfassung: Es gilt das gesprochene Wort. - Anrede In den letzten beiden Tagen war ich mit der Kanzlerin in Potsdam. Ich darf Ihnen verraten: Brandenburg ist schön, aber Franken ist schöner. Ich freue mich, heute bei Ihnen am Main zu sein. Herzlich willkommen in der Würzburger Residenz. Gemeinsam feiern wir 700 Jahre Stiftung Bürgerspital zum Heiligen Geist. Ein großartiges Jubiläum. Gratulation! Für mich ist es immer wieder ein Erlebnis, in die Kiliansstadt zu kommen. Festung Marienberg, die barocke Pracht der Residenz, kunstvolle Gärten, malerische Weinberge, fränkisches Lebensgefühl – wer hierher kommt, spürt sofort: Würzburg ist ein Gesamtkunstwerk. Und Würzburg hat die Geschichte unseres Landes entscheidend mitgestaltet und bestimmt. Seit Jahrhunderten prägen die Winzer diese unverwechselbare Region. Main und Wein – das ist eine Einheit. Frankenwein ist bayerisches Lebensgefühl und ein bayerischer Exportschlager. Würzburg hat eine der ältesten Universitäten Deutschlands. Heute belegt die Domstadt einen vorderen Rang unter den deutschen Wissenschaftsund Technologiestandorten. Künstler von Weltrang haben ein großartiges Kulturerbe hinterlassen – in Würzburg und in der ganzen Region, vom Main bis zur Tauber. Kunst, Geschichte, Lebenskultur – diese Symbiose ist einmalig und sucht weltweit ihresgleichen. Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Schuchardt, liebe Barbara Stamm, liebe Würzburgerinnen und Würzburger, Sie sind zu Recht stolz auf Ihre Stadt. Und Würzburg kann stolz auf seine Bürger sein. Seit jeher gelten die Würzburger als besonders heimatverbunden und selbstbewusst. Diese Liebe zur Stadt und ihren Menschen, der Glaube an die eigene Stärke und Gestaltungskraft war vor 700 Jahren die Geburtsstunde des Bürgerspitals. Armen, kranken und pflegebedürftigen Menschen Obdach und Versorgung geben – das war das Ziel der Stifterfamilie von Steren. Sie setzte nicht auf die Obrigkeit, verließ sich nicht auf die kirchliche Sozialfürsorge, die Stadtverwaltung und den Staat. Die Stifter des Bürgerspitals vertrauten auf die Menschen. Die Pioniere des aktiven Bürgers haben eine Spur gelegt, die bis heute lebendig ist. Ein Anwesen, 13 Morgen Weinberge, 30 Malter Roggen und drei Pfund Würzburger Pfennige jährlich: eine Initialzündung. Das Fundament für dauerhaftes bürgerschaftliches Engagement. Vor allem Frauen haben schon zwei Jahre nach dem Tod des Stifters eine nicht abreißende Kette von Zustiftungen und Schenkungen begründet – aus der Mitte der Stadtgemeinschaft, von Bürgern für Bürger, seit 700 Jahren. Die Stifter konnten sich auf ihre Würzburgerinnen und Würzburger verlassen. In Würzburg beweisen Sie bis heute: Die besten Ideen sind zeitlos. Zu helfen, wo es nottut: Dieser Gedanke leitet Stifterinnen und Stifter zu allen Zeiten. Bürgerstiftungen drücken den Zusammenhalt der Menschen aus. Sie schaffen eine Kultur der Solidarität, die der Staat allein nicht schaffen kann. Sie sind die Stützpfeiler unseres humanen Gemeinwesens. Sehr geehrte Frau Noffz, im Dienst einer Stiftung zu stehen, ist ein Dienst am Menschen und an der Gemeinschaft. Als erste Frau an der Spitze der Stiftung Bürgerspital bewahren Sie das Erbe der Gründer und führen den Stiftungsgedanken in die Zukunft – verantwortungsbewusst, tatkräftig und höchst erfolgreich. Ihnen und allen Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern meinen herzlichen Dank. Vergelt’s Gott für Ihren Einsatz und Ihr Engagement zum Wohle der Menschen in Würzburg! Heute ist die Stiftung Bürgerspital das Flaggschiff des sozialen Franken. Das Weingut ist eines der größten und ältesten in Deutschland – Motor für Stadt und Region, weit über Frankens Grenzen hinaus berühmt für seine hervorragenden Weine. Das Besondere: Jeder verkaufte Schoppen, jeder Bocksbeutel und jede Flasche Wein kommen der Stiftung zugute. Diese Kombination aus Spitzen-Wein und Stiftung macht das Bürgerspital zum Heiligen Geist so einzigartig – einmalig in Deutschland, in Europa und weltweit. Und das ist Vorbild für die bayerische Erfolgsgeschichte: Erfolg durch Werte, Erfolg aus Werten. Vor allem sind die „Bürgerspitäler“ ein Segen für ältere Menschen. In Ihren Einrichtungen garantieren Sie 750 Senioren ein Altwerden in Aktivität und Würde. Der wertvollste Schatz des Bürgerspitals ist nicht der ökonomische Erfolg, sondern die engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Mit viel Einfühlungsvermögen kümmern sie sich um „ihre“ Bewohner, unterstützen die Senioren in ihrer Selbstständigkeit und begleiten sie auch in schwierigen Lebensphasen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter pflegen und betreuen nach den neuesten pflegewissenschaftlichen Erkenntnissen, bilden sich weiter, tauschen sich aus mit Ärzten, Angehörigen und Seelsorgern. Für alle gilt: Der Mensch steht im Mittelpunkt ihrer Arbeit. Sie sind für den Menschen da. Sie sorgen für ein Leben in Würde. Für diesen aufopferungsvollen Dienst am Menschen danke ich Ihnen von Herzen. Wer sich um alte Menschen kümmert, sie versorgt und betreut, der leistet einen unschätzbaren Dienst an unserer Gemeinschaft. Was Sie tagtäglich leisten, macht unsere Heimat menschlich und lebenswert. Ein herzliches Vergelt’s Gott auch allen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern. Berufstätige, Hausfrauen, Rentner, Kinder und Schüler aus Würzburg und Umgebung kommen zu Besuch, nehmen sich Zeit für Gespräche und Spaziergänge, halten eine Hand, geben Geborgenheit, schenken den Senioren Aufmerksamkeit und Zuwendung. Sie füllen den Gedanken der Stifterfamilie immer wieder neu mit Leben – auch nach 700 Jahren. Ich danke. Sehr geehrte Damen und Herren, Papst Johannes Paul II., im Alter selbst schwer an Parkinson erkrankt, sagte einmal: „Das Alter bringt die Ernte ein, die Ernte aus dem Gelernten, aus dem Erlebten, die Ernte aus dem Geleisteten und Erreichten, die Ernte aus dem Erlittenen und Bestandenen.“ Er mahnt uns: Ein christliches, ein menschliches Gemeinwesen muss Ehrfurcht haben vor der Würde jedes Einzelnen – Würde im Alter, in Krankheit und Pflegebedürftigkeit, bis zum Tod. Diese Ehrfurcht darf sich nicht in Worten erschöpfen. Sie muss Taten folgen lassen. Taten, damit Menschen in unserem Land auch im Alter ein Leben in Würde führen können. Ältere Menschen sind heute gesünder und aktiver als jede Seniorengeneration zuvor. Sie sind motiviert, Sie können und wollen sich sinnvoll engagieren, Sie versprühen Lebensfreude. Noch nie waren die Aussichten so gut wie heute, auch nach dem Renteneintritt gesund, aktiv und mobil zu bleiben. Ein gutes Leben im Alter braucht aber eine finanzielle Absicherung, braucht eine Rente, die ausreicht. Eine Rente, die der Lebensleistung der Menschen gerecht wird. 1957, in der Ära Adenauer, war es die junge Generation der Aufbaujahre, die mit den Älteren den Generationenvertrag geschlossen hat. Die jungen Menschen der Wirtschaftswunderzeit haben Verantwortung übernommen. Sie haben die Älteren, die Rentner, teilhaben lassen an Aufschwung und Wohlstand. Heute erwartet diese Aufbaugeneration zu Recht Solidarität von den Jungen. Der Generationenvertrag ist nach wie vor ein starkes Bündnis. Unser deutsches Rentensystem steht für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Gerade im internationalen Vergleich ist die Versorgung älterer Menschen bei uns vorbildlich. Solidarität, verbunden mit Leistung und Parität – das ist das Erfolgsrezept unseres Rentensystems. Das muss auch in Zukunft gelten. Unser Rentensystem muss das Aushängeschild für soziale Gerechtigkeit und Wohlstand in unserem Land bleiben. In Potsdam habe ich mich gemeinsam mit unserer Landtagspräsidentin Barbara Stamm stark gemacht für eine leistungsgerechte, solidarische Rente. Gut, wenn sich jetzt etwas bewegt! Ich bin überzeugt: Rentenfragen sind Vertrauensfragen. Rentenpolitik ist Zukunftspolitik. Deshalb dürfen wir die Augen nicht vor dem demografischen Wandel verschließen. Immer weniger Berufstätige werden in Zukunft für immer mehr Rentner aufkommen müssen. Ich nenne das Problem Altersarmut von Frauen. Ich nenne die Altersvorsorge in Zeiten von Negativzinsen. Auf diese Herausforderungen brauchen wir Antworten. Ich stehe zu einer privaten Vorsorge als Ergänzung zur gesetzlichen Rente. Aber wir müssen die private Vorsorge besser organisieren. Hinzu kommt: Die Hinzuverdienstmöglichkeiten im Rentenalter müssen besser werden. Wir brauchen erstens kurzfristige Verbesserungen. Wir brauchen als zweiten Schritt umfassendere Reformen zur Stabilisierung des Rentenniveaus. Die Versorgung im Alter und im Pflegefall ist das Versprechen der Sozialen Marktwirtschaft! Darauf müssen die Menschen vertrauen können. Mein ganzes politisches Leben arbeite ich für den Zusammenhalt der Solidargemeinschaft. Sicherheit, Gerechtigkeit und Solidarität – das sind die Leitwerte für das soziale Miteinander in unserem Land. Diese Werte haben Johannes von Steren und seine Frau vor 700 Jahren in Würzburg vorgelebt – und damit den Grundstein gelegt für ein Haus der Mitmenschlichkeit. An diesem Generationenwerk haben die Würzburgerinnen und Würzburger über Jahrhunderte weitergebaut. Es trägt bis heute. Sehr geehrte Damen und Herren, vom Schriftsteller Hermann Hesse stammt der Satz: „Wenn ich ein zukünftiger Dichter und gerade mit der Wahl meines Geburtsortes beschäftigt wäre, dann würde ich die Stadt Würzburg am Main sehr mit in Erwägung ziehen.“ Ich kann ihn verstehen. Die Schönheit der Stadt, das gelebte Miteinander der Bürgerinnen und Bürger, der Zusammenhalt zwischen Jung und Alt: einmalig – und sichtbar in der jahrhundertealten Verbundenheit der Menschen mit „ihrem“ Bürger-spital. Ich bitte Sie: Setzen Sie sich weiter füreinander ein – für Ihre Stadt, für unsere Heimat, für Franken und Bayern! Sorgen wir gemeinsam dafür, dass Würzburg, dass Franken und Bayern bleibt, was es ist: lebens- und liebenswerte Heimat. Der „Mutter aller Würzburger Stiftungen“, der Stiftung Bürgerspital zum Heiligen Geist, wünsche ich auch in Zukunft alles Gute und Gottes Segen. Auf die nächsten 700 Jahre im Dienst unseres menschlichen Bayern, im Dienst unserer geliebten Heimat!
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